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A 3 2015 00870 762
University of Michigan — IR
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Franz Grillparzer.
run Örillparzers
Sämmtliche Werte
in zehn Bänden.
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Dritte Ausgabe.
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Erfter Band.
Stuttgart.
Derlag der J. G. Eotta’fchen Buchhandlung.
1878,
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Budbruder der J. G, Gotia’fhen Audyhandinunn in Etuitaart.
Einleitung.
(Zur eriten Ausgabe.)
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Wir bringen denn endlich in den folgenden zehn Bänden eine
Geſammtausgabe der dichteriihen Werle und Schriften Franz
Grillparzers.
Im Jahre 1817. wurde fein erſtes Stück aufgeführt, und 1872,
alſo nach fünfundfünfzig Jahren erſt erſcheint diefer öfterreichtiche
Dichter vollftändig vor dem großen. deutichen Publikum.
Seine Dramen, in Wien gedrudt und verlegt, find buchhänd«
leriih immer nur läflig vertrieben worden, und wenn fie dennod)
vergriffen waren, jo wurden fie nicht wieder aufgelegt. Die erſten
beiden, die Ahnfrau und Sappho, find jeit Jahren gar nicht zu
haben.
Auch die deuiſchen Theater haben nur ſeine erſten Stücke,
Ahnfrau und Sappho, und hie und da den dritten Theil des
„goldnen Vließes“, die Medea, gegeben, und nur damals gegeben
als fie neu waren, alſo vor fünfzig Jahren. Später find fie nur
ſporadiſch durch Gaftipiele wieder aufgetaudt, namentlih Medea.
Nur an zwei oder drei Bühnen ijt ein ſpäteres Stüd wie „Der
Traum ein Leben” und „Des Meere und der Liebe Wellen“
. einmal verſucht worden. Auf der großen Mehrzahl unjerer Büh-
nen ift Griffparzer dem Repertoire völlig fremd, und fo ift er
denn au dem Publikum diefer Bühnen ein Fremdling geblieben.
Seit vierunddreißig Jahren hat Grillfparzer auch in Wien
fein neues Stüd mehr zur Darftellung oder in den Drud gege-
ben, obwohl er deren mehrere geſchrieben — er iſt allo in feiner
Haupteigenſchaft als dramatiſcher Dichter unjrer deutſchen Nation
faft entzogen worden. .
vıu Einleitung.
Zu’ diefer Gefammtausgabe Habe ih es nun übernommen,
jämmtliche dramatiſche Arbeiten Yranz Grillparzers, gedrudte wie
ungedrudte, für den Drud zu ordnen. Eine leichte Arbeit, da
aud die bisher unbelannten nachgelaſſenen Stüde in feiner Hand-
Ihrift wohlgeordnet vorliegen, und da Grillparzer bei jeinen Xeb-
zeiten mich vertraut gemacht hat mit den Manufcripten.
Joſeph Weilen hat die Sammlung der Gedichte zu feiner Auf-
gabe gemadt.1 Eine mühjame Arbeit, da die Gedichte aus ver-
geflenen Almanachen, aus Ylugichriften und aus dem dichteften
Durdeinander von Studienblättern wie aus verborgenen Winkeln
zulammengejudht werden mußten. Beide gemeinjchaftlicdh haben wir,
weſentlich unterflügt dur; Herrn Dr. Preyk, die reiche Fülle des
Nachlaſſes an aphoriftiichen Artikeln geordnet und zuſammengeſtellt.
Die ausführlihe Schilderung’ des ſpaniſchen Theaters fand fidh
zulammenhängend vor. Ebenfo eine Selbfibiographie Grillparzers,
welche nur Turzer Anmerkungen bedürfen wird zur Berftändigung
über einzelne PBrivatperfonen oder lokale Beziehungen.
Diele Gefammtausgabe wird demnach ˖aus folgenden Schriften
beitehen: Erſtens aus den Gedichten; zweitens aus den Dranıen,
den gedrudten und ungedrudten. Die gedrudten find ſämmtlich
aufgeführt, mit Ausnahme des Operntertes „Melufine”, welden
Grillparzer für Beethoven geſchrieben und welchen Ipäter Conradin
Kreuger componirt hat. Yhre Titel lauten: „Die Abnfrau“
(1817 zum erfienmale aufgeführt) — „Sappho“ (1818) —
„Das goldene Vließ“ (1821) — „Ottolars Glüd und
Ende” (1825) — „Ein treuer Diener feines Herrn“ (1828)
— „Des Meeres und der Liebe Wellen“ (1831) — „Der
Traum ein Leben“ (1834) — „Weh Dem, der lügt“
(1838). — Im Manufcripte, aber ganz vollendet, Liegen vor:
„Libuſſa“ — „Ein Bruderzwift in Habsburg“ — und
„Die Jüdin von Toledo“.
Außerdem die Fragmente „Eſther“ und die Scene 6 annibal.“
1 Died gilt für die erſte und zweite Gefammtausgabe. Die Sammlung
der Gebichte In biefer britten Audgabe beruht auf bem von Frhr. Th. v. Rizyh
herausgegebenen „Wiener Grillparzer » Album.”
In BE De ı N 2
Einleitung. X
Beide find in Almanachen gedruckt und das Fragment „Efther“
ift auch aufgeführt worden.
Dies find ſämmtliche Dramen. In feinem Nachlaſſe findet
ſich auch eine erfte dramatiſche Arbeit „Blanfa von Kaftilien“,
welche er mit fünfzehn Jahren geſchrieben. Sie befundet in den
erften Alten ein ungemeines Compofitionstalent. &leih in den '
_ Eingangzscenen ift eine Spannung errichtet und ift eine jo man—
nigfache Verzweigung angelegt, wie fie wohl jelten bei einem
fünfzehnjährigen Dramatiker vorlommen mag, alſo ein Zeichen
von urſprünglichem Talente. Die zweite Hälfte des Stüdes geht
underhältnigmäßig ins Breite, und Grillparzer, der auch gegen
fih jelbft fireng war, hat den Gedanken immer zurückgewieſen,
daß ſolch ein Jugendverſuch je gevrudt werden jollte.
Ebenfo Haben wir nidt an den Abdruck gedacht bei Tleis
neren dramatifchen Jugendarbeiten, welche in fein jechzehntes und
ftebenzehntes Yahr fallen. Es find Turze Schaufpiele bürger-
lien Thema’3, und fie befunden ebenfalls ein pojitives dramas
tiſches Talent in Führung der Handlung und der Charafteriftik.
Mancherlei Anfänge von Stüden, darunter ein heiter angelegter
franzöfiiher „Heinrich IV.“ reichen nicht über einzelne Scenen
hinaus.
Die nachgelaſſenen Stüde „Libuſſa“, „Ein Bruderzwift
in Haböburg” und „Die Jüdin von Toledo“ find bis
jegt nicht aufgeführt worden, und ich halte es deßhalb für richtig,
fie hier in der Einleitung des Breiteren einzuführen.
Sie find in feiner jpäteren Zeit geſchrieben und find in län-
geren Zwilchenräumen abgefakt, was Grillpaxzer ſtets als beichä-
digend anjah für feine Produktion. In einer Stimmung, in
einem Wurf niederzufchreiben, war ihm poetilches Bebürfnik.
Geärgert dur das Nichtgefallen jeines Luſtſpiels „Weh Dem,
der lügt“, wollte er gar nichts mehr mit dem Theater zu thun
haben und gab die Jängft fertigen Manujcripte an Niemand.
Erſt in den legten Jahren ließ er fie einige Freunde Iejen.
Er war ftet3 jehr reizbar bei Aufführung feiner Stüde, aud)
wenn fie gefielen. Sie madten auf ihn jelbft einen peinlichen
x Einleitung.
Eindrud wie eine Verlegung der Schamhaftigkeit. Er vermich
es jpäter ganz und gar, eine Zarftellung verjelben anzufehen.
Dazu kam, dab er allmählig immer empfindlicher wurde für
Alles, was ihn mit der Deffentlichteit in Berührung brachte. Er
hätte vieleicht audy ohne das Mißgeſchick, weldes „Weh Dem,
der lügt“ betraf, jeme legten Stüde nit aufführen lafien. Er
empfand dem Theater gegenüber geradezu das Bedürfniß einer
gewiffen Sicherftellung. So gab er mir perſönlich zu Anfang der
Sechziger Yahre wohl die Erlaubniß, die „Libuſſa“ in Scene zu
fegen, und ſpäter dieſelbe Erlaubniß für den „Bruderzwifl“; er
ſetzte aber außprüdli Hinzu: „Sie werden von diefer Erlaubniß
feinen Gebrauch machen, jobald Sie eines guten Erfolges diejer
Aufführungen nit ganz ſicher find. Selbſt ein guter Erfolg
macht mir Teinen bejonderen Eindrud mehr, ein Mißerfolg aber
würde mid) doch kränken.“
Nun ift befanntli das Vorausſagen eines Theatererfolgs da3
mißlichſte Ding, weil ee — zum Theil wenigftend — immer auch
von unberehenbaren Momenten abhängt. Ich mochte aber doch
den würdigen alten Herrn nicht irgend einem üblen Zufalle über-
antworten, und unterließ deßhalb die Aufführung der Libuſſa,
für welche ih damals daS Burgtheater zur Verfügung hatte.
Tür den „Brubderzwift” faßte er das eben im Bau begonnene
Stadttheater ins Auge; er farb aber, ehe der Bau vollendet war.
Die „Judin von Toledo” hat er mir nie gezeigt, oder auch
nur genannt. Ich vermuthe, daß er am mwenigften geneigt war,
fie aufführen zu laffen.
Libuſſa bedarf eines ſehr glücklich zuſtimmenden Theaterper-
fonals für die Hauptfiguren, welche des leichten wie des ſchweren
Tones in der Darftellung gleihmäßig mächtig fein müflen, und
das Stüd berührt in flarlem Make die Nationalitätenfrage.
Diele liegt heutigen Tages in gereiztem Zuftande, ift aljo einer
parteiiſchen und deßhalb verftörenden Aufnahme im Theater auS»
gelekt.
Den erften Alt der Libuſſa hatte man vor Sahrzehnten unter
außerordentlihem Beifalle aufgeführt. Man hatte den gekränkten
Einleitung. xI
Dichter entihädigen wollen für die Unbill, melde „Weh Dem,
der lügt“ widerfahren war. Ich nahm dieſen erften Alt während
der Fünfziger Jahre wieder auf und erfuhr dabei, daß er ſchon
nicht mehr die volle Wirkung machte, wie er fie vor einem Pub-
likum gemadt hatte, welches in einer politiſch abgejchloffenen,
zu einer. fiillen Sammlung aufgelegten Zeit lebte. Der märchen⸗
bafte Charakter des Stüds braucht wohl eine jehr unbefangene
poetiihe Zuhörerichaft.
Der „Bruderzwift in Habsburg” ftellt den Streit dar zwiſchen
Kaiſer Rudolph und Matthias, und es wird eine große Anzahl
von Erzherzögen einbezogen in diefen Streit des Erzhaufes.
Griflparzer hat nie darauf gerechnet, diefen Stoff im Burgtheater,
dem kaiſerlichen Habsburgiſchen Haus» und Hoftheater, aufgeführt
zu jehen. Dorthin gehört e8 nicht, jagte er ausdrücklich, und er
fette hinzu, daß er es eben ohne Hinblid auf eine theatralifche
Darftellung geichrieben babe. Die Theaterform des Drama’s hatte
er aber dabei do immer im Auge gehabt. Das war ihm, der
bon einem Buchdrama nichts wiſſen wollte, ein unumftößlicher
Grundjat.
Trotzdem Hat e8 als Thenterftüd große Schwierigkeiten. Ich
meine nicht ſceniſche Schwierigkeiten, jondern id) meine diejenigen,
welche die weite Faffung des Stüdes einem Theatererfolge bes
reitet.
Das Hiftoriihe Drama war an und für fi dem Grillparzer-
ſchen Talente nicht willlommen. Dies Talent zog vor, ganz frei
zu erfinden und zu geftalten. Außerdem den Spaniern zugeneigt,
bon denen ihm Lope de Vega da3 ganze Leben hindurch eine an»
regende Lektüre geblieben, war Grillparzer durchaus für Zuſam⸗
mendrängung des dramatiſchen Thema's, und eine ſolche läßt der
Hiftorifche Stoff felten zu. Im Ottokar alfo ſchon war &rill-
parzer weit aus der ihm eignen Form gendthigt worden, und
er hatte denn auch nur mühſam die zweite Hälfte des Stüdes
der theatraliihen Geſammtwirkung zuführen können. Mußte ihm
da nicht der „Bruderzwiſt“ noch jchmerer werden? Sicherlich.
Immer war er ein Gegner der Shakeſpeare'ſchen ſogenannten
XII Einleitung.
Hiftorien geweſen, deren uncomponirte Zuſammentragung geſchicht⸗
licher Vorgänge er abwies als etwas künſtleriſch Unfertiges, und
nun ſah er ſich Hier bei dem Streite zwiſchen Rudolph und Mat⸗
thias vor eine weit ausgedehnte Staatsaktion geſtellt, und ſah er
ſich gendthigt, einen Rahmen aufzurichten, welcher über den ge⸗
wöhnlichen, Rahmen eines Theaterſtückes weit hinausreicht. Wie
jehr mußte ihn das beläftigen! Er hatte wohl auch — gegen
feine Gewohnheit — lange daran gearbeitet, und er hat mir zu
wiederholtenmalen geäußert, daß es ihm kaum gelungen jein
werde, die große Aufgabe zu bewältigen. Solche beſcheidene
Aeußerung war indefjen bei ihın gemöhnlid. Das wichtige Thema
von Staat und Kirche, die intereffanten Charaktere und der fol
genreiche geſchichtliche Wendepunkt hatten ihn doch immer wieder
gereizt an dem Stoffe, und das vaterländiſche Moment darin hatte
die Reizung weſentlich erhöht. So hatte er alfmählig eine Arbeit
erledigt, welche der Art und Weife jeines Talentes nicht nabe lag.
Allerdings hat er denn auch die Löſung anders verſucht, als
Shalejpeare dies in jeinen Hiftorien gethan. Die Vorgänge
ſchließen fh in diefem „Bruderzwifte” enger, jchließen ſich orga⸗
niſch aneinander. Aber der Plan ift doch für die Bühne fehr
weit geblieben, das Perjonal jehr groß, und für daS fogenannte ,
Gemüth, welches Gefühlsfcenen im Theater braucht, hat er wenig
Sorge getragen. In diefem Punkte geht es rauh her, und die
hiftorifch -politiiche Welt nimmt Alles in Anſpruch.
Das gejhieht jedoch in großem Style, und die Drama ift
Iiterarifch ein ftarkes Werl. Die Charakteriftif des Kaiſers Rus
dolph ift ein Meifterftüd an Originalität und innerer Bedeutung,
und da wo fie ihre Höhe erreicht, im vierten Alte, da ift auch
eine unzmeifelhafte theatraliihe Macht erreicht.
Der legte Alt ift dem Theatererfolge wieder abträglid. Er
erfünt weile und fein alle Bedingungen des weiten hiſtoriſchen
Styls, indem et alle angeregten Fragen erledigt und alle Ber-
ſpektiven geſchichtlicher Zukunft eröffnet. Das Ganze wird alfo
wohl auch unfere theoretifhen Kritiker zur Anerkennung zwingen
— was jonjt den Dramatifer Griliparzer wenig fümmerte —
Einleitung. zu
aber die dramatiihe Fülle und Kraft des Ausganges ift Taum
groß genug, und deßhalb wird wohl auch an der Tchlieglichen
vollen und Fräftigen Wirkung im Theater etwas fehlen.
Srillparzer dachte geringſchätzig von unſrer abftraften Dramen
Tritif, welde vom Kerne dramatiſcher Kunft nichts Genügendes
wife und überhaupt das Weſen der Kunft mißverſtehe. Nament⸗
lich die äſthetiſchen Bücher von Gerbinus waren ihm aus dieſem
Grunde tief zuwider.
Ebenjo war er immer geneigt, dem vorgerückten Alter des
Poeten eine Hinlänglicde dramatiſche Macht abzuſprechen. Und jo
ift es denn ein charakteriſtiſches Schichſal für ihn geworden, daß
gerade er im vorgerüdten Alter Stüde jehreiben mußte, welche
vielleicht weniger beim Theater als bei der Kritik Anwerth finden
werden.
In Dielen Bereich gehört bis auf einen gewiflen Grad aud
„Die Jüdin von Toledo“. Bis auf einen gewiffen Grad, welcher
ih am Schluſſe des Stüdes in kühler Weisheit ausprägt.
Abgerundet ift dies Stüd volftändig, und deshalb aud für -
die Bühne als Kunſtwerk fertig. Es wird ſich im Theater nur
fragen, ob der harte Ausgang, welcher über die „Südin“ troden
und ſchonungslos Hinwegichreitet, den Anſprüchen eines Theater-
publitums nicht zu abſtoßend erjcheinen mag.
Ein Stüd von Zope de Vega, „Las pazes de los Reyes“,
welches denjelben Stoff behandelt, ift die Vorlage geweien. Das
Thema ift faft grillenhaft zu nennen, wie e& die Spanier oft
erwählen: ein noch junger König, der zwar verheirathet und Bater
it, Hat mit Frauen jonft Teinen Verkehr gehabt, und Tennt
eigentliche Xiebesneigung no gar nicht. Da tritt ihm eine
ſchöne Jüdin in den Weg, ein originell dreiftes, Tofettes Mäd⸗
den, und er geräth mit dieſer Philine in eine Liebſchaft hinein,
welche die Königin und die Zandftände jo entrüftet, daß fie das
Mädchen ermorden lafien. Der Zorn des Königs wallt auf, und
man ift feiner rädhenden Vergeltung gewärtig — da fieht der
König den entftellten Leichnam; der Kiebeszauber Icheint mit diefem
Anblide zu entweidden, er läßt jeglichen Rachegedanken fallen und
xIV Einleitung.
er geht mit überlegener Faſſung zu feinem Töniglichen Berufe
über, welcher eben einen Kampf gegen die Mauren und in dieſem
Kampfe feine und feiner Vaſallen Hingebung fordert.
Das Alles ift mit feiner, ſparſamer Kunſt ausgeführt. Die
Charaltere find meifterhaft gezeichnet, und tiefe Wahrheiten find
in geiftoollen Zügen eingemebt.
Die Titelfigur Philine-Rahel ift mit Fühnen, talentuollen
Striden ſtizzirt; die Kofetterie eines Naturfindes ift genial Hin-
geworfen. Sie ift wohl darum nicht weiter ausgeführt, damit
wir zuleßt ihren gewaltſamen Tod nicht allzu jehr beklagen. -
. Jede Yigur hat ein volles Leben, und daß Ganze ift ein in
engem Rahmen tief durchdachtes Kunftwerl, deſſen Werth bei.
wiederholter Lektüre erjt recht deutlich) wird. Selbft die auffallende
Schlußwendung ift im letzten Grunde ganz richtig; es fragt fid)
nur, ob diefe Richtigkeit im Theater genügen, ob die Nichtady-
tung der aufgeregten Gefühle das Publikum nicht verftimmen
werde. Denn die Zuhörerihaft im Theater bedarf immer ſchließ⸗
lich einer Genugthuung für ihre Gefühle und geftattet nicht
leicht, daß zu einer höheren Tagesordnung nüchtern übergegangen
werde.
SIntereffant iſt es, die Behandlung des ähnlichen Hergangs
bei Lope und bei Grillparzer zu vergleichen. Der Spanier braudjt
Engel in leibhafter Perſon, wo der Deutſche mit pſychologiſchen
Wendungen und Gründen ausreicht. Ueberhaupt ift für Grill-
parzer da3 jpaniſche Stüd lediglich eine Vorlage, ich möchte jagen
eine Veranlaſſung. Er faßt dieſe Vorlage ganz felbftftändig an
und führt fie ganz felbitftändig aus, nur die allgemeinen Umriſſe
beibehaltend. Er verzichtet Jogar auf eine Scene im lebten Akte,
melde er bei Schilderung des Lope'ſchen Stückes wundervoll nennt.
Sein Drama ift eben eine Original» Arbeit.
Jene Scene, welche Grillparzer in dem Lope'ſchen Stüde wun⸗
dervoll findet, iſt mohl folgende:
Der König eilt vol Rachſucht herbei. Da erſcheint ihm ein
Engel und droht ihm mit dem Zorne Gottes, falls cr bei feinen
Racheplänen beharre. König Alfons fintt zufammen, betet und
Einleitung. XV
verlangt, an ein wunderthätiges Muttergottesbild geführt zu wer⸗
den. Leonore, die Königin, iſt ihm gefolgt. Che fie mit ihn:
ſpricht, will fie mit Gott ſprechen; fie tritt in die ſpärlich be=
leuchtete Kapelle. Kaum hat fie ihr Gebet begonnen, da erjcheint
der König." Sie erfennen fi nit; bald aber verrathen ihre
halblaut geſprochenen Gebete fie einander. Der König befemmt
reuig jeine Schuld, und Leonore verzeiht ihm.
Zu dem Fragmente „Efther” bringt der Nachlaß Teinerlei
Fortſetzung. Dieſe Fortſetzung lag ihm aud gar nicht mehr nahe;
er meinte, das Thema überhaupt vergefien zu haben. Das war
feine Art, die Art feiner Künftlernatur. Er empfing, entwarf
und fehrieb im Drange und Fluſſe einer leidenichaftliden Erre-
gung. Wurde die Abfaſſung unterbrodhen, fo ſank jein Interefie
für die ganze Aufgabe, und er kehrte kaum wieder zu ihr zurüd.
Und wenn er’3 that, jo beflagte er’3 gewöhnlich hinterher, weil
ihm die volle Kraft nicht mehr erreihbar gewejen. Deßhalb war
er ein abgejagter Feind der Goethe'ſchen Art des Schaffens: in
ruhiger Ueberlegenheit die drarkatiiche Bewegung abzuflären und '
abzudämpfen. Diefe Weisheit verwies er in andere Kunftformen,
und fo tief feine Verehrung für Goethe war — fie war die größte
— Goethe's jpätere Dramen hielt er für eine Beſchädigung der
dramatiihen Form. Wenn er felbft in feinen nachgelafjenen
Dramen ähnlihen Fehlern mitunter nahe gekommen zu ſein
fcheint, jo lag das nicht daran, daß er fein Princip des drama⸗
tiihen Schaffens verändert oder gar verlaflen hätte. Er hat die
Leidenſchaften nicht vermieden, er hat die gejammelte volle Hin-
gebung an die Aufgabe nicht verleugnet, er hat nur die künſtle—
riſche Ausführung mit einer weniger fihern Hand geleitet, als
er’8 in jüngeren Jahren vermocht hat.
Uebrigens Tann das Fragment „Efther” aud im der vorlie-
genden Abkürzung beſtehen. Es gibt einen erfüllenden Abſchluß.
Der König und Efther find auf gutem, ausführlichen Wege mit-
einander vereinigt worden, und wir können die neuen Hindernifje
entbehren, welche die Weiterführung des Stüdes gebracht hätte.
Nur möge der Leſer nicht meinen, daß er in der Lektüre den
xVI Einleitung.
ganzen Eintrud dieſes abgrfür;ten Trama's gewonnen babe. Es
zeigt ih niraends dentlicher als bei Diner Eüber“, das Erili-
yarzer jeine Tramen midt für's Leien, inndern für Die Yuftüh-
rung anf der Fühne componirte, und Dat er Die ganze Sandlung
genau vor ſich geichen beim Edyreiben Unrubig und zeriplittert
erkheint die geleiene „über“, Ichensoofl zammengebend umd
von hinreizender Wirkung in der grofen Sch!nſcene zwiichen
dem Könige und Efther erihrint fie auf der Vühne. Sie if dh
halb ein dauerndes Repertsirchtüd in Wien geworden
Die Scene „Hanmibal” hat feinen Plan eines Etüdes „Dannis
bal“ Hinter fi. Griliparzer bat mar, von Plutarch angeregt,
eine Ecene ſchreiben wollcn.
Drittens bringt diefe Schammtausgabe zwei Erzählungen, die
Beſprechung des ſpaniſchen Theaters und cine große Fülle von
Aphorismen, deren wertbooller Inhalt Yedermann einleuchten
wird. Zu großem Theile find es Urtheile, welde den Studien
Grifiparzers entiprungen find, Studien von ungemeiner Aus
Dehnung md Gorgfalt.
Erzählungen find nur zwei vorhanden, „Der alte Epielmann“
und „Dos Klofter bei Sendomir“, und nur der „Epielmann“ iR
von origineller Bedeutung Eeltjiam in feiner Feinheit trägt er
das Gepräge eines ganz eigenthümlichen Poeten. „Das Klofter
bei Seudomir“ ift rajch geichrieben, weil Schreyvogel für jeinen
Almanach raſch einen Beitrag begehrt hat, und diefe Erzählung
kann nicht gerade einen befonderen Aniprudy erheben. Sie findet
fih als Stizze in den nachgelafienen Studienblättern Grillparzers,
und man fieht aus diefer Slizze, wie gründlich er gleich bei den
erften Strichen zu verfahren pflegte.
Endlih bringt die Geſammtausgabe eine Selbfibiographie
Briliparzers. Er hat fie für die Taiferlihe Alademie in Wien,
deren Mitglied er war, geihrieben. Sie reicht leider nur bis
zum Jahre 1836, und ift die größte Ueberraſchung, welche uns
der Nachlaß beſchert bat. Grillparzer nämlich pflegte es nach⸗
drücklich abzuweiſen, wenn man ihm den Wunſch ausſprach: er
möchte doch fiber feine Lebensſchickſale und über die Entſtehung
Ginleitung. xvo
feiner Arbeiten Memoiren niedericgreiben. Sein Leben ſei um⸗
wichtig, die Mittel und Wege zu feinen literarischen Werten jeien
Nebenſache. Die Werke jeien da, und daS ſei genügend. Tas
Werk mühe ſelbſt für fi ſprechen. Bas viele Peiprehen babe
unjere Literatur nur zu jehr verwäflert und von der Hingabe an
wirkliche Herorbringung abgeawendet, jo dab wir überfüllt feien
mit Schriften ohne eigenen Kern und Gehalt.
Deßhalb Hofite Riemand, etwas WMemoirenhaftes von ihm
vorzufinden Lfienbar haben wir's nur der Alademie zu ver⸗
danfen, da er fh dennody dazu entſchloſſen. Er war fehr pflicht⸗
mäßig, und weil eine Lebensgeſchichte herlömmlich von den Mit-
gliedern der Alademie verlangt wurde, jo meinte er damit eine
Bit erfüllen zu mũſſen. Die Echen vor der Deifentlicfeit in
perjönlichen Bingen hat ihn aber doch veranlaft, daS Thema
feiner Lichesneigung nicht zu berühren und am Ende troß Ala⸗
demie Die ganze Lebensgeſchichte im verſchloſſenen Kaſten zu be-
halten.
Eine größere Hülfe für die Charalteriſtik des Tichters gibt es
nit, und für Mandyen wird es nun überflüffig ericheinen, daß
der Herauögeber der Geſammiausgabe Grillparzers Charakter zu
fchilvern ſuche. Denn das Eine iſt underfennbar in diefer Selbfi-
biographie: die ungeſchminlte Wahrhaftigkeit. Er tadelt fi nicht
nur ausgiebig, er lobt fih and. Und zwar in hohem Grade.
Er, jonft der beſcheidenſte Menſch! „Wie Größe jelbft ſich kennt,“
jagt Shakeſpeare.
Ein Tagebud feines Parijer und Londoner Aufenthalts hat
fi) ebenfalls in jeinem Nachlaſſe vorgefunden, eine willlommene
Ergänzung jeiner Selbftbiographie.
Darin iſt beionders eindrudsvoll, daß er, unwohl oder fritt-
id, wie er oft war, immer ſogleich von ganzer Theilnahme er-
fünt if, ſobald er einem vollen Kunflwerle, einem ganzen Künft-
ler begegnet. Solche Bollheit und Ganzheit ift eben jein Element.
Heine, in friiher Ungebundenheit zum erſtenmale vor ihm aufe
tretend, ergquidt ihn geradezu, und Uhland iR ihm flets eine
willlommene Erſcheinung.
Grillparzer, Bere 1. uU
x Giztcitung.
Für eI: Recke, ſei es Feat, nn & Smister, Baufunf
er Aclerei, ji es Merl, der es Denter. zeigt er ri in dieſen
rei Dirgrworicum Rei; el3 tin crärtih erätt:r Kenncr.
Ser: Lerıte er eben free kürkinee Lehel und
rg jet
Des Sichkennen“ if in der That der Funli, um den es ſich
haadelt, wenn Erikparzr Th KR boch Hr Nit fein An⸗
jyrnch tritt de hervor, jordern ſeine Keunmiß
Was werden wir aber für Ausſstniungen zu leſen kriegen, dab
er in dieien Memoiren einmal, von Gocthe aus Wetmor fem⸗
mend, zu jagen wegt: Nach Goethe und Schiller — unter wohl⸗
bemefjenem Abſtande — lomme dech Grillparzer.
Er ward 1791 om 15. Jamar in Wien geboren Sein
2ater war Atvolat, und em leidlicher Wod! ftand herrichte im
Haufe, während der junge blonde Franz fill emporwuds, ein
in fi gelchrter Knabe und Yüngling. Lange Zeit Privatunter-
rigt und erfi jpät die öffentlihe Schule verjorgten ibn mit gei⸗
Riger Rahrung. Unordentlih und ſyſtemlos, jo dab er widtige
Disciplinen hat nachholen müfen Bon früh auf gründlich trach⸗
tend, Hat er dies Rahholen jehr zu jeinem Vortheile betrieben.
Sie alten Sprachen zum Beilpiele, welche Andere vergeſſen, bat
er verfländig nachgelernt, und er if ihrer in hohem Grade mäch⸗
tig geblieben. In jeinen Etudienblättern finden wir die griedji-
Ihen Autoren jo ausführlihd und geläufig in ihren widtigen
Etellen citirt, wie franzöfiide Quellen, und er las die ſchwerſten
griehiihen Tichter no bei hohem Alter ohne Schwierigleit in
ihrer Sprache. — Auch in den neueren Rulturipradden if er bis
an jein jpätes Lebensende unermüdlid) Iernend verblieben, fo dab
er der franzöfiihen, italienischen, ſpaniſchen und engliſchen Lite
zatur mit vollem Berftändnifje nachgehen konnte, was er denn
auch, ein einfanıer, Alles leſender Mann, unermüdet gethan.
Tie Rapoleon’ichen Kriege, weldde Oeſterreich und Wien heim-
fuchten und brandichagten, haben frühzeitig ein ſtarles Baterlands-
gefühl in ihm erwedt. Sie zerförten aud die Wohlhabenheit
feiner Familie, und nad) des Baters frühem Tode waren Mutter
Einleitung. XIX
und Geſchwiſter auf ihn angewieſen als den Aelteſten, welcher
Unterſtützung bieten jollte, ehe e8 noch klar war, ob und was
für ein Amt ihm erreichbar wäre.
Er brachte fih als Hauslehrer unter und erlangte dann auf
Grund feiner juridiſchen Studien 1813 eine Heine Anftelung im
Staat3dienfte. .
Langſgme und geringe Steigerungen bilden den ganzen Um⸗
fang jeiner amtlichen Laufbahn. Zumeift im Sinanzminifterium
und zulegt in Archiven hat er es nie zu einer bejonderen Stellung
gebracht, obwohl er längere Zeit vom Zinanzminifter jelbft, vom
Grafen Stadion, weldder ihm wohlwollte, bevorzugt wurde. Das.
eigne, jelbftfländige Wejen eines dichteriichen Gemüths hat es
eben nie zugelaffen, daß er auf den breitgetretenen Wegen Derer
ging, welche der Gunft nachliefen, und jo blieb er denn immer
zurüd, indem er recht gefliffentlich Übergangen wurde.
Mit Ausnahme feiner allerlegten Lebenszeit hat er überhaupt
keinerlei Gunft oder Förderung von der StaatSregierung erfahren,
ja, feine dichteriſche Befähigung hat ihn geradezu beeinträchtigt
beim bureaufratiichen Vorurtheile. Der Cenſurſtyl ferner der
damaligen, conjervativ genannten Monardie hat ihn auf das
Empfindlicäfte behindert und beſchädigt.
Man ift wohl manchmal geneigt, die desfallfigen Klagen über
Unterdrüdung der Talente für Ihablonenhaft und banal zu halten,
wohl auch für Uebertreibung, und man flimmt mwohl ein in bie
Bemerkung: daß ein wirkliches Talent durch keine Genfurbehinde-
zung unterdrüdt werden könne. Grillparzers Leben widerjpricht
al diefen Wohlmeinungen und Beihönigungen.
Als junger Mann errang er mit der Ahnfrau und Sapphn
unwiderſprechlich den erſten Rang eines öſterreichiſchen Poeten
und hat ihn zeitlebens behauptet. Ihm gegenüber hätte alſo doch
wohl, jollte man glauben, jede irgend zuläfiige Milderung des
Verhinderungsſyſtems flattfinden können. Das ift aber durchaus
sicht geihehen. Im Gegentheile: die unglaublide Mißhandlung
ift ihm mwiderfahren an Stüden, welche den reinften öfterreichifchen
Patriotismus verfündigten, und welche diefen PBatriotismus aus-
X Einleitung.
ſtrömten ohne irgend einen Beigeſchmack desjenigen Liberalismus,
welcher das damalige Syſtem förte. König Ottokar iſt für die
Habsburgiiche Dynaftie ein jo wohlthuendes, preifendes Drama,
da man anderswo dem Dichter mit Dank und Lohn entgegen-
gelommen wäre. In Wien lieg man das Stüd zwei Jahre in
der Cenſur liegen, und als durch einen Zufall die Kaijerin jelbft
darauf aufmerfjam gemacht wurde, galt das Manufcript für ver
legt und für kaum auffindbar. Auch nachdem e8 mit großem
. Erfolge aufgeführt war, ließ man es nad einiger Zeit wieder
verichwinden. Bon Dank war feine Rede. — „Dem treuen
Diener jeines Herrn“ wird heute eine übertriebene Loyalität
nachgejagt; ja, das Stüd iſt heutigen Tages deßhalb in feiner
Popularität beeinträdhtigt; und dafjelbe Stüd, weldes mit dem
größten Erfolge aufgeführt worden war, jollte nad) der erften
Aufführung für immer verſchwinden! Man wollte dem Dichter
das Manujcript ablaufen unter dem Beding, daß Fein Blatt da»
von für ihn übrig bliebe, daß e8 nirgendwo wieder dargeftellt
und gar nicht gebrudt werden Tönnte. Man denke fi) die Em-
pfindung des Dichterd bei folder Zumuthung! Mußte nicht der
Gedanke in ihm herrſchend werden: dein ganzes Dichten ift wohl
ein Verbrechen, und das fernere Tradten nad Stoffen und
Compofitionen it die müßigfte, unergiebigfte Thätigleit von der
Welt —Y
Börne fagte jeiner Zeit, die Cenſur vernichte die Keime, töbte
die Frucht im Mutterleibe. Man kann wirklid) fragen: was
Alles ift für Grillparzer im Keime erflidt, im Mutterleibe ge-
tödtet worden? — Gewiß viel.
Und dabei war er jelbft fo unbefangen, eine gründliche Unter-
ſuchung niederzufcgreiben: ob nicht die Cenſur nothwendig ſei?
Der Staat bewadye jo viel Unwichtiges, müſſe er nicht auch das
Michtigfte bewachen? — Unter den nachgelaſſenen Papieren findet
fi diefer Auſſatz Er kommt indefien zu dem Schlufje: die Gen»
fur ift darum abzumeilen, weil es feine Genjoren geben ann.
Niemand kann leiften, was einem Cenſor zu leiften obläge, wenn
die Cenſur gerechtfertigt jein follte,
Einleitung. xxI
Grilfparzer ſchrieb weiter, wie ſchmerzlich er athmete in ſolcher
Genfuratmofphäre, er ſchrieb weiter, weil er innerlid mußte.
Sein Talent war für ihn ein Dämon, weldet ihn zwang. Ges
ärgert und verflört, war er — wie oft und wie lange! — bes
feften Willens, nie wieder an ſolche Arbeit zu gehen! Er ging
doch wieder daran, aber nie mehr mit der freubigen Hoffnung,
etwas erfreulich Wirlfames hervorzubringen; er genügte nur dem
Zwange feines Genius. Kaum je ift einem dramatifchen Dichter
von feiner Regierungsbehörde die dramatiſche Dichtung ſo ver⸗
leidet worden.
Um die ganze Wahrheit zu sagen, "muß man jedoch einge⸗
ſtehen, daß es kaum nachzuweiſen iſt: wie weit nur die Cenſur⸗
qual ihm das Schreiben verleidet hat. Er ſchrieb überhaupt
nicht gern. In ſpäterer Zeit war es ihm das widerlichſte Ge⸗
ſchäft. Diefer Widerwille rührte wohl davon her, daß fein fünft-
leriſches Nature ihn immer zwang, das, was er ſchreiben wollte,
ganz und voll außzubrüden, dafür alfo immer alle Geburtswehen
durchzumachen. Und die hatte er auf die Länge fheuen gelernt.
Bei aller Mikbilligung der früheren öſterreichiſchen Regierungs⸗
weile — und für diefe Mißbilligung finden fi in jeinen nach»
gelafjenen Papieren die ftärkften Ausdrücke — erhielt er fi immer
eine unbefangene Anſchauung, und Tieß er fi) weder nad) lnks
noch nad) rechts zu Uebertreibungen fortreißen. Die Kenntnifie
eines dramatiſchen Dichters, welcher ſtets die verichiedenartigen
Kräfte gegen einander in Bewegung gejeßt, behüteten ihn vor
Uebertreibungen. Beide Parteien, die Linken wie die Rechten,
gaben ihm freilid Schuld, daß er das Richtige nicht träfe.
Beide mit Unrecht. Die Linken mochten ihm nit in Anrech⸗
nung bringen, daß er ein fpecifiiches Vaterland Oeſterreich er⸗
halten und gedeihen jehen wollte und daß er den hiſtoriſchen Be-
griff eines auf fortichreitende Germanifirung angemwiejenen Deutſch⸗
öfterreich wie eine hiſtoriſche Fahne fefthielt. Sie verftanden nicht
oder wollten nicht verfiehen, daß ein echter Dichter Grund und
Boden braucht und nit von Abftraltionen leben kann. Die
Rechten aber wollten ihm nicht verzeihen, daß er die Joſephiniſche
xxu Einleitung.
Milch der Aufklärung tief eingeſogen und daß er in den großen
Fragen der Freiheit unerſchütterlich bei den Grundſätzen der Frei⸗
heit ſtand.
Die Revolution von 48 brachte es mit ſich, daß die Linken
‚wie die Rechten ſich eine Zeit lang in ihm irrien. So ſehr mie
irgend ein Anderer, ja wohl mehr als irgend ein Anderer bes
grüßte er freudig den Sturz des nur hemmenden und verhindern-
den alten Syſtems; aber die Webertreibungen des Kampfes ver-
flimmten den weit fehenden Poeten und den fein fühlenden Pa-
trioten mehr als irgend einen Underen. Das Reid) krachte in
allen Fugen. Das mochte er hinnehmen als unzertrennlid vom
Mebergange. „Richt aber mochte er hinnehmen, dak die Spren-
gung des Reiches gut geheißen würde. Da trat er hervor mit
dem Gedichte an Radetzky:
„Blüd auf, mein Feldherr, führe den Streich,
Richt bloß um des Ruhmes Schimmer!
In Deinem Lager iſt Oeſterreich,
Wir Andern find einzelne Trümmer —*
Dies Gedicht führte links und rechts über ihn irre. Links
meinte man einen Aufruf zum bloßen Säbelregimente zu ver-
nehmen, rechts meinte man einen Feldruf des alten Syftems zu
hören. SKeines von Beiden lag in der Seele des Dichters. In
diefer Seele lag das Bedürfniß, die Auflöfung eines hiſtoriſch
erwachſenen Weich, welches fein Vaterland war, aufzuhalten,
und weil Srieg war, mußte fih dies Bebürfnik als Schlacdhtruf
geltend maden. Er hat denn auch eine Wirkung gehabt, und
zwar eine große Wirkung, Was er ihm an Lob und Außzeich-
nung eingebradt, das gehörte nicht zu feinem Bebürfniffe, und
e8 findet fi in feinen nachgelafienen Blättern die Klage, daß
die von ihm gepriefenen Führer jeine Mahnung gar äußerlich auf-
gefaßt Hätten.
Auch in der neueflen Zeit hat man ſich über feine politiſchen
Gedanken vielfach getäufcht, feit ein neues deutſches Reid) ent-
ftanden ift, zu welchem Oefterreih nicht gehört, und jeit ein
Einleitung. XXIII
.24
jüngeres Geſchlecht eine Einverleibung Deutſchöſterreichs ins
deutſche Reich anſtrebt, auch wenn dieſe Einverleibung das Aut»
ſcheiden der nicht rein deutſchen Provinzen des biſterreichiſchen
Kaiſerthums mit ſich brächte. Zu dieſem jüngeren Geſchlechte ge⸗
hörte er allerdings nicht. Sein Oeſterreicherthum wurzeite in
den Grundſätzen Maria Thereſia's und Joſephs deg Zielen:
organifche Germanifirung ringsum und in den Often Hinab;,"orga-
nifche, nicht gewaltfame. Bei einer organifchen Germanifirung
werden alle edlen Beſtandtheile der nichtdeutichen Volkerſchaften
mit aufgenommen, und es entſteht ein charakteriſtiſches Deutſch⸗
thum, ein öſterreichiſches Deutſchthum. Dies wollte er durchaus
nicht in Gleichmacherei untergehen ſehen, und den innigen · Zufäin-
menhang dieſes öſterreichiſchen Deutſchthums mit einem deutſchen
Reiche hielt er auch für eine Bereicherung des deutſchen Reiches,
für das gebahnte Feld der Colonifirung, der deutſchen Ausbrettung.
Letzteres war ihm ein Grundgedanke des. öſterreichiſchen Staates,
defien breite gejchichtliche Vorarbeit nicht weggeworfen jein follte.
Hierin unterſchied er ſich von einer jüngeren Richtung, welche
im Drange des Augenblids auf das öſterreichiſche Deutſchthum
feinen beionderen Werth legen will. "In dieſem Sinne war er ein
ſpecifiſch öfterreichifcher Deutfcher, welcher die Achſeln zuckte, for
bald man ihn zu den weniger deutſch Gefinnten zählen wollte,
ihn, welcher die deutſche Natur zu reifer Poeſie in ſich abgellärt,
ihn, welcher den deutjchen Kern jo redlich in ſich gereift Hatte.
Er hielt fi für einen reidheren Deutſchen als jeden ſemer Wider⸗
ſacher in dieſer Frage.
Wenn man ſich nun alle dieſe Gegenſätze far than, welche
Grillparzers Leben ſpalteten und peinigten — auf ver einen Seite
ein zur Armuth herabgedrücktes Leben feiner Familie, eine ſtete
Zurückſetzung in amtlicher Laufbahn', eine immerwährende Feind⸗
ſeligkeit der Cenſur; auf der andern Seite aber ein warmer Fa⸗
milienfinn, eine pflichtgetreue Ehrlichkeit, eine heiße Viebe zu
ſeinem öſterreichiſchen Vaterlande, welches ſich doch ſyſtematiſch
deutſcher Bildung verſchloß — dann wird man die Furchen er-
kennen, welche ſich ſeinem Charakter eingraben mußten, dann
XXIV Einleitung.
wird man es erllärlidh finden, daß er von Jahr zu Jahr immer
mehr aus dem Getriebe der Welt zurüdireten mochte.
Um fo erllärliher, je näher man fein Raturell betrachtet.
Er war ſchüchtern und anſpruchslos, und doch ſtolz. Stolz, weil
fein großer Berfland, unterflügt von großer Kenntniß, ganz genau
wußte, wie viel er werth ſei neben Anderen.
Man wird, wie jhon angedeutet, in einer Selbfibingraphie
Zeugniffe finden von diefer eignen Werthſchätzung, welde im
erften Augenblide Staunen -erweden, weil fie wie Ueberhebung
ausjehen. Bei tieferem Einblide in fein Weſen wird dies Staus
nen ſchwinden.
Sich felbft gegenüber fühlte er fih gar oft, ja faft immer zu
Hein; fich jelbft gegenüber, daS heißt Dem gegenüber, was er
vermochte und was er vermögen follte Dem gegenüber jedoch,
was jeit Goethe und Schiller in der dramatiſchen Poefie geboten
worden, Tannte er feine Borzlige. Er fette indeſſen lächelnd hin-
zu: Dan Tönnte ganz gut der befte Dichter einer gegebenen Zeit,
und noch immer ein höchſt unbedeutendes Licht fein.
Er jagt einmal von ſich jelbft, daß etwas vom Taſſo in ihm
jet, vom hiſtoriſchen. Als Menſch wiſſe er mit jeder Lage fertig
zu werden, als Dichter brauche er ein warmes Element; ohne ein
folches ziehe fi jein Inneres zufammen. Das beleuchtet feine
Verſchüchterung, aber auch feinen Ken. Er war eine im Kern
fefte Natur, eine ftarle Natur.
Da nun Talent in feine Wiege gelegt worden, wurde er ein
Starter, wurde er ein echter Dichter, welcher den Dingen auf den
Grund drang und ihnen den wahren Ausbrud lieh, auch wenn
diefer Ausdruck ihm perfönlih weh that. Mit einem Worte ſei
e8 wiederholt: et war eine gründliche Künftlernatur, wahrhaftig
durch und dur, empfindli im höchſten Grade, und immer be-
dürftig, aus dem Ganzen zu bilden zu einem Ganzen. Nichts
von Nebenzwecken fand Gnade bei ihm, jelbft das bloß Gefällige
durfte nicht in erfter Linie ftehen, wenn der Stoff mehr ver-
Iangte. Eine firenge Form für ftrengen Inhalt war jeinem lünſi⸗
leriſchen Gewiſſen unerläßlih, denn es gäbe auch eine firennr
Einleitung. XXV
Schönheit, und ſie ſtände am rechten Orte höher als die gefällige
Schönheit.
Ueberhaupt Hatte er, ein in Kantiſcher Philoſophie durchge⸗
bildeter Mann, ganz feſte äſthetiſche Grundſätze und ließ über
diefelben nicht mit ſich feilſchen. Er dichtete grundſätzlich nad
Anſchauungen, nicht nad) Begriffen. Was er Begriffspoefie nannte,
da3 war ihm eine Afterpoefie. Die Kunft beruhte ihm nit auf
Wiffen, jondern auf Können. Den Ausdrud „schöne Wiſſenſchaft“
für Boefie verwarf er, denn die Poefie ſei feine Wiſſenſchaft,
“ jondern eine bildende Kunft wie die Malerei. Ja, die poetijche
Kunft war ihm feine Frucht der Bildung, denn das Wejen der
Bildung fei Vielfeitigfeit, die Kunft aber beruhe auf einer Ein-
jeitigfeit. Ihr müſſe ein Stoff und Gedanke im Augenblide des
Schaffens und Genießen: an die Stelle der ganzen Abrigen Welt
treten. Deßhalb ftellte er die Form jo hoch. Dur die Form
erhebe der Dichter jeglihen Inhalt. Sie ſchließe ab wie die
Natur. Sie berubige und jei darım allem Wiſſen überlegen.
Nicht die Ideen machen den eigentlichen Reiz der Poefie aus, der
Philoſoph Habe deren vielleicht höhere: aber daß die Talte Denkbar⸗
feit diefer Ideen in der Poeſie Wirklichkeit erhalte, das jete uns
in Entzüden. Die Körperlichleit der Poefie made fie zu dem,
was fie ſei, und wer fie, wie die Neueren thun, zu jehr ver-
geiftige, der hebe fie auf.
So war ihm denn das Lehr» und Reflexionsmäßige in der
Poefie eine Beimifhung von Proja, und war ihm ftörend.
Ledig ſolcher Proſa waren ihm die Griechen, die Spanier, Arioft,
Shakeſpeare, und fie nannte er die Freunde feiner Einjamtleit.
Durhaus abweilend war er für die Reizung durch das Häß⸗
liche. Was fih in diefer Richtung für Poefie ausgab, daS er»
klärte er für Unreife, welche mit NReizmitteln des bloßen raffini-
renden Berftandes Ioden wollte. Das war ihm unkünſtleriſch,
das war ihm Ungeſchmack.
Auch für ſein perſönliches Leben iſt es maßgebend geworden,
daß er immer Ganzes und Volles erſtrebte. Ein geliebtes Weib,
eine Familie zu beſitzen war ſein Lebenswunſch. Er wurde nicht
XXVI Einleitung.
erfüllt, weil die äußeren Mittel nicht dafür zureichten, und weil
er ein halbes Zureihen durchaus vermeiden wollte. Was über
das Nothdürftige hinaus von feinem ſchmalen Einkommen ührig
blieb — die Schrififtellerei hat ihm wenig eingetragen — das
verwendete er auf größere Reiſen. Ihrer beburfte er von Zeit
zu Zeit, und fie waren ihm von großem Werthe. Er ift nad
Stalien, er ift nad Griechenland gegangen, er hat in Paris, er
hat in London fi längere Zeit aufgehalten, er hat in Deutſchland
die wichtigen Städte und Menjchen aufgefucht, und er erzählt in
feiner Selbftbiographie von alledem, ganz beſonders ausführli von
feinem Beſuche bei Goethe .in Weimar. Nur Spanien, mit deſſen
Literatur er fich angelegentlich beichäftigt, hat er nicht erreicht.
Auf ſolche Reifen hätte er ganz verzichten müflen, wenn ,er
fid einen egelihen Hausftand gegründet hätte. Auch war es ihm
wohl zweifelhaft, ob jein der Abjonderung jo bedürftiger Charat«
ter ein volles Genüge bieten könnte im Yamilienleben,
Er hegte jein ganzes Leben hindurch eine tiefe Liebesneigung
zu Katharina Fröhlich, welche er im „Ottokar“ als Wiener Bür-
gerfind eingeführt bat, und diefer Neigung ift er treu geblieben
bis an fein Lebensende. Seine „Kathi* hat ihm denn auch bie
Augen zugevrüdt im Sterben.
Er hat fie als feine „ewige Braut” zurüdgelafien. Vielleicht
ift auch der Charakter diefer Dame eine Miturfahe gewejen, daß
troß beiberjeitiger Neigung das Berhältnig zu feiner ehelichen
Vereinigung gedieh. Ahr Charakter ift ebenfalls ein ſcharf und
ftreng gebildeter, und fie hat dfter8 Scheu empfunden vor völli⸗
ger Hingebung an einen Poeten, welcher fi vulkaniſch zeigte,
fobald der dichteriſche Schaffensdrang über ihn kam.
So wurde er ein alter Junggefelle, und erft in vorgerlidterem
Alter ift es ihm vergönnt worden, dauernd in ihrer Nähe zu leben.
Drei Schweitern Fröhlich richteten ihm vier Stiegen hoch in der
Spiegelgafje zu Wien eine recht Heine Wohnung ein neben der
ihrigen, und als befcheidener Miethsmann, welcher Mittags in
den nahebei liegenden Matichaderhof jpeifen ging, nahm er Theil
an einem Familienzufammenhange, in welchem aud) feine jehr
Einleitung. XXVII
ausgebildete Vorliebe für Muſik gepflegt wurde, nahm er. Theil
an den Bortheilen treuer, unermüdlicher Freundſchaft.
Bei dieſen ihm tief ergebenen Schweftern fand er die Pflege
feines Alters, fand er die flligenden Hände, als leiſe und un«
Iheinbar am 21. Januar 1872 der Tod zu ihm trat.
Es geihah Dies ohne vorausgehende Krankheit. Er. ja an⸗
gekleidet im Xehnftuhle, als der Tod des Gerechten über ihn kam.
Dhne irgend eine gewaltfame Erſcheinung hatte er plößlich auf⸗
gehört zu athmen.
Einige Zeilen fanden fih vor, welche feinen legten Willen
ausdrüdten. Sie beftimmten Katharina Fröhlich zur Erbin jeines
Nachlaſſes.
Ihr und ihren beiden Schweſtern verdanken wir es, daß von
feinen nachgelaſſenen Papieren — zum Theil Stöße von einzel⸗
nen Blättern — Alles wohlerhalten ung Herausgebern, in erfter
Linie dem Dr. Preyß, einem alten waderen Freunde Grillparzers,
überliefert worden ift. Dr. Preyß hat gefichtet und georonet, jo
daß fein Hörnchen diefer Ernte verloren gehen Tonnte.
Grillparzer ift 81 Jahre und 6 Tage alt geworden. Er war
von kleiner Mittelgröße, ſchlank und fein gebaut. Sein licht⸗
blaues Auge beherrichte das Antlit und verflärte es An fie
gefehrt erichien er von vornherein immer, und immer unnahbar.
Da er aber doch int Grunde ſehr wohlwollend war, jo entwich
diefer Schein von Unnahbarkeit bald; das Auge belebte fi, die
ſpärlichen Antworten erweiterten fi, und allmählig wurde er
eingehend nach den verichiedenften Richtungen, ausgiebig im höch«
ften Grade. Ueberall war ja jein Geift geweſen, überall war er zu
Haufe, und bald ſprach der Mann, welcher uns herb und troden
empfangen, lebhaft und mannigfaltig, und vor allen Dingen
immer eigenthümlih. Auch wenn er die gewöhnliche Wahrneh-
mung äußerte oder Außern mußte, jo geſchah dies mit einem
Zulage von Begründung, melde nur ihm angehörte. Man er
fuhr, daß Alles in großem Zujammenhange ftünde bei dieſem
Sprecher, welcher nie Rebner ſein mollte, und welchem dod) zu
voller Rede das reichſte Material augenblidlid zu Gebote ftand.
XXVIII Einleitung.
Dies Material gehörte nur ihm, es war gezeichnet mit dem
Stempel ſeiner perſönlichen Verarbeitung. Kurz, der mündliche
Verkehr mit ihm war ſehr reichhaltig in Belehrung und in
Anregung.
Weniger in Aufmunterung. Dafür haite er zu viel Enttäu—
ſchung erfahren, dafür ſah er zu weit, jah er zu viel. Seine
große Kenntniß und fein großer Verſtand brachten jeinem Blicke
immer fogleich den verjchiedenartigen Inhalt, welcher einen Mten= -
ſchen bildet oder einen Zuftand oder eine Handlung. Gleichzeitig
und ganz jah er Alles daran, das Lichte wie den Schatten. Dies
ift der Charakter des Dramatiferd, und Dramatiker war er ganz
. und gar; Lyriker nur injomweit als ein lyriſcher Beitandtheil auch
für da8 Drama nothiwendig if. Seinen dramatiſchen Perjonen
mochte er wohl Schwärmerei verleihen, jeiner eigenen Perſon
war fie allmählig im herben Rebensgange erlofchen.
Dephalb ift in feinen Gedichten der Geift vorherrſchend, nicht
irgend eine Ueberſchwenglichkeit. Sie find vorzugsweiſe Sinn-
gedichte. Der Wit; blieb ihm treu bis zu feinem lebten Tage,
und eine humoriſtiſche Schalkhaftigfeit ift ihm nie ganz abhanden
gefommen.
Aus all diefen Gründen konnte der perjönliche Verkehr mit
ihm nicht leicht Jemand zu Thaten ermuntern. Wenn man ihm
dann aber einwendete: die Jugend braucht Illufionen, und die
Melt braudt Thaten — dann nidte er wohl mit dem immer ein
wenig ſchief gehaltenen Haupte und jagte lächelnd: „Nun, ſei's!“
Politif Ins er genau Zeit feines Lebens. Er folgte ihrer
Entwidelung, wie er der literariihen Entwidelung folgte, und er
nahnı fortwährend Partei, wenn auch gemeinhin abweichend von
der Öffentlichen Parteiung. Eben weil er auch bier weit und viel
ſah und gleichzeitig Licht und Schatten Jah.
Seine Xebensweile war überaus mäßig, und vielleicht darım
hielt der ſchwächlich erjcheinende Körper fo Tange aus. Dadurch
wurde ihm die Genugthuung, daß er eine volle Anerkennung
ſeines Werthes in ſeiner Vaterſtadt und in ſeinem ſpeciellen
Vaterlande noch erfuhr. Immer zwar hatte er in Wien eine
mn
Einleitung. XXIX
auserleſene Gemeinde beſeſſen, welche ſeine große Dichtungskraft zu
ſchätzen und ſeinen reinen Charakter zu ehren wußte. Aber dieſe
Gemeinde war nicht zahlreich, und ſelbſt das Burgtheater hatte
allinählig ſeine Dramen aus dem Repertoire fallen laſſen. Vom
Jahre 1850 änderte ſich daS: fie erſchienen wieder in ſorgfältiger
Scenirung, fie gewannen die Theilnahme auch des großen Bub-
litums, und diefe Neubelebung erfrifchte ihn ſelbſt. Bei feinem
achtzigſten Geburtstage 1871 war denn dieje Srillparzer-Gemeinde
in Wien dergeftalt angewachſen, daß eine große öffentliche eier
gleichſam von ſelbſt entftand. Der größte Saal der Stadt war
angefüllt von feinen Verehrern, und in Gedichten und Neben
wurde unter beiftimmendem Jubel der Zuhörer der Greis ver-
berslicht, welcher in feiner Heinen Wohnung nit Raum genug
hatte bieten können für Deputationen, für Geſchenke und Lorbeer:
kronen. Eine Stiftung erwuchs aus diejer Feier Durch die Samm-
Iung edler Frauen, eine Grillparzer- Stiftung, welde für arme
Säriftiteller Unterftügung bereit hält und für neue preiswürdige
Dramen Ehrenpreije bietet.
So war es vorbereitet, daß ein Jahr ſpater bei ſeinem Tode
die ganze große Hauptſtadt Wien die Leichenfeier des Dichters
beging, als ob ein Haupt des Landes zur Erde beftattet würde.
In diefem Make feierlih und allgemein ift wohl noch nie ein
Poet begraben worden. Hundertiaujende nahmen daran Theil.
Durch die langen Straßen der Stadt und Vorſtadt ftanden die
Menſchen jo dit, daß eben nur Raum blieb für den Leichen-
wagen, und alle Fenſter bis auf die Dächer hinauf waren mit.
Zujchauern angefüllt. Eine Stunde lang fuhr der Wagen zum
Währinger Frievhofe hinaus, und den ganzen Weg entlang ftand
lints und reits die Menſchenmenge, weldhe den Sarg ehrfurchts—
voll begrüßte. Der Friedhof mußte abgeiperrt werden, weil cr
überfüllt war. Bald nad der Mittagsftunde Hatte das Begräb-
niß begonnen, und als die Grabreden gehalten wurden, war es
Abend, und der Mond blidte auf die Trauerverfammlung und
in da3 Grab. Es ift nur einige Schritte entfernt von dem Grabe
Beethovens.
Zar man glauben, daß iemr Ditung ir populär geworden
und dauß diefe allgemeine Verehrung nu& Per Rupuloriiit zu
erliären ſei? — Nein. Mir Rusnahmt der „Woran“ md viel⸗
Jeicht des „Traum ein Schen* ih Iemes jemer Stüdr in dieſem
Sinne populär Es mar md dic Bnpulernät, es mar dir Ehr-
furcht, welcht die Voltsmeoßen erfültic und bewegte. Brillparzers
Auf war von der höheren Bildung eusocnangen, er mer gefeftigt
dur die lange Lebensdauer des Tide, cr wor bis uf cınen
gewiſſen Grad populär begründet durch Den molclinien Fürger-
charatter bes Tithners, weiber me um Gunft gehuhli, welcher
immer der Wabrheftigteit gebridigt. Sp mar er im Wolle ein
Prophet gemerdrn, per weidem mon Ah chrturdstännl verncigt
Auch in unirer Fiierator wird Grillperzer nicht Die Eiche
eines ım gemöhrliden Einne populüren Didners amprechen Ton
nen, wohl aber die eined wahren Tidterd. Figen und jelbſt⸗
ftändıg war er durchweg, einen und Sec/hiftändig wird er in mmirer
Yiteratur daſtehen, eme Geftalt non Granit. Eie ſchimmert nid,
ober fie tft ef, fie dauert. Und id meine deßbalb: aud die
Nachwelt wird fie m Ehren halten. N
Krinri Laube.
Gedichte,
Borworf zu den Gedichten.
Der Schwerpunkt von Grillparzers dichterifchem Schaffen
und Wirken liegt in feinen Dramen; der Iyrifchen Form
bediente er ſich nur als eines Mittels der Selbfterleichte-
rung, um, einer innern Nothwendigfeit gehorchend, feiner
Gemüthaftimmung Ausdrud zu geben und feinen Seelen-
zuftand zu manifeftiren. So find feine Gedichte in einem
innigen unauflöglichen Zuſammenhang mit feinem Leben
und find Gelegenheitögedichte im beften, Goethe’fchen Sinn
des Wortes. Sie tragen überall den Stempel der lauterften,
unverbrühlichften Wahrhaftigkeit, und da es ihm weniger
um äußerliche Formvollendung, als darum zu thun war,
das feinen Gefühlen und Gefinnungen entfprechende Wort
zu finden, unbefümmert ob es ſich auch glatt in das Ganze
einfüge, jo ermangeln mandhe feiner Poefien jener harmoni-
{hen Durchbildung, die für den Igrifchen Dichter künſt⸗
leriſches Bedürfniß if. Nicht, als ob ihm nicht auch die
weichen Töne füßer, innigfter Empfindung oder das Pathos
der Leidenschaft, die in feinen Dramen jo rein und voll
ih außfprechen, zu Gebot geftanden wären, — die nadj-
ftehende Sammlung bringt eine fehr anfehnliche Reihe von
Stüden, welche, durch Gedankenreihthum, Tiefe der Empfin-
dung und Schönheit der Form gleich andgezeichnet, den
Gedichtfammlungen von Lyrifern erften Ranges zur Bierde
gereichen würden. Dagegen pflegte der Tichter nur allzu oft,
befonder3 bei den Erzeugnijjen feiner fpäteren Zeit, die
Form über dem Juhalt zu vernadjläfligen, und wenn in
feinem handſchriftlichen Nachlaß ſich verfhiedene Texi⸗
geſtaltungen eines und defſelben Getichtes vorfinden, fo
Grillparzer, ir, L 11
Vorwort zu den Gedichten. XXXV
l
deutfche Neife fiel, war jene intereffante Reihe von Mit-
theilungen au8 einem fo reichen Dichterherzen ein für allemal
abgeriffen, und erft nach einem Zeitraum von mehr als
zehn Jahren brachte die „Veſta“ unter dem Titel Tristia
ex Ponto eine Sammlung von Gedichten dunkler, ja dunkelſter
Färbung, welche die mit fo auffallender Conjequenz offen
gehaltene Lücke ausfüllen zu follen ſchien. Eine Kette be-
Hagendwerthefter Umftände hatte bald nad) dem Erjcheinen
des „Ottokar“ den Dichter heimgeſucht, eine tiefgreifende-
und dauernde Veränderung in feinem Gemüthsleben herbei-
geführt, ihm die Schaffensfreudigfeit geraubt und ihn bis
an die äußerſte Grenze krankhafter Melancholie geführt.
Das merkwürdige biographifche Gedicht: „Jugenderinne—
rungen im Grünen“ (©. 70), legt bereit Alles mit
großer Eindringlichfeit dar, was ihn bis dahin ala Menſch
und Dichter fo fchwer betroffen, daß er, vom „Gemeinen“
im Innerſten verlegt, die Welt und ihr Treiben als nicht
lebenswerth und jelbft den Anblid als unerträglich [ehildert.
Die Ueberfchrift, welche der Dichter jener Sammlung gab,
follte wohl daran erinnern, daß er, obwohl in einem Yande
lebend, dem er durch Geburt und durch feine unaußtilgbare
Liebe angehörte, ſich doch einem Geächteten gleich fühlen
müfle. (Dieſe Borftellung war ihm fchon Seit feiner Knaben⸗
zeit geläufig, wo er in einer trübfinnigen Anwandlung fein
Loos mit dem an den unmwirthbaren Ufern des Pontus
Ichmachtenden Ovid zufammengeftelt hatte: An Ovid,
©. 285). Die meiften Gedichte der Tristia verdanfen dem
Jahr 1827 ihre Entftehung. Denn von da an widerftand
der Dichter durch volle fieben Fahre jeder noch jo lockenden
Verſuchung, den Eingebungen jeiner nody immer krankhaft
getrübten Stimmung poetiſchen Ausdrud zu geben. Mit
männlicher Kraft, durch Berfenten in wiſſenſchaftliche Studien,
anregenden Berkehr mit befreundeten Schriftftellern und Künſt⸗
(ern und dur) Förderung jugendlicher, aufftrebender Talente
überwand er denn auch diefen Zuftand fchwärzefter Seelen-
XXXVI Vorwort zu den Gedichten.
flimmung, und als er fich endlich entjchloß, jene Klage»
lieder zu veröffentlichen, fonnte er den verſöhnenden Abſchluß
hinzufügen, womit diefer Cyklus fo wohlthuend ausklingt
(Schlußwort, ©. 77).
Bon da ab folgten fich die dichterifchen Ergüffe feines
Snnern fpärlicher; der Ton derfelben entfpricht zumeift der
ruhigen, theilweife freundlichen Weltanſchauung, welche über
Grillparzers Gemüth eine Art Nachſommer gebracht hatte.
Nicht felten gewann er es über fi), wo fonft Bergrämung
und Berbitterung ihn zu fchneidender Satire angereizt
(Weihnachten, ©. 87), feine Lage mit Humor aufzufaffen
und darzuftellen, wie in der „Appellation an die Wirk
lichkeit“ (S. 92), in welcher er, dem es endlich in feiner
Heimath nicht mehr an Anerkennung fehlte, den Contraſt
der ihm widerfahrenden officiellen und privaten Auszeich-
nungen mit feiner noch immer höchſt befcheidenen amtlichen
Stellung auf ergögliche Weife zur Anfchauung brachte. Der
Dichter, der die engherzige Metternich’fche Politik nach außen
(Warſchau, ©. 113, Der kranke Feldherr, ©. 119)
und dag verderbliche, geiftlofe Regierungsfgften im Innern
(Raifer Joſephs Dentmal, ©. 122) mit vernichtender
Nüge gegeißelt hatte, begrüßte die von ihm mit Sehergeift
angekündigte politifehe Erhebung Defterreich8 im Jahre 1848
(Borzeidhen, 126) mit begeifterten, aus der Tiefe feines
patrigtifchen Herzens quellenden Worten, nicht ohne ernfte
Mahnung vor dem Mißbrauch der ungewohnten Freiheit
(Mein Baterland, ©. 145); und belannt ift die Wir-
fung feine Gedichts an Radetzky (S. 147) über die
Bedeutung der öfterreihiichen Armee für den Gefamnt-
ftaat. Den mufilalifhen, dramatifchen und Titerarifchen
Zuftänden feiner Zeit und den hervorragenden Trägern
derfelben widmete er feine vollite Aufmerkſamkeit und
ſprach feine Sympathien oder Antipathien in ſcharf aus:
geprägter Form theild in größeren Gedichten, theils in
Sinngedidten und Stacelverfen aus. Namentlih den
Vorwort zu den Gedichten, XXXVII
Gedichten, die ſich auf Muſik beziehen, gibt der in ſeiner
Familie heimiſche muſikaliſche Geiſt, der freilich bei ihm
aus Mangel an entſprechender Pflege nicht zur vollen Ent-
faltung kam, eine bejondere Weihe. In der poetijchen
Nationalliteratur der Deutfchen Frrüpfte er an Leſſing, Goethe
und Schiller an und mochte fi) mit den neueingefchlagenen
Wegen der Nachgeborenen nicht befreunden. Die kritifche
Richtung der Zeit, das Uebergreifen der Poefie in ihr
urfprünglich fremde Gebiete, die Erweiterung ihrer Ziele,
der Vernichtungskrieg gegen die Romantik und das einfeitige
Betonen eines an die nadte Proſa ftreifenden Realismus
fanden bei ihm ſtrenge Beurtheilung, und er gab feiner
wachjenden Abneigung gegen die Beftrebungen der Epigonen
in Strafgedichten einen mitunter allzuberben Ausdrud.
Grillparzerd Epigramme ent|prangen einem Bedürfniß
des Dichters, vajch vorübergehende Eindrüde in das knappe
Gewand der gnomifchen Dichtung zu Heiden und dieſe, wo
es ihm nöthig ſchien, mit einer wigigen oder fatirifchen
Spige zu verfehen. Solche leichte Erzeugnifje des Augen:
blicks finden ſich jhon in einem bis zum Jahr 1808 zurüd-
reichenden Heft von Jugendarbeiten und ftanden dem Dichter
bis in fein höchftes Alter zur Verfügung. Eine momentane
Erregung, eine politifche Tagesnachricht, eine neue Erjchei-
nung in der Literatur und dergleichen boten ihm fortwährend
Stoff zu Heinen, bald gutmüthig feherzenden, bald galligen
und beißenden Epigranımen, die er, wie fie ihm durch den
Kopf gingen, auf das gerade vor ihm liegende Studienblatt
niederfchrieb. Viele Hunderte folder Gedichtchen fanden ſich
nach feinem Tod in feinem Schreibpult vor, bei denen er
wohl nie an eine Veröffentlihung gedacht hatte und von
denen er nur ausnahmsweiſe einige wenige zum Abdrud gab.
Das Meifte, was von ihm bei Lebzeiten mit feinem Namen
erſchien, kam wohl ohne fein Zuthun unter das Publikum;
denn feit Baron Zedlig unter den Augen der in Bühnen»
angelegenheiten bejonder3 empfindlichen Wiener Cenſur das
XXXVIII Vorwort zu den Gedichten.
Epigramm, welches die nach Schreyvogels Vertreibung im
Hofburgtheater eingeriſſene Mißwirthſchaft geißelte (Hof⸗
burgtheater, ©. 134), in die Oeffentlichkeit einzu-
Ihmuggeln gewußt hatte, war Örillparzer al3 Epigrammen-
dichter Mode geworden, und man machte förmlich) Jagd auf
feine Spottgedichtehen. Eine befondere Gattung diefer gnomi⸗
hen Dichtung find die Albumverje und Einzeichnungen in
Stammbücher, in denen Grillparzer die eigene Lebensweis—
heit und Erfahrung mit einer Huldigung für die Beichenften
in anmuthiger Weife zu verbinden wußte.
Ueber die Einrichtung der vorliegenden Ausgabe ift
Folgendes zu bemerken:
Wiener Freunde und Verehrer Grillparzers, die den
Dichter auf allen Stadien ſeines Lebens mit liebevollſter
Theilnahme begleiteten, hatten ſchon frühe begonnen, ſeine
lyriſchen Erzeugniſſe zu ſammeln. Sie waren nicht nur
mit der Eigenart des Dichters aufs innigſte vertraut, ſondern
kannten auch die Thatſachen und Lebensverhältniſſe, aus
denen ſich dieſelben poetiſch geſtaltet hatten, und die unter
ihren Händen entſtandene handſchriftliche Sammlung von
Gedichten, in denen der Dichter felbft die Geſchichte feines
Lebens zu erbliden geſtanden hat, gewann in Wahrheit
den Eharafter und die Bedeutung eines biographijchen Dent-
mals, welches dem intimen Freundeskfreife, für den fie be=
ftimmt war, durch fein anderes erfegt werden fonnte. Das
ältefte Mitglied jener eſoteriſchen Gemeinde, Präfident Frei-
herr v. Rizy in Wien, unternahm e3 daher bald nach dem
Erjcheinen der Gefammtausgabe, den Betheiligten einen fo
foftbaren Befig durch eine Buchansgabe zu fihern.! Dem
Dichter ebenfowohl durch enge Familienbande nahe ftehend,
als au ihm in hohem Grade geifteg» und gefinuungsvers
wandt, fichtete er mit feinem poetifchen Gefühle, mit rich
tigem Talt und mit hingebendfter Pietät die vorhandenen
ı Wiener Grillparzer-Album. Für Freunde als Handſchrift ges
drudt. Stuttgart, J. G. Cotta’fche Buchhandlung, 1877. 578 ©. 8.
Vorwort zu den Gedichten. XXXIX
Dichtungen und wählte für ſie eine Zuſammenſtellung, in
der fich die aufgenommenen Stücke, in entſprechende Abthei⸗
lungen vertheilt, beinahe ohne alle Beeinträchtigung der
chronologiſchen Ordnung von felbft in der Art gruppiren,
daß jedes derfelben fich in feiner eigenthiimlichen Schönheit
geltend zu machen vermag, In einem Anhang find Ges
dichte aus Grillparzers Jugendzeit mitgetheilt. Eine zweite
Beigabe enthält Anmerkungen, welche über die Beranlaflung
und die Beziehungen einzelner Gedichte die interefanteften
und werthoollften Auffchlüffe geben und die unentbehrliche
Grundlage zu einer künftigen erfchöpfenden Lebensgeſchichte
des Dichters bilden. Jetzt erſt, an der Hand diefer Er-
läuterungen, zu deren Erforfhung und Mittheilung der
. Herausgeber des „Albums“ in eminentem Grade befähigt
und berufen war, werden ganze große Gedichtgruppen, wie
der ſchon erwähnte Eyflus: „Tristia ex Ponto* in die rechte
Beleuchtung gerückt, für andere poetifche Produkte ift über:
haupt exit jet ein richtiges Verftändniß erjchloffen. Unjere
obige Darftellung der hiftorifchen Entwidelung von Grills
parzers Lyrik lehnt fich faft durchweg an die Ausführungen
des Herrn v. Rizy, meift mit deffen eigenen Worten, an. Ein
dritter Anhang zum Wiener Grillparzer- Album endlich ent«
hält die Nachweifung der erften Drucke der einzelnen Gedichte.
Kaum war diefes nur in ein Baar hundert Exemplaren
abgezogene, nicht im Handel erjchienene Werk in den Händen
der wenigen glüdlichen Befiger, als der Wunfch laut wurde,
eine fo werthvolle Sammlung möge auch dem großen Publi⸗
tum zugänglich gemacht werden. Der Bitte der Verlags:
buchhandlung, die, jene Stimmen zufammenfaffend, fi) zum
Organ dieſes Verlangens machte, entfprach der Herausgeber
in freundlichfter und zuvorfommendfter Weife, inden er
geftattete, daß, felbftverftändlich mit Beifeitelaffung der Er⸗
läuterungen und der fibrigen profaifchen Beigaben, der texts
liche Theil des Wiener Grillparzer- Albınnd dieſer gegen»
wärtigen dritten Ausgabe zu Grund gelegt werde.
XL Vorwort zu den Gedichten,
Auf die Tertgeftaltung wurde ſowohl beim Album als
bei dieſer Reproduktion deffelben die gewiffenhaftefte Eorg:
falt verwendet. Die oft in verjchicdenen Faſſungen vor=
handenen Handfchriften, fowie die Drude wurden wieder:
holt durchgefehen und verglichen. Wo gleichwerthige Re-
dactionen vorlagen, wurde in der Negel jene vorgezogen,
in welcher die Intention des Dichter am Klarften und
feinem Sprachgebraud; angemeffenften zum Ausdrud fan.
Meift boten die Handjchriften die beffere Lesart, nicht
felten fand fich diefelbe auch in der Faffung des Wiener
Albums. Einige häßliche Entftelungen find durch Bei-
ztehung dieſer kritiſchen Hilfsmittel erft im Album und
dann in diefer dritten Ausgabe befeitigt.
Bon der in den erften beiden Gefammtausgaben nieders
gelegten Redaktion der Gedichte unterfcheidet fich die vor⸗
liegende durch die neue Anordnung und Bertheilung des
Stoff, dann durch die Weglaffung dreier größerer Gedichte,
an deren Stelle gegen vierzig neue aufgerrommen find. Auch
fam eine größere Menge Epigramme und Siungedichte in
Wegfall, wogegen eine entiprechende Anzahl neuer Aufnahme
fanden. Gedichte au Grillparzers Fugendzeit, die den all-
mählihen Entwidelungsgang feineß poetifchen Talents deut-
lih zu erkennen geben und jchon die Öefinnungen de3 Knaben
und Jünglings mit Entfchiedenheit ausfprechen, ohne daß
fie jedod) eine Einreihung in die reiferen Erzeugniffe feiner
Mufe beanspruchen könnten, find in einen Anhang verwiefen.
Die unterzeichnete Verlagshandlung befindet ſich gewiß
in Webereinftimmung mit den zahlreichen Verehrern Grill⸗
parzers, wenn fie Herrn Theobald Freiherrn v. Rizy für die
von ihm in fo freundlicher und liberaler Weife zugeftandene
Ueberlaffung feiner Sammlung zum allgemeinen Gebrauch
hiemit öffentlih Dank und Anerkennung ausſpricht.
Stuttgart, den 11. Juni 1878.
3. 6. Cotta'ſche Buchhandlung
Inhalt,
Seite
I. Leben und Lieben.
Beicheivenes Loos (Wiener Seit-
ſchrift 1841) . .
Froher Einn .
An Belinen (Aglaja 1820) . ».
Licht und Schatten
Erinnerung (Aglaja 1820) . .
An eine gewiſſe Ungewife . .
Werbung (Aglaja 1821) . » .
Vertröftung . »
Ständen (Orpheus 1843) . .
Begegnung (Veſta 1831) . . »
Bertha's Lied (Janus 1818). .
An K. A. Weſt (Aglaja 1819) .
Gefang der Eappho . . . . .»
Einem Neuvermäbltn . . . -
Frühlingsgevanten (Aglaja 1821)
Das Urbild und die Abbilder .
Borzeihen (Aglaja 1821) . .
Der Bunberbrunnen (Agl. 1821)
Träumen und Wachen . - .» .
An die vorausgegangenen Lieben
(Aglaja 1820)
Kennft du das Land ?(Aglaja 1820)
Zwiſchen Gaeta und Capua (Aglaja
1820) .
Am Morgen nad) einem Sturme
(Aglaja 1820)
Die Ruinen bed Campo Vaccino
(Aglaja 1820) . 2... .
Abfhied von Gaſtein (Aglaja
1820)
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Seite
Die tragifhe Mufe (Aglaja 1822)
Der Bann (Aglaja 1820) .
An der Wiege eines Kindes (Aglaja
1822) ......
Am Hügel (Aglaja 1881) . . -
Abſchied (Aglaja 1821). . . .
Der Genefene (Aglaja 1821). .
‘ ‘ .
. Deremberlied (Aglaja 1827) . .
ALS fie, zuhörend, am Klaviere ſaß
(Aglaja 1822) ..
Allgegenwart (Aglaja 1822) . .
Das Spiegelbild (Aglaja 1822).
SchaltHeit (Aglaja 1822) . . .
Gedanken am Feniter (Caftelli’s
Huldigung ber rauen 1827).
Incubus (Huld. d. Frauen 1823)
Entzauberung (Aglaja 1827). .
BielsLichhen . - 2 oo 00.
Todeswund . . 2 2 0 0.2.
An Selene (Wiener Zeitſchr. 1841)
Bitte (Aglaja 1827) . x...
Spaziergänge (Aglaja 1829). .
Einnpflane. » 2 2 2 02. .
Rechtfertigung (Taſchenbuch des
Leopoldſtädter Theaters 1828)
Triſtia ex Ponto (Veſta 1835)
1. Boſe Stunde
2. Bolarfone . . 2. 2...
. Frühlings Kommen . . »
4. Reifeluft . - 2 2 0 02.
b. Der Filder . 0 0...
6. Berwünihung -. «© x. .
7%. Berwandlungen . . . .
‘. 0 ‘ °.
° ‘. 0 0 0
80
28
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32
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37
39
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43
44
45
46
47
48
49
50
51
51
51
54
68
58
59
XLU
8. Die Borträtmalerin .
9. Trennung © » 2 2 0.
10. Eorgenuol . oo...
11. Ablednung . . x...
12. Intermezzo... ..
13. Noch einmal in Saftein .
NRaturfcene. - co 0. °
16. SJugenderinnerungen im
Grünen . . 2.0...
16. Freundes Wort . . . »
17. Schlußwort
Heimifehr . .
Entfagung (Deflerr. Morgenblatt
1840) ...
Troft (Album f. die Berunglüdten
in Peſth⸗Ofen 1838). . . .
Mein ECenfor . . 2 020.
Fortſchritt (Wiener Zeitfchr. 1840)
Schweigen (Wiener Sonntags»
blätter 1842). . 2 220.
Der Gegenwart (Wiener Zeit⸗
ſchrift 1843) . ..
Antwort an die Epigonen (Album
aus Defterreich o. d. Ens 1843)
Alma von Goethe (Alb. f. d. Ueber:
ſchwemmten in Böhmen 1845)
Beibnadten. 2 0 2 0 0.
Gebt mir, wo ich ftehen fol. .
Sag im Winter . . . 2.2.
Bintergedanten (Wiener Sonn⸗
tagsblätter 1847) . . . oo
Butgemeinte Bemühungen
An einen Aunftgenofien . . .
Böſes Wetter (Illuſtrirtes Fami⸗
lienbuch 1851) . . . .
Appellation an bie Wirklichkeit
(Illuſtr. Familienbuch 1853) .
Epigrammatiſches:
Votiv⸗Tafeln 1-1 . . »
Zwei Leben . . 2. 2. .
Verſchiedene Bottesgaben .
Der Irrtum . . 2...
Guter Rath [er Var vr Br
Gerechtfertigtes Unrecht
Gefährliche Schmeichelei.
Den Gemeinen 1—2
Den Halben (Album für Peſth⸗
Dfen 18389) . . 2»...
wei Werbeoffictere. . . .
Gleich und gleich (Alb. f. 1838)
Rebendregl. . 2...
Aus der Pragis . .
Jäger und Treiber . . . «
Den Bielwiffern 12 . . »
Wollen und Können
Quis contra Deum?
(2: Salon 1854) .
Nothgedrungener Müßiggang
Der Unbußfertige . . » .
Selbfibefenntniß (Alb, f. 1838)
Des Dichterd Schweigen . .
1-2
Der Dichter in Verzweiflung.
(Salon 1854)
Entihulbigung
Beim Empfang bed Leopolt-
ordend?. oo 00 00. .°
Sofratbätitell . » » . -
Meinem Biograpfen - «
Den Epigonen. . -» « .
‘ L . ® ”
Des Dichters Heimath.
Andere Beiten. « . °
Biographiſch
Seite
96
100
100
101
102
101
101
102
102
102
102
I. Im alten Oeſterreich.
An Erzherzog Sarl(Aurora 1850)
Rapoleon (Aurora 1861). . »
Biflon (Wiener Zeitichrift 1826)
Auf die Genefung Ferbinands,
des Bütigen
Klage. » .
Warſchau
Rußland
Der kranke Yeldherr . . .
Zur Buttenbergss Feier .
Kaifer Joſets Dentmal . .
0 “ ® “ ® “ ® [1
105
107
109
111
113
113
117
119
122
122
Abſchied von Wien (Wiener Beit-
fchrift 1844)
Vorzeihen . oo 00. 0.
Kenien
Mein Recenfent im Gafteiner
Frembenbuße . . . 0...
Abermals ein Recenjent (Album
für 1838)
Einem fchriftfielernden Cenſor
Kiterarifhe Marobeure . . »
Defterreichd Humoriften . .
M. G. Saphir
Vor den Porträts Saphirs und
Bäuerle’3
Dem Präfiventen des Thierſchutz⸗
vereind (Salon 1854) . . .»
Ein Dialectbidter . . oo.
Der liberale Bielihreiber . -
Theater Publitum. . . »
Hofburgtheater (Zeitihr.f. See.
u. Staatälunde 1834) . - »
Therfites
Aus den Yureaug ber Hof⸗
fammer .
Gefägrliched Avancement. . »
Ein Jubilar . x co 00.
An den Hofconcipiften**?* . .
Ein Finangreformator . . .
Der Finanzhofrath als Theater-
director .
Der geplagte Regierungsreferent
Aus der Zauberflöte . . . »
Antworten auf müßige Fragen
1-2 (1: Salon 1854). . .
Unfre Srommen . oo. 0. 0°
Brofelytismus
Den Zefuiten . » oo 0.
Die Schweizer
Homdopathifhe Kur... »
Hiftorifche Entwidlungg . . .
Die verfolgte Unfhulb . . .
Ungarifche Poftulata . . . .
Ein radifaler ECavalier . . »
. . 0 0
®. °. ‘ ‘ [2 ®
.o 0 008 08 8 8 8
..» 9 9 0. 0
ee ‘ ‘ ‘ ‘ « “.
Inhalt. XLIN
Seite Seite
Ein Hochgeftellter Art . . . 140
125 | Einbelehrter Dichter(ALb.f. 1838) 140
126 | Ein Ehrenmann. . . 2 2.140
129 | Aus der Stantälanzlei . „ . 140
Ein Matador der hohen Politik 141
130 | Nach Sohannisberg. - - . . 141
Anticipirte GOrabfhrift . . . 141
130 | Shlußwrt .„ oo. 00... 18%
130
2 UL In der neuen Vera.
131 | Mein Vaterland (Eonftit. Donau
Zeitung 1848). . 2... 145
132 } Im Parteigetriebe (Defterreichi:
ſches Früpl.- Album 1854) . 146
132 | Felbmarfdhall Radetzky (Conftit.
133 Donau= Zeitung 1848). . . 147
133 | Der gute Sirt . 2 2 000. 148
183 | Dem Öfterreihifchen Reichstag . 150
Joſeph von Spaun (Iris 1850) 153
134 | Anton v. Schmeling . . . . 154
134 | Einem Soldaten (Defterreidhis
ſches Frühl.⸗Album 1854) 166
134 | Ein Hochzeitgedicht..... 167
135 | EinaltesLieb (Kaiſeralbum 1858) 158
135 | Wiener Märztage . - x. . 159
135 | Die Schreier . © «2 02 0. 189
135 | Falfcher Liberalismus . „ . 159
Ein geflügeltes Wort. . .„ . 169
136 Hören und Schen . . .„ . . 189
136 | Zwifchen ven Exrtremen . . . 160
136 | Der greife Didier -. - 2 . . 160
Bor dem Sturme (Salon 1854) 160
137 | Nad der Einnahme von Wien. 160
137 | ®Bolitifher Kalender . . . . 1801
187 Getäuſchte Hoffnung . . . . 161
138 | Die Altconfervativen . . . . 161
138 Boet und Minifter. . . . . 161
138 | An einen Finanzminifier . . 162
189 | Der befehrte Minifter. . „ . 162
139 | Nahtwähteruf - 2 2 0. . 182
1390 | Roßlur . oo oe 2 0 2 2 2 163
139 | Nichts Neues unter der Sonne 163
XLIV
Schild un? Shwrt . . . .
Ser Reriripiegel . . 2...
Unpaſſende Borausieruma . .
Energiſcher Bundesiagspeibluß
Zu cmer Bingraphıc des Gotz
von Berlidingen . . .
Deffentliche Gebete bei Heindede
aa 2.22.00
Nut Des Dichters Rhutograppır
IV. Wujil und Mujiter.
In vi Tontmk . . .. .
Am Sarge Secthovens (Aglaja
1528) - - - 2 2 2 20
Sur Enthülung von Mozarts
Standbilt in Salzburg Biener
Zeitſchrift 1865) . . . . .
Am Srabe Nozarts des Sohnes
(Siener Zeitjchrift 1864) . .
Franz Schubert (Wiener Jct-
ſchrift SE) . - . 2...
Fagamin . . - 2.22...
Clara Ried (8. Jeitichr. 1535)
Nitreg Shaw (Micner Srits
ſchrift 1560) . - 2...
Jenny Sind (Auftriafalend. 1547)
Rofjini’s Stabat matır . . .
Banberfcene (Album j. bie Uebers
ihwemmten in Röbmen 1815)
Ebor ver Wiener WRufiler beim
Berlioz : Fe (Album für den
Friedhof in Prag 1657) . .
Zoaft für Meyerber . . . .
Zu Beethovens Egmont : Ruftt
Rendelsfohns Mufil zum Eom-
mernadhtätzaum . . . . .
Etummsberet . . oo 2.
Poefie und Aufl . . . ..
Die Bioline . . 2. 2 2 0.
Einer Sängerin. . . . ..
Italieniſche Oper 1825 . . .
Italieniſche Oper von 1839. .
167
168
188
188
169
Srite
Chtar Gem. . . . . . 189
An eine wäljde Sängerin Aglajı
1820) -. -. 2 2-2... - 190
Die BB ......2.2 0.01%
Liszt Apjhichöchneert - - „ 190
Tbalbern . . 2 2 180
Balie auslegung- 2... 019
Jeunny xim . . 2.2.0. 1391
Berthovens Beute Eympponie 191
Den Veetbnugmanen - -. . . 191
Uniexren Comprofteuren . . „ 191
Den neuen Bujitgeichrien - „ 19%
Ein Eompofireur Ber Zukunft. 192
Ein Zweier - - - 2... 19
Refgnatin . oo 2.2... . 192
V. Poeſie und Boeien.
Die Schweherz (Hulvigung der
Frauen 101)... .. 185
Rurchen Gulb. d. Aramem 1830) 196
Serjdumter Augenhlid (Rglaja
1825) 2 000 2 138
Sope ve pa. .» - 2 2.2. 19
Kadırnt au Jaharias Saraer. 1%
Ginca Strafen un? Dider . 200
Srettermlt . 2. 2 2 2 02. 293
Euripides au Die Berliner (Bien,
Eonutogshläter 14) . „ 207
Epiuel (Pannonia 1546). . . 208
Der Kutide Tıdıer . . . . 210
Ar Grabe Lemon . . . „ au
Ten Fortidrittgmännern (Ab
für den Frichhof in Prag 1857) 215
Sur Beadtun . . -. 2... 25
Grüäntliglät. -. - 2. 2... ns
Eonjtlium medicum (Nuroras
Abum 1856) © - 0... 218
Charaltertöpie deutfcher Dichter 219
Abermals Goethe (Alb. für Peſth⸗
Dien 1838) . - 2 2... 220
Botibaft au bie Sürfengruft
zu Weimar. . 0000. 22
Inhalt.
Seite
Schiller » Goethes Dentnal .„ .„ 221
Ulla . ... ee. 221
Ubland und Rüdert ee 221
Immermann (Album für Peſth⸗
Ofen 1888) . 2 0 0 2. 92
Ein profunder Didier . . . 222
Sein Bewunderer . . . 222
Ein Bänpchen philojophiſche Ges
dichte 4— 0 [} ‘ 0 0 ® 222
Zu ben Poeflen dreier Runfts
venoffen 0 ee RR
Wieder ein Band Lyrik (Album
für Beft-Dfen 1838) . . . 223
An eine Diäten . . 0... 223
Ein Hiftorifhes Drama . . . 923
Abermals ein Trauerfpiel . . 224
Dramaturgiiches. nn RA
Die Driginalitätsfüctigen . . 224
Den Reliitien . oo 0 0. 2%
Bollöporfie. . oo 0 0 02. 286
Altdeutſche Glaffiter . . . . 226
Tieck als KAunftrichter (Album für
Peſth⸗Ofen 1838) . . . . 227
Shakeſpeare an feinen Erflärer 227
W. Men.» 2 2 0 0 2. 2827
Der Literarhiftoriter . . . . 227
Neuefte Runftlritit - . . . . 297
Gervinud . oo 2 0 0 2 2 228
Neueſte Dichterſchule 1—8 (1, 7:
Album für Peith- Dfen 1838) 228
Suter Rath 2 2 0 2 28289
Künftlerd Handwerksregeln 1-12
(8: Alb. für Peſth⸗Ofen 1838;
8, 10, 11: Salon 1854) . . 230
Schlußworte „ oo 0 0 0. 232
VI. Vermiſchte Gedichte
Gelegenheitliches:
Als meine kleine Muhme ſtarb
(Aglaja 18100..... 285
Epilog (Graͤffes Conv. Bl. 1819) 286
Vater Unſe..238
Das Lieb der Nachtigall . .
Ständen . - 2» vo 0...
Mirjams Siegesgefang .
Nachruf an Therefe Löwe
(Wiener Zeitichrift 1830) .
Klojterfcene. » oo 0 0.
Herkules und HSyla3 . . »
Die Unſchuld (Veſta 1836) .
Dem Komilker Hafenhut (Scenen
aus d. eb. Haſenhuts 1834)
Zur goldenen Hochzeit (Huls
bigung der Frauen 1844) .
Ein Ehrifibaum . . -» . .
Als ein Freund ben öffent-
lichen Dienft verließ . .
An Fanny Elßler . »
An Thereie ***.,. . m
Gold und Silber. . .
Paraboliſches:
Das Felt im Kuhftal . . »
Der Gefchichtsforfcher .
Verichlafene Anſprüche (Rrip-
penfalender 185%). . - »
Spradenfampff . x...
Beionnen, aber entſchieden
vorwärt®. 2 0 000.
Sinternationale Rauferei . .
Neue Allan . vo eo...
Die neue Hera. «2 02. .
Das Du . . 2 2 2 0.
Drientalifder Kongreß . .
Diplomatifher Ratb . . .
Spigrammatifches:
Louis Philipp. -. - 2.»
Den Piemonteien. . » » »
In der Baulslirde.. . - -
Lasciate ogni speranzal .
Zwiſchen Frankfurt und Gotha
Der Weltverbefiererr . . .
Stoßgebt . ». 0...
Wahre Freifeitt - oo. .
Verfehltes Zweikammerſyſtem
Louis Napoleon 12838...
XLV
Seite
241
241
. 242
246
246
249
250
251
252
252
253
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258
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260
201
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261
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263
263
264
264
204
264
265
265
265
xXLVI
Arithmetifhe Confufion .
Ein König .
Vor der Balballa . . . .»
Zwei fürftlide Patrone .
Der neue Mufenbof.. . .
Ein durchlauchtiger Literat
Der PBolyhiftor . . .
Sprachforſchung über Aued .
Schwierige Kaiferwahl. .
Denken und Fühlen. . . .
Spekulation 1—5 (4 und 5:
Salon 1854) 0...
Genealsgifhed. . oo.
Segel 1-3 . .
Shellin. . x oe. 00%.
Die vorigen Beide . x.»
Alexander u. Humboldt
David Strauß . . ...
Epithalamtum für deſſen Braut
Bedenkliche Nachwirkungen 1-8
Superkluge Hiſtoriker 1-8 .
Gonjelturals Befhichte. . .
Signalement der Gegenwart
@in wohlthätiger Banquier
® .o*6o ° [2
(Album für Peſth⸗Ofen 1838)
Eine fromme Dame. . .- .
Die Erfinderin der Grinoline
Auf eine geſchenkte Schale (Agl.
1828) .. on ..
Auf eine Uhr . . . ..
Auf Schwanthalers Brunnen
Sn Goethe's Werte... .
Sn die Abıfrau . oo. .
In Hero und Leander. . »
Bildniffe des Dichters 1—8
(2: Salon 1854) . . . »
Album-Blätter:
Für Nabehy . 20. .
Zür Debleniläger . . .
Inhalt.
Eeite
266
266
266
266
266
267
267
267
267
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270
270
270
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271
271
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272
272
272
873
273
273
278
274
275
. 275
Für $. Hiller... 0...
Für Anderien . . . 0...
Für Sophie Schröder . . »
Für Ludwig Löwe . . . .
Für & Dulerr . ....
Zwei jungen Damen . - -
Der reizenden Nachbarin. .
Der dreifachen Mufe . .
Für Therefe Häberle . . »
Einem Solbaten . . . »
Einem jungen Freunde . .
An Gräfin Helene***. . .
Für einen jungen Kaufmann
Für Kathy Fröhlich..
Für Mimi Adamberger
Für Nina v. Schäffer .
Einem Diplomaten . .
Einer Dilettantin . . » »
Für ein 16jähriges Mädchen
An Iduna Laube
In ein neues Album
2879
279
280
288
282
VO. Jugendgedichte.
An Dovid
Cherubin . oo 0 000%.
Die Rufit . .
An eine matte Herbſtfliege
(Gräffes Conv.Vl. 1819) . .
Abſchied von der Hofbibliothek
Als mein Schreibpult zerfprang
Billlommen! Gensdarm⸗Alm.
1854) . 0... ..
An Hofrath Garl v. Kübel. .
An Joh. Ludwig Deinhardftein
e ® ‘ ‘. ‘ ‘
Alphabetiſches Verzeichniß ber
Anfangsworte von fämmtluche
Gedihten. . +...
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288
293
293
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802
303
Seben und Sieben.
Brillparzer, Werke I.
Beſcheidenes Loos.
Bei dem Klang des Saitenſpieles
Geh' ich einſam und allein,
Habe wenig, brauchte Vieles,
Doch das Wenige iſt mein.
Amor lauſcht in Roſenhecken,
Winkt, halb Spott, zu ſich hinein;
Spiel' mit Kindern, Kind, Verſtecken!
Mich laß ruhig und allein.
Und das Glück, voll goldner Spangen,
Zeigt den reich gefüllten Schrein;
Kommſt geflogen, ich gegangen,
Flieg du hin, ich geh' allein.
Schau, der Ruhm am Rand der Fernen
Glaänzt in heller Zeichen Schein;
Men gelüſtets nach den Sternen?
Man betrachtet fie allein.
Miffe gern ein Buntes, Vieles,
Hab’ ih mid doch und was mein!
Bei dem Klang des Gaitenjpieles
Geh ih einfam und allein.
Gedichte.
Froher Sinn.
Ohne Geld und ohne Sorgen!
Gibt's ein Glüd, das meinem gleicht?
Geld, ei Geld, das kann ich borgen,
Aber Frohſinn nicht ſo leicht.
Heute ſorget ihr für morgen,
Morgen für die Ewigkeit!
Ich will heut für heute ſorgen,
Morgen iſt für morgen Zeit.
Und’ die Zukunft? — Wenn auch morgen
Mich der Tod zum Opfer meiht:
Frei von Schuld fein und von Sorgen
Iſt ja hier ſchon Seligfeit.
An Bellinen.
(Bei Ueberfendung einer Spielfhuld.)
Hier jend’ ih dir, was du mir haft geliehen;
Was ih dir lieh, ich nahm es ſchon zurüd:
Aus eignem Reihthum nur kann Segen blühen,
Erborgtes Gut ſchafft nimmer dauernd Glück.
Dem Reihen mag man no fih ſchuldig wiſſen,
Dem Armen fei fein Pfennig unberührt:
Hier ift die Schuld, der Schulbbrief ift zerrifien,
drei geh’ ein Jeder, wie der Weg ihn führt.
— — — — ——
I. Leben und Lieben.
Licht und Schatten.
e GSchmarz ihre Brauen,
Weiß ihre Bruft,
Klein mein Vertrauen,
Groß doch die Luft.
Schwatzhaft mit Bliden,
Schweigend die Zung',
Alt das Mißglücken,
Wunſch immer jung.
Arm, was ich brachte,
Reich meine Lieb’,
Warm, was id dachte,
Kalt, was ich fhrieb.
— — — — —
Erinnerung.
Hab’ ih mich nicht losgeriſſen,
Nicht mein Herz von ihr gewandt,
Weil ih fie veradhten müſſen,
Weil ich mwerthlog fie erkannt?
Warum fteht in holdem Bangen
Gie denn immer noch vor mir?
Woher dieſes Gluthverlangen,
Das mich jetzt noch zieht zu ihr?
Tauſend alte Bilder kommen,
Ach! und jedes, jedes ſpricht:
„Iſt der Pfeil auch weggenommen,
Iſt es doch die Wunde nicht.“
Gedichte.
An eine gewiſſe Ungewiſſe.
1. D
Wenn man did Engel nennt,
Will's fo der Brauch;
Daß du's an Schönheit bift,
Seh’ ih wohl auch;
Magſt's auch an Güte fein:
Gib und gewähr'!
Nur nit an Heiligkeit,
Bitt' ich gar fehr.
2.
Giehft du der Saaten
Mallenden Streif?
Blond find die Aehren,
Und fie find reif;
Blond wie dein Häupthen —
's ilt an der Zeit,
Schon hält der Schnitter
Die Sichel bereit.
3.
Das dein Kleid rofenroth,
Find’ ich recht fein;
Kann's, wo der Gürtel fliegt,
Anders wohl fein?
Denn mo im Lenz ih fah
Knöſpchen am Rain,
Gaben fie ähnlichen
Blaßrothen Schein.
4.
Im Schatten deiner Wimpern
Blühn zwei Vergißmeinnicht;
I. Leben und Lieben. .7
Der überflüff’gen Lehre,
Die fo ein Blümchen ſpricht!
Wie könnte dein vergefien,
Mem je geftrahlt dein Licht?
Und doch, laß fie nur ſprechen!
Vergiß du felber nicht.
5.
Wenn du die Liebe ſchon gekannt,
Gefühlt ſchon ihren Kuß,
Wer tadelt dich in ſeinem Wahn
Und darbet, weil er muß?
Ein Jeder treibt, wozu er ward,
So will's ein ew'ger Schluß:
Hephäften ſteht die Arbeit wohl,
Cytheren der Genuß.
— — — — an
Werbung.
Mädchen, willſt du mir gehören,
So ſprich Ja und ſchlag nur ein!
Kann nicht ſeufzen, kann nicht ſchwören,
Willſt du? — Gut! — Wenn nicht — mag's fein!
Gold hab’ ich nicht -aufzumeifen,
Aber Lieder zahlen auch;
Will dich Toben, will dich preifen,
Wie's bei Dichtern heitrer Brauch.
Doch gefällt's dir, einſt zu brechen,
Thu's mit Maß und hüte dich!
Lied, das ſchmeichelt, kann auch ſtechen,
Dich verletzeſt du, nicht mich.
Gedichte.
Dichters Gram iſt bald verſchlafen,
Seine Kunſt iſt troſtesreich,
Und die Lieder, die dich ſtrafen,
Troöͤſten heilend ihn zugleich.
Vvertröſtung.
Willſt du, ich ſoll Hütten bau'n,
Willſt mich heimiſch ſehn?
Sieh im unbewölkten Blau'n
Hoch die Sonne ſtehn.
Eh ſie ſich im Weſten neigt,
Ruft mich ein Geſchäft,
Rauh der Pfad, der Weg iſt weit,
Eile will ſein Recht.
Doch kehr' Abends ich zurück,
Und du harrſt noch mein,
Wenn ich erſt mein ſelber bin,
Bin ich auch wohl dein.
— — — — —
Ständchen.
Brim blim, klang kling,
Höre, Mädchen, was ich ſing'!
Sieh mich hier vor deinem Fenſter
Lauſchend mit der Zither ſtehn,
In der Stunde, wo Geſpenſter
Nur und Liebende noch gehn;
I. Leben und Lieben.
Alles ruht im trauten Zimmer,
Nur die Liebe rubet nimmer.
Brim blim, ang kling,
Was ift die Liebe für ein Ping!
Stürme braufen durch die Gaflen,
Tief verhüllt in Schnee und Ei.
Ah, und doch, kaum kann ich's faflen,
Kalt die Hand, der Buſen heiß.
Innre Gluthen, wärmt die Finger!
Kühl', o Eis, den Minneſinger!
Brim blim, klang kling,
Was iſt die Liebe für ein Ding!
Muthig, wenn ich dich nicht ſehe,
Sinn' ich aus manch Liebeswort;
Aber kaum in deiner Nähe,
Iſt die Sprache plötzlich fort.
Ferne muthig, nahe blöde,
Kannſt du denken, Lieb', ſo rede!
Brim blim, klang kling,
Was iſt die Liebe für ein Ding!
Nur, ergreif' ich meine Zither,
Wird das Herz mir weit und groß,
Und das brütende Gewitter
Bricht in hundert Strahlen los.
Ja, mag's noch ſo ſeltſam klingen,
Reden kann ich nicht, doch ſingen.
Brim blim, klang kling,
Was iſt die Liebe für ein Ding!
10
Gedichte.
Drum, das Saitenjpiel in Händen,
Ruf ih kühn zu dir hinauf:
Laß den ſpröden Sinn fih wenden,
Thu’ mir Herz und Yenfter auf!
Aber fill: denn wird fie’3 innen,
Zürnt fie etwa dem Beginnen,
Edilt, daß ich's mich unterfing,
Was ift die Liebe für ein Ding.
Doch, was ſchmäh' ich diefe Wonne,
Die mein Innres ſüß bewegt?
St die Sonne minder Sonne,
Weil kein Aug’ ihr Schaun erträgt?
Bleibt, wenn nichts auch übrig bliebe,
Tas Gefühl doch, daß ich liebe,
Ah un —
Brim blim, Hang Hing,
Liebe bleibt ein füßes Ping.
— — — — —
Begegunng.
Wie ſchön ſie war! die bräunlich blonden Flechten
Bedeckt vom Strohhut mit dem breiten Rand,
Ging ſie allein! — Doch nein! zu ihrer Rechten
Ging Unſchuld, wie ein Kind ſie leitend an der Hand.
Das Antlig Roſen; aber nicht wie rothe,
Wie weißer Rofen Schmelz im Morgenthau.
Das Auge, feurig kaum — denn Feuer drohte —
Nicht blau, nit braun; faft, fürcht ich, eher grau:
Und doch, hob fih der Wimper weiche Seide
Und richtete der Stern fi) heimathwärts,
I. Leben und Lieben. 11
In warmen Strahlen. lächelnd wie bie Freude,
In feuhtem Thaue ſchwimmend mie der Schmerz.
Nichts ſcharf gezogen in dem ſchönen Runde,
Die Nafe, mie fein Kunftblatt fie begehrt,
In weichem Cinbug fließend zu dem Munde,
‚Halb kindiſch faſt nah aufwärts noch gekehrt.
Der Mund, in üpp’ger Fülle leiht geſchloſſen,
Hielt nur zu fehr mit feinen Perlen Haus,
Doh Blumen gleih, von Zephyrhauch umfloflen,
Sog er die Luft und hauchte Balfam aus.
So ging fie Hin — doch vor dem milden Scheine
Trat ih zurüd, obgleih von Wünſchen heiß.
Der leichte Kahn, wie ſchön trägt er die Eine!
Spräng’ noch ein Zweites zu — Wer weiß? mer weiß?
Bertha's Lied. !
Naht umhüllt
Mit wehendem Flügel
Thäler und Hügel,
Ladend zur Ruh.
Und dem Schlummer,
Dem lieblihen Kinde,
Leiſe und linde
Flüſtert ſie zu:
„Weißt du ein Auge,
Wachend in Kummer,
Lieblicher Schlummer,
Drücke mir's zu!“
1War urſprünglich für die „Ahnfrau“ beſtimmt
12 Gedichte.
Fühlſt du ſein Nahen?
Ahneſt du Ruh?
Alles deckt Schlummer,
Schlummre auch du!
Au 8. A. Weſt.!
Ein Shiffer irrt, durch Sturmesnacht getrieben,
Der Wogen und der Winde leichtes Spiel;
Wohl find ihm Maft und Ruder noch geblieben,
Doch fehlt der Reife Wichtigſtes — ein Ziel!
Da fieht er einen Stern durchs Dunkel blinken,
Froh orbnet er darnach den irren Lauf;
Und jegt, da ſchon die Kräfte ſchwindend finten,
hut fih ein Hafen dem Verirrten auf.
Wie er das hohe Ufer nun befchreitet,
Weiht opfernd er dem Leitftern in der Nacht,
Der ihm der Irrfahrt frohes Ziel bereitet,
Die Erftlinge von Dem, was er gebradt.
— — — —
Geſang der Sappho.?
Goldenthronende Aphrodite,
Liſtenerſinnende Tochter des Zeus,
Nicht mit Angſt und Sorgen belaſte,
Hocherhabne! dieß pochende Herz!
1 Sollte erſt als Widmungggedicht ber erſten Auflage der „Abnfrau”
vorgebrudt werden, und erſchien dann unter der Ueberiärift: „An einen
Zreund” im Jahrgang 1819 der „Aglaja”.
2 Nach dem Griechiſchen. Vgl. Bd. II. ©. 1068.
I. Leben und Lieben.
Sondern fomm, wenn jemals dir lieblic
Meiner Leier Saiten getönt,
Deren Klängen du öfters laufchteit,
Berlafiend des Vaters goldene? Haus.
Du beipannteft den fchimmernden Wagen,
Und deiner Sperlinge fröhliches Paar,
Munter fhwingend die fhwärzlihen Flügel,
Trug dich vom Himmel zur Erbe herab.
Und du kamſt; mit Tieblihem Lächeln, .
Göttlihe! auf der unjterbliden Stirn,
Fragteſt du, was die Klagende quäle,
Warum erfhalle ver Flehenden Ruf?
Mas das ſchwärmende Herz begehre,
Men fi fehne die klopfende Bruft
Sanft zu beftriden im Neg der Liebe?
„Wer iſt's, Sappho, der dich verlegt?
„Flieht er dich jetzt, bald wird er bir folgen,
Verſchmäht er Geſchenke, er gibt fie noch felbit,
Liebt er dich nicht, gar bald wird er lieben,
Folgſam gehorhend jeglichem Wink!”
Komm auch jett und löſe den Kummer,
Der mir laftend den Bufen beengt,
Hilf mir erringen, nad) was ich ringe,
Sei mir Gefährtin im lieblichen Streit!
u
Einem Ilenvermählten.
(1818.)
Amor würfelt! einft mit Hymen,
Und der Eleine Gott der Liebe,
13
Gedichte.
Schielend liſtig durch die Binde,
Wirft beſtändig hohe Zahlen:
Vier und fünf und fünf und ſechs,
Halb zu viel, halb nicht genug,
Niemals Paar, trotz Liſt und Trug. —
Da greift Hymen zu den Würfeln
Und wirft hoch nicht, aber glei:
Ein3 und Eins. — Ein Jubelſchrei!
Glück und Paar liegt in der Zwei.
— — — — —
Frũhlingsgedanken.
Im Garten vor einem kuoſpenden Strauche.
(1818.)
Mutter.
Wie die Knoſpen jchwellend bligen!
Schon gebt auf der Blüthe Stern.
Zieren wird er ımb auch nüßen,
Blum’ und Frudt, jo mag ich's gem.
Dichter.
Fröhlich bin ich wie ein König!
Mir gefällt der wadre Strauch;
Schlaͤft acht Mond', blüht dann ein wenig: —
Gi, bei Gott, jo mad’ ich's auch!
Mädchen.
Weiß der Unfhuld, Roth der Freude
Bei der Zukunft frommem Grün
Prangt auf feiner Blüthen Kleide,
Und gen Himmel fehn fie hin.
Bol. Caroline Pichler, Denkwurdigkeiten aus meinem Leben, III, 127.
I. Leben und Lieben. 15
cFahnenjunker.
Weiß und Roth mit Grün umwachſen,
Recht gut kaiſerlich, fürwahr!
Kriegt man Luft, ſich 'rumzubaxen,
Beut er ſchlanke Gerten dar.
Gärtner,
als Epilog, ben Borübergehenden nachſehend.
Ei, daß dich! mit Hoffen, Freuen,
Mit Erwartung, Blüth’ und Frucht!
Heute Naht wird's, ven!’ ich, fchneien,
Dann kommt morgen her und jucht!
— — — — — —
Das Urbild nnd die Abbilder. !
Als Troft für eine Nicht-Dichterin.
(1818.)
Kunftbefliffen und unverzagt,
Feder und Farben und Stift in den Tafchen,
Biehen fie aus in wilder Jagd,
Unfhuld und Reiz und Natur zu erhafchen.
Was er erihaut und was er erringt,
Jeder fein fleißig zu Buche bringt,
Um in de3 Winters Frieren und Härmen
Sih an dem köſtlichen Labjal zu wärmen.
Wie? Und nur du mehrft nicht ihre Zahl?
Schätzeſt du nicht, nad was Jene geizen?
Kann dih Natur und Unſchuld nicht reizen?
Oder wär's bier wie im Bilderfaal?
ı An Garoline Pichler, die Toter ber befannten Schriftftiellerin,
gerichtet. Vgl. Carol. Bihler, Dentwürbigfeiten, III. 127.
Gedichte.
Alles rennt dort und haſcht nach Copieen;
Einer nur will fih nicht viel bemühen —
„zrägt er im Bufen ein Herz von Stahl?”
Nein — er befitt das Driginal.
— — — — ——
Vorzeichen.
Augen, meiner Hoffnung Sterne,
Dioskuren meiner Fahrt,
Schimmert nicht ſo hell und feurig!
Denn das kündet, ſagt man, Sturm.
Und ſo iſt es auch: — Er naht ſchon!
Denn ich fühl's an meinem Beben,
Meinem Schwindeln, meinem Wanken,
Daß die Wellen ſchon empört;
Ueberzieht ſich noch der Himmel,
Jener Himmel, wo ihr leuchtet,
O, dann rettet mich kein Gott!
— — nn — —— —
Der Wunderbrunnen.
Seit ih von dir gekoſtet,
Du labend heller Born,
Dünkt jedes Naß mir trübe
Und leer der Freude Horn.
Zu dir gebt meine Liebe,
Bon dir aus all mein Born;
D, daß du immer flößeft,
Du leicht verfiegter Born!
— — — —
I. Leben und Lieben.
Träumen und Wachen!
(1818.)
Schatten find des Leben? Güter,
Schatten feiner Freuden Schaar,
Schatten Worte, Wünſche, Thaten:
Die Gedanken nur find wahr
Und die Liebe, die du fühlelt,
Und das Gute, das du thuft;
Und fein Wachen, als im Schlafe,
Wenn du einit im Grabe rubft.
[
An die voransgegangenen Lieben.
(1819.)
Seid ihr voraudgegangen,
Liebe Gefährten der Reife,
Wohnung mir zu bereiten,
Der noch im Staube des Wegs?
Sudt mir ein Kämmerden, Liebel
Still und freundlid und Hein,
Doch in eurer Nähe:
Ich bin nicht gerne allein;
Heimlich ſei es und ftille,
Schatten mäß’ge den Tag,
Daß ich gern fiten und finnen,
Dichten und denlen mag.
— — — —— —
t Aus: „Der Traum ein Leben”, Bv. V, ©. 141.
Griliparzer, Berke. L 2
[4
17
18
Gedichte.
Kennſt du das Land?
(8. März 1819.)
Gelobt fei Gott! die Stund’ ift da!
Den Wanderftab in die Hand!
Zu dir hin geht’, Italia,
Du hochgelobtes Land!
Der Pilger zieht mit Hut und Stab
Zum beiligen Grabe weit,
So zieh’ aud ich zu deinem Grab,
Du beil’ge, entjhlafene Zeit!
Und wie der Pilger auf feiner Bruft
Reliquien trägt nah Haus,
So trag’ auch ih in meiner Bruft
Mir heilige Refte heraus.
Die lebten Tropfen vom Wunderborn,
Der einft fo reihlih quoll,
Ein Fünkchen von deinem Götterzorn,
Du göttliher Apoll!
Den Abdruck, Weligebieter Zeus,
Bon deiner Majeftät!
Dom Dihterbaum ein Lorbeerreis,
Der Maro’3 Grab ummeht.
Dein Bild, fo behr und unbefledt,
Du Hohe von Mebici,
Die, wenn fie den Schauern die Schäße bevedt,
Für ih nicht erröthet, für fie.
Ya, knieen will ih, Vergangenheit,
Vor deinen Gebilden aus Stein,
Der nadt die ernite Schönheit beut,
Verachtend des Reizes Schein,
I. Leben und Lieben. 19
Ihn laſſend ver frömmelnden Entelwelt,
Die, von Gleißnerſinn erfüllt,
Die Lüfternheit zu ergänzen quält,
Was der ſchlaue Bildner verhüllt.
Und lernen will ich auf deinen Laut,
Was der Menſch bewirkt und erſchafft,
Wenn er dem Gott im Buſen vertraut
Und der ſelbſtgegebenen Kraft.
Dann kehr' ich heim mit ſtolzem Sinn
Und ſchaff' in geſättigter Ruh,
Was jung ſoll ſein, wie ich es bin,
Und alt ſoll werden, wie du.
Zwiſchen Gaeta uud Capua.
(27. April 1819.)
Schöner und ſchöner
Schmüdt fih der Plan,
Schmeichelnde Lüfte
Wehen mid an;
Sort aus der Profa
Laſten und Müh'
Flieg' ich zum Lande
Der Poeſie.
Goldner die Sonne,
Blauer die Luft,
Grüner die Grune, |
Würz'ger der Duft!
Gedichte.
Dort an dem Maishalm,
Schmwellenv non Saft,
Sträubt ih ver Woe
Störriſche Kraft!
Delbaum, Cypreſſe,
Blond du, du braum,
Nickt ihr wie zierliche
Grüßende Fraun?
Was glänzt im Laube,
Funkelnd wie Gold?
Ha, Pomeranze,
Birgſt du dich hold?
Apfel der Schönheit!
Paris Natur
Gab dich Neapolis
Reizender Flur.
Ehrlicher Weinſtock,
Nützeſt nicht bloß,
Schlingſt hier zum Kranze den
Grünenden Schoß.
Ueberall Schönheit,
Ueberall Glanz!
Was bei uns ſchreitet,
Schwebt hier im Tanz.
Trotz'ger Poſeidon!
MWäreft du dieß,
Der drunten jcherzt und
Murmelt fo füß?
Und dieß, halb Wieje halb
Aether zu ſchaun,
I. Leben und Lieben, 21
Es wär’ des Meeres
Furchtbares Graun?
Hier will ich wohnen!
Göttlihe du,
Bringft du, Parthenope,
Wogen zur Ruh?
Nun denn, verfuh’ es,
Even der Luft,
Ebne die Wogen
Auch diefer Bruft!
— — — ——
Am Morgen nach einem Sturme.
(Molo di Eaeta, im Fruͤhjahr 1819.)
Haſt einmal wieder geſtürmt?
Wildes, tobendes Element!
Wider Erd' und Himmel
Feindlich kaͤmpfend angerennt?
Thöricht! Fruchtlos!
Sieh, die Erde ſteht unbewegt,
Und der Himmel wölbt ſich heiter glänzend,
Lächelnd, über fie und did.
Du aber bift trüb und düſter,
Und warft doch ſchön mie fie.
Feinde nicht die Erbe an,
Meil fie feit und grünend,
Beneide nicht den Himmel,
Weil er blau und hell,
Bit du minder feft al3 jene,
Biſt du heller doch als fie;
22
Gedichte,
Bift du minder hell als dieſer,
Bift du fefter doch als er;
Und beide — willſt du rubig quellen —
Spiegeln fi vereint in deinen Wellen.
Drum gib auf nur die Beſchwerde!
Sei erft ruhig, und dann ſchau,
Ob du grün nicht, wie die Erde,
Wie der Himmel blau.
— — — — —
Die Ruinen des Campo Vaccino.
(Rom, im Frühjahr 1819.)
Seid gegrüßt, ihr heil’gen Trümmer,
Auch ald Trümmer mir gegrüßt!
Obgleih nur noch Mondesſchimmer
Einer Sonn’, die nit mehr ift.
Nennt euch mir, ih will euch kennen,
Ich will willen, was ihr wart!
Was ihr feid, braucht's nicht zu nennen,
Da die Schmah euch gleich gepaart.
Eintrahhtötempel! — du der erfte,
Der fih meinem Blid enthüllt —
Deine legte Säule berfte,
Schlecht haft du dein Amt erfüllt!
Solltejt deine Brüder hüten,
Wardſt ald Wächter hingeſetzt,
Und du ließeft Zwietracht wüthen,
Die fie fällt’ und dich zulekt.
Jupiter! aus deinem Tempel,
Stator, der zu ftehn gebeut,
1. Leben und Lieben. 23
Brih des Schweigens Sklavenſtempel,
Heiß' fie ftehn, die neue Zeit!
Doch umſonſt ift bier dein Walten,
Du ftehft felber nur mit Müh':
Unaufhaltfam gehn die Alten
Und das Neue über fie.
Darum in dieß Feld der Leichen
Sit, Septimiug Sever,
Eingang dieß dein Siegeszeichen?
Ausgang dünkt es mich vielmehr.
ALS dem Letzten, der's zu faſſen —
Denn aud nicht zu thun — verftand,
Sei ein Pläschen dir gelaffen,
Doch nicht bier, am Außern Rand.
Titus, nit dem Ruhm, — dem Frieden
Bauteft du dein Heiligthum ;
Do dir ward, was du vermieden:
Jeder Stein ſpricht deinen Ruhm.
Auch den Frieden in dem Munde
Ging ein Andrer drauf ind Haus;
Doh der Frieden z0g zur Stunde
Aus dem Friedendtempel aus.
Curia, die aus ihren Thoren
Krieg der Welt und Yrieden ließ,
Harrſt du deiner Senatoren?
Einer doch ift dir gewiß. ?
Sieh ihn ftehn dort an den Stufen
Bei vem Mann im Prieſterkleid;
ı Konftantin.
2 Den Titel Ecnator trug Bis vor Aurym der erfie Aunicipalbeamte
Roms, welcher bei feicrlichen Gelegenheiten in reigem Staate zu erſcheinen
pflegte.
24
Gedichte,
Sieh, er fümmt, wird er gerufen,
Und er gebt, wenn man gebeut.
Sieh des Purpurs reiche Falten !
Majeftätifch fteht er da! —
Ja, du ſuchſt nad deinen Alten?
Schließ die Pforten, Curia !
Unten ſuch', die unten wohnen,
Wir find oben leiht und froh;
Rom bat nur no Ciceronen,
Aber feinen Cicero.
Hat der Bruder did erſtochen,
Remus mit dem weichen Sinn?
Sieh vom Schidfal die gerochen:
Er, fein Reih, gleih dir dahin! —
Dort in feines Tempels Hallen,
Wie in deinem, Mönde-Zug:
Horh, des Küfterd Glödlein ſchallen!
Dünkt dje Rache dir genug?
. Roma, Venus — Schönheit, Stärke:
Pulſe ihr der alten Welt,
Hier in Mitte eurer Werte
Euer Tempel aufgeftellt.
In Ruinen Schönheitsprangen?
Kraft in Trümmern, want und ſchwach? —
Mas ihr zeugtet, ift vergangen,
Folget euren Kindern nad.
Dort der Bogen, Klein und enge,
Schwach geitügt und ſchwer verletzt;
Wem von all der Helden Menge
Ward ſo ärmlich Mal geſetzt?
Titus? O, ſo laßt es fallen,
Denn ob's auch zuſammenbricht,
I. Leben und Lieben. 25
So lang Menſchenherzen wallen,
Brauchſt du, Zitus, Steine nicht!
Hoch vor allen fei verkläret,
Konftantin, dein Siegespom !
Mancher hat mandy Reich zerftöret,
Aber du das größte — Rom.
Ueber Roma’3 Heldentrümmern
Hobjt du deiner Kirche Thron;
In der Kirche magſt du fhimmern,
Die Geſchichte Spricht dir Hohn!
Mit dem Raub von Trajand Ehren
Haft du plump dein Wert behängt;
Zrajan kann des Schmucks entbehren,
Gr lebt ewig unverbrängt.
Aber eine Zeit wird kommen,
Da zetftäubt geraubte Bier,
Da erborgter Schein verglommen; —
Was fpriht, Heuchler, dann von dir?
Coloſſeum, Rieſenſchatten
Von der Vorwelt Machtkoloß!
Liegſt du da in Todsermatten,
Selber noch im Sterben groß?
Und damit verhöhnt, zerfchlagen
Du den Martertop erwarbit,
Mußteſt du das Kreuz no tragen,
An dem, Herrlihes, du ftarbft!
Thut e3 weg, dieß heil'ge Zeichen,
Ale Welt gehört ja dir;
Uebrall, nur bei diefen Leichen,
Uebrall ftehe, nur nit hier! —
Wenn ein Stamm fi losgerifien
Und den Bater mir erfhlug,
26 Gedichte.
Soll ih wohl das Werkzeug Tüffen,
Wenn's auch Gottes Zeihen trug?
Coloſſeum, die dich bauten,
Die jih freuten um dich ber,
Sprachen in befannten Lauten,
Dih verftanden — find nicht mehr!
Deine Größe ift gefallen,
Und die Großen find’3 mit ihr,
Eingeftürzt find deine Hallen,
Eingebrochen deine Bier.
D! fo ſtürz' denn ganz zufammen,
Und ihre Andern ftürzet nad,
Dedet — Erbe, Fluthen, Flammen,
Ihre Größe, ihre Schmad !
Hauch’ ihn aus, ven legten Odem,
Niefige Vergangenheit !
Flach dahin, auf flahem Boden
Geh die neue flache Zeit!
Abſchied von Gaftein.
(26. Juli 1819.)
Die Trennungsftunde fehlägt, und ih muß foheiben;
So leb' denn wohl, mein freundlidhes Gaftein !
Du Tröfterin jo mancher bittern Leiden,
Auch meine Leiden Tullteft du mir ein.
Mas Gott mir gab, worum fie mich beneiben,
Und was der Duell doch ift von meiner Bein,
Der Qualen Grund, von Wenigen ermeffen,
Du ließeſt mich's auf kurze Zeit vergeflen.
I. Leben und Lieben. 97
Denn wie der Baum, auf ven ber: Blit gefallen,
Mit einem Male ftrahleno fich verklärt, -
Rings börft du der Verwundrung Auf erfchallen,
Und jedes Aug’ ift ftaunend hingefehrt;
Indeß in biefer Flammen glühndem Wallen
Des Stammes Mark und Leben fich verzehrt,
Der, wie die Lohe fteigt vom glühnden Herde,
Um deſto tiefer niederſinkt zur Erbe;
Und wie die Perlen, die die Schönheit ſchmücken,
Des Waflerreiches wafjerhelle Bier,
Den Finder, nicht die Geberin beglüden,
Das freudenlofe, ftile Mufchelthier ;
Denn Krankheit nur und langer Schmerz entprüden
Das heißgeſuchte, traur’ge Kleinod ihr,
Und was euch fo entzüdt mit feinen Strahlen,
Es ward erzeugt in Todesnoth und Qualen;
Und mie der Waflerfall, deß lautes Wogen
Die Gegend füllt mit Nebel und Getos,
Auf feinem Bufen ruht der Regenbogen,
Und Diamanten fhütteln rings ſich los;
Er wäre gern im ftillen Thal gezogen
Gleih feinen Brüdern in der Wiefen Schooß,
Die Klippen, die fih ihm entgegenfeßen,
Verſchönen ihn, indem fie ihn verlegen:
Der Dichter fo; wenn aud vom Glüd getragen,
Umjubelt von de3 Beifall lautem Schall,
Er ift der welfe Baum, vom Blig gefchlagen,
Das arme Muſchelthier,“ der Waſſerfall;
Was ihr für Lieder haltet, es ſind Klagen,
Geſprochen in ein freudenleeres All,
Und Flammen, Perlen, Schmuck, die euch umſchweben,
Gelöste Theile ſind's won feinem Leben.
— — — — —
28
Gedichte.
Die tragiſche Muſe.!
Gerbſt 1819.
Halt ein, Unſelige! Halt ein!
Wohin verlockſt du mich?
Ueber Berge bin ich gekommen,
Durch Schlünde dir gefolgt;
Kein Pfad iſt, wo ich trete, keine Spur;
Fern herauf tönt der Menſchen Stimme,
Tönt der Heerden fröhliches Geläut
Und des Waldbachs Rauſchen;
Ringsum Klippen, wolfennahe Klippen,
Ueber mir Duft und Nebel,
Lügend Geftalten !
Was willft du? Steh und rede! —
An deiner Seite ein Weib
Gräulichen Anblid3:
Schwarz flattern die Haare,
Schwarz funkeln die Augen,
Schwarz das Gewand — Blut!
Blut an ihrem Gewande,
An dem Dolch, den fie züdt!
Zwei Kinder tobt zu ihren Füßen,
Und ein Greis und ein YJüngling,
Im Todeskampf verzerrend
Verwandte, aͤhnliche Züge;
Um die Schultern aber glänzt es —
Ein Vlieg — ein golvftrahlendes Vließ! —
Medea! —
Hebe dich weg, Entjegliche!
Kinder, Bruders, Batermörderin !
1 Bor Vollendung der „Meben” gedichtet.
I. Leben und Lieben. 29
Was iſt mir gemein mit dir?
Den Vater hab’ ich Tindlich geehrt,
Und als die Mutter ftarb,
Floßen fromme Thränen
Ihr nah ins unerwünfchte Grab. —
- Was hab’ ich gemein mit dir?
Mir ſchaudert. Geh! —
Und auch du, die mich hergelodt
Durh die Leier in deinem Arm
Und den Kranz, den bu trägit,
Vom immergrünen Laub, das mid lodt,
Hebe dich weg und laß mid,
Daß ih, den Rückweg juchend,
Heimfehre zu den Meinen.
Aber du jhauft mih an
Mit vem Auge, ftreng zugleih und innig,
Mit dem ſeelenbindenden Blid,
Der ſchon dem keimenden Knaben
Das Spielzeug wand aus den Händen
Und, 'ablodend vom Kreis der Gefährten,
In einfieblerifhe Stil! ihn bannend,
Das Gefhid der Könige
Und der Welt ungelöste, ewige Räthfel
Ihm gab zum ahnungSvollen, ernften Spiel.
Du ſchauſt mid an, und willſt nicht gehn?
Winkſt mir, zu folgen dir und der Gefährtin,
Medeen mit dem gräßlihen Blick?
Du nimmft den Kranz vom duftenden Haar
Und jeteft ihn aufs Haupt der Entſetzlichen?
Mir den Schmuck, den Iohnenden Ehmud! —
Du lädhelft und wintft?
Folgen fol ih, dann jei gewährt? —
=
Dis Eh ir er Erin ya ee Sie.
Sr im ur Ver ve So
Adimsm = we m ammeı
Siate wir wär. u ——
“u nm. dd e BI.
Babe vice Bid wa Vhe Zörcen,
Kerry sein balıch Auziht!
Bu lass 105 Sbeiten wir eriämeren,
Zah mi erigaren fax ws misı!
Arm wife, wenn bu mic mwiclungen,
Umidlanzie vu leinen freien Dann;
are Abaen weine Kuldigungen,
&r hf belegt mit Acht und Bann.
Are Aırflin, der die Welt zu eigen,
A Allen hulvigt, was da lebt,
Bor ver fih alle Wefen beugen,
hab I; im Wahnſinn wiberftrebt.
lt Ihrer Schwelter, finnvertwirret,
de ohne Helmath, ohne Haus
Auch Erb’ und Luft und Wellen irret,
Dog Id In wilder Jagd hinaus,
L Leben uud Lichen
3m Mondenglan;, auf flühr'gem Fuße
Schlang id mit ihr den Geifterreihn,
Und alles Wirklichen Genufje
Entſagr id um ten holden Schein
Ta jprad tie Fürftin zormentglommen:
„Verſchmähſt du jo, was ich dir bet?
So ja’3 auf immer dir genommen,
Du vogeljrei bis an den Tod!
„Son Wunſch zu Wunſch in ew’ger Kette
Und rajtlos, wie du bift, fo bleib!
Tir fei kein Haus und feine Stätte,
Kein Freund, kein Bruder und fein Weib!
„Ein Büttel aber beigegeben:
Um did, in dir, laß er dich nie,
Er peitidhe raftlos dich durchs Leben,
Der wilde Dämon Bhantafie! —
„Er heiße dich nad Allem faſſen,
Was irdiſch ſchon, mit raſchem Geiz;
Doch, hältſt du's, müſſeſt du es haſſen,
Und Mängel ſieh in jedem Reiz!
„Verdammet, Schatten nachzujagen,
Buhl' doch um Augenblickes Kuß;
Es fehle Kraft dir zum Entſagen
Und Selbſtbegrenzung zum Genuß!
„Die Sprache will ich dir verwandeln,
Dein Hörer ſei der Mißverſtand;
Mißlingen ſei mit deinem Handeln,
Entzweit auf immer Kopf und Hand!
81
32
1 Des erfigebornen Töchterchens Ferdinands v. Paumgarten, eines
Coufins des Dichters, daB Kind, geboren am 1. November 1818, ftarb
fon am 22. April 1822.
Gedichte.
„Die dich liebt, flieh! vie du begehret,
Sie ſchaudere zurüd vor dir,
Und fagt fie Ja, bat fie gewähret,
So tödt’ ihr Ja dir die Begier.
„Und daß der legte Zroft verfaget,
Verewigt Rache fei und Leid,
Sp zweifle Der, dem du's gellaget,
An deines Leidend Wirklichkeit!
„Sieb bin, um all dein Glüd betrogen,
Und buhl' um meiner Schweiter Gunft:
Gieh, was das Leben dir entzogen,
Ob dir's erfegen kann die Kunſt!“ —
Da fiel's mih an mit Nachtgewalten,
Und Wahrheit war es, was ſie ſprach;
Das Herz im Bufen mir gefpalt
Und jener innre Dränger wach.
Seitdem im’ ih verbannt, alleine,
Betrüge Andre, jo wie mid;
Du aber, armed Weib, bemweine,
Den du verloren, ewiglich!
— nn an nn
An der Wiege eines. Kindes. !
Da liegt fie, eingehüllt,
Die hülfloje Kleine!
Eine Blume an Schönheit
Und an Bemwußtlofigfeit, daß fie fchön.
1. Leben und Lieben. 33
res Blatt die Seele;
inne Griffel ohne Führer;
erſtand ein Schreiber, tief im Schlaf.
Jeift rief noch: es werde Licht!
der dunfeln Urnadt;
Nenſch⸗ und Thierheit ftreiten,
jie gehört.
ihelt!! — Warum?
veint! — Weßwegen?
bt fie weinen, lächeln ohne Grund;
diefe Kunft ihr mit ing Leben!
seite Grund zum Frohfinn ift der Frohſinn,
mög’ auch fünftig, wenn fie weint,
a3 Bewußtſein fagen ihr, warum.
rein die Stirn ſich hebt,
Wangen ftrogend leuchten,
Unterlippe, wie zum Kuß geformt,
NRofenblatt, fih ſchwellend wölbt,
Oberlippchen zierlich überrandet,
Wang' und Kinn mit ihren Grübchen
ſtrengen Schönheit fügen ſüßen Reiz.
biſt ſchön, o Kleine,
wirſt es mehr noch ſein, wenn nicht mehr klein!
mir gegrüßt, Geſegnete der Götter!
n, wahrlich, Schönheit iſt der Götter Segen!
ausgefhieden fein vom Niedern und Gemeine,
Fuß der Himmelgleiter hingeftellt,
von der Erde aufiteigt zu den Göttern,
, einen ew’gen Mahner an der Geite,
leiſe ruft: Zerftör mich nicht!
3 Schöne, es iſt gut, und ſchön das Gute!
illparzer, WVerle. |. 3
32
Gedichte.
„Die dich liebt, flieh! die du begehret,
Sie ſchaudere zurück vor dir,
Und ſagt fie Ja, bat fie gewähret,
So tödt' ihr Ya dir die Begier.
„Mnd daß der letzte Troſt verfaget,
Verewigt Rache fei und Leid,
So zweifle Der, dem du's geflaget,
An deines Leidens Wirklichkeit!
„Sieh hin, um all dein Glüd betrogen,
Und buhl um meiner Schweiter Gunft;
Sieh, was das Leben dir entzogen,
Ob dir's erfegen kann die Kunſt!“ —
Da field mid an mit Nachtgewalten,
Und Wahrheit war es, was fie ſprach;
Das Herz im Bufen mir gefpalten
Und jener innre Dränger wadı.
Seitdem im’ ich verbannt, alleine, \
Betrüge Andre, fo wie mid; \
Du aber, armed Weib, bemeine,
Den du verloren, emwiglich!
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An der Wiege eines. Kindes. !
Da liegt fie, eingehüllt,
Die hülflofe Kleine!
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Und an Bemwußtlofigfeit, daß fie ſchön.
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iß der Himmelgleiter hingeftellt,
n der Erde auffteigt zu den Göttern,
nen ew'gen Mahner an der Geite,
fe ruft: Zerſtör' mich nit!
höne, es ift gut, und ſchön das Gute!
oO
parzer, Berta 1. 5
THE UNIVERSITY OF MICHICAN LIBRARIES
30
Gedichte,
Mein Wefen hat fein Schild gen folhe Waffen,
Sie haften, deine Pfeile, in der Bruft!
Bollendet fei, was du begonnen!
Winke nicht mehr, du haft mid gewonnen!
Geh voran, ich folge dir!
— — — — —
Der Bann.
(Spätherbft 1819.)
Leb' wohl, Geliebte! ih muß ſcheiden,
Es treibt mid fort in Angft und Qual,
Fort won der, Wohnjtatt meiner Freuden,
Fort von dem Weibe meiner Wahl.
Nicht diefer Blid und dieſe Zähren,
Verbirg dein holdes Angeſicht!
Du kannſt das Scheiden mir erſchweren,
Doch mir erſparen kannſt du's nicht!
Denn wiſſe, wenn du mich umſchlungen,
Umſchlangſt du keinen freien Mann;
Der Abgott deiner Huldigungen,
Er iſt belegt mit Acht und Bann.
Der Fürſtin, der die Welt zu eigen,
Der Alles huldigt, was da lebt,
Vor der ſich alle Weſen beugen,
Hab' ich im Wahnſinn widerſtrebt.
Mit ihrer Schweſter, ſinnverwirret,
Die ohne Heimath, ohne Haus
Durch Erd' und Luft und Wellen irret,
Zog ich in wilder Jagd hinaus.
1.” Leben und Lieben, 81
Im Mondenglanz, auf flücht'gem Fuße
Schlang ich mit ihr den Geiſterreihn,
Und alles Wirklichen Genuſſe
Entſagt' ich um den holden Schein.
Da ſprach die Fürſtin zornentglommen:
„Verſchmähſt du ſo, was ich dir bot?
So ſei's auf immer dir genommen,
Du vogelfrei bis an den Tod!
„Don Wunſch zu Wunſch in ew'ger Kette
Und raftlos, wie du bift, fo bleib!
Dir fei fein Haus und feine Stätte,
Kein Freund, kein Bruder und kein Weib!
„Sin Büttel aber beigegeben:
Um di, in dir, laß er dich nie,
Er peitſche raſtlos dich durchs Leben,
Der wilde Dämon Phantaſie! —
„Er heiße dich nach Allem faſſen,
Was irdifh ſchön, mit raſchem Geiz;
Doch, hältft du's, müfleft du es haſſen,
Und Mängel ſieh in jedem Reiz!
„Derdammet, Schatten nahzujagen,
Buhl’ doch um Augenblides Kup;
Es fehle Kraft dir zum Entjagen
Und Selbftbegrenzung zum Genuß!
„Die Sprache will ih dir verwandeln,
Dein Hörer fei der Mißverſtand;
Miplingen fei mit deinem Handeln,
Entzweit auf immer Kopf und Hand!
32 Gedichte.
„Die dich liebt, flieh! die du begehret,
Sie ſchaudere zurüd vor dir,
Und fagt fie Sa, bat fie gewähret,
So tödt' ihr Ya dir die Begier.
„Und daß der legte Zroft verfaget,
Verewigt Rache fei und Leid,
So zweifle Der, dem du's gellaget,
An deines Leidens Wirklichkeit!
„Sieh bin, um all dein Glück betrogen,
Und buhl' um meiner Schweiter Gunft;
Sieh, was das Leben dir entzogen,
Ob dir's erſetzen kann die Kunſt!“ —
Da fiel's mich an mit Nachtgewalten,
Und Wahrheit war es, was ſie ſprach;
Das Herz im Buſen mir geſpalten
Und jener innre Dränger wach.
Seitdem ir’ ich verbannt, alleine,
Betrüge Andre, fo wie mid;
Du aber, armes Weib, beweine,
Den du verloren, ewiglich!
— — — — —26 ..- .—
An der Wiege eines. Kindes. !
Da liegt fie, eingehüllt,
Die hülflofe Kleine!
Eine Blume an Schönheit
Und an Bemwußtlofigfeit, daß fie ſchön.
1 Des erfigebornen Töchterchens Yerbinands v. Paumgarten, eines
Couſins des Dichters; das Kind, geboren am 1. November 1818, flarb
fon am 22. April 1822.
1. Leben und Lieben. 33
Gin leeres Blatt die Seele;
Die Sinne Griffel ohne Führer;
Der Berftand ein Schreiber, tief im Schlaf.
Kein Geift rief noch: es werde Licht!
Ueber ver dunkeln Urnadt;
Und Menſch⸗ und Thierheit ftreiten,
Wem fie gehört.
Sie lächelt! — Warım?
Sie weint! — Weßwegen?
D, laßt fie weinen, lächeln ohne Grund;
Gebt diefe Kunft ihr mit ins Leben!
Der beſte Grund zum Frohſinn ift der Frohfinn,
Und mög’ auch künftig, wenn fie weint,
Nie das Bewußtſein jagen ihr, warum.
Wie rein die Stirn fi hebt,
Die Wangen ftrogend leuchten,
Die Unterlippe, wie zum Kuß geformt,
Ein Rofenblatt, fi ſchwellend mwölbt,
Vom DOberlippchen zierlich überrandet,
Und Wang’ und Kinn mit ihren Grübchen
Zur ftrengen Schönheit fügen fügen Reiz.
Du bift Schön, o Kleine,
Und wirft es mehr noch fein, wenn nit mehr Klein!
Set mir gegrüßt, Gefegnete der Götter!
Denn, wahrlih, Schönheit ift der Götter Segen!
So ausgejhieden fein vom Nievern und Gemeinen,
Am Fuß der Himmelsleiter hingeftellt,
Die von der Erde auffteigt zu den Göttern,
Und einen ew’gen Mahner an der Seite,
Der leife ruft: Zerſtör' mich nicht!
Das Schöne, es ift gut, und ſchön das Gute!
Grilfparzer, Reto 1, 3
34
Gerichte.
Und fo wirft du auch gut fein, gut wie ſchön,
Und flug, wie Beides, und verftändig.
Des Vaters Aug’ in deiner Haren Stirn,
Es wird von Recht einft ſprechen, wie in feiner;
Der Mutter Mund ob deinem weichen Kinn,
Er wird von Geift ertünen, wie bei ihr,
Und feſter Sinn wird thronen in den Brauen.
Was lähelft du? als hätteft du vernommen
Der allzurafhen Lippe weihend Lob?
Ich fage dir, die Güte, die dich fhmüdt,
Sie wird dir einft der Thränen mehr entpreflen,
Als die Vergebung weinet und der Schmerz;
Und des Verſtandes Fadel wird dir leuchten
Da, wo du mwünfcteft, lieber blind zu fein,
Und fpotten werben bein die andern Blinden.
Doh immerhin! laß beide Strahlen,
Crwärmend und erleudhtend für und für!
Thu bir genug, fo thuft du's auch der Welt,
Und fo geh ruhig deinen ftilen Pfad!
Und wenn du einft am Rande deiner Bahn,
Gebettet in der Schwachheit Schaufelwiege
Und eingewidelt in des Alter3 Binden,
Zum zweiten Mal ein Kind, ftilathmend rubft,
Sp gebe gnädig dir ein güt’ger Gott,
Daß auch du lächeln könneſt dann, wie jet,
Dem Eintritt in ein noch verhülltes Leben !
Am Hügel.
(Gaſtein 1820.)
D Hügel! fanft von Steinen aufgeſchichtet,
Die faftig Gras und Alpenmoos umzieht,
I. Leben und Lieben. 35
Bon deinem Haupt ein Baum emporgerihtet,
An dem die Vogelbeere röthlih glüht;
Indeß am Fuß in buntgemifchter Reihe
Der Schwarzbeer’ dunkle Frucht und helles Kraut,
Hoch überragt von Weidrichs Veilchenbläue,
Dir einen Thron, ſich eine Freiftatt baut:
Wie ſchön blidft du herab von deiner Höhe,
Wie würdig ftellft du di dem Auge bar!
Der Wandrer fteht entzüdt in deiner Nähe
Und ſucht beinah nah Weihort und Altar.
Gewiß auch, rollten noch die ftillen Zeiten,
Da unentzweit der Gott und die Natur,
Ein Schuggott würde hier fih Sit bereiten,
Mo Gräfer jest, hülflojfe Blumen nur.
Doch da ih Solches kaum gewagt zu denken,
Straft Lügen mid ein ſchauerndes Gefühl, —
Sch fühle Geifter ſich herniederſenken
Und mich umlifpeln in der Winde Spiel.
Erinnrung kommt, der ftillvertraute Zeuge
Bon Dem, was einft dad Glüd mir hier verlieh,
Und, wie gefhloßnen Augs ich mich hinüberbeuge,
An ihrer Hand die Poefie.
Abfdjied.
(Gaſtein 1. Auguft 1820.)
Wie wird mir denn fo weh und bang,
Seht, da du fcheiden mußt?
Hab’ dich gejehen Tage lang,
Und ftil war meine Bruft. -
ı An Frau Sofephine v. Verhovit.
36
Gedichte.
Hab' dich geſehen Wochen lang,
Und ruhig war mein Herz;
Jetzt, da des Scheidens Zeichen klang,
Woher jetzt dieſer Schmerz?
O Frau, zu der mein Abſchied ruft,
Voll ſtillem, frommem Sinn,
So heiter, wie die heitre Luft,
Gleichſt auch der Luft darin,
Daß ihren Segen man kaum ſpürt,
Wenn Tag auf Tag entflieht,
Doch ſchaudernd deſſen inne wird,
Sobald ſie ſich entzieht?
O Frau! du wareſt Mutter mir
— Die meine ſchlummert tief —
Dein mahnend Wort kam wie von ihr,
Dein Ruf war, wie ſie rief.
O Frau! du warſt die Schweſter mein:
Zwar Schweſtern hatt' ich nie,
Doch malte mir's ſo lieb und fein
Gefühl und Phantaſie:
In Andern ſeiner ſich zu freun
Und Anderer in ſich,
Zu Zweien, und doch Eins zu ſein,
Verbunden inniglich.
O Frau! du haft mich wohl gelehrt,
Was eine Gattin fei,
Wie viel ein holdes Weſen werth,
Das lieb und gut und treu.
Du zeigteft mir das ſchöne Bild;
Das Gegenbild dazu,
Wo find’ ich es fo lieb und mild?
Wer ift es, da nicht du?
I. Leben und Lieben. 37
Du Tehrft zum Gatten nun zurüd,
Zum eignen Haufedhalt;
Da findeft du genügend Glüd,
Vergißſt wohl meiner bald.
Ich aber, Frau! ich hab’ fein Haus,
Kein Band, das Liebe flidht;
Die Mutter trugen fie hinaus,
Und Schweftern kannt’ ih nid.
Mir bleibt wohl feine andre Wahl,
Muß denken fpät und früh, —
Gott jegne dich zu taufendmal!
Frau! dein vergeſſ' ich nie!
Grinnrung an bein ftilleg Thun,
An Al, was ich gejehn,
Soll über meinem Haupte ruhn,
Soll fühlend mi ummehn.
Und wird zu heiß des Tages Pein,
Der Lebensfonne Stich,
So den?’ ih athmend an Gaftein,
Du Freundliche! und — did!
Der Genefene,
(1820.)
Sept, da ich's beitanden habe,
Leuchtet mir's erft deutlich ein:
Krankheit, du bift Gottes Gabe!
Er foll drum gepriefen fein!
38
Gedichte.
Wie der Menſch dich ſchwer befämpfe,
Doch im Ringen allzumal
Löſen ſich der Seele Krämpfe,
Innrer Schmerz in äußre Qual.
Beſſerſt an der Menſchheit Bilde,
Scharfe Züge mäßigſt du:
War ſonſt rauh, jetzt bin ich milde,
Unſtät ſonſt, und jetzt in Ruh.
Auch die Andern, die da kamen,
Waren alle gut und weich,
Weil ſie mich als Gleichen nahmen:
Gleiches Leiden macht ja gleich.
Ob man ſonſt nach Fernem jage,
Setzeſt du ein näher Ziel,
Mahft den Tag zum Ziel dem Tage,
Eine ruh'ge Naht ſcheint viel.
Und der Wunſch übt in Beſchwerden
Ans Gebiß den ftolen Mund;
Frage niht: was foll ih werben?
Bin ich jetzo doch gefund.
Das Gemüth, verftocdt, verquollen
Bon jo Manchem, das es trug,
Deffnet ſich wie Ader3 Schollen,
Aufgelodert durch den Pflug;
Und als ob der Lenz erwache
AU mit feiner Freuden Chor,
Zreibt es nad der langen Brache
Grüne Spiten neu hervor.
Mie ift al mein Innres offen!
Wie verdoppelt jeder Sinn!
Nahbild hat das Bild getroffen,
Jeder Augenblid Gewinn! '
I. Leben und Lieben. 30
Was ih leſe, ſeh' ich ftehen;
Was ich höre, wird ein Bild;
Was ich fpreche, wird geſchehen;
Was ih wünſche, wird erfüllt.
Mit der Welt in tiefem Frieden
. Und in Frieden auch mit mir,
Danf ih Dem, der mir's beichieden,
Sich geoffenbaret hier.
Und erquidt von all der Labe,
Ruf ih froh im Sonnenfdein:
Krankheit auch ift Gottes Gabe,
Er jol drum gepriefen fein!
Decemberlied.
Harter Winter, ftreng und raud,
Winter, fei willlommen !
Nimmft du viel, fo gibft du aud,
Das heißt nicht? genommen.
Zwar am Aeußern übjt du Raub,
Zier fcheint dir geringe,
Eis dein Schmud, und fallend Laub
Deine Schmetterlinge;
Rabe deine Nachtigall,
Schnee dein Blüthenjtäuben,
Deine Blumen traurig all
Auf gefrornen Scheiben.
Doh der Raub der Formenmelt
Kleidet das Gemüthe,
Wenn die äußere zerfällt,
Zreibt das Innre Blüthe.
40
Gedichte.
Die Gedanken, die der Mai
Locket in die Weite,
Flattern heimwärts kaͤlteſcheu
Zu der Feuerſeite.
Sammlung, jene Götterbraut,
Mutter alles Großen,
Steigt herab auf deinen Laut,
Segenübergoſſen.
Und der Buſen fühlt ihr Wehn,
Hebt ſich ihr entgegen,
Läßt in Keim und Knoſpen ſehn,
Was ſonſt wüſt gelegen.
Wer denn heißt dich Würger nur?
Du flichtſt Lebenskränze,
Und die Winter der Natur
Sind der Geiſter Lenze.
Als ſie, zuhörend, am Klaviere ſaß.
(März 1821.)
Still faß fie da, die Lieblichſte von Allen,
Aufhorchend, ohne Tadel, ohne Lob;
Das dunkle Tu war von der Bruft gefallen,
Die, nur vom Kleid bevedt, ſich athmend hob;
Das Haupt gefentt, ven Leib nach vorn gebogen,
Wie von den fliehnden Tönen nachgezogen.
Nenn’ ih fie ſchön? Sit Schönheit dod ein Bild,
Das felbft ih malt und nur ſich felbit bebeutet;
Doch Höheres aus diefen Zügen quillt,
Die, wie die Züge einer Schrift verbreitet,
I. Leben und Lieben.
An fi oft bilolos, unſcheinbare Zeichen,
Doch himmliſch durch den Sinn, den fie erreichen,
Sp ſaß fie da; das Regen nur der Wangen
Mit ihren zarten Muskeln, rund und weid,
Der Wimpern Zuden, die da3 Aug’ umbangen,
Der Lippen Spiel, die, Burpurläpchen gleich,
Den Schag von Perlen hüllen jegt, nun zeigen,
Berrietb Gefühl, von dem die Worte ſchweigen.
Und wie die Töne braufend fi verwirren,
In ftetem Kampfe, ftet3 nur halb verjöhnt,
Sept Hagen, wie verflogne Tauben girren,
Sept ftürmen, wie der Gang der Wetter dröhnt:
Sah ih ihr Luft und Qual im Antlip kriegen,
Und jeder Ton ward Bild in ihren Zügen.
Mitleivdend wollt’ ih fhon zum Künſtler rufen:
„Halt ein! Warum zermalmft du ihre Bruſt?“
Da war erreiht die jchneitentite der Etufen,
Der Ton des Echmerzes ward zum Ton der Luft,
Und wie Neptun, vor tem tie Stürme flogen,
Hob ſich ver Treillang ebnend aus ten Weogen.
Und wie die Eomae Heist, tie Sttablen dringen
Durch ter zerivserzten Beiter dunkle Ritt,
So ging ihr Hız, au tem uch Trexrien Size,
Hellglänzend auf ix isıuenzleiiter Lcacht;
Ein leites ZE! zur sem iger Diumze,
Sah, wie nach Maögeſaßl, ñe ta vie Rute,
Ta trieb’3 md ni’: mer fl es Sirzr,
Bas mid ion Mast benes-, nur men Ya fürs
Dech Re Elf Jer; er Kurier aübe zu Türe,
Befiehlt ihr ner ihbwicht jens 1a Jen Mi:
Und wieder ses‘ bh Intern ñe äch veger,
Ur wieger mug d Tger, wei braaen,
al
’
Ka
“2
Gedichte.
Allgegenwart.
(1621.)
Wo ih bin, fen und nah,
Eteben zwei Augen da,
Dunkelhell,
Blitzesſchnell,
Schimmernd wie Felſenquell
Schattenumgrenzt.
Wer in die Sonne ſieht,
Weiß es, wie mir geſchieht;
Schließt er das Auge ſein,
Schwarz und klein
Sieht er zwei Pünktelein
Uebrall vor ſich.
So auch mir immerdar
Zeigt ſich dieß Augenpaar,
Wachend in Buſch und Feld,
Nachts, wenn mich Schlaf befaällt;
Nichts in der ganzen Welt
Hüllt mir es ein.
Gerne beſchrieb' ich ſie,
Doch ihr verſtündet's nie;
Tag und Nacht,
Ernſt, der lacht,
Waſſers und Feuers Macht
Sind hier in Eins gebracht,
Lächeln mich an.
Abends, wenn's daͤmmert noch,
Steig' ich vier Treppen hoch,
Poch' ans Thor:
Streckt ſich ein Hälslein vor,
I. Leben und Lieben.
Wangen rund,
Purpurmund,
Nähtig Haar,
Stirne "Har,
Drunter mein Augenpaar! ..
Dans Spiegelbild.
Ich Tag in grünem Laubgezelt,
Die Stirn in heißer Hand,
Verbaut von Zweigen Flur und Feld,
An eines Brunnenz Rand.
Und als ih, jo am Rand gelegt,
Mein Bild im Quell gewahrt’,
Fühlt' ich mich wunderbar bewegt,
Vergaß des Waſſers Art
Und rief: „So hegeft du mein Bild,
Du Wefen, ftill und rein;
Des Herzend Sehnen, ungeftillt,
Soll drum dein eigen jein.
„An deinem Ufer will ih ruhn,
Wil mir ein Laubvah baun,
Matt von de Lebens Mühn und Thun,
In deine Wellen ſchaun.“
Da, neben meinem, in dem Duell
Gewahr' ih noch ein Haupt;
Es iſt mein Freund, erfenn’ ich ſchnell,
Den ich entfernt geglaubt.
43
46
Gedichte.
Incubus.
(1822.)
Fragſt du mich, wie er heißt,
Jener finſtere Geiſt,
Der meine Bruſt hat zum Reich,
Davon ich ſo düſter und bleich?
Unfried iſt er genennt,
Weil er den Frieden nicht kennt,
Weil er den Frieden nicht gönnt
Jemals der Bruſt, wo er brennt.
Der hat im Buſen ſein Reich,
Der macht mich düſter und bleich,
Der läßt mir nimmermehr Raſt,
Seit er mich einmal gefaßt.
Schau' ich zum Himmel empor,
Lagert er brütend ſich vor,
Zeiget mir Wolken zur Hand,
Wolken — und keinen Beſtand.
Alles der Menſchen Gewühl
Nennt er Getrieb ohne Ziel;
Ob ich's auch anders gewußt,
Schweigt er das Haupt durch die Bruſt.
Flücht' ich zu ihr, die mein Glück,
Tadellos jeglichem Blick:
Er findet Tadel mir auf,
Wär's aus der Hölle herauf.
Und auf den Punkt, den er meint,
Hält er die Lichter vereint,
Daß ed dem Aug’ nit entging’,
Wenn es auch Blindheit umfing':
I. Leben und Lieben. 47
Lacht fie — fo nennt er fie leicht,
Meint fie — von Schuld wohl ermeidt,
Sprit fie — in heuchelndem Muth,
Schmeigt fie — voll anderer Gluth.
Und mwenn’3 mir einmal gelang,
Durchzubrechen den Drang,
Frei, mit des Geiſtes Gewalt,
Durch big zu Licht und Geftalt;
Unter der Hand es fich bildet und hebt,
Lebendiges Leben das Todte belebt,
Und es nun dafteht, ein athmendes Bild,
Vom Geifte des AU und des Bildners erfüllt;
Da ftiehlt er hinein fih mit liſt'gem Bemerk
Und grinfet mih an aus dem eigenen Werk:
„Bin's, Meifter! nur ih, dem die Wohnung du wölbſt,
Sieh! nichtig dein Werklein und nichtig du jelbft !"
Und ſchaudernd ſeh' ich's, entjetenbethört,
Wie mein eigenes Selbſt gen mich ſich empört,
Verwünſche mein Werk und mich ſelber ins Grab —
Dann folgt er auch dahin wohl quälend hinab?
Entzanberung.
(Jamnitz im October 1823.)
Piſang mit den breiten Blättern,
Chinarofe, blutig roth,
Minden, die um Palmen Klettern,
Cactu3, der mit Pfeilen droht;
Könnt ihr euch um mich vereinen,
Dann bin ih in Indiens Hainen!
45
Gedichte.
Sat ein Zauber mich gebannt
In des Morgens Yabellant ?
Dod nicht lang ſoll Täuſchung währen,
Regen läßt auf Glas ſich hören,
Scharfer Wind fällt ſchneidend ein:
Gin Gewächshaus war mein Hain,
Und mein Indien liegt in Mähren!
Viel· Liebchen.
(1823,)
Zwillingskinder Eines Stengels,
Zweigeſchwiſter Einer Schale,
Liegen wir geſchmiegt beiſammen,
Zwei in Einem, Eins in Zweien,
Als ein Sinnbild wahrer Liebe,
Als Symbol von feſter Treu.
Der du unſre Scale brichſt,
Hüte dich, uns je zu trennen,
Noch zu theilen unjre Hälften!
Oper willit du's doch, in tbeil’ uns
Nie mit Einem, dem du abholp,
Den du möchteſt fliehn hinfürber !
Denn, o wiß es nur, bu Kühner!
Mir, gezeugt in Cinem Schooße
Und aewiegt in Einer Wiege
Und getraut zu Cinem Bette,
Ob man uns aud) theilt und jcheidet,
Suchen ftetS uns zu vereinen.
Aus den Augen, von den Lippen
Deſſen, ter von uns getoitet,
Gedichte.
Hat ein Zauber mid gebannt
An des Morgens Fabelland?
Doch nit lang foll Zäufhung währen,
Negen läßt auf Glas fi hören,
Scharfer Wind fällt fohneidend ein:
Ein Gewächshaus war mein Hain,
Und mein Indien liegt in Mähren!
Diel-Liebrhen.
(1823,)
Smillingstinder Eines Stengels,
Zweigeſchwiſter Einer Schale,
Liegen wir geſchmiegt beiſammen,
Zwei in Einem, Eins in Zweien,
Als ein Sinnbild wahrer Liebe,
Als Symbol von feſter Treu.
Der du unſre Schale brichſt,
Hüte dich, uns je zu trennen,
Noch zu theilen unſre Hälften!
Oder willſt du's doch, ſo theil' uns
Nie mit Einem, dem du abhold,
Den du möchteſt fliehn hinfürder!
Denn, o wiß es nur, du Kühner!
Wir, gezeugt in Einem Schooße
Und gewiegt in Einer Wiege
Und getraut zu Einem Bette,
Ob man uns auch theilt und ſcheidet,
Suchen ſtets uns zu vereinen.
Aus den Augen, von den Lippen
Deſſen, der von uns gekoſtet,
1. Leben und Lieben. 40
Ruft das Eine zu dem Andern:
„Hörit du, Liebhen? Mein Viel-Liebchen!
Komm. und tröfte den Berlaßnen,
Komm und hilf ihm, der verwaist!“
Und das Liebchen hört die Stimme;
Ueber Hügel, über Berge
Zreibt e8 Den, der fie empfangen,
Hin zur jchwergetheilten Hälfte,
Hin zu dem oft längft Vergebnen,
Der die Frucht mit ihm getheilt.
Und da ftehn die beiden Menjchen,
Sehen tief fih in die Augen,
Fühlen mächtig ſich gezogen,
Wiſſen nicht, wie das geſchehn,
Können nimmer fich verlafien,
Müffen fürder einig gehn.
Drum, ihr Fremden, Ungemweihten!
Seht ihr je fih Zwei umfaſſen,
Die die Doppelfrucht getheilet,
Denkt nur, e8 find nicht fie felber,
Nicht die Menſchen, die fich küſſen,
Die Viel⸗Liebchen küſſen ſich.
— — — —
Todeswund.
Schwing dich auf, Adler, zu Mimers Born
Und bring mir zwei Tropfen, daß ich mich labe!
Sonſt war ich rüſtig und ſtark,
In den vorderſten Reihen ſtand ich,
Trat auch wohl vor, als Einzelner,
Zum ringsbewunderten Kampf:
Grillparzer, Werke. 1, 4
Gedichte.
Nun aber lieg’ ih matt und lechzend,
Verwundet vom eignen Schwert,
Und nagend zehrt der Durft an meiner Geele;
Schwing dich auf, Adler, zu Mimerd Born
Und bring mir zwei Tropfen, daß ih mich labe!
An Selene.
1.
(Bei Zurüdftelung des Buches: „Von der Nachfolge Ehrifti“,)
(1824.)
Chriftug folgen? — Wie mich's dränge,
Fruchtet doch mein Streben nichts;
Heimifh nur im Reich der Klänge,
Bin ih fremd im Reich des Lichts.
Meine Augen, wie erreichten
Sie ein Ziel, fo hoch und fern?
Jene Sterne, die dir leuchten,
Blenden meinen trüben Stern. —
Doh hüllt Naht mir Chriftus Pfade,
Klarer find die deinen mir;
Folg' du ihm, ich folge dir:
Dein Weg führt gewiß zur Gnade,
2.
(Als fie ins Klofter ging.)
(1825.)
Das bittere Gefühl, wie arm dieß Leben,
Wie ungenügend ird'ſchen Glüdes Gunft,
Derſelbe Wunſch, das nämliche Beftreben
Gab dich dem Glauben, mich der Kunft.
I. Leben und Lieben. 51
Ob Scheinbar gleich fi unſre Pfade ſcheiden,
Sie gehn aus Einem Punkt in gleiche Fernen, und —
Iſt nur die Welt ein abgeſchloßnes Rund, —
So müſſen irgendwo die Linien ſich ſchneiden.
—
Bitte.
(8. April 1826.)
Schilt mich nicht arbeiticheu und träge,
Weil ich zum Werke fpät mich rege;
Dem Armen gleih’ id ganz und gar,
Der Tonnen Goldes ſchuldig war;
Das Ganze konnt' er ab nicht tragen,
Was ſollt' er fih mit Groſchen plagen?
Stell! einen Jäger au dir vor,
Mit Kugeln Iud er früh fein Rohr
Und geht hinaus ins thauige Feld,
Dem Hirihe nach fein Streben ftellt:
Der Hafe läuft, es fliegt daS Huhn;
Er aber läßt die Arme ruhn;
Bringt nicht den Hirſch fein gutes Glück,
Kehrt ohne Beut' er ſpät zurüd,
Die Andern alle jchwer beladen.
Warum hatt! er nicht Schrot geladen?
Spaziergänge.
1,
Barhesgemurmel.
Erfe Welle,
Nu, nu!
Was willit du?
52
Gedichte.
Zweite Welle.
Hinunter.
Erſte Welle.
Hier iſt mein Platz.
Bweite Welle.
Kann nit fein, Schag!
Erfc Welle.
Ai! Ai! Sie jchlägt mid) !
Mebrige Wellen.
Nu, nu!
Keine Ruh?
Fließen doch alle dem Frieden zu!
2.
Pflanzenwelt.
Das Höchſte it, das Höchſte bleibt
Ein einig fichrer Geift,
Bon außen nicht,
Bon innen nidt,
Durch nicht beengt, was Störung fpridt
Und Unterwerfung beißt.
Denn wie die Pflanze fteht er da
Und faugt in fi den Saft;
Treibt ihn empor
In Halm und Rohr
Und bringt als Blum’ und Frucht hervor
Die Sammlung feiner Kraft.
Die Eiche prangt fo hoch und hehr
Und hebt in blaue Luft
Das edle Haupt,
Bon Kraft umlaubt;
dern ihr, daß ſie beihämt fi glaubt
Dort von der Roſe Duft,
I. Leben und Lieben.
Die Rofe, ftrebend felber auch
Mit freud'gem Sinn empor,
Im Yeierkleib
Gieht ohne Reid
Den Schlehborn fie mit Frucht beftreut
Und duftet nach wie vor.
Und feines will wa3 anders fein,
Als was e3 ward gemadit;
Drum find fie froh
Und haben’ fo
Und wiſſen gleich ihr Was und Wo,
Bei Dammrung, Tag und Nacht,
Du aber, Wandrer, weißt e3 nicht,
Schmeifjt dort und da des Wegs;
Willſt hart und meich,
Willſt gut und reich,
Willſt Frucht und Blume fein zugleich,
Geh bin und überleg’3!
3.
Im Gewächshauſe.
Aloe, Aloe!
Blüheſt ſo ſchön,
Aber nur einmal
In Menſchengedenken.
Aloe!
Wir leben nur eines,
Ein einziges Menſchengedenken.
Wenn die erſte Blüthe vorüber,
Aloe, Aloe!
Wo Zeit für die zweite?
— — — — —
53
54 Gedichte.
Sinnpflanze.
Sieh, wie ſich die Blumen freun!
Alle öffnen ihre Blätter
In der Sonne warmem Strahl;
Du allein nur bleibſt verſchloſſen?
Biſt du fühllos? Freuſt dich nicht? —
„Fühllos nun gerade nicht!
Will mich auch wohl wieder öffnen,
Nur hat mich, eh du gekommen,
Taſtend eine Hand berührt.“
Rechtfertigung.
ALS Antwort auf ein Gedicht E. v. Bauernfelds.
(1827.)
Was ſchiltſt vu mih? Und wenn auch noch fo leise,
Und wenn aud noch fo fhön in Ton und Wort,
Doch ſchiltſt du mich und tabeljt meine Gleife
Und wünſchteſt mich an einen andern Ort.
Allein zugleich fo freundlich ift die Weife,
Daß fie den Geift mir zieht, den Willen fort,
Und, was fonft läftig mir in Red’ und Liedern,
Ich fühle mich gedrängt, dir zu erwiedern.
Es rinnt der Bach, wie ſchlammig die Gejtabe,
Allein der fchöpft, prüft wohl, was er erhält;
Der Waldbaum ftreut den Samen auf die Pfade,
Der Ackersmann ſucht ein gepflügtes Feld;
Der dunkle Trieb ftrebt, daß er fich entlade,
Ein zwingend Muß iſt ihm als Ziel geitellt;
Der Menſchengeiſt in jonnigern Bezirken
Will nicht nur thätig fein, er will bewirken.
I. Leben und. Lieben. 55
Glaubft du, des Liedes Ahr’, der Mäonibe,
Er fang den Winden feine Rhythmen vor?
. Der ihm zunächſt kommt im erhabnen Liebe,
Sah ftill geneigt der Britten ftolzes Ohr;
Und Taſſo'n, Goethe'n, wenn vom Schaffen müde,
Hört zu Amalie, lauſcht Leonor.
Die Welt ift da, weil Menfchen, die fie fehen;
Was Niemand weiß, ift Niemand auch gefcheben.
63 war die Zeit, da noh im Heiligthume
Germania gern den eignen Sohn empfing,
Da Yung und Alt umberftand um die Blume,
Die frifh hervor aus Hölty's Garten ging,
Des Strengen Hand, jo ſchwer erborgtem Ruhme,
Leicht mahnend nur ob Weißens Haupte hing;
Da ver Genuß noch froh war, zu genießen,
Das Aug’ bereit, im Anſchaun zu zerfließen.
Der Groll, die Mißgunſt wagten kaum zu flüſtern,
Nur ſchwach, vereinzelt führten ſie den Streich;
Da ſtieg empor das Paar der Herben, Düſtern,
Zwar Brüder, doch in Einem nur ſich gleich:
Die Erſten ſie der Zweiten, aber lüſtern
Nach Schöpferruhm, der Vorderſten Bereich;
Da alle Tempel Andern ſchon gehören,
Dünkt's ihnen gut, ſtatt bauen, zu zerſtören.
Und Schanzen bilden ſie von luft'gen Worten,
Mißbrauchter Scharfſinn beut die Waffen dar;
Was wahr, beſchränkt auf Zeiten und an Orten,
Wird ausgedehnt und aller Zukunft wahr.
Der Ahnung Lauſchen an der Geiſter Pſorten
Iſt ihnen wie des Dreiecks Winkel klar,
Und was veränderlich wie Wind und Wolke,
Wird feſtgeballt und dargeſtellt dem Volke.
leiſe,
I. Leben und, Lieben. 55
Glaubft du, des Liedes Ahn’, der Mäonide,
Er fang den Winden feine Rhythmen vor?
. Der ihm zunädft fommt im erhabnen Liede,
Sah ftill geneigt der Britten ftolzeg Obr;
Und Taffo'n, Goethern, wenn vom Schaffen müde,
Hört zu Amalie, laufeht Leonor'.
Die Welt ift da, weil Menjchen, die fie fehen;
Was Niemand weiß, ift Niemand auch gejchehen.
Es war die Zeit, da noch im Heiligthume
Germania gern den eignen Sohn empfing,
Da Jung und Alt umberftand um bie Blume,
Die frifh hervor aus Hölty’3 Garten ging,
Des Strengen Hand, jo fehwer erborgtem Ruhme,
Leiht mahnend nur ob Weißens Haupte hing;
Da der Genuß noch froh war, zu genießen,
Das Aug’ bereit, im Anſchaun zu zerfließen.
Der Groll, die Mißgunſt wagten faum zu flüftern,
Nur ſchwach, vereinzelt führten fie den Streich;
Da ftieg empor das Baar der Herben, Düftern,
Zwar Brüder, doch in Einem nur fi glei:
Die Eriten fie der Zweiten, aber lüftern
Nah Schüpferruhm, der Vorderiten Bereich;
Da alle Tempel Andern ſchon gehören,
Dünkt's ihnen gut, ftatt bauen, zu zerſtören.
Und Schanzen bilden fie von luft’gen Worten,
Mißbrauchter Scharffinn beut die Waffen var;
Mas wahr, beiehränft auf Zeiten und an Orten,
Wird ausgedehnt und aller Zukunft wahr.
Der Ahnung Lauſchen an der Geifter Pforten
Sit ihnen wie des Dreieds Winkel Har,
Und was verändberlih wie Wind und Wolfe,
Wird feitgeballt und dargeftellt dem Volke.
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‘ich, Nniticanmen, mılten
v3 http saurer fresipertinumten Hulten!
1. Lehen und Lieben. 57
Doch nit an Muftern ſoll es drum uns fehlen,
Weil eigne Mufter uns ihr Wit geraubt;
Aus von den Großen aller Zeiten wählen
Sie Einzelne, die Alter ſchon beftaubt,
Wo zu ergänzen, fichten, zu erzählen,
Der Preiſende ſich felbit gepriejen glaubt,
Do Raums genug ift zwiſchen breiten Stegen
Für den Erklärer, fih mit brein zu legen.
So fährt der Priefter in demjelben Nachen
Mit feinem Gögen zur Unſterblichkeit. —
Ja, felbit dem formlos Neuen, haltlos Schwachen
Wird noch vielleicht ein dürftig Lob gejtreut,
Wenn nur nicht fertig, wenn noch dran zu machen,
Wenn's lüfter dur die Fugen fchlaff und meit;
Doch weh dem Wert, das, ftreng gefchloßner Seiten, .
Sich jelber ftügt und ausſchließt jeden Zweiten.
So ftrebt das Volt! Was fonjt no mag bebrängen,
Das weißt du felbft, und ih — ich weiß es aud;
Richt darf fih Groll in goldne Lieder mengen,
Schon riß zu weit mid) fort fein ſcharfer Haud.
Und ih will ruhn, nicht wehren den Gefängen,
Doch auch nicht rufen fie nah früherm Brauch.
Man lobt ja, wer der Zeit ſich weiß zu jchiden,
Laß fih den Pöbel an fi ſelbſt erquiden!
— — — —— —
Tırifie er Dextis.
T3Ss—I:iky
1. $sie Stande.
Susetwım, vs rır !: to
Une Hei v& Tut ar?
23° —— +? P:rmı$? R}- rır?
m -
N.
2
Bir da Je-mıırig aber mir?
In tr? Urd wo un? mwuur?
Ey wir, wo tu ten Du: gekunt,
et Zautr dich bezust;
Veraus tıh rebmert befoertraut,
Hel ich begeinert tik als Braut,
Turch Sturm und Kampf und Racht.
Begeiitert für Begeifterung?
Ter Weg zugleih das Ziel?
Wer ift jo ungeübt und jung,
Der nicht gewahrt ten argen Sprung?
Wer bat und ſucht noch vicl?
Tu aljo felber fehleit nicht.
Was fonft denn, wenn ih falt? —
ärft etwa du die Ylamm’ am Lit,
Verlöfhend, wenn's an Stoff gebricht,
An Nahrung, an Gehalt?
1. Leben und Lieben. 59
MWärft du das Wie, und braudit ein Wa3?
Nur Was durh ein Warum?
Mer Waſſer ſchöpft ohn’ Unterlag
Und ſchöpft ins Danaidenfaß,
Treibt wohl ſich fruchtlos um.
Drum auf ins Leben, muthbewehrt !
Geitrebt, geliebt, gehaßt!
Iſt dir der Stoff erit, der fie nährt,
Falt Gluth vom Himmel auf den Herd
Und lodert ohne Raſt.
2. Bolarjcene.
Auf blinkenden Gefilden .
Ringsum nur Eis und Schnee,
Verſtummt der Trieb, zu bilden,
Kein Sänger in der Höh';
Kein Straub, der Labung böte,
Kein Somnenftrahl, der frei,
Und nur des Norblihts Röthe
Zeigt wüt die Wüſtenei.
So ſieht's in einem Innern,
So ſteht's in einer Bruſt,
Erſtorben die Gefühle,
Des Grünens frifhe Luft;
Nur ſchimmernde Ideen,
Im Kalten angefacht,
Erheben ſich, entſtehen
Und ſchwinden in die Nacht.
> Geruhte.
3. Frũhliugs Rommın.
Der Wächter auf den Zinnen
Treibt gar gewalt'gen Spuk
Sieht er wohl Gäfte kommen?
Er ſchreit: Guck, guck, Kukuk!
Ein Diener auf ſein Rufen
Herum im Haufe gebt,
Ser nimmt die weiten Hüllen
Bom fhimmernden Geräth.
Cin andrer breitet Teppich',
Milchfarb und rofentoth;
Baumwollen das Gewebe,
Der Baum die Wolle bot.
Drauf kommen Muſikanten,
Sie ſtimmen, proben nie,
Und doeh, fommr’3 nun zum Spielen,
Wie herrlich ſtimmen fie!
Ein Vorhang roth von Seide
Fliegt weichend von der Thür,
Der Pfoörtner, golden ſchimmernd,
Kommt öffnend draus herfür.
Halb zieht er nur den Vorhang,
Daß Tag und Dunkel glei,
Ta tritt herein ber Fremdling,
Ein König in fein Reich!
Was Augen hat, ſchließt auf fie,
Im Garten Haupt an Haupt,
Am Raine ſchiebt und drängt ſich's,
Die Gänge ſtehn umlaubt.
I. Leben und Lieben.
s
Am Thor auch pocht's des Herzens,
Willſt hier auch freien Lauf?
Nu, bringst du ſchöne Lieder,
So mad’ ich dir wohl auf,
4. Reiſelnſt.
Kam zurüd die Luft, zu ſchweifen,
Wunſch zugleih und Scheu der Rait?
Drängt's, den Mißmuth abzuftreifen
In gedanfenlofer Haft?
Gieh die Pferde ſchon bereitet,
Das Geräthe fehon beſchickt,
Der Geſichtskreis iſt ermeitet,
Der Gefihtspunft ift verrüdt.
Und fo geht's duch Deutichlands Gauen,
Beitichenftreihg von Ort zu Ort;
Müd das Auge Ihon, zu ſchauen,
Und die Lippe müd des MWorts. —
Roma, Roma! Goldne Stunden,
Als ich deine Zauber ſah;
Sabre find jeitdem entſchwunden,
Und dein Reiz noch immer nah.
Damals auch trieb bittrer Kummer
Mih aus meinem Heimathland,
Einer Mutter Grabesjhlummer,
Trüb ein mißgefhlungnes Band.
Doch wie anders und wie. befier !
Die Erinnrung fam zur Raft,
Schwächer, mie der Abjtand größer,
Jeder Schritt nahm eine Laſt;
61
Gedichte,
Und von jeder hohen Schwelle
Sah ein Himmlifher mid an,
Rüdte faht auf vem Geltelle,
Lud zu fih den Wandersmann.
Nun find müder meine Füße,
Kummer hält ſchon gleihen Schritt;
Wo ich Tempel ehrend grüße,
Nahm die Zeit die Götter mit.
Einer nur ift mir erſchienen,
Aber ich ertrug ihn nit,
Und der Abglanz feiner Mienen
Ward, ftatt Flügel, mir Gewidt.
Schien er wie ein Zeus zu fehreiten,
Mir hielt er, ein Chronos, vor
AU den Unterfhied der Zeiten,
Ah, und All, was ih verlor!
5. Der Fiſcher.
Hier fig’ ih mit läfligen Händen
Sn jtill behagliher Ruh
Und ſchaue den fpielenvden Fifchlein
Im gligernden Wafler zu.
Sie jagen und gehen und kommen;
Doch, werf' ich die Angel aus,
Flugs find fie von dannen gefhwommen,
Und leer kehr' ich Abends nach Haus.
Verſucht' ich’3 und trübte das Waſſer,
Vielleicht geläng’ es mir eb;
Doch müßt ih dann auch verzichten,
Sie fpielen zu fehen im See,
— — —
I. Leben und Lieben. 63
6. Verwünſchung.
Wärſt du fo gut, als ſchön du bift vor Vielen,
Die Krone wärſt du Defien, was man fieht;
Sp aber mußteft du mit Wort und Treue fpielen
Und freun dich noch des Unheil, das gejdhieht.
Und wenn auch! Hätte nicht ein Gott im Grimme
So bunt vermengt, was feindlich font und zwei, .
Dan lobte, wo du gut, und tabelte das Schlimme,
Zu wählen dich, zu laflen, ftünve frei.
“Nun aber löfcht des Trachtens böſe Tüde
Nicht einen Zug des Neizes, der dich fhmüdt,
Indeß, verfhönt durch einen deiner Blide,
Der Bosheit Stih wie Unſchuldshauch entzüdt.
Und fo, gemifht aus Wonne und aus Grauen,
Gtehft du, ein Todesengel, neben mir:
Ein Engel zwar, doch aud ein Tod zu ſchauen,
Und wer da lebt, ver hüte fi vor bir.
nn
7. Berwandlungen,
I.
Wie bit du fhaurig,
Du dunkle Nadt!
Hier waren Wieſen,
War Farbenpradt;
Doh kaum zur Rüfte
Der Sonne Schein,
So ſank zur Wüſte
Das Eden ein.
Gedichte.
Hier iſt die Gtelle,
Hier jtand das Haus,
Ich ſuch', ich taſte,
Und find's nicht aus.
1.
Doch Stand ed einmal,
So jteht’3 wohl noch,
Harr' du der Sonne,
Sie kommt wohl doch.
O wäre jeder,
Nur jeder Nacht
So nah und ſicher,
Was hell ſie macht.
DL
Nur einmal zögert's,
Stellt Ih nicht ein,
Das belle Frühlicht,
Der Sonnentdein.
Das iſt am Morgen
Zu jener Früt,
Da Nachts du vorber
Geftorben biſt.
— — — — — —
8. Die Porträtmalerin.
„Malet feine todten Bilder,
Iodte Bilder des Lebend'gen;“
Co ſpricht Mahom ver Prophete,
„Denn am Tage des Gerictes
L Leben und Lieben. 65
Werden fie vor euch hin treten,
Leben fordernd, Seel’ und Geiſt.“
Ah, ih fenne Malerhänpe,
Die beleben ihr Gemälde
® Schöpferfih mit mahrem Leben:
Dod die Seele, die fie geben,
Ward dem Urbild erft geraubt.
9, Treunung.
So laß uns ſcheiden denn, thut's noth, zu foheiden,
Allein al3 Freunde, ohne Groll und Haß,
Ein unerflärtes Etwas zwijchen Beiden
Stört ven Erguß und hemmt ohn' Unterlaß.
Ob ih dieß Etwas, ewig ftörend, Tenne?
O gebe Gott, daß ih es nicht erkannt!
Denn, ift e3, was ih benf, obgleich nit nenne,
So bift du, Weib, in einer furdtbarn Hand;
In einer Sant, die einmal ſchon die Klauen
Nach deiner Jugend Blüthen ausgejtredt,
Und bie, zum zweiten Dial genaht in Grauen,
Ihr Opier balt, biz es die Erde tedi.
Seh, ch ee in? IE weiß nicht, mag's nicht mijien!
Unt tc beim Zdteiten, taz, wie ihrer! verlegt,
K:mm taz Geftandnipſ, mir zulegt entritien:
Nie fann: id tik, neck kenn’ ıd ieh did jene.
Er %::eE wat Bu mir, wie mar beim Zriee,
4 wo. « - =. L.
Ier 9zzzar nedent, wohl ztammeri.t?,
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Zur zei emt uni Rings, me Lit mEL
2227 B,r4 -
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Gedichte.
Bald fah ih Hohn dur deine Züge ſchweifen,
Diauf fie verklärt von warmer Thränen Haud,
Nun mühfam did das Leicht’fte nicht begreifen,
Dann felbft das Tiefite wieder fallen aud.
Was offen mir auch ftand, dein innres Mefen,
Es blieb verſchloſſen mir bis diefen Tag,
Und fo geb’ ih, ein Räthfel, noch zu löfen,
Dem Weiſern did, der's löfen darf und mag.
Mar mir's vergönnt, in ungeftörter Fülle
Dir nah zu fein, vielleicht that es fih auf;
Doch war's, ob unfer, nit des Schidjals Wile,
So habe denn, was noth thut, feinen Lauf.
Du bift nun frei, und doch nicht ungebunden,
Denn Eines ift, was nimmer dich entläßt:
Erinnerung der legtverfloßnen Stunden,
Und halt’ fie immer nur im Herzen feit!
Denn mie du jegt dich müheft, halb vergebens,
Zu malen dir dieß Band als ſchwere Laft,
Es bleibt denn doch die Krone deines Lebens,
Für alle Zeit das Belte, was du baft.
Du wirft bein Herz zu Dem, zu Jenem neigen,
Doch wie er fühlt und was er ſich vermißt,
Wird er dir doch zulegt den Abſtand zeigen,
Der zwifchen ihm und mir befeftigt ift.
Und immer wird’3 dic) wieder übereilen,
©o oft Zerftreuung ber Befinnung weicht,
Wenn man mich nennt, bei jeder meiner Zeilen
Denkſt du: Er war's! Verlor ich ihn fo leicht?
Und fol! e8 einft dir ganz vergeffen fcheinen,
Dann iſt's das Zeichen einer furchtbarn Zeit:
Du bift umftellt vom Niedern und Gemeinen,
Dann hat e3 dich, dann bift du ihm geweiht,
I. Leben und Lieben. 67
Und felber dann noch, fuchend fpät im Schranfe —
Halb achtlos, müßig — fändeſt du dieß Blatt,
Und plöglich ftünd’ er wor dir, der Gebanfe
An Das, was war und ift an feiner Statt:
Meit ob dem Zwifchenraum der dunfeln Sabre,
Trüg’ e3 dich bin ins frühre Blumenreich,
Die Hand gevrüdt in deine jchönen Haare,
Ständſt du ein Marmorbild, erjtarrend, bleich.
Und wie aus Wolfen, lauten Stürmen weicdhend,
Der Mond hervortritt in verflärter Pracht,
So fäme blaß dein Bild, nun nit mehr gleihend,
Entgegen dir aus des Vergangnen Nacht,
Der ftile Reiz der unſchuldsvollen Züge,
Die Hare Stirn, von feiner Schuld gebrüdt,
Der Mund, noch wahr bei halb bewußter Lüge,
Das Aug’ ein Adler, der zur Sonne blidt,
Und mweinend — Doch mozu uns jegt erweichen?
Der Augenblid fcheint viel, die Zukunft hohl.
Laß uns die Hand zum, legten Abjchied reichen,
Und fo, für alle Zukunft, lebe wohl!
10. Sorgenvoll,
Mein Kummer ift mein Eigenthum,
Den geb’ ih nicht heraus.
Mas gut wohl fonjt an mir und fhlimm,
Bejigt und theilt! Das hab’ und nimm!
Mit ihm nur halt! ih Haus.
68
Gedichte.
Und wie der Geiz'ge feinen Schatz
Des Nachts befieht bei Licht,
So zähl' ih ihn, wenn Alles Ruh,
Entjprungne Körner leg’ ich zu
Und lauf’ und athme nidt.
Und fommt’3 zu fterben, leg’ ich ihn
Als Obol in den Mund,
Vielleicht zahlt er den Fährmann mir
Und zähmt das Frohen neid'ſche Thier,
Des Schwarzen Orkus Hund.:
11. Ablehnung.
Was folgft du mir auf jedem Schritt
Mit prüfendem Geſicht
Und forfoheit meinem Kummer nad,
Läßt Leuchten hell dein Licht?
Natur gab mir wohl felber Sinn,
Nicht Rath iſt's, was gebridt,
Und wenn du mir nicht helfen fannft,
So tröfteft du mich nidt.
12. Intermezzo.
Sm holden Mond der Maien,
Wenn lite Blumen blühn,
Geflügelte Schalmeien
Die Waldesnacht durchziehn,
I. Leben und Lieben. 69
Da hebt fih eine Scholle,
Die Liebe Taufcht hervor,
Ob noch der Winter grolle,
Roh laut der Stürme Chor?
Eieht grün fie nun die Weite,
Crträgt ſie's niht im Haus,
Sie fliegt auf Spiel und Beute
Gleih andern Bögeln aus.
Dod friert ed etwa nädtig,
Sudt fie ver Menſchen Dad
Und jhürt ein Feuer mächtig
In jungen Herzen mad.
13. Rod) einmal in Gaftein,
Du, diefes Ortes Einfamteit,
Haft du mich nit erquidt vor zehen Jahren?
Da ſchien die Welt, das Thal fo weit,
Wie in den Schadht, der goldne Schäße beut,
Kam ih durch deine Klamm gefahren.
Und war dein Umfang fhmal umgrenzt,
Mein Geift ftand auf der Hoffnung Sonnenhügeln,
Und höher, al3 dein ew’ger Schnee erglänzt,
Trug’3 mid empor auf Aolerflügeln.
Run bin ih müd, geftört, entzweit,
Nur Mauern läßt die Bergwand mid; gewahren;
D, eine ganze Ewigfeit
Liegt in dem Raum von zehen Jahren!
Gedichte.
14. Raturjcene.
Das Waſſer rinnt vom Felsgeſtein
Und furcht die mooſ'ge Bank;
Die Gräſer, hellgrün, ſchmal und klein,
Sie ſtehn umher und ſaugen's ein,
Geſättigt ohne Dank.
Und an die Blumen unterm Grün,
Wie Bürgerstöchter ſtolz,
In blau und roth und goldner Tracht,
Hat ſich der Schmetterling gemacht;
Der ſaugt und küßt und ſchaukelt ſich
Und fliegt zuletzt davon,
So achtlos, daß am nächſten Tag
Er kaum noch mehr erkennen mag,
Wo er genoſſen ſchon.
Und drüber rauſcht der Baum, als ob
Nichts unter ihm geſchäh';
Nah rückwärts ftrebt der Fels empor,
Schaut gradaus in die Höh'.
Die Wolfen aber allzuhöchſt
Ziehn hin mit Sturmägewalt ;
Sie meilen nicht, fie fäumen nicht,
Raſch wechſelnd die Geſtalt.
Und durch das all voll Eigenſucht
Geh' ich mit finſtrer Bruſt,
Vordem genoßner Treu’ und Lieb’
. Halb wie im Traum bewußt.
15. Jugenderiunerungen im Grünen,
Dieß ift die Bank, dieß find dieſelben Bäume,
Mo einft, das dunkle Schulbuch in der Hand,
Der Prüfung bang, den Kopf voll Frühlingsträume,
Bor mandhem Jahr fih oft der Knabe fand,
I. Leben und Lieben. 71
Wie er da faß, glitt von den finftern Leitern,
Zu mandhem fremden Worte ſchwer gefügt,
Der Blid hinauf zu jenen frifhern Blättern,
In denen fih der Weltwind fpielend wiegt.
Und künftiger Geftalten Geifter- Reigen
Und künftigen Bollbringens Schöpferluft
Erſchienen ihm in jener Wipfel Neigen,
Erflangen ihm in ahnung3voller Bruft.
Es warb erfüllt da3 kaum gewagte Hoffen,
Die Ahnung hielt, wa3 fie vorher gejagt,
Des Wirken goldne Thore ftanden offen,
Ein Schritt gelang, ein zweiter ward gewagt.
Und nun nah manden Jahres Zwiſchenräumen,
Zum Mann gereift, gewogen und erfannt,
Find‘ ich mich wieder unter diefen Bäumen,
Den Blid, wie damals, über mid gewandt.
Und Eeuizer, io wie damals, ſchwellend heben
Die müte Bruft, von mancher Eorge ſchwer,
Bis auf tie Thräne, die nicht mehr gegeben,
Sit Alles je, wie tamals, rings umher.
Ung’nüglam Herz, warum Eit du befiemmen?
Mas vu jo heiß eriehmet, Htebet Ta!
Tie Etunde ter Erfülluny in oefemmen,
Du halt es, was dein Funih in weiter Ferne ah!
Wie? over war ter kunsen Bilder Tüle
Der Inhalt mitt von Tem, was tu bezebrt?
War nur ver tietern Eekniudt Achıe Hübe,
Tas Klein mr Ten, mı3 dir wertenzwmeri?
Hat Siines u weist geſturbi u Fin,
Um Mine Di zu Tühlen ieier wii?
Bar ESdrenen in 13 WBiñens Gii.eriiun
Im Land bes Brilens nur eries em Ein!
72 Gedichte.
Haft du vielleiht nah Ehr' und Ruhm getradhtet,
Bermengend im Gedanken, jugendlich,
. Das Aug’, mit dem die Welt den Mann betrachtet,
Und das, womit er felbjt betrachtet fi?
Schien dir die Welt mit ihren weiten Fernen
Ein Urbild, mwerth des Nachgebilds, zu fein?
Haft, wo fie fhimmert, du geträumt von Sternen?
Bon Wirklichkeit bei jedem holden Schein?
O Trügerin von Anfang du, o Leben!
Ein reiner Jüngling trat ich ein bei bir,
Rein war mein Herz, und rein war all mein Streben,
Du aber zahlteft Trug und Täufhung mir dafür.
Die Freundfhaft ſprach, mein Innres tönte wieder,
Wir ftießen, Zwei, kühn ſchwimmend ab vom Strand.
Er ſank, ich hielt ihn noch, er 309 mich nieder
Und rettete ermattet fih ans Land.
Gewalt’ger regten ſich geheimre Triebe,
Ein unbelanntes Sehnen wurde mad,
Gie nannten e3, ich felber nannt’ es Liebe,
Und einer Holden ging mein Streben nad.
Kaum nur gefehn, fein Wort von ihr vernommen,
Schien fie entjtammt aus höherm Lichtgefild,
Durch Berg und Thal, vom innern Brand entglommen,
Berfolgt’ ih, das mich floh, ihr holdes Bild,
Da kam der Tag, der Schleier war zerrifien,
Gemeinheit ftand, wo erit ein Engel flog;
Sich felber träumte Sehnſucht, gleih Narziffen,
Und ftarb, wie er, am Quell, ver fie betrog.
Ein Vorhang dedt, die darauf folgt, die Stelle:
Ich Lüft ihn nit, Erwähnung ſchon genügt,
Zwei Sphingen ruhn an der verborgnen Schwelle,
Das Götterhaupt dem Thierleib angefügt.
I. Leben und Lieben. 73
Der Eintritt Scheint zu Hoffnungen beredhtigt,
Das Ende wär’ als Anfang gut genug,
Doch eh der Geift der Folge fi) bemädhtigt,
Iſt auch vorüber ſchon der grobe Trug.
Da fand ich fie, die nimmer mir entſchwinden,
Sih mir erjegen wird im Leben nie;
Ich glaubte meine Seligfeit zu finden,
Und mein geheimjte3 Wefen rief: nur Die!
Gefühl, das fih in Herzenswärme fonnte,
Berftand, wenn gleih von Güte überragt;
Anz Märchen grenzt, was fie für Andre konnte,
An Heil genſchein, wa3 fie ſich felbit verfagt.
Der Zweifel, der mir ſchwarz oft nadhgeftrebet:
Db Güte fei? durd fie ward er erhellt;
Der Menid it gut, ih weiß e3, denn fie lebet,
Ihr Herz ift Bürge mir für eine Relt.
Sn Slutbumiahten ftürsien wir zujammen,
Ein jever Etlag gab zunfen un? gab Licht;
Doch unzerkörbar tanten uns tie Jlammen,
Bir glühten, aber ah, wir ſchmolzen mitt.
Denn Hlt:en fazı man an einzzier rañen,
Sb war em G:my3, unn art fe war a125;
Eie webie gem ihr mes Bein Ioten,
ch a Ha seien wor ter Mrınz,
Ee mer Eıre, tılım tt a ex,
Tas Are sguhur 222 m rt.
zes A zart, 22% Irıe, Exirmer, Reiten,
Sie eh gr Yet, zır * wer um ik!
X. am Semme nor eine 125 ie,
Gr m Ereir, un m Wuner ar,
Kur sa ur), vı ler pri nee enser,
Er nen Lauben prußze scher Log
74 Gedichte.
Da ward ih hart. Im ew'gen Spiel der Winde,
Am Wetterfturm, von Sonne nie durblidt,
Umzog das ſtärkre Bäumen fih mit Rinde,
Das ſchwächre neigte fih und mar zerfnidt! —
O feliges Gefühl der eriten Tage,
Warum mußt du ein Traum gemefen fein?
Lebt denn das Schöne nur in Bild und Sage,
Und ſchlürft's die Wirklichkeit wie Nebel ein?
* *
*
Auch dort nicht heimathlos, im Bild und Worte,
Floh ih, dem meerbedrängten Schiffer glei,
Sp oft den Stürmen aufgethan die Pforte,
In jenes Hafens fhügenden Bereich.
Gelagert in dem Dufte fremder Kräuter,
Umipielt von fremder Wipfel leifem Wehn,
Sah id im Traum die hohe Himmelgleiter,
An ber die Geifter ab- und aufwärts gehn,
Und angeregt, fie felber zu befteigen,
Umberzufhauen in dem weiten Raum,
Berfuht ih, rüdgefehrt, es anzuzeigen,
Was ich gejehn, halb Wahrheit und halb Traum:
Den Urmen, dem fih ab ein Gott gewendet,
Des Dichters blendend, trauriges Geſchick,
Wie das Gemüth im eignen Abgrund endet,
Der Erdengröße ſchnell verwelftes Glüd.
Und flammend gab id das Gejchaute wieder;
Der Hörer, ob auch kalt, entging mir nicht,
Denn Lebenspulsfchlag zog durch meine Lieber,
Und wahr, wie mein Gefühl, war mein Gedidht.
DVorahnend durft’ ich zu den Großen jagen,
Die längft ummallt des Ruhmes Opferraud:
„So hoch als euh mag mic fein Flügel tragen,
Doch, Meifter, fhaut! ein Maler bin ih auch.“
I. Leben nud Lieben. 75
Da fam die Nüchternheit in ihrer. Blöße,
Die groß fih dünkt, weil hohl fie zwar, doch weit;
Nah Ellen.map fie meiner Menſchen Gröge,
Nah Pfund und Loth ver Stoffe Hältigkeit:
Doh kann die Formel Leben je bereiten?
Was ungeheuer, ift darum nicht groß.
Ein Möglihes ragt über alle Weiten,
Das Wirklihe zeigt fih im Raume bloß.
Wo taufend Tinten meine Blide jpürten,
Da jah der Stumpffinn fchroffes Grün und Blau;
Mo Räthjel mich zu neuen Räthſeln führten,
Da mußten fie die Löjung ganz genau.
War eine Wieje, wo ih Blumen pflüdte,
Die Rinderzudt drauf bingetrieben friſch!
Wo nur ihr Fußtritt in den Boden drüdte,
Lag Schlamm und Gras in efligem Gemiſch.
Mas nicht zu fagen, davon ging die Rede,
Mas auszufprehen nit, das ſprach ihr Wort;
Verihmähft du ihre Waffen au zur Fehde,
Schon Unfinn ift’3, zu wählen ihren Ort.
Geitalten, die mein Geift in Gluth empfangen,
Die Rohheit legte dran die ſchmutz'ge Hand;
Ich jah die Spur auf den entweihten Wangen,
Und mein Gemüth, es fühlte fih entwanbt.
Und wie der Menfh ven Ort, ven fchönften, werthen,
Nicht mehr betritt, wenn Gräulich ihn betrat,
So floh mein Geift aus meiner Jugend Gärten,
Empört von feines SHeiligften Verrath.
Hart hinterher der Mißgunſt lange Zeile,
Der Neid, der Haß, bewaffnet anzufehn,
Mit dopplem Eindrud trafen ihre Pfeile,
Denn, ah, mer fingt, kann nit im Harnifch gehn.
76 Gedichte.
Und ftellt er ihnen, fih, die nah ihm zielen,
Ergreift des Streites zorniges Geräth,
Der Schwere Panzer vrüdet harte Schwielen,
Drob des Empfinden weicher Sinn entgeht.
Go floh ih aus des Kampfes Gluthbefchwerve
Hin zur Natur, wo Leben neu fih ſchafft,
Den Bufen drüdt ih an die Mutter Erde,
Um, wie Antäus, zu erftehn in Kraft.
Doch fie, die oft geführt ſchon meine Sade,
Getröftet mich fo oft und gern zuvor,
Verloren hatte fie für mich die Sprade,
Die Sprade, oder ich für fie das Ohr.
Gelehrig fonft an ihrer frommen Geite,
Schien jest nur trogig Schaffen mir Gewinn,
Ihr Wort verflang in meines Bufens Weite,
Ihr Wink verihwand vor meinem ftumpfen Sinn.
Und jhaudernd vor der Welt und ihrem Treiben,
Ein jedes Band verjhmähend, das fie flicht,
Mohr ich's nicht leben, konnt' ich's nicht befchreiben,
Und felbjt ven Anblid faſt ertragen nicht.
Ya, horchend auf des Innern leife Zungen,
Erſchaudert mein Gemüth, wenn es ihm däucht,
Es kling' ein Ton, den Tönen nachgellungen,
Mit denen da3 Gemeine mid verſcheucht.
Und alfo ſitz' ih an derſelben Stätte,
Wo ſchon der Knabe träumte, ſaß und fann.
Wenn erft ih das Verlorne wieder bätte,
Wie gäb' id) gern, mas ic feitdem gewann!
— — m
mr
I. Leben und Lieben.
16. Freundes Wort.
„Mag dein Schmerz fih roh entlaven,
Beigft du ihn dur ftummes Toben?
Wen die Mufen fo begnaden,
Fühle höher ſich erhoben.
„Bit ja Maler, brauche Farben!
Biſt ja Dichter, brauch' das Wort!
Gram und Herz, wenn beide ftarben,
Dauern jo geheiligt fort.”
Ah, die Worte und die Bilder
Sind für ſelbſtgemachte Leiden!
Wer kann Flammen, wild und milder,
Sn Gewand, verhüllend, kleiden?
Drum mein Wort, es fei der Aufichrei
Niht an Ton und Maß gebunden,
Und die Farbe, die mir gut däudt,
Hier! das Blut aus meinen Wunben.
17. Schlußwort.
Alfo hatt’ er lang gefproden,
Hatte höchfte Noth geklagt,
Daß man ihm das Herz durdhftochen
Und fein Rettung3morgen tagt.
Da kam's dur die Luft gezogen
Saitenklangs, vernehmlih kaum;
Und ſein Kummer war verflogen,
Und ſein Leiden war ein Traum!
— — — — u
77
Gedichte.
Heimkehr.
Jung war id aus ver Heimath fortgezogen,
Es Iodte mid ein Bild, das, bel und reich,
Auf ferner Berge bimmelnahen Bogen
Halb Sternbild glänzte und halb Menſchen gleich.
Entgegen jhien es winkend jelbit zu kommen,
Crreihbar ſchien's dem Kühnen, der mit Muth
Den Gipfel erft des Berges nur erflommen,
Und alfo zog ich fort in Gottes Hut.
Doch auf dem Gipfel angelangt der Höhen,
Zerfloß das Bild wie leichter Heiderauch,
In gleicher Ferne jah ich’3 wieder ftehen,
Auf Bergen thronend, jo wie früher auch.
War Täufhung nun die erfigeglaubte Nähe,
So war doch Wahrheit Muth und Luft und Kraft;
Auch ſchien ja wirklich, was ich deutlich ſehe,
Und aljo hatt ich neu mich aufgerafft.
Doch, wie ih eifrig klomm und wie ich ftrebte,
€3 blieb der Abftand immerbar fih gleich,
Daſſelbe Bild, das körperlos entfchwebte,
In Fernen glänzend, in ver Nähe bleich.
Da warb ih müd, wie alle Staubgebornen,
Auh war der Weg von Steinen raub und jcharf,
Bis auf das Leben ritzten fpige Dornen,
Und Alles fehlte, was der Menſch bedarf.
Zugleih im Gegenſatz des Iuft’gen Bildes
Kam mir ein andre vor den wachen Sinn:
Grinnerung des beimijchen Gefildes,
In dem ich ward, mas ich doch endlich bin;
I. Leben und Lieben.
Wo mir des Vaters Grab zurüdgeblieben,
Wo die Genofjen froh im nahen Glück,
Der Athem weht von ſchwer verlaßnen Lieben,
Und aljo kehrt' ich wegerſchöpft zurüd,
Nur ruhen wollt! ih und dann neu beginnen;
Doch fah ih kaum den heimathlichen Herd,
Da ward als Frucht ih meines Wandern3 innen,
Wie Alles dort verfallen und verkehrt.
Die Fenfter blind, verquollen Thür und Schwelle,
Sie öffnete dem Freundestritt ſich nicht,
Bon dem Geräthe niht3 an feiner Stelle,
Das Dach gab, ftatt ver Fenfter, Luft und Licht.
Im kleinen Gärtchen, längſt entwohnt ver Pflege,
Wuchs Unkraut, mo Gewächſe fonft in Reihn;
Mit wuherndem Geftrüpp bebedt die Wege,
Und nur im wilden Anflug ſchien Gebeihn.
Da fies mih an: die nöthigfte der Thaten
Sei doch, daß erit das Innre wohl beftellt,
Und alſo nahm ic Haue, Karſt und Spaten
Und reutete zuerſt mein eignes Felb.
Befrietigung, die ich nad) außen träumte,
Kam nun von innen felber in mein Dad;
Das Leben rät ja ftet3, mas e3 verſäumte:
Sch hole meine Yugendjahre nad.
Entfagung.
(Baris, im April 1836.)
Eins ift, was altergraue Zeiten lehren
Und lehrt die Sonne, die erjt heut getagt:
Des Menfhen ew'ges Loos, e3 heißt Entbehren,
Und fein Befig, als den du dir verjagt.
79
80
Genie
Die Speiſe, jo erguidiib Deinem Munde,
Beim froben Feſt genirpier Götterwein,
Des Theuren Kuß auf deinem heißen Munde —
Fein wärs? Sieh zu! ob du vielmehr nicht fein.
Denn der Natur alther nothwend'ge Mächte,
Sie haffen, was ſich freie Bahnen zieht,
Als vorenthalten ihrem ew’gen Rechte
Und reißen's lauernd in ihr Machtgebiet.
MM, was du bältft, davon biſt du gehalten,
Und wo du berricelt, bit du auch der Knecht.
Es ſieht Genuß fih vom Bedarf geipalten,
Und eine Pflicht knüpft ih an jedes Recht.
dur mas du abdweiſ'ſt, Tann Dir wiederkommen,
Was de verichmahin, naht ewig ichmeichelnd ſich,
udn dem RAbidued. vom Beſitz genommen,
SPORE du dir das einzig Deine: Dia!
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Aber Inum ver Sog namen,
Zablt. au Erbe, Irierktartt,
Gr mu baarem blanfen Gräna,
Was der Voriabr abaelarat.
Hold von Remem find vie Götter,
Uebrall Wonne, Luſt und Licht,
Neue Freuden, neue Blätter —
Freilich nur dieſelben nicht.
Mein Cenſor.
„Was ziehſt du trübe Geſichter
Und bildeſt nach innen nur?
Du biſt doch wahrhaftig ein Dichter - -
Ei ja, die böfe Cenfur!”
Ja wohl die Cenjur! doch nicht jene,
Bon Ohnmacht und Dünlel entitammt,
Die, weil fie felbit ohne Zähne,
Die Fräftige Speife verdammt:
Des Staats und der Kirche Defenfor,
Der Thorheit Kegergeriht, —
Am Innern lebt mir ein Genfor,
Der ftrenger ala jene ſpricht.
— —,—. u
Fortſchritt.
(1840.)
Die Zeit, fie eilt fo ſchnell voraus,
Und ih, ib blieb zurüd.
Ich ikäme mih! Was kennt bern 7
Es Fleibt ein Dingeidd.
Grillparzer, Be. 1, Ir
82
Gevichte.
Dort ſtürmt fie hin, unbündig jach,
Kaum reicht ſo fern mein Blick;
Die Bahngenoſſen ſtürmen nach,
Und ich, ih blieb zurück.
Vielleicht kehrt wieder ſie des Wegs;
Laßt fitzen mid) am Stein!
Vielleicht — hat fie ſich müd gerannt —
Sol ich fie doch und ein.
Der Gang der Welt iſt nicht ſo raſch,
Als Thorheit meint und ſpricht;
Man weiß wohl: Flügel hat vie Zeit,
Die Zeiten aber nicht!
Schweigen.
(1B42.)
Als ich noch jung war,
Liebt' ich zu klagen,
AT, was dem Herzen leid,
Bielen zu Tagen.
Nun, va ich älter,
Hehl ich die Bein,
Schließe den Kummer
Im Innerſten ein.
Dem ich erfuhr es:
Kalt iſt die Welt,
Und nur der Antheil
Lindert, was quält.
XC
L Leben und Pieben. 83
En wie das Vöglein, —
Jedermann kennt's,
Das ſeine Liebe
Flötet im Lenz,
Aber, vorüber
Roſen und Brut,
Lautlos in Zweigen
Fürder nur ruht:
So meine Muſe,
Alſo mein Herz,
War doch ihr Lied nur
Sehnſucht und Schmerz.
Der Gegenwart.
(1843.)
Gi, wer ſchilt die Jugend euch?
Ihr find alle Lebensgüter;
Bor der Freuden Zauberreich
Steht fie als des Gartens Hüter.
Sie ift ſtolz und ftarf und kühn,
Reih an Streben und an Thaten;
Braucht's doch auch erit Frühlings Blühn,
Eh die Sonne reift die Saaten.
Aber Eines ahnt fie nicht
Und wird’3 etwa jpät erfennen:
Daß, was heut am lautjten ſpricht,
Wofür alle Herzen brennen,
Gedichte.
Was in jeder Meinung fteht
Als für ewig eingegraben,
Kaum, daß ein Jahrzehnt vergeht,
Nur ein Spott mod ift ver Knaben.
Daß, wie Mode formt da3 Kleid,
Auch der Geift taufcht feine Trachten,
Und ein Richter nur: die Zeit,
Als ein legter fei zu achten.
Darum wirkt mit rafcher That,
Uebergebt euh Strom und Lüften,
Doh das Urtheil und den Rath
Laßt den Reifen und Geprüften.
Antwort an die Epigonen.
(1843,)
Gabſt du fchon auf die Poeſie?
Ich nicht!
MWär’3 nicht gegönnt, zu fhreiben mehr,
So lebt’ ih ein Gevidt;
Und wär’ der Jugend nur gegönnt
So Kraft ald Schwung:
Mer Bortheil nie von Ehre trennt,
Bleibt ewig jung,
Derahtend, was der Pöbel ehrt,
Sich felbjt genug,
Zum Schlimmen nie, durch nichts befehrt,
Und feſt Statt Hug;
I. Leben und Lieben. 85
Denn nicht die Gaben ſind's, was fehlt,
Der Verſe Bradt;
Der Sinn iſt's, höher als die Welt,
Mas Dichter macht,
Drum ſchrecke Andre, was da droht,
Mich nicht!
Und einjt im Sterben fei mein Tod
Noch ein Gedicht!
Alma von Gocthe.
(} 19. September 1844.)
Das halt du nit gedacht, Gewalt'ger du,
Als du noch weilteft in der Menſchheit Schladen,
Daß einſt dein Enkelkind frühzeit'ge Ruh
Solt’ finden in dem „Lande der Phäaken;“
Und daß der Mann, der jhüchtern vor dir ftand,
Den Blid geſenkt vorm hehren Strahl des deinen,
Am fabelgleihen fernen Iſterſtrand
Bei ihrem offnen Grabe werde weinen.
Es fommt fo Manches anders, al3 man meint,
Und ift gefommen, warjt du gleih der Weiſe.
Die Sonne, wenn fie hoch im Mittag fcheint,
Senkt fhon zum Untergang fi mählich leiſe;
Nah neuen Zonen wendet fih der Geilt
Und läßt, was blanf, in grauem Dunkel roften;
Iſt doch, was uns der ferne Weiten heißt,
Für andre Völker auch zugleich ein Dften.
So drang dein Wort, jo Tam dein Entelfind
In unfre Morgenroth - beftrahlten Fluren. —
Hoch ſchlug mein Herz, verfhönt, wie Weiber find,
In ihr zu finden deiner Züge Spuren;
86
Gedichte.
Und fo trat ih, zu huld'gen, in den Saal,
Mo ſchon das Theegeräth die Tiſche Frönte,
Die Frau begrüßend, deines Sohnes Wahl,
Die dir des Lebens Abendroth verjchönte.
Doch war fein weiblihd Weſen fonft im Kreis,
Nur Herren, ſchwarz, al3 wär’ ein Sarg zur Stelle.
Da öffnet fih die Thür’, und hell und weiß
Zritt Tinderhaft ein Mädchen auf die Schwelle,
Die ih gedacht mir in der Hoheit Schein,
Bon angeltammter Herrlichkeit erglänzend,
Ein Theebrett in den Händen, trat fie ein,
Demüthig, Brod zum heißen Trank kredenzend.
Doch war’, als ob, dem Erlenkönig gleich,
Des Ahnherrn Geift ob ihrem Scheitel ſchwebte,
Und fie, das Kind, dem Kind im Liede gleich,
Vorm Anhaud einer geift'gen Ladung bebte;
Wie an dem Eichſtamm, den der Blitz gebeugt,
Die Blume hell empor die Blätter richtet,
Als ob, nicht dein Erzeugter fie erzeugt,
Als ob ihr Ahn fie Klärchen⸗gleich gedichtet.
Sie fühlte wohl den Wink der fernen Hand,
Die Sehnjuht nah dem Land der reinen Lilien,
Und ging dahin, jo ſtamm⸗ als mwahlverwandt,
Verwaiſend und verboppelnd die Dttilien.
Du aber fhauft mit ernftem Blid herab,
Mo fie der Grund, Beethoven nah, verfchlungen,
Und ſprichſt, kopfſchüttelnd ob dem frühen Grab;
„Das war dir an ber Wiege nicht gefungen!“
1. Leben und Lieben: 87
Meihnadten. !
(1844.)
Am heil'gen Chrifttagabend
Den Kindern man befchert,
Da iſt denn eitel Freude
An Wägelden und Pferd.
Am heil’gen Chrifttagabend,
Obgleich ich längft fein Kind,
Hat man mir auch befcheret,
Gut, wie die Menfchen find.
Man gab mir einen Kummer,
Man gab mir eine Qual,
Die tief am Leben naget,
Das längſt ſchon geht zu Thal.
Man gab mir die Gewißheit,
Mein Streben fei verfannt
Und id ein armer Fremdling
« &n meinem Baterland.
Man bat beim nahnden Winter
Verweigert mir das Neſt
Und hieß mich weiter wandern
Für meines Lebens Reft.
Doch iſt's der Lauf der Zeiten,
Ein Troft nur ftellt fi dar:
Bin ih auch nichts geworden,
Ich blieb do, der ih war.
1 Als die erledigte Stelle des erfien Euflos an ber kaiſerlichen Hofs
bibliotget in Wien, auf welche ber Dichter berechtigte Anwartſchaft hatte,
anderweitig befegt wurde.
88
Gedichte.
Gebt mir, wo ich fichen fol.
Penn der Vogel fingen will,
Sudt er einen Alt,
Nur die Lerche trägt beim Sang
Eigne, leichte Laſt.
Doch der Fink, die Nachtigall,
Selbſt der muntre Spatz
Wählen, eh die Kehle tönt,
Für den Fuß den Pla.
Gebt mir, wo ich ftehen foll,
Meist mir das Gebiet,
Und ih will eu wohl erfreun
Noch mit mandem Lied.
Denn in Deutfchland weht der Sturm,
Sturm, man weiß, ift Wind;
Mähnen, wenn der Alt fie jchnellt,
Daß fie flügge find.
Und bier Landes dunfelt’3 tief,
Naht wie Peh und Harz,
In den Zweigen nähft dem Stamm
Niften Dohlen ſchwarz.
Kauz und Eule dämiſch dumm
Schaun zum Aſtloch 'raus,
Nur der Staarmatz ſchwatzt vom Platz,
Kanzelt für das Haus.
Tiefer unten aber ſteigt's
Auf vom Boden dumpf,
Und die Fröſche quacken laut
Aus verjährtem Sumpf.
I. Leben und Lieben. 89
Und fo ſchweb' ich ew’gen Flug
Zwiſchen Erd’ und Luft,
Und fein Pla dem müden Fuß,
Als dereinft die Gruft.
Jagd im Winter.
Der Himmel grau, die Erde weiß,
Die Bäume Tahl, die Büſche Gereis,
Ihr Lächeln den Fluren genommen.
Mag zagen, wer will, mir wallet e3 heiß,
Ich nenne willfommen vi, blinfendes Eis,
Dich, ftarrender Winter, willkommen.
Als noch die Menſchheit im Lenze lag,
Da ftand ihr wohl ein Frühlingstag,
Nun mag fie fih anders ermeijen.
Willkommen, ihr Felder, erftarrt und befchneit,
Wir leben ja doch in eijerner Zeit,
Wohl paaret fih Eis zu dem Eifen.
Des Dichters Leier verklingt, verſtummt,
Kaum daß noch die Klage wie Heimchen fummt,
Kein Ziel, fein Preis, Tein Sieger.
Drum fort ins Freie, die Waffe zur Hand,,
Das Rohr gehoben, ven Hahn gejpannt,
ALS Jäger, wenn nicht al3 Krieger!
Und wenn es fnallt, und wenn es trifft,
Sp denkt, e3 feien, die fochten das Gift
Und im Finftern horchen und harren.
D Winter der Fluren! ftürme nur zu,
Der Geiſter Winter ift fälter als du,
Er tödtet, du macheſt nur ftarren!
90
Gedichte.
Nur Abends daheim am Feuerherd,
Da fei euch ein einziger Seufzer gewährt
Nah Lenz und Blüthen und Früchten;
Des Morgens aber von Neuem hinaus,
In Jagdgetos und Sturmgebraus
Die Zwietracht des Innern zu ſchlichten.
Wintergedanken.
(1847.)
Willſt du, Seele, nicht mehr blühen,
Da vorbei des Sommers Flut?
Oder wenn der Herbit erfchienen,
Warum gibft du feine Frucht?
Mar vielleiht zu reich dein Frühling,
Dar zu bunt der Farben Licht?
Denn die Blüthen geben Früchte,
Aber, ah, die Blumen nicht.
Gutgemeinte Bemühungen.
(Mai 1850.)
Ein Mann kehrt heim zur Winterzzeit,
Ihn fror, aud war kein Mahl bereit,
Die Aſche kalt auf feinem Herd;
Doch wie er ftohernd um fie kehrt,
Da glimmt ein Fünkchen ſchwach und Klein,
Verborgen wie des Glühwurms Scdein.
Der Mann fährt hoch vor Freuden auf,
Thürmt drüber Holz in vollem Hauf
I. Leben und Lieben. | 91
Und fniet und bläst, fo viel er Tann,
Db er’3 vermag zu fahen an,
Und fährt fo fort mit Mundes Rafen,
Bis er das Fünkchen — ausgeblafen.
Willſt du Verglommnes neu beleben,
Muß fih dein Eifer Weile geben.
An einen Kunſtgenoſſen.
Wir Künftler, du und ich vielleicht,
Wir liegen an dem Strand
Und Schwimmen erft, wenn uns erreicht
Des Wailers höchſter Rand.
Menn nun der Schnee in Bergen fchmol;,
Der Strom die Ufer drängt,
Treibt Alles, Kahn und Laub und Holz,
Sm Schwalle bunt vermengt.
Ja, wohl am leichtſten ſchwimmt daher,
Was ganz dem Zug fi gibt,
Indeß das Schiff, beladen ſchwer,
Nur langſam vorwärts ſchiebt.
Köfes Wetter.
(1851.)
Wenn ftarfe Winde mehen,
Dann fliegt, vom Schwung erreiht,
Papier und dürre Blätter,
Was irgend leer und leicht;
Gedichte.
Indeß die armen Vögel
Sich bergen in ihr Neſt,
Meil fie das tolle Treiben
Denn doch nit fliegen läßt.
Doch wenn die Stürme fehweigen,
Die Sonne wieder ladt,
Dann fintt mit Eins zu Boden,
Was hob des Windes Macht,
Indeß die Heinen Vögel
Ho fliegen mit Getön. —
Mann wird die Windsbraut jchweigen?
Mann wird es wieder ſchön?
Appellation an die Wirklichkeit.
(1853.)
Weiland Alexander dem Großen
Mar unter de3 Hauſes Genoflen
Ein Arzt von hoher Kunft,
Nur voll von der Eitelfeit Dunft;
Hielt Menfhenwerth für zu Klein,
Dünkt fih ein Gott zu fein,
Da läßt der König zu Nacht
Nüften ein Mahl mit Pracht,
Sept fih fammt den andern Gäften
Und ſchmaust von dem Feinften und Beten.
Nur vor den Arzt allein
Sept man ein Tiſchchen Hein,
Mo, ftatt nahrhafterer Speifen,
Ihn Sänger mit Liedern preifen
Und Knaben, dad Rauchfaß in Brand,
Ihm opfern mit emfiger Hand.
I. Leben und Lieben. 93
Da wird der Arzt denn inne
Dura Zeugnik der eigenen Sinne,
Daß er ein Menſch und fein Gott;
Geheilt bat ihn Hunger und Spott. —
Ahr macht's mit mir und den Andern
Ein wenig glei Alerandern:
Habt mid gelobt und geehrt,
Schien jeden Preifes euch werth.
Doh bin ih fein Narr und fein Gott,
Zu viel grenzt immer an Spott;
Hab’ Iange genug geieflen,
Möcht' aud mit den Uebrigen eſſen.
Epigrammatiſches.
— —
Votiv-Tafeln.
1
Dein ift die Saat und ver Fleiß, drum dein der Lohn
des Bewußtſeins;
Aber, wie Regen und Thau, träuft von den Höhn der
Erfolg.
2.
Frei, in unendlicher Kraft, umfaſſe der Wille das Höchſte;
Aber zum Nächſten zunächſt greife bedächtig die That.
3.
Willſt die Befcheidenheit du des Beſcheidenen prüfen, fo
forſche,
Nicht ob er Beifall verſchmäht, ob er den Tadel erträgt.
4
Kummer, nimm erſt Geſtalt! Nur das Formloſe ängſtet
und martert;
Hat ſich der Feind nur geſtellt, halb iſt gewonnen der Sieg.
L. Leben und Lieben. 95
Zwei Leben.
Zmei Leben lebt der Menſch; weh’, wenn es anders wäre:
Das eine ftirbt mit ihm, das andre bleibt, die Ehre.
Derfchiedene Gottesgaben.
Berlieren und Haben
Sind zwei, obgleich verſchiedne Gaben.
Denn, was der Menſch befitt und hält,
Theilt er doch immer mit der Welt;
Erft mit dem Tag, wo er’3 verloren,
Wird ihm zu eigen e3 geboren.
Der Irrthum.
Jeder Irrthum bat drei Stufen:
Auf der erften wird er ins Leben gerufen,
Auf der zweiten will man ihn nicht eingeftehn,
Auf der dritten macht nichts ihn ungejdhehn.
Guter Rath.
Gefteh dir's ſelbſt, haft du gefehlt,
Füg' nit, wenn Einfiht kam,
Zum faljden Weg, den du gewählt,
Auch no die falſche Scham.
96 Gedichte.
Gerechtfertigtes Unrecht.
Wer jemals unrecht dir gethan,
Wird nimmer dir gerecht;
Sein Unrecht widert ſelbſt ihn an,
Er ſetzt ſich drum ins Recht,
Stellt dich ſo tief er irgend kann,
Denkt unwerth dich und ſchlecht
Und iſt nun ein gerechter Mann:
Sein Haß — enthält ſein Recht.
Gefährliche Schmeichelei.
Dem klugen Manne ſchmeicheln, hat Vortheil oft gebracht,
Und ſchmeichelſt du dem Thoren, iſt er in deiner Macht;
Allein dem Schmeichler ſchmeicheln, iſt höchlich unbedacht:
Wer ſelber Netze ſtellt, nimmt ſich vorm Netz in Acht.
Den Gemeinen.
1.
Was hängt ihr euh an mid und meinen Lauf
Und ftrebt dem Höhern plumpen Dranges wider?
Ich zieh’ euch, merf ih, nicht zu mir herauf,
Do ihr, weiß Gott, mid auch zu euch nicht nieder!
2.
Nicht, ala wär" gar fo hoch mein Sinn,
Iſt's, was ung trennt unendlich;
Vielmehr nur, daß ich ehrlich bin,
Macht mid euch unverſtändlich.
1. Leben und Lieben.
Den Halben.
Slaubft du, man fünne foften vom Gemeinen?
Du mußt e3 haſſen, oder dich ihm einen.
Und tränfit du heute Götterwein,
— Süngft noch Genofje ſchmutz'ger Zecher ---
Du ſchenkſt ihn auf die Hefen ein,
Die dir dein Geftern ließ im Becher.
——
Zwei Werbeoſficiere.
Gewinnſucht und Eitelkeit
Sind die Werbofficiere der Schlechtigkeit.
Iſt das Handgeld aufgezählt,
Nimmt Gewiſſen das Ferſengeld.
Gleich und gleich.
Gleich und Gleich geſellt ſich gern,
Wer du biſt, zeigt dein Begleiter;
Aus dem Knecht kennt man den Herrn,
Aus der Fahne ihre Streiter.
Was du billigſt, noch ſo fern,
Sit nah Tagen oder Wochen
Dein, als ob du's felbit geiproden.
— — — — —
Lebensregel
Halt! dich entfernt, weil dich nicht Jedem mit
Und fie Die Shwätzer, Lungrer, Schmeder;
Sieh ns tt sin feiner Shrut
Bem Teber⸗ bis zum Speidhdl- Leder,
- — .
Criliparjer, Bere L 7
Bold am N
Be wire Nu mie mon
Jar Rid nir u me ame
Sin ı
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Is dar Tee.
Tar Iathor Eier Fonmmen
Te Whianfemen sim
Ter Suelr mi Düren
Are de Kenn im.
Apr und Teriher
Ter Fer Bemamker.. umge
Rec mad, Ir rt ner Sameiie:-
Ada pi ne Rüpe
Meın Hıfjer FE rer nn Se mir em,
Fern. = um:
Aar 5 ae Bemmir Femme ine,
Te werner mer — zume
dag
Rs menadigen Nas
Jor m}: mır a ne and m Rem
Ana Harz me wgenh une gem.
NL
I. Leben und Lieben. 99
Wollen nnd Können.
„Ih will” ift ein gewichtig Wort,
Spridt mit fih fjelbit der Mann;
Doch jteht genüber er der Welt,
Sp gilt doch nur: „Ih Tann.”
Quis contra Deum?
1.
Gott fagte: nein,
Ich aber jagte: ja;
Doch als ich es ins Werk geſetzt,
Stand nur ein Nein mir da.
2.
Das Unmögliche wollen,
Das Unvenfbare denken
Und das Unfäglihe fagen,
Hat ftet3 gleihe Früchte getragen:
Du mußt, wenn die Träume fi) feheiden,
Zuletzt das Unleidliche leiden.
Nothgedrungener Müßiggang.
Arbeiten foll ih, daß Gott erbarme!
Da [hob Natur ſchon vor den Riegel;
Denn wo die Andern ihre Arme,
Da hab’ ich eben meine Flügel.
100 Gedichte.
Der Unbußfertige.
Ich fühle wohl meine Sünden,
Die alten — mohl gar aud neue;
Doch, wenn ih die Wahrheit geitehn foll,
Sp fehlt mir die wahre Reue,
Selbfibekenntniß.
Du nennft mich Dichter? Ich bin es nicht,
Ein Andrer fist, ih fühl's, und ſchreibt mein Leben;
Und fol die Poefie den Namen geben,
Statt Dichter, fühl’ ich höchſtens mich Gedicht.
Des Dichters Schweigen.
Die ew'ge Macht gibt nicht fo viel,
Auf daß fie'3 wieder nimmt;
Ich bin noch dafjelbe Saitenfpiel,
Allein zur Zeit — verftimmt.
Der Dichter in Verzweiflung.
War's nicht genug an Sournaliften,
War's niht genug an Recenfenten,
Den Kindern Kains mit Mörberhänden?
So mußte Gott, den Dichtern zürnend,
Die doch entjproßt aus Abels Lenven,
: : Die Sündfluth noch — der Albums fenden!
—— — — — ——
ni
I. Leben und Lieben. 101
Entſchuldigung.
Weil mich Geſelligkeit mit Vielen nicht vereint,
Hält man mich hie und da für einen Menfchenfeind;
Euch flieht nur mein Verſtand, mein Herz iſt euch geblieben,
Und ich entferne mich, um fürder euch zu lieben.
Beim Empfang des Leopoldordens.
(15. März 1849.)
Gern mißte den Orden der Barbe;
Ich trag’ ihn in eigenem Sinn:
Mid mahnt er als eine Kofarde,
Daß ich des Kaifers bin.
— — — —— —
Hofrathstitel.
(15. April 1856.)
Die Titel meiner Stüde
Hat man mir reblidh bezahlt:
Man gibt mir Titel für Titel,
Als hätten fie feinen Gehalt.
Aeinem Siographen.
(1853,)
. Der Zeit vorzugreifen ift jegt Mode;
Sonft jecirte man die Leute erft nach dem Tode,
102 Gedichte.
Den Epigonen.
Ich führe den Pflug in dem leeren Feld,
Da wird denn nach mir die Scholle beſtellt
Von Manchem, der beſſer und klüger.
Doch wie reich auch die Ernte ſei, die ſie bringt,
Denkt, wenn ſchon wartend die Sichel klingt,
An den heimgegangenen Pflüger.
Des Dichters Heimath.
Haft du vom Kahlenberg das Land dir rings befehn,
So wirſt du, was ich fchrieb und was ich bin, verftehn.
Andere Beiten.
Will unſre Zeit mich beftreiten,
Ich laſſ' es ruhig geſchehn,
Ich komme aus andern Zeiten
Und bofje in andre zu gehn.
Biographiſch.
(März 1856.)
Am fünfzehnten Jänner geboren,
Geſtorben? — Ih meiß noch nicht, wann!
Kömmt einft dir das Datum zu Ohren,
So füg’8 zur Ergänzung bier an.
Und haft du es niebdergejchrieben,
So haft du mid ganz auf ein Haar;
Was etwa noch übrig geblieben,
Wird mohl nah dem Tode erit Kar.
— or
un.
Il.
Im alten Behterreid;.
An Erzherzog Earl. !
Als du heraufkamſt an der Tage Morgen,
Da war die Welt bevedt mit Mord und Blut,
Es hatte ſcheu das Recht fein Haupt verborgen,
Den Himmel röthete der Feuer Gluth.
Du aber, vein bewußt erft in Gefahren,
Mit Feloherrn - Aug’ vereinend Kampfesluft,
Du bolteft aus erregter Feinde Schaaren
Der Ahnfrau Zeidhen dir als Schild der Bruft.
Und fo bemwehrt, beitrahlt von ihrem Geifte,
Standft du in Fechterſtellung ſchützend da,
Und hinter dir barg froh dein Boll das Meifte,
Was vor dir ih m Schutt und Trümmern jah.
Den Zranten, als er trunfen no vom Weine,
In dem der mäß’ge Trinker Etärte ſucht,
Rangft du Darnieder, Daß vom blut’gen Rheine
Er rüd die Grenze trug in wilter Flucht.
ı Zum 5. April 1943, Dem Scyäfrigen Jubiläum des Erzherzogs Earl
als Grobfren; bei ihn nad ber Echlacht bei Acerw nden werlickenen
Baria: Therehiasstens. Ter Drud ve Berists wurde indeß von de
Geufur beautaubet.
106 Gedichte.
Als, Hetternd dann auf Leichen feiner Brüder,
Der Mann, wie Kleine Elein, wie Große groß,
Die hundert Schlangen eint zu Einer Hyper,
Warft du des Ruhms ihm Gegner und Genoß.
Ihm, der befiegt die Welt, da er alleine,
Standft du allein, da mit ihm noch die Welt,
Ch ihm ein Gott in blutgem Racheſcheine
Die Rechte noch gelähmt auf Moskau's Feld.
Gemefjen habt ihr euch, habt euch gewogen,
Wo jetzt die Donau ſchaut ein frieblih Reich;
Und daß die Schale ſchwankte, neu gezogen,
Beigt höchſtens an, daß die Gewichte gleich.
Der Friede fam, das Grab der Ueberwinder!
Du aber blidteft auf der Ahnfrau Stern,
Und mild wie fie, die Mutter ihrer Kinder,
Entwih der Groll und blieb dem Herzen fern.
Aus den vom Streit noch halb gezognen Brauen
Brach, wie nah Sturm, die Sonne hell und klar,
Und ließ uns als der Bürger erſten ſchauen,
Der kurz vorher im Kampf der Erjte war.
Zur Seite deiner Gattin, die geweſen,
Umringt von deinen Kindern, die noch find,
Gabit du der Welt den hohen Spruch zu leſen:
Daß Gut und Groß aus Einer Quelle rinnt.
Du echter Fürſt! Vergefjend nie der Würde,
— Nicht mild, weil ſchwach, volksthümlich, weil gemein —
Entzogft du dich ihr nicht als einer Bürbe,
Sie und erlaffend, hieltſt du fie als dein.
II. Im alten Oefterreich. 107
Ja, von dem Haß, dem Dränger im Gefechte,
Hielt fih ein Tropfen auf der Seele Grund:
So haßteft du das Niedrige und Schlechte,
Und mit dem Trug war ewig dir fein Bund.
Drum Heil dir! Heil! bis an der Tage Grenzen!
Dann laß uns deiner Söhne Kraft und Bier,
Daß in der Bruft die gleihen Sterne glänzen,
Die auf der Bruft ſchon Einer trägt, gleich dir.
Napoleon.
(1821.)
So ſtehſt du ftil, du unruhvolles Herz,
Und bift gegangen zu der ftillen Erde?
Was fünfzig Jahr' voll Hoheit und Beſchwerde,
Was Helvenluft nicht gab und Heldenſchmerz,
Iſt dir geworden nun im Schooß der Erde!
Ein Sohn des Edhidjals ftiegeft du hinab —
Berhüllt wie deine Mutter fei dein Grab.
Das Fieber warit vu einer franten Zeit,
Beitimmt vielleiht, tes Uebels Grund zu heben.
So flammteit du durchs aujgeregte Leben!
oh, wie de3 Krantenlagers Aengütlichleit
Tem Fieber pilezt ver Srantheit Schult zu geben,
Schienn du alien ver Zeind nur aler Auh
Und trugu tie Schuld, tie früber war als zu!
Was fie geiärriset ci’ Unterlag,
Bas he gefzeseit it ven Mibken Tagena, ,
Zur all mismuen auf ten Kaas semmusen, 2 Do.
Tæ trier rar Au Ka 5%!
163 Gedichte.
Dich heben fie nah ienem CS chiamer jagen,
In dem ſich ever felber gerw geicmumf,
Lie dw gewollt, nur acht wie du gelnmet!
Tom, feit du fort, fließt mum nicht mehr das Wut,
In dem vor dir ſchon alle Felder rannen?
Ward Lohn dert gegen dich vereinten Mannen?
Iſt heilig das von dir bebrohte Gut?
Ward Tyrannei entfernt mit dem Tyrannen?
Iſt auf der freien Erde, ſeit du fort,
Nun wieder frei Gedanke, Meinung, Wort? —
Dich lieben kann ich nicht! — Dein hartes Amt
Dar: eine Geißel Gottes jein hienieden;
Das Schwert bajt du gebracht und nicht ven Frieben, —
Genug bat dich die Melt darum verdammt!
Doc) jest ſei Urtherl von Gefühl geſchieden,
Das Leben liebt und haft; ver Todten Ruhm
Iſt der Geſchichte heilig Eigenthum.
Zum mincjten wardſt du ſtrahlend hingeſtellt,
3u kleiden unſrer Halbheit efle Blöße,
Ju zeigen, daß noch Ganzheit, Hoheit, Größe
Gedentbar jei in unſrer Stidelmelt,
Tie jonjt wohl gar im eignen Nichts zerflöße,
Tap noch die (Yattung Ta, Die ſtarker Hand
Ber Cannä ſchlug, bei Ihermopplä ſtand.
Und jo tritt hin denn, in der Heiden Jabl,
Die annoch leben auf ter Nachwelt Jungen!
zum Alexander, ter die Weit bezwungen,
zum Cäjur, ter, mit tateınswertbier Waobl,
Am Rubicon zur Herrſchaft vorgedrungen,
zz — — test fein Held ſich mebr un Gleichniß ein?
BE: it man ſireng da, we die Waot eo tlein.
1I. Im alten Defterreidh. 109
Geh hin und fag’ es an: Der Zeiten Schooß,
Er bring’ uns fürder Mäfler, Schreiber, Pfaffen —
Die Welt hat nichts mit Großem mehr zu ſchaffen;
Und ringt fih aud einmal ein Löwe los,
Cr wird zum Tiger unter fo viel Affen.
Wie ſoll er fhonen, was hält länger Stich,
Wenn Niemand fonft er achten kann als fih?
Geh hin, und Ruhe fei mit deinem Top,
Ob du die Ruhe glei der Welt gebrochen !
Hat doch ein Größerer bereits gejprodhen:
„Bon Höherm lebt ver Menſch al3 nur vom Brod !”
Das Große haft am Niedern du geroden,
Und fühnend fteh’ auf deinem Leichenftein:
Er war zu groß, meil feine Zeit zu Klein!
Yifion. !
(März 1826.)
Zu Mitternaht in Habsburgs alten Mauern
Geht ein Verhüllter, räthjelhaft zu fehn!
Man fieht ihn fchreiten, weilen nun und lauern —
Dann heben feinen Fuß und weiter gehn.
Vom Haupte zu den trägen Ferſen nieder,
Umbüllend rings, fließt nächtiges Gewand,
Die Falten ſcharf; jo zeihnen fih nit lieber,
Wo Leben no die ftraffen Formen fpannt.
Was hält er? Iſt's ein Stab? Es blinkt wie Waffen !
Des Schnitters Waffe haltend, zieht er ein,
Und wo des Mantels Saum’ im Gehen Haffen,
Blinkt kahl entgegen fleifhentblößt Gebein. —
% Zur Geier der Genefung des von einem heftigen Entzündungsfleber
ergriffenen Kaiſers Franz,
110 Gedichte.
Ich kenne dih, du Würger der Lebenv’gen !
Was fuchft im Heiligthume, Scheufal, du?
Hier darf das Alter nur die Tage end’gen,
Die Pflicht, zu Ichen, gibt ein Recht dazu.
Jetzt fteht er ftill, dort, mo das Pförthen ſchließet.
O, ſchließe gut! O Pförtchen, fhließ ihn aus!
Doch aus dem Kleide, das ihn rings umfließet,
Stredt er die dürre Knochenhand heraus.
Wie an die Flügel er den Finger ftellet,
Da fpringen fie weitgähnend aus dem Schloß,
Und ein Gemach, vom Lampenſchein erhellet,
Liegt feinem Aug’, liegt feinem Arme bloß,
Und drin ein Mann auf jenem Schmerzensbette;;
Wie ift die edle Stirn von Tropfen feucht!
Zwei Frauen neben ihm. Wer jäh’3 und hätte
Die Gattin nicht erkannt, die Mutter leicht?
Und eine Krone liegt zu Bettes Füßen,
„Das iſt ein König!” ſpricht der bleiche Gaſt —
„Und zwar ein guter, fol ih glauben müflen,
Das früh ergraute Haar zeugt nicht von Raft!
„Wohl aud als Gatte mocht' er ſich bewähren,
Darum bewadht die Gattin jeden Hauch.
Durchs Schloß erfhallen Seufzer, fließen Bähren:
Ein guter Herr und Vater alfo aud).
Und dennoch kann Das alles mich nicht hindern,
Der Gattin Thränen halten mich nit auf;
Den Bater raub’ ih täglich feinen Kindern,
Was vorbeftimmt ift, habe feinen Lauf!" —
Und er tritt ein. Da fummen leife Klänge
Vom Schloßhof her in fein gefpanntes Ohr.
Dort moget Volt, kaum faßt der Raum die Menge,
Und Jeder forfht, und Jeder blidt empor.
u
II. Im alten Oeſterreich. 111
Ein Weinender frägt Einen, der da weinet,
Und Thränen machen ihm die Antwort kund;
„Ob Hoffnung ſei?“ Was trüb der Blick verneinet,
Pflanzt durch die Menge ſich von Mund zu Mund.
Und alle Hände ſind zum Flehn gefaltet,
Auf jeder Lippe zittert ein Gebet;
Der Todespfeil, der Einen Buſen ſpaltet,
Den blut'gen Weg zu Aller Herzen geht. —
Da hält der Würger an, fieht nad dem Kranfen,
Dann nah der Menge, wogend ohne Ruh, —
Es ftodt der Fuß, der Arm beginnt zu wanken,
Und endlich fchreitet er der Thüre zu.
Schon hört er nicht mehr das Gebet der Menge,
Die Beßrungskunde jubelnd zu ſich ruft;
Und an dem Ende der verſchlungnen Gänge
Schwingt er, ein Nachtgewölk, ſich in die Luft. —
Im Gehen aber ſcheint er noch zu ſprechen:
„Nicht über meinen Auftrag geht die Pflicht;
Ich ward geſandt, ein einzig Herz zu brechen,
So viele tauſend Herzen brech' ich nicht!“
Auf die Geneſung Serdinands, des Gütigen.
(1832,)
Bift du genefen denn? Sei uns. willfommen!
Wir jubeln laut dir in Begeiftrungsgluth,
Des Glüdes fiher, das uns halb genommen,
Der Zukunft frob; denn du bift gut.
Mag fein, daß höchſter Geiftesgaben Fülle
Dereinit umleuchtet deinen Fürftenhut;
Wir forihen nit, mas Zukunft erſt enthülle,
Des Einen fiher jet ſchon: daß du gut,
112 Gedichte.
Denn was der Menſch erringen mag und haben,
Der Güte bleibt der höchſte, legte Preis:
Der Gipfel fie und Inbegriff der Gaben,
Da3 Einz'ge, was nicht altert, ſelbſt im Greis.
Die Weisheit irrt, Bedächt'ge trifft der Tadel,
Die Tapferkeit erreiht nur, was ihr glüdt;
Doch Güte, Herr, gleih der magnet'ſchen Nadel,
Zeigt nad dem ew'gen Pol hin unverrüdt.
Und Treue und Gerechtigkeit und Milve,
Sie find nur Strahlen jenes felben Lichts.
Als Gott den Menſchen ſchuf nah feinem Bilde,
Sprad er: „Sei gut!” von Weisheit ſprach er nichts.
Doch gut nit heut nur, mandhmal? — immer, immer!
Ob Nuten vor auch ſchlaue Klugheit fhüst;
Des Einzeln’ Vortheil ift erborgter Schimmer,
Doh dauernd frommt, was auch den Andern nükt.
Und fo ift denn der Gute au der Weife,
Er ift der Feſte, denn er bleibt fih glei;
Gr it der Mächt'ge, denn im felben Gleiſe
Mit feines Schöpfers Weltall rollt fein Reid.
Fühlft du es jo in deinem Buſen ſchlagen,
Dann tritt die Zukunft an mit frohem Muth;
Und jubelnd foll ein Enkelchor einft fagen:
Sein Volk war treu, und er war gut!
II. Im alten Oefterreich. 113
Klage.
(ALS das dvorfiehende Gedicht boshaft mikdeutet wurde.)
Mag noh ein Lied in dieſer Zeit ertönen,
Die übertreibt AU, was fie fpridt und denkt?
Go daß das Ohr, vorfihtig durch Gewöhnen,
Das Wahre felbft erft mindert und beſchränkt.
Gib dein Gefühl, der Hörer wird's mißbeuten,
Lobft du mit Maß, erſcheinſt du rauh und hart;
Gelehrig, aber langſam find die Zeiten,
Und raſch ift, raſch und blind die Gegenwart.
So kehrt denn heim, ihr meine wahren Zeilen,
Du warm Gefühl, um das nur ich gewußt;
Und will die Welt nicht unfre Freude theilen,
So freun wir uns allein in ftiller Bruft.
Warſchan.
(Gefallen am 8. September 1831.)
So bift du denn gefallen, Stadt der Ehre,
Des Heldenfinnes letter Zufluhtsort?
Mo Männerfreiheit nicht mit Sat und Lehre,
Mit Schwertern focht, ftatt mit dem hohlen Wort.
Biſt du gefallen? und die Schaar der Zungen,
Zu Meinungsftveit allein noch reg und frifch,
Bringt plappernd dir die legten Huldigungen
Und fegt fih drauf an des Miniſters Tiſch.
Was glaubteft du auch, Stadt der edlen Thoren,
Die Welt, fie nehme Theil an deiner wahren Noth?
Als neuerer Lukulle Gladiatoren,
Genoß man euern Sieg, genießt man euern Tod.
Grillparzer, Werle. I. 8
114 Gedichte.
Als jüngft ein Volk, die Kohle ſonſt'ger Feuer,
Halb katzenhaft nad feinem Herrn gefrallt,
Da griff ein König ſelbſt in feine Leier,
Und ein Defpot rief ihrem PDränger: Halt!
Da fah man eine Welt in Harnifch geben,
Sy Oſt als Weit nahm Theil am edlen Streit;
Doch damals galt's Ruinen, Propyläen,
Erinnrungen erinnert ſchöner Zeit.
Man hatte ſchulweiſ' den Homer geleſen
Und bieß gebildet, weil man da geweint; n
Der Polen Notb war leiblih wahres Wefen,
Die tein Aeon mit Abendroth bejcheint.
Auch mochte dert man hülfreich fich erweiſen,
Der eigne Vortdeil blieb geihügt, bewahrt;
Raum tar and eigne Fleiſch das Rettungseiien,
Ta ieh mit Ein! ber Muth won feiner Art —
Dd, Fratkkreich, Fronkreich!? beunteſt ta verlennen
Den Platz, au den ein Gott dich hingeſtellt?
Biſt ſtolz, der Freiheit Bedut'gam dich zu meumem,
Wr zeugſt mit ie nicht Kinder für die Weit?
O, ſchau! viel Hilger ſind fie, die dich haffen,
Ihr Wert ſcheint ihnen halb nur und won heut,
Sr lang ein led noch auf der Welt galaffan,
Ar nicht ein Here oh einem Knucht gebeut.
Du rühmſt dich deines Zwingherrn Ueberminter,
Den fremde VPacht bis beute nie werliah ?
Auf Polens Flur erichlägt man, ranfreihy Minen,
In. Warſchau's Angeln Hirt ie Pforte van Barist
Und du, dem man Den Namen ging 34 holen.
2 Land Res grefien,. Heiner Kaſſmir!
Als dich der Vater nannte, dacht' er: Polen!
Zen Name bricht mit Polen über din
It. Im alten Ocfterreid. 1135
Wär's Unbill gleih, dich unbegabt zu fchelten,
Sit Hug gleih Manches, was dein Klügeln ſchuf;
Auf großen Bahnen kann nur Großes gelten,
Klein ift, wer Kleiner ift als fein Beruf. —
Ihr Briten, auf! e3 gilt Smyrnejer Trauben,
Oporto:Wein, Brabanter Linnen, auf!
Frankreich will euern Freund Miguel berauben,
Laßt zehn, laßt zwanzig Orlogſchiffen Lauf!
Ihr Brutuffe mit Pfefferdüt' und Eile,
Gerecht nur gegen euch, und das nad filz'ger Norm,
Schreit nit das Volk an eurer eignen Schwelle?
Es ruft nad) Brod, und ihr gebt ihm Reform.
Bar Warſchau hingebaut am Meeresſtrande,
Und wüchſe Zimmt, wo jegt nur grüne Saat,
Ihr fühltet macht'gere Berwandtihaftsbande,
Uno Polen ftünbe frei, ein Bolt, ein Staat.
Doch weil ihr, glei dem Geiz'gen im Gedichte,
Einäugig gern, wenn euer Feind nur blind,
Sieht, dab fein Franf’ den biut'gen Hader ſchlichte,
Ihr Bolen3 Staub hinmwehen in den Wind.
Und wolltet ihr das Land, vom Rhein durdflofien,
Heimfuchen nicht mit Arieg, der immer hart,
Barum mit euern Grenz- und Ruhmsgenofien
Rad, Stambul hin nicht Ienten eure Fahrt?
Dort Innniet einem alien Freund ihr nügen,
Und jeder Streih traf nur den grimmen Gar,
Doch wechſelt ihr das Herz mit euren Sitzen,
Der Bolliad eurer Freibeit Hochaltar. —
Die aber in des Welttheils Mitte wohnen,
Sind mild, ein Freiheit träumendes Geſchlecht!
Sie aud) als Bettlerpiennig nehment von den Thronen,
Tod, wo ein Herr, iſt audı der Deutſche Knecht.
116 Gedichte.
Die Einen find zu ſchwach, die Andern — ſtille!
Von dieſen ſpreche nimmermehr ein Lied!
Zum Guten fehlt nicht Macht, es fehlt der Wille,
Das Auge fehlt, das frei nach aupen ſieht.
Die Freiheit haſſen fie, doch nicht alleine,
Nicht mehr als AL, was ftammt nom ew'gen Geiſt
Und athmend lebt im hellen Sonnenjcheine,
Mas wärmt, erhebt, was venft und unterweist,
Dort tönt kein Wort durch ſpäherwache Lüfte,
Chen kriecht das Denfen in ſich ſelbſt zurüd,
Tie Bruft vernieten krummgebogne Stiffte,
Und Genslich ftumpf, gilt dort für ganzes Glüd.
Gleichwie in Dante’? Dunkeln Schauderorten
Die Inſchrift lehrt, daß da fein Nüdtitt ſei,
Steh inichriftweil’ an dieſes Landes Biorten
Gemeinbeit eingepräat und Heuchelei.
Dem Throne nah fist dort ein Mann feit Jahren,
Die alatte Stirn im Venusdienſt gebleicht,
Dem Einfäll' luftig durchs Gchime fahren,
Die ihm ein Andrer auf Eriteme zeucht;
Und wenn der Zeitgeiſt durch die Macht der Schwere
Zur Erde fintt, der jtrahlend er entflog,
Sr ſchwört der Feine Mann auf Wort ımd Ehre,
Sein Gauteln ſei's, das ihn hernieder 30a.
Mer Tieber ſich von Ebenbürt'gen treten,
Als mabnen lafen mil vom mindern Mann,
Wird fruchtlos zu der Menſchbeit Felt acheten,
Er war enticulviat, eb es noch begann. —
Tir aber, Vreußen, lat mich donnernd ſprechen,
Warum thuſt du nicht deiner Vflicht genug?
Kaum wächst ja Brod auf deinen ſand'gen Flächen,
zer Geift allein dein Ader und dein Vifſug.
/
⸗
/
II. Im alten DOefterreich.
Als dich der, leider, Einz'ge deiner Fritze
Der Zahl zum Troß hoch zu den Sternen trug,
Dacht' er dich ftet3 auch an der Bildung Spige,
Stoff gegen Stoff, zerbricht der ſchwächre Krug.
Und war's dein Volk nit, das dich rüderftritten,
ALS du geftelt vih an des Abgrunds Bord?
Warum nun zittern in des Volles Mitten,
Das Dafein betteln von dem eif’'gen Nord?
Lebſt etwa du in der Erinnrung Räumen,
Wie damals, als dein Junkerheer zerſchmolz?
Gin glei Erwadhen harret gleihen Träumen:
Ein Jena liegt, wo Dünkel fteht und Stolz. —
Sie aber hören nicht, find nicht zu retten,
Die Niederung vermählt ih gern dem Sumpf,
Barbar'ihe Könige in goldnen Ketten,
Dünkt ihnen ſchön ein rufliiher Triumph.
Du aber, Freiheit, die der Frühlingsmorgen
Herporrief aus tem eisumſchloßnen Grab,
Die Sonne bat won Reuem fi verborgen,
Eteig wieder nur zur falten Gruft hinab.
Doch hüte vih, zu feit, zu lang zu ſchlafen,
Hat ja fein Winter ewig noch gethront,
Und wenn im Mai erſt laue Strahlen trafen,
Kommt Juli aub, der holde Erntemond.
— — | —
Rußland.
Ich grüße dich, Du Land ber eiſ'gen Steppen,
Mit deinen Völkern, xauh und ftarr und roh,
Wo fie vie Unſchuld zum Polarkreis ſchleppen,
Wo no Gewalt des Uebermaßes froh.
117
118 Gwichte.
Wohl weiß ich, was du drohſt: du drohſt mit Banden,
Wohl weiß ich, was du willſt: du willſt die Welt;
Und dennoch Heil mit dir und deinen Landen,
Greif zu! ſchlag los! zertrümmre, was dich hält!
Dort, wo des Bospors atherblaue Wogen
Durch reiche Ernten fluthen ohne Saat,
Wo ſich des Ueberfluſſes Horn gebogen
Hinlegt um Konſtantinus' goldne Stadt,
Dort ſetz dich hin in deiner Thierheit Fülle,
Frohlodend ob der fpät gelungnen That,
Und fletſche deiner Zähne Reihn und brülle,
So oft ein Störer fih dem Raube naht.
Nicht, daß ich Gutes dir und Frohes gönnte,
Ich haffe deiner Räuberhände Brauch
Und möchte did vernichten, wenn id könnte,
Könnt’ deine Gegner ih vernichten aud.
Denn fie, die Widerfaher und Genofien,
Die gleihe Luft mit gleihem Kigel nedt,
Im Kleinen Duäler, wie du Scherg’ im Großen,
Sie brauhen einen Maͤcht'gen, der fie jhredt.
Als nod der Mann, dem nun die grünen Gräfer
Auf Helena die Schlummerftätte baun,
ALS er noch ftand, der Allmacht Zornverweſer,
Da waren fie wie Lammer anzufhaun.
Da krochen fie um des Gemalt'gen Füße,
Da lechzten fie nad Freiheit und nad Licht;
Da boten fie der Menfchheit Freundesgrüße,
Nicht nur das Recht, auch göttlich ſchien die Pflicht.
Doch als erfüllt das Map von Gottes Zorne
Und der Titan, nicht ihnen, Gott verfiel,
Vergaßen fie das heilig laut Beſchworne
Und fepten gleiche Zrevel ſich zum Biel,
U. Im alten Deſterreich. | 110
Die Noth vorbei, war au vorbei das Beten,
Der Negenmantel wid der warmen Zeit, _
Die Zwerge lodt’3, des Riefen Spur zu treten,
Mar Elein die Kraft, war das Gewiſſen weit.
Und, Pfennige der umgemünzten Krone,
Bezahlten fie in gleihem harten Geld,
Dem Zutraun warb des Treubruhs Spott zum Lohne,
Roh einmal dunkelt's in derelichten Welt.
Und nachten wird’3, wenn nit der Schred vom Neuen
Aus Drohenden fie zu Bedrohten ſchafft;
Wohlan denn: fchred’ fie du! laß fie bereuen,
Dat ihre Macht fie wähnten unfre Kraft.
Mad’ zittern auf den Häuptern ihre Kronen,
Berftärl! ven Uebermuth, der droht und fhüst,
Nimm aus das Neſt, wo ihre Jungen wohnen,
Daß Eigennug fie lehrt, was Allen nüst.
Doch merf, vu gräbit das Grab dem eignen Heiche;
Denn, erit getügt des Rechtes heilig Haus,
Ziehn wir einher als unirer Führer Gleiche
Und tilgen dich als leg:es Untest aus,
Der kranke Sclögerr. '
Ber Ent 1338.,
Er it verwumdet, nur Br zus ver Eblacht
Ein taprrer Kimye wars, eia lülner Fuͤhrer,
Te ride m der Aurerſtrge Ebaar.
Rum ber war ein Preil des has ihr
es Im Autzun 50, a Arier Zeit, als He Irientoliihe Frage Ale
Betestüide Bervurng smunkmer Sit, war er MNereiidkiitr Zraatäs
Banfes, guet Aeruerrich edentich xxautt.
120 Gedichte.
Und fuhr mit Macht hindurch, bis dahin, wo
Tief unter Herz und Bruft fih Leber, Mil;
Und Magen, Galle, Nieren, thier'ſcher Gräu'l,
Und doch der Sitz des Lebens folder Herrn,
Mit ſchickſalsſchwangern Windungen begegnen.
Der Pfeil jedoch, der ihn ins Leben traf,
Es war die Botihaft, daß der Legitimen Einer,
Der Kopfabſchneider Mahmud, Tops verblichen,
Und nun ein Anderer der Legitimen,
Der Polenwürger Nikolaus, gemillt,
Kraft feines alt von Gott entiproßnen Rechts,
Zu ftehlen, wa3 der Türf vor Jahren ftahl.
Das fuhr dem Mann — der, meil von Wind geichwellt,
Sich für das Segel hielt des Schiffes diefer Welt,
Der feine Kraft, jein Schwert durch Spiten, Schleifen
Bis zu des Fadens Dünnheit abgenügt
Und machtlos ftand der Macht nun gegenüber —
Das fuhr ihm mie ein Bligftrahl durchs Gehirn
Und warf ihn nieder, wo er annod liegt.
Laßt ihn betrachten uns: Ein feiner Mann!
Die hohe Stirn, fie barg gewiß Verſtand.
Doh iſt Verftand ein doppeldeutig Ding,
Ein Diener, der nur gut durch feinen Herrn.
Iſt Der nun, der gebeut, fein reiner Wille,
Kein rihtiger Sinn, der Pfad und Wege meist,
Dünkt ihm fein Ziel Erflügeln, ftatt Erkennen,
Mögt ihr ihn Fluch und feine Gabe nennen.
Und aud ein Herz, e3 ſpricht aus diejen Zügen!
Der war nicht taub für feines Nächften Leid;
Menn anders nicht der Stolz, die Eitelkeit,
Gelagert in den hochgezognen Brauen,
Verſchloſſen feines Fühlens weiches Ohr,
Ihn bannten in des Hochmuths ftumme Nacht. —
II. Im alten Oeſterreich. 121
O, ew’ger Fluch bevorzugter Naturen
(Bevorzugt als begabt, al3 hochgeftellt),
Statt auf betretnem Völkerweg voran,
Auf Taunifh ausgewählt, einfamer Bahn
Zu fuchen, was der Welt gemeinfam frommt.
Beim Anfang tönen noch verwandte Stimmen,
Mahnende Leiter aus der nächſten Nähe;
Doch immer weiter abfeit3 geht der Pfad
Durch Didiht und Gebüfh. Mit fich allein,
Hat der Gedanke feinen Maßſtab mehr
Als den Gedanken, der nur er, er felbit;
Der erfte Fehlihluß zeugt den zweiten Irrthum,
Und der trägt ſchwanger Zaufende im Schooß,
Die fi) begattend und erzeugend, leiſen Fortſchritts
In immer fteigend unlösbarer Kette
Um Haupt und Bruft, um Sinn und Wollen [hlingen.
Es fehlt der Prüfftein des verwandten Streben,
Die Billigung des ew'gen Menjhenfinns.
Und endlich ſpät zur lichten Welt gelehrt,
Steht das Erdachte als ein Scheufal da,
Sich ſelbſt ein Gräul, wenn gnädig ihm ein Gott
Beim Anfang folder Bahn das Schauder-Ende
Gewieſen in prophetifhem Geſicht. —
Und dennody prangt’3 und troßt und droht und zwingt.
Bis endlih, der da3 Heil von Allen will,
Den Frevler aufgreift von der frommen Erde
Und hinwirft, flah, Nebufadnezar gleich,
Daß mit dem Thier er freſſe grünes. Gras!
Das war fo Einer, dünkt mid. Hebt ihn auf,
Beforgt und pflegt, wenn nicht, begrabt ihn:
Denn, ob nicht todt, er lebt doch auch nicht mehr.
123 ‚ Gedichte.
Bur Guttenbergs - Feier.
(1840.)
Du lichte ſchwarze Kunft!
Ob Guttenberg’3, ob Fauſt's,
Mar man mit Recht im Zweifel;
Denn halb entſtammſt du Gott,
Und halb hat dich der Teufel.
Doch lat, wie fehr beforgt,
Dom Feind euch nicht erfchreden ;
Gott bat ihm Macht geborgt,
Er dient nur Gottes Zwecken.
Der Ader ift jo weit,
Mer will ihn überbliden ?
Die Sichel hält die Zeit,
Sie wird ihn ſchon beſchicken.
Und wenn aud Unfraut wächst,
So hütet eu vor Jäten;
Ihr Eönntet im Bemühn
Die gute Saat zertreten.
Kaiſer Iofefs Denkmal.
(1842.)
Laßt mich herab von dieſer hohen Stelle,
Auf die ihr mich gejegt zu Prunk und Schau,
Prunk, mir verhaßt, als noch die Lebenswelle
Dur diefe Adern floß balſamiſch Tau.
t Sür das im Jahr 1840 bon Dr. H. Meyer beraußgegebene Gutten⸗
bergä» Album beftimmet, jedoch von ber Cenſur beanftanbet,
II. Im alten Defterreidh. Ä 123
Längſt ift ja doch mein ird'ſcher Leib verwefen,
Und nun durd euch mein Geift getöbtet aud).
Soll hören id mein Urtheil bier verlefen
Bon hoher Bühne, wie’3 bei Sündern Brauch?
Was ich geſchaffen, habt ihr ausgereutet,
Mas ih gethan, es liegt durch euh in Staub,
Die Zeit wird lehren, was ihr außgebeutet;
Mich wählt zum Hehler nit für euren Raub!
Mir war der Menſch nit Zuthat feiner Nöde,
Als Kinder, Brüder liebt! ih alle gleich;
Ihr theilt die Schaar in Schafe und in Böde,
Und mit den Böden nur erfreut ihr eud.
Und über meine Völker, vieler Zungen,
Slog hin des deutſchen Adlers Sonnenflug,
Er hielt, wa3 fremd, mit leifem Band umfchlungen,
Bereinend, was ſich thöricht jelbjt genug.
Den Spiegel deutſcher Lehr’ in Kunft und Wirken
Trug er, von keinem Unterjhied gehenmt, .
Bis zu den legten, daͤmmernden Bezirken,
Wo nod der Menſch fi ſelbſt und andern fremd.
Nun aber tönt’3 in wildverworrnen Lauten,
Wie Trog und Rohheit fie der Menge beut,
Dem Thurme gleih, ven fie bei Babel bauten,
In Folge deß die Menſchen ſich zerftreut.
Noch Eines war, da3 habt ihr nody gehalten
Bis diefen Tag, aus Trägheit, Furt, zum Spott:
Der Glaube fand fih längit in fi gefpalten,
Mir war er Eins, wie Recht, wie Menſch, wie Gott.
Und in der Bruft, dem innerlichſten Leben,
Bergönnt’ ich Jedem feinen Weihaltar:
Der Lüge ift die äͤußre Welt gegeben,
Im Innern fei der Menſch fi ſelber wahr.
124 Gedichte.
Greift noh an dieß! Die heil’ge Ueberzeugung —
Macht wieder fie zum leeren Formenſpiel!
Der überirdiih unerflärten Neigung —
Set ihr ein ſelbſtgemachtes, rohes Ziel!
Entfaltet wieder fie, die ſchwarze Fahne,
Die meine fromme Mutter jchon verhüllt,
Den guten Enfel, macht ihn glei‘ dem Ahne,
Der, fromm getäufht, die Welt mit Mord erfüllt.
Thut’3, denn ihr wollt's! — Mich aber laßt von binnen,
Treibt nicht mit meinem heil’gen Namen Scherz!
Man ehrt ven Mann, verehrend fein Beginnen,
Bracht ihre mein Werk, zerbredht auch dieſes Erz!
Doch brädet ihr’3 in noch fo Kleine Trümmer,
Es kommt der Tag, der wieder fie vereint,
Und einft — bei frühen Morgens erſtem Schimmer,
Eh noch ein Strahl die Kaijerburg beſcheint;
Wenn ihr euch wälzt in fchlummerlofen Träumen,
Meil Boten bradten blut’gen Krieges Wort,
Getäufchte Freunde mit der Hülfe ſäumen
Und Stürme herziehn vom beeisten Nord;
Wenn Art und Stamm da3 eigne Volk entzweien,
Getrennter Zweck fie fcheidet hie und dar,
Streitfühtige Pfaffen ihre Gläub’gen reihen
Um ihren, nit des Vaterland, Altar;
Sn Scham fih eurer Heere Stirnen malen
Db ihres Führers, den die Gunft berief;
Der Schatz nur reih an Ziffern und an Zahlen,
Der Schulobrief aufgelöst in Schuld und Brief; —
Hört ihr es dann in gleihgemeßnen Tönen
Durch Straßen, ſchweigend noch von Volkes Ruf,
Auf funkenſprühendem Granit erbröhnen
Wie eines ehrnen Roſſes Wechſelhuf: —
II. Im alten Oefterreid. | 125
Dann denkt, es naht der jüngfte eurer Tage,
Der todte Kaifer kam zurüd ans Licht,
Und mit der Weltgefhihte Demant : Wage
Geh’ ih ob meinen Enkeln zu Gericht.
Abſchied von Wicn.
(7. Auguft 1843.)
Leb wohl, du ftolze Kaijeritadt,
Zwar nicht auf lange, dent’ ich;
Zu andern Grenzen, lebengmatt,
Die irren Schritte len?’ ich.
Schön bift du, doch gefährlih auch
Dem Schüler wie dem Meiiter,
Entnervend weht dein Sommerhaud,
Du Capua der Geifter!
Auf deinen Fluren geht ſich's weich,
Und Berg’ und Wälver breiten
Rings um did her ein Zauberreidh,
Durch da3 die Ströme gleiten.
Weithin Mufif, wie wenn im Baum
Der Vögel Chor erwadte,
Man fpriht nit, denkt wohl etwa kaum
Und fühlt das Halb-Gedachte.
Dazu dein Volk, ein wadres Herz,
Verſtand, und vom gefunden,
Das fih mit Märchen und mit Echerz
Der Wahrheit Bild ummunden.
126 Gedichte,
Man lebt in halber Poeſie,
Gefährlih für die ganze,
Und iſt ein Dichter, ob man nie
An Ders gedacht und Gtanze.
Doh weil, von fo viel Schönheit voll,
Wir nur zu athmen brauden,
Vergißt man, was zum Herzen quoll,
Auh wieder auszuhauchen.
Die Tafel bleibt, die Leinwand Icer.
Drum fort au3 diefen Gründen!
Ob von der Reifelaft Befchwer
Sich feitre Bilder ründen.
Dorzeidhen.!
(Jänner 1848.)
Wenn fih der Untergang auf Staat und Haus gerüftet,
So ſchickt er feinen Herold erft voran,
Dem’3 nad der Umkehr des Gewordnen lüftet:
Den Wahnfinn, der den Sinn verkehrt in Wahn.
Der ſchlägt ven Mörtel ab und löst die Fugen,
Damit des Meifters Arbeit leicht und kurz,
Die Stützen wanken, die den Giebel trugen,
Und weithin donnere der jähe Sturz.
Da ift ein zwedlos Rennen, thöriht Schaffen,
Ein Fliehen und ein Suchen aud der Noth;
Man zahlt mit Gold und fhärft die ſchneid'gen Waffen,
Die färben joll des Eigners eigner Tod.
4 Die Ende 1847 erfhienene Schrift bed Hofraths Barons GI. Hügel
„Meber Denk⸗, Rebes, Schrift» und Preßfreiheit”, welche die mittelbare
Abweifung der Petition einer Notabelnverfammlung um Aufhebung der
Cenſurvorſchriften enthielt, veranlaßte Grillparzer zu biefem, den naben
Umfturg borberfagenden Gedicht.
11. Im alten Oeſterreich 127
Mie Roboam, als, die beim Volk in Ehren,
Den Steuerdrud ihm Hlagten als verhaßt,
Ausrief: den Zoll ums Doppelte zu mehren, —
Sein Finger wiege gleich der fonft’gen Laft;
Als vor Byzanz die Moslim ſchon zu fchauen,
Und Einigfeit zu retten nur vermag,
Da ftritten fi die Grünen und die Blauen,
Die Schwarzen ohnehin bi dieſen Tag.
Wenn nun ein Legtes hinweist auf die Frühern,
Iſt au ein Frühres nur, weil eins zulegt,
Und börft du erft des Wahnſinns Lache wiehern,
Klingt’3 mit des Unheild Weinen Thon verfegt. —
Ich weiß ein Land, das lag fo unbeweglich,
Es regte faum die Glieder wie ein Wurm,
In Ringen hob fih’3 nah der Nahrung täglich,
Die Zeit war nur ein Ölodenihlag vom Thurm.
Die nächſte Nähe lag auf hundert Meilen,
Die Dämmerung gab noch zu helles Licht,
Das Höchſte ſchien des Niedern Schmach zu theilen,
Und Ruhe war nicht bloß der Bürger Pflicht.
Da bäumt fih’3 plöglih auf wie böfe Fieber,
Ein Ihaurig Wehen geht durchs ganze Land,
In Wellen fteigt’3 und ftürzt fih brandenp über,
Gelöst ift des Gemwohnten alte Band.
Das matte Aug’ jtrengt an die blöden Sterne
Und ſucht des Uebeld Keim, der gar zu nah,
Mit leerem Grübeln in der. weiten Ferne,
Erforſcht, was wird, und nicht, was längft geſchah!
Die böfen Fugen, die die Zeit gelichtet,
Und die die Trägheit faum noch hielt in Haft,
— Laßt fehen, ob ein Anftoß fie verdichtet!
Der Widerſtand verdoppelt ja die Kraft,
128 Gedichte,
Stört fie im Schlaf der Feile dumpfes Nagen? —
heilt Andern mit des eignen Volkes Drud! —
Die Kette, weiß man, wenn fie Alle tragen,
Iſt fie nicht Kette mehr, fie wird zum Echmud.
E3 mangelt Geld? — Geht bei dem Wucher borgen!
Sit Haben doch und Sollen beides Gelb.
Berzehrt im Heute alle fünft’gen Morgen !
Denn morgen ift das Ende ja der Welt.
Klagt euh das Denken feiner Freiheit Schranten? —
Ruft einen Büttel, der no engre gibt,
Der Krone Vorrecht feien die Gedanken!
(Ein Borreht, das man etwa fparfam übt.)
Doch halt! fie denken! Die in beſſern Zeiten
Bon Schlauheit nur und Selbſtſucht ein Gemiſch,
Gie fangen an, im Schulgezänt zu ftreiten,
Und zum Kathever wird der Aktentiſch.
Dom Weltplan, von des Urvolfs erftem Wandern,
Bon Gott, der fie hauswäterlich geſetzt
In Häufer, die das Eigenthum von Andern,
Die andrer Väter Söhne auch zulegt!
Sit das der Wahn nicht, der bethört die Sinne?
Und ift der Wahnfinn nicht der Untergang,
Wenn er befällt vie Wächter auf der Zinne,
Die ſchützen jollen vor des Unheil3 Drang?
Das Unheil aber naht, fo muß ich meinen,
der Einfturz folgt, wenn erft fein Widerftand ;
Die Tollheit hör’ ich lachen, ib muß weinen,
Denn, ah, es gilt mein eignes Vaterland.
— — m
1I. Im alten Oeſterreich. | 129
Xenien.
(Den Wiener Kritifern geweiht.)
(1818, 1819.)
1.
Regellos jcheltet ihr mich, weil mein Werk in die Regel
nit paſſe;
Aber verfucht es! vielleicht paſſet die Regel ins Wert.
2.
Eigne Gedanken ſprichſt du mir ab? Auch jind es nicht eigne:
In der Weihe Moment gab fie die Muje mir ein.
3.
Schmäht, jo viel euch beliebt, ihr laut recenfirenden Zungen!
Ueber den Reihen zu Pferd ſchimpft ja der Pöbel zu Fuß.
4.
Wähnſt du denn ungeftraft mich zu ſchlagen, zorniger
i Streiter,
Mit dem gewaffneten Fuß? — Bin doch nicht krank und
nicht alt!
5
Belle, belle nur zu! ſo ſehr du, Köter, auch belleſt,
Kriegſt du den Mond nicht herab, kommſt du zu ihm
nicht hinauf.
Grillparzer, Werke. J. 9
130 Gedichte.
6
Auf! erneue den Streit! So oft du ſchwingeſt den Knüttel,
Send’ ih aus fiherer Höh’ goldene Pfeile herab.
7.
Eins die Göttin noch ſprach, als ſie den Bann mir verhängte,
Den euch erzählt mein Gedicht, Eins, das zuvor id) vergaß’
„Mühe,“ ſprach fie, „dich ab, und erzögft du Rofen und
Nelken,
Freffe gehörntes Vieh dumpf deine Blumen als Gras.“
Mein Recenfent im Gafteiner Fremdenbuche.
(1820.)
Ueberall folgit du mir nad, recenfirend? — Wohl denn,
jo flücht' id —
Dahin folgft du mir niht — mid in den Tempel des
Ruhms.
Abermals ein Recenſent.
Die Dichtkunſt, ſagt man oft und ſagt es laut,
Sie ſei ein treuer Spiegel alles Lebens:
Drum wenn ein Affe in das Dichtwerk ſchaut,
Sieht er nach einem Sokrates vergebens.
Einem ſchriſtſtellernden Cenſor.
Daß du, Freund, nicht ſchreiben kannſt,
Wiſſen wir geſammt;
Aber leſen lerne doch,
Das gehört zum Amt.
m
U. Im alten Defterreidh. 131
fiterarifche Marodenre.
(1838.)
Als Froft und Unheil heimgefucht
Des Helden mächtig Heer,
Da plünderten ihm das Gepäd
Koſak und Marodeur,
Oeſterreichs Aumoriften.
1
Mas je ein Land, zeugt unjres wohl,
Ob's leugnet ein Befangner:
Hier öfterreihifcher Jean Paul,
Dort ungriiher Champagner.
2.
A. Humor! Humor! Wer fagt mir, mas das ift?.
Man liest’3 ja jetzt auf jeder dritten Zeile.
B. Ich weiß nicht recht, ſtammt davon Humorift,
Heißt's Unverfhämtheit oder — Langeweile.
M. 6. Saphir.
1.
Wenn der Humor der Scherz des Ernftes ift,
Bit du fürwahr ein Humorift:
Am lächerlichſten, wenn du ernithaft bift.
132 Gedichte.
2.
Du zählſt dich auch zur Literatur?
Laß ſehn, was für dich ſpricht.
Die Nacht gehört ja auch zum Tag,
Wenn gleich zum hellen nicht.
3
[9
Schon einft Voltaire war auf der Spur
Der Frerons und Saphire;
Er meint: Un sot trouve toujours
Un plus sot, qui l’admire.
4.
Der Teufel wollte einen Mörder ſchaffen
Und nahm dazu den Stoff von mandem Thiere:
Wolf, Fuchs und Schakal gaben her das Ihre;
Nur Eins vergaß der Ehrenmann: den Muth.
Da drüdt’ er ihm die Nafe ein voll Wuth
Und rief: Lump, werd’ ein Jud' — und recenfire!
-——_ —
Vor den Porträts Saphirs und Känerle's.
Die Aehnlichkeit ift unbeſtritten,
Doch fehlt der Heiland in der Mitten.
— —
Dem Präſidenten des Thierſchutzvereins.
(1847.)
Wie weit verbreitet ſind des Wohlthuns Triebe!
Man ſchützt die Thiere ſelbſt — aus Nächſtenliebe.
—
— —
I. Im alten Oeſterreich | 133
Ein Dialertdichter.
1.
Nachdem er vereint mit Gleichen ſchon,
Geſchützt fie vor Allen und Jeden,
Lehrt er in jeinem Idiotikon
Die Thiere auch noch reden.
2.
Wenn er berabzieht, wa von oben jtammt,
Sollt ihr die Abfiht nicht für Bosheit ſchätzen;
Er übt nur aus ein altgewohntes Amt:
Er will’3 in feine Mundart überfegen.
Der liberale Dielfchreiber.
Lope einſt de Vega Carpio
Hieß der Phönir feines Landes,
Alfo ſchrieb er gut und viel.
Du verfolgft ein gleiches Ziel.
Sol ih dich nun Phönix nennen?
Halb kann's wohl, halb nicht geſchehn;
Denn man wird dich wohl verbrennen,
Doch du wirft nicht auferjtehn.
Theater - Publikum.
1.
Ein Theil des Schönheitsſinns warb dir vor Allen,
Den andern Theil bezweifelt no die Welt;
Das Gute hat und wird dir ftet3 gefallen,
Nur dag das Schlechte dir nicht ſtets mipfällt.
134
Gedichte.
2.
Laßt mich mit eurem Publikum
Und euren gebildeten Leuten;
Sonſt waren nur die Dummen dumm,
Jetzt ſind es auch die Geſcheuten.
Hofburgtheater.
(1833,)
Thespi3’ alte Kunſt ift hin,
Hilf, o Mufenvater!
PBantalon und Harlekin
Lenken das Theater;
Pierrot, das Jammerbild,
Hilft mit trüben Mienen;
Doch was mehr als Alles gilt,
Sind — die Colombinen.
Cherfites.
(Frei nad Homer.)
Du Hundsgefiht mit einer Hajenfeele!
Was klammerſt du dich an des Fürlten Rod?
Ob auch das Wort an dir das Ziel verfehle,
Der Herrſcherſtab, bedenk', dient auch ala Stod!
Ans den Sureanz der Hofkammer.
Nebenbuhler mir zu meden,
Zählt ihr Dienftes: Jahre auf?
Eſel [hätt man nad) den Säden,
Über Renner nah dem Lauf.
II. Im alten Oefterreid. 135
Gefährliches Avancement.
Gin Dummkopf bleibt ein Dummfopf nur
Für fih in Feld und Haus;.
Doch wie du ihn zu Einfluß bringt,
Wird gleih ein Schurfe draus.
Ein Inbilar.
Der Mann bradt’ es auf Siebzig gar,
Das heißt: von feinem fiebenten Jahr
Hat all fein Wirken, von Kind bis jegt,
Nur — eine Null ihm zugejeßt.
An den Hofconeipiflen ***
(Bei Verleihung des Lilienordens.)
Wie paſſend ſchmückt dich der Lilie Zier,
Sie wird zum ſymboliſchen Zeichen an dir,
Wie ähnlich ſeid ihr euch Beide!
Wer denkt nicht an das, was die Bibel ſpricht:
Die Lilie, ſie ackert und ſpinnet nicht,
Und prangt doch in köſtlichem Kleide.
Ein Finanzreformator.
A. Das ſoll der neue Heiland ſein?
Das redet man mir nimmer ein.
B. Und doch gewinnt es ſo den Schein;
Sieh nur, wie ſich die Juden freun!
136
Gedichte.
Der Sinanzhofraih als Theaterdirechor.
(1818.)
Des Staat und ver Bühne Beratber,
Uebt jeine Pflichten er }o:
Iſt Hofrath bei dem Thenter,
Und Somödiant im Bureau.
Der geplagte Regierungsteferent.
(1834,)
Beihwert mit Fleiſch⸗ und Studienreferat,
Bermengt er manchmal fie — gewiß niht gerne —
Und bracht' in Vorſchlag für vie Bibliothef
Jüngſt, aus Berjehn, drei Ochſen in die Terne,
Dog ftill! denn bört er, daß wir lachten,
So wird er und noch ganz konfus
Und läpt beim nächſten Wochenſchluß
Wohl gar noch drei Gelehrte jhladten.
Ans der Banberflöte.
Die drei Damen: Iſt denn dein Vaterland nicht ſchön?
Papageno:
Damen:
®
Papageno:
Papagena:
Damen:
Dapagens:
Hmhmhmhm, Hm Hm!
Und möchteſt du was drin anders jehn?
Hmhmhmhm, Hm Hm!
Was aber drüdt dich etwa ſchwer?
Hmhmhmhm, Hm Hm!
Und wer's verjchulvet, nenn’ ihn, wer?
Hmhmhmhm, Hm Hm!
U. Sm alien Ocherreid. 137
Autwsrirn auf mäßige Fragen.
1.
„Sp ift dir erloſchen der Muſen Gunſt,
Erlahmt dein Künitler - Streben?“
Mein Freund, ich treibe die ſchwere Kunft,
In diejen Zeiten zu leben.
2.
„Barum gibft deine Werke du endlich nicht heraus?“
%e nun, bei ſchlechtem Wetter hält man fi) gern zu Haus.
Unſre Srommen.
" l.
Ihr jorgt für unfern befjern Theil,
Ihr Hohen, halb Männer, halb Weiber;
Geſichert ift unſer Seelenheil,
Wer fragt da noch viel um die Leiber?
2.
als Sinnbild de Bodens, auf dem ihr fteht,
Scheint Petrus vor Allen geeignet,
Da, eh nur Einmal ver Hahn gefräht,
Er dreimal den Herrn verleugnet.
Profelytismus.
Warum zu ihrem Glauben
Sie gern Genofjen nehmen?
Bielleiht, um in ber Menge
Sich weniger zu ſchämen.
138
Gedichte.
Den Iefniten.
Was nennt ihr nicht von Chriſtus euch?
Warum mit Jeſus brüften?
Meh, dab ihr Sefuiten feid,
Indeß wir Andern — Chrijten !
Die Schweizer.
(1847.)
1.
Man fragt, ob ihr denn Deutfche jeid ?
Ich glaub’ es nun und nie!
Ihr treibt die Sefuiten aus,
Wir jchreiben gegen fie.
2.
Die Schweizer mworfeln tüchtig drauf,
Die Frucht fällt dicht dabei;
Doch Deftreih hält noch obenauf
Und fammelt ſich — die Spreu.
Homdopathifche Kur.
Homdopathifch heißt die Kur:
Man heilt mit Rüdwärtsjchritten,
Mas Pfaffen und Jgnoranz gethan,
Durh Dummheit und Sefuiten.
II. Im alten Oeſterreich. | 139
Hiſtoriſche Entwicklung.
Nichts, was nur echt hiſtoriſch ift,
Ging je in unſrem Land verloren;
Drum herrſchen zwei Parteien drin:
Die Wihte und die Thoren.
Die verfolgte Unſchuld.
Was gebt ihr der Regierung Schuld
Und klagt fie fhmähend an?
Unfhuldig ift fie ganz und gar:
Sie hat ja nichts gethan!
Ungariſche Poſtulata.
(1847.)
Preßfreiheit ſteht dort oben an,
Wo — unſchuldsvolles Treiben —
Das halbe Land nicht leſen kann,
Das andere — nicht ſchreiben.
Ein radikaler Cavalier.
Ein Graf und radikal! Fürwahr,
Sein Rentamt foll mid dauern!
Doch nimmt vom großen Freiheitsſchmaus
Der Weltbeglüder weislich aus
Noch Ein’ge — feine Bauern.
140 Gedichte. _
Ein hochgeſtellter Arzt.
(Sm Cholerajahr 1831.)
Du Geiftesleugner! Teugneft du die Peit?
Bleib nur dabei, laß dir den Wahn nicht rauben;
Men erft der Glauben an den Gott verläßt,
Der darf fortan auch feinen Teufel glauben.
Ein bekehrter Dichter.
(1838.)
Die Feltung Ehre, die er jchwor
Zu halten bis auf3 Leben,
Hat endlich dem Belagrungscorps
Aus Hunger ſich ergeben.
Ein Ehrenmann.
(1844.)
Sch ftehe im Kreis der Intriguen
Und made feine mit;
Doch wenn die Schleier fiegen,
So theil’ ih den Profit.
Ans der Staatskanzlei.
1.
Ich weiß ein allgewaltig Wort,
Auf Meilen hört's ein Tauber!
Es wirkt gejhäftig fort und fort
Mit unbegriffnem Zauber;
II. Im alten Oefterreich. 141,
Iſt nirgends und ift überall,
Bald läftig, bald bequem;
63 paßt auf ein und jeden Fall,
Das Mort, es heißt: Syftem!
2.
Grundſätze, Freund, Brincipien
Gind’3, die den Staatsmann führen;
Sie geben Haltung, hält man fie, —
Und laſſen fih ignoriren.
_—-. — — — —-
Ein Matador der hohen Politik.
In hoher Politif zwei wichtige Dinger
Eind Daumen eben und Zeigefinger:
Gie halten die Feder,
Das weiß ein Jeder. —
Doch Wicht'geres noch wird oft durch fie betrieben:
Wenn fie ieh — übereinanderfchieben.
Uach Iohannisberg.
(1839.)
Wohl, müder Staatsmann! weide did
An dem befreiten Rhein;
Doch machteſt du die Donau frei,
Es follt! ung lieber fein.
Anticipirte Grabſchrift.
Hier liegt, für feinen Ruhm zu jpät,
Der Don Quixote der Legitimität,
142 Gedichte.
Der Falſch und Wahr nad feinem Sinne bog,
Zuerft die Andern, dann fich felbit betrog;
Bom Schelm zum Thoren ward bei grauem Haupte,
Weil er zulegt die eignen Lügen glaubte.
Schlußwort.
Der Geiſt der Zeit iſt nur ein Traum,
Oft iſt nur Mode das Bewunderte,
Doch ein Geiſt macht ſich immer Raum:
Der Geiſt, der ſtille, der Jahrhunderte.
Was Hein um klein und Griff um Griff
Polypenartig fich erweitert,
Wird endlich zum Korallenriff,
An dem manch hohles Staatsſchiff ſcheitert.
00 -——
II.
In der neuen Aera.
nn. .
Hein Baterland.
(März 1846.)
Ga wir gegrüßt, mein Deſterreich!
Auf deinen neuen Wegen;
Es idlägt mein Herz, wie immer, gleich
Auch heute dir entgegen.
Was vir gefehlt zu deiner Hier,
Du baft e3 dir errungen,
Halb kindlich fromm erbeten dir
Und halb durch Muth erzwungen.
Die Freiheit ftrahli ob deinem Haupt,
Wie längft in deinem Herzen,
Deun freier warft du, al3 man glaubt,
Es zeigten’3 deine Schmerzen.
Run aber, Deſtreich, fieh dich vor,
Es gilt die höchſten Güter,
Leih wicht dem Schmeichellaut dein Ohr,
Und fei bein eigner Hüter!
Geh nicht zur Schule da und dort,
Wo laute Redner lärmen,
Mo der Gedanke nur im Wort,
Zu leuchten ftatt zu wärmen;
Grillparger, Berfe. 1 10
146 Gedichte.
Wo längit die Wege abgebradt,
Die Kopf und Herz vereinen,
Und, ftatt der Ueberzeugung Macht,
Der Menſch ein grübelnnd Meinen;
Wo Fall und Wahr und Schlimm und Gut
Sie längit auf Formeln braten,
Raſch wechſelnd die erlogne Gluth
Gleich bunten Kleidertrachten;
Wo ſelbſt die Freiheit, die zur Zeit
Hinjauchzt in tauſend Stimmen,
Halb großgeſäugt von Eitelkeit,
Halb von der Luft am Schlimmen.
Bleib du das Land, das ſtets du warft,
Nur Morgen, wie fonft Abend,
Die Unschuld, die du noch bewahrft,
An beitrem Sinn erlabend.
Denn wa3 der Menſch erdacht, erfand,
Als Höchſtes wird er finden:
Geſund natürlihen Verſtand
Und richtiges Empfinden.
Im Parteigetriebe.
Will eine Meinung dich gewinnen,
Und fällt die Wahl, wie öfter, ſchwer,
So frag, willſt du dich recht befinnen,
Nur nah dem Was, dem Wie, dem Wer.
Das Was, es gälte wohl dad Meiſte,
Doch rein zu löſen ift es nie,
Zumal bei aufgeregtem Geifte;
Dann geb du weiter auf das Wie,
III. In der neuen Xera.
Durch welche Mittel fih behaupte
Die Meinung auf dem Weg: zum Ziel?
Und find es ſchlechte, unerlaubte,
So haft du ſchon gewonnen viel.
Doch oft verfchafft ſich auch das Rechte
Nur durch Gewalt den ſchweren Sieg;
Man ift nit mählig im Gefechte,
Denk nur als Beifpiel an den Krieg.
Dann bleibt vas Wer als legte Frage,
Als Leititern zur Entſcheidung bir;
Wer deiner Meinung Fahne trage,
Und wer fih fohaare unter ihr?
Sind's Menſchen, die du fonft wohl meiveft,
Dienjtbar dem Wahn, dem Trug, dem Lohn,
Indem du von den Schlechten foheibelt,
Haft du dich auch entfchieden ſchon.
Seldmarfchall Radetzky.
(Anfang Juni 1848.)
Glüd-auf, mein Feldherr, führe den Streich!
Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer,
In deinem Lager ift Defterreich,
Wir Andern find einzelne Trümmer.
Aus Thorheit und aus Eitelfeit -
Sind wir in ung zerfallen;
In Denen, die du führft zum Streit,
Lebt noh Ein Geift in Allen.
Dort ift kein Züngling, der fi vermißt,
Es befjer als du zu Tennen,
Der, was er träumt und nirgends üft,
Als Weisheit wagt zu benennen,
147
148
Gedichte.
Und deine Garde, die nit nur wacht,
Nein, auch bewacht und befchirmet,
Sie hat nit der eigenen Sicherheit Acht,
Wenn Nachts die Trommel ftürmet.
Der Bürger deiner wandernden Stadt,
Er weiß, diefe Stadt ijt fein Alles,
Die, wenn fie die Flamme ergriffen hat,
Ihn mitzieht zum Abgrund des Falle.
Und deine Minifter, die Führer im Heer,
Sie führen dag Schwert an ber Seite,
Zu ftrafen, wenn's irgend nöthig wär’:
Gehorſam ift Frieden im Gtpeite.
Die Gott als Slav' und Magyaren ſchuf,
Sie ftreiten um Worte nit hämiſch,
Gie folgen, ob deutſch aud der Feldherrnruf,
Denn Vorwärts! ift ungriih und böhmiſch.
Gemeinfame Hülf in gemeinfamer Noth
Hat Reihe und Staaten gegründet;
Der Menſch ift ein Einfamer nur im Tod,
Doh Leben und Streben verbünvet.
Mär ung ein Beifpiel dein ruhmvoller Krieg,
Wir reihten ung freudig die Hände.
Im Anſchluß von Allen liegt der Sieg,
Im Glüd eines Seven das Ende.
Der ante Hirt.
(Ende Juni 1848.)
Es war ein Hirt, mild wie die Gotteögabe,
Ein netter Mann und elegant dabei;
Ein blaues Band an feinem Schäferftabe,
Bor allem blies .er lieblih die Schalmei.
£
⸗
\
’
)
IH. 38 der zeum Yero. 149
Ser folgt’ ver Heerte nad mit leiſen Tritte,
Und Ratt zu führen, warb er jelbft geführt.
Ein jedes Blocken ſchien ihm eine Bitte,
Bon jeder Pitte war er gleich gerührt,
Bor allem, wenn wit flebenver Geberbe
Ein tühr’ger Widder ihm vie Hörner wies.
Drum, wollt er redht3, fo ging nah mis die Heerde;
Er nahm fein Wort zurüd und fang und blies.
Da bradyen fie denn rings in alle Raine,
Des Rahbard Saat den Thieren wohl behagt;
Sie überfletterten die Schirmung3: Zäune,
Der jungen Bäumchen Rinde warb benagt.
Er fchien daraus nit allzuviel zu machen,
Dem Nachbar ohnehin war er nicht hold,
Und ftießen auch die Stärfern nad) den Schwachen,
Berzeihung und Berzeihn ift Liebes Gold!
Da fheint ver Schwarm mit Eins Gefahr zu wittern —
Der Wolf! der Wolf! der allgemeine Feind —
Den guten Hirten überfällt ein Zittern,
Er ſinkt auf feine Knie und ftöhnt und weint.
Doch will er’3 mit der Tonkunſt noch probiren,
Mit blaffem Munve bläst er die Schalmci;
Den Wolf mag folhes Mundwerk wenig rühren,
Schon raſchelt's im Gebüfh, er kommt herbei.
Da fällt ein Schuß, und wo der Waldweg offen,
Erſcheint ein zweiter Hirt voll ernftem Muth,
Sn einer Hand die Büchfe, die getroffen,
Die andre ſchleppt den Wolf in feinem Blut.
Er wirft das Thier zu des Erfchrodnen Füßen,
„Hier ift der Feind,“ ruft er, „ven ich beitand;
Mir hat er felbft ein theures Lamm zerriffen,
Noch bebt mein Herz, allein nit meine Hand!
150 Gedichte.
„Doch willſt du künftig wieder Lämmer weiden,
So ſchütze ſie vor ſich und vor Gefahr;
Die Schwäche liebt in Sanftmuth ſich zu kleiden,
Der Muth erſt macht des Lenkers Worte wahr.”
Dem öfterreichifchen Reichstag. |
(Zänner 1849.)
Wohlan! werft um, reißt ein! macht euch nur laut!
Verkennt der Gottheit ftillgefhäft'gen Finger,
Und all, woran Jahrhunderte gebaut,
Erflärt es als der Willfür Sklavenzwinger.
Das Ihönfte Werk der Weisheit und der Kraft,
Daß fie die Rohheit, ſchwer genug, gebändigt,
Hebt's auf! Entlaßt den Pöbel feiner Haft,
Erflärt der Bildung Werk als ſchon beenvigt!
Man meint das Volk? Haft du ein Volk vereinft,
Selbfthorhend auf der Drbnung leife Klänge,
Dann ift die Zeit, die du gekommen meinft,
Nicht jegt, wo noch dein Volk die blöde Menge:
Die hergebracht Gemohntes überzeugt,
Nicht eignes Schöpfen aus des Denkens Duelle,
Die vor dem Thron, vertrauend und gebeugt,
Nicht auf dem Thron an ihrer rechten Stelle.
Macht Alles gleih! Hüllt in daſſelbe Kleid
Der Menſchheit urerfhaffne, nadte Blöße,
Bis Alles ärmlih, wie ihr felber fein,
Und euer Maß die vorbeftimmte Größe.
Was ſoll der Adel? er ift unbequem,
Emporzuſchaun ift ein verbrieglih Pladen :
Seit ſelbſt zu Gott es ung nicht mehr genehm,
Ermüdet e3 bedeutend unfre Naden.
III. In der neuen Aera. 151
Allein die Schönheit ift ein Adel auch,
Du wählft ein ſchönes Mädchen unter hundert;
Talent und Geift, der Kunftbegabung Hauch
Sind Zufall, und doch auch ald Werth bewundert.
Wenn in der Erblichleit das Unrecht liegt,
Nenn’ ih den Reihthum, dem ihr jelbjt gewogen,
Der auf den Sohn, der heut die Welt betrügt,
Vom Vater erbt, der einft die Welt betrogen.
Mär’ das ein Adel, der eich läßlich ſcheint,
Dem ihr vergönnt, im Herrenhaus zu fihen?
Laßt ihr — was euh vom Fürften ſchmählich ſcheint —
Bom Rad des Mäklers euch mit Koth befprigen?
Gebt euch zur Ruh! — Wer endlich feid denn ihr,
Die ihr die Welt hinweist in neue Bahnen?
Soll ih, was etwa gar unſchicklich bier,
An eure eigne Schwächlichkeit euch mahnen?
Nicht, was ihr habt, nein, Das nur, was euch fehlt,
Empfahl euch in des Pöbels hohe Gnaben,
Der taumelnd damals, als er euch gewählt,
Und trunfen noch von feinen Barrifaden.
Wer kennt euh? Weſſen Name klingt für voll,
Nicht felbit den Nachbarn neu durch feine Fremdheit?
Die Schweigenden verhehlend gift'gen Groll,
Die Redenden beredt durch Unverfchämtbeit.
Und ihr wollt uns des dunfeln Rechtes Grund,
Das Grundrecht fegen ihr für alle Fernen?
Was unbefugt felbft aus der Weisheit Mund,
Das ſoll das Volt aus eurem Munde lernen?
Allein ihr feid befcheiden, wie mir däucht:
Der Geift der Zeit. fteht ein für eure Reden!
Den Geift der Zeit, ich ehr ihn auch vielleicht,
Hat erft die Zeit ven Geift, kundbar für eben.
152 Gedichte.
Doch ſchaut umher in aller Länder Kreis,
Mo lebt ein Mann, ein Einz'ger unter Allen,
Der Bürgfhaft gibt, daß er das Echte weiß,
Daß Gottes Schöpferhauh auf ihn gefallen?
Gab’3 eine ärmre je al3 unfre Zeit
An Männern und an Werten und an Geiftern?
Und aus fo Vieler Mittelmäßigfeit
Wollt ihr Vortrefflichleit des Ganzen Heiftern?
„Mein die Bildung fei jetzt allgemein!" —
Als wäre Bildung eine fert'ge Größe,
Die man, wie ind ‚Gefäß den firnen Wein,
Ein Todtes in ein Unlebenv’ge2 göße!
Wie du die Bildung aufnimmt, fie erfaßt,
Das macht den fremden Geift in bir lebendig;
Das bunte Wiffen, e3 vermehrt die Laſt,
Ein Thor ift, wer gelehrt und nicht veritändig.
Die Großen aber, die, nun modernd längft,
Dich eingefegt zu ihrer Bildung Erben,
Hat Einer je gedacht, wie du nun denkſt?
Bürgt Einer, daß dein Umfturz nicht Verderben?
Darum erkennt der Zeit und euern Werth,
Zugleih den Werth von Dem, was längſt vorhanden,
Was fih zur zweiten Körperwelt verklärt,
Berechtigt durch Beitand, ob unverſtanden.
Doh wie du Körper ändern follft, ja mußt,
Soll fie der Zweck zum Nutzen bir geftalten,
‚So laß dich auch nicht fhreden den Verluft,
Zu ändern und zu beffern an dem Alten.
Wollt ihr auf feiten Grund das Neue baun,
Soll Welt und Mitwelt euch's mit Dante lohnen;
Denn eurer Klugbeit wollen wir vertraun,
Mit eurer Weisheit mögt ihr und verfchonen.
III. In der neuen Yera. 153
Joſeph von Spann. !
(Mär) 1849.)
In Wien erfholl der Freiheit Auf,
Hold in den eriten Tönen;
Des Großen voll, das je fie jhuf,.
Folgt er den Mufenjöhnen.
Doch bald nahm er den Umſchwung wahr
Der Freien in die Frechen,
Sieht im Gefolg der jungen Schaar
Den Wahnfinn, das Verbrechen.
Da Sprit er fromm den Pater an:
„Sol ih die Fäulniß erben?
Anftedend ift, ich fühl’3, ver Wahn,
Unſchuldig möcht' ich fterben.”
Der Bater aber jenvet ihn
Fern auf Staliens Fluren,
Wo Deitreih3 Heere fämpfend ziehn
In ihres Führers Spuren.
Und treu folgt er, von Ort zu Dit,
Bis zu Novara’3 Thürmen,
Mo, rächend das gebrocdhne Wort,
Des Raubthierd Tann fie ſtürmen.
Weit auf fteht des Verderbens Thor,
Die Todeskugeln fingen;
Und er hört's an fein ftaunend Ohr
Wie ſchrille Worte dringen:
ı Joſeph ©. Spaun, Sohn de Hofraths J. v. Spaun, flarb kaum
neunzehnjährig an den in der Schlacht bei Novara erhaltenen Wunden.
154 Gedichte.
„Unſchuldig willſt du fterben, Kind?
Sp ftirb im Yugend- Grünen;
Sieh nur die Zeiten, wie fie find,
Dem tollen Frevel dienen.
„Hier aber wartet Schönres dein,
Süd ſproßt aus dem Verderben,
Und nicht unfhuldig nur allein,
Auch ruhmvoll kannſt du fterben.”
Da öffnet er die Arme weit,
Die Angel folgt dem Zeichen,
Und in die Bruft voll MWiderftreit
Senkt fie die Ruh der Leichen.
Gie graben ihn im Blachfeld ein,
Den Glüdlihen vor Allen,
Der, nit unfhuldig nur allein,
Der ruhmvoll audy gefallen.
Anton v. Schmerling. !
(Ende Sänner 1851.)
Sie jagen fih, daß ein Minifter ſchied,
Und jagen fih’3 gleihgültig leerer Mienen,
Als wär's ein neuer Ton zum alten Lied,
Und die Juſtiz verlörpert jchon in ihnen.
Und wahrlich! erft gefnüpft des Rechtes Netz,
Liegt Richter und Gericht ſchon im Geſetz.
Dod während mich kaum kümmert der Verlauf,
Macht ein Gefühl fih frei und immer freier,
1 Al3 der feit 1849 mit der Leitung ber Juſtiz betraute Nitter U. v.
Schmerling aus dem Minifterium Bach ausſchied.
II. In der heiten Aera. 155
Und plöglid geht's vor meinen Mugen auf,
Sich hebend wie ein ferner Woltenfchleier:
Iſt Das niht Frankfurt, die berufne Stadt? —
Zum Rath berufen fonft, doch jegt zur That.
Durd alle Straßen wogt des Frevels Wuth,
Die Waffen ſchwingen morbbegier'ge Hände;
Lichnowsly, Auerswald in ihrem Blut,
Und übrall ftarren Barrikadenwände.
Die Freiheit, ihres eignen Weſens frei,
Lehrt durch Gewaltthat, redet durch Geſchrei.
An Deutſchlands Wurzel iſt das Beil gelegt,
Nur nod ein Streih, fo finkt die Eiche nieder;
Vergebend, mas ſich fpäter hülfteih regt, —
Des Stammes Laft erdrüdt im Fall die Glieder.
Der hilft? Wer rettet? Wo ein Hort und Haupt?
Do, der an fih und an die Rettung glaubt?
Doch halt! ein Mann der Rebe und ber Schrift
Bleibt feiner Herr im Oräuel der Verwäftung,
Tritt auf die Brefhe, die verwaist er trifft,
Und macht fein Friebenstleid zur Waffenrüftung.
Die fonft den Rath, fo orbnet er den Krieg; —
Ein Rechtſtreit war's, dem Rechte blieb der Sieg.
Der Mann warst du! — Was frag’ ih um dein Jept!
Das Heute ift ein Erbe doch des Geftern;
Daß etwa leiht man heute dich erjegt,
Soll did verkleinern nicht und nicht verläftern.
Doch jedem Andern Schmach, der ſchnell vergißt,
Das, was er war, in Dem, was er nun iſt!
156 Gedichte.
Einem Soldaten.!
Hoch und erhaben ſteht des Lebens Baum
Und breitet in den Luftkreis ſeine Aeſte,
In Grün und Gold erglänzt der breite Raum,
Und fingend freu'n ſich drin beſchwingte Gäfte.
Bon Blüth” und Frucht find feine Zweige ſchwer,
Cr läßt den Ueberfluß zu Boden fallen,
Und Alles lagert froh ſich um ihn ber,
Daß er Genuß und reihe Labung Allen.
Doch nur die eine Hälfte glänzt im Licht
Und gilt daher ald Baum in jedem Munde,
Die zweite Hälfte fieht dein Auge nicht,
Meil fie fih birgt in tiefiten Bodens Grunde.
Dort faugt fie ein den erdgebornen Saft
Und treibt ihn in die lichte, bunte Höhe,
Sie gibt den Halt, des Widerftandes Kraft,
Damit dem Sturm da3 Laubdach widverſtehe.
So fliegt fih in fi felbit ver ftolze Bau:
Nah oben Fortfchritt, Wechſel und das Neue,
Die Wurzel ftätig, feſt und altergrau,
Daffeibe, was bei Menſchen beißt: die Treue.
Treu jedem Wort, dad Mann dem Manne gab,
Treu jener Wahrheit, die mit uns geboren,
Dem Lande treu, das Wiege und und Grab,
Dem Fürften treu, dem wir den Eid geſchworen.
1 Diefes die Treue ber Öfterreihifhen Armee verherrlichende Gedicht
erfchlen 1854 in bem zur Zeiler ber Vermählung bes Kaiſers Franz Joſeph
herausgegebenen „Fruͤhlingsalbum“.
A
III. In der neuen Xera.
Uns bat der Sturm geſchüttelt letztes Jahr
Und abgeftreift die Blüthen und die Früchte,
Die nur für unſern Dünfel echt und wahr;
Noch kurze Frift, jo ging der Baum zunichte,
Allein die Wurzel hielt. Was Worte leer
157
Geraubt den weisbeitätrunfnen ſchwächern Ständen,
Das bielt ein einz’ger fell. Es war dag Heer,
Im tiefiten Herzen treu und ftarf von Händen.
Sie riß nit der Verfuhung Stimme fort,
Und taub und blind dem allgemeinen Wahne,
Bernahmen fie nur ihres Führers Wort
Und ſahen nur die unbefledte Fahne.
So fteht der Baum in neuverjüngtem Saft,
Den fturmgebeugten Wipfel hoch erhoben;
Und halten wird ihn auch der Wurzel Kraft,
Beliebt’3 dem Sturm, von anderwärts zu toben.
Ein Hodzeitgedicht.
(24. April 1864.)
Was ſchmückt ihr eu, ihr altergrauen Hallen,
Und mehr als fonft, und freubiger ala je?
Sind neue Länder etwa zugefallen,
Gilt's eines blut’gen Sieges Luft und Weh?
Ein fürftlih Paar ſchwört heut fih ew’ge Treue:
Das war fhon oft, worin liegt da das Neue?
Und doch! In euern fürftlih hohen Mauern —
Bon Redlichkeit bewohnt und Bieberfinn,
Wo bei der Majeftät gewaltigen Schauern _
Noch Häuslichkeit erfhien als Hochgewinn,
In Eintracht lebten angetraute Gatten,
Die früber kaum ſich je geſehen hatten; —
/
-
f
j
158 Gedichte.
Ein neuer Gaſt ließ ſich auf euch hernieder:
Die Liebe, der nicht jede Wahl genehm,
Die forſcht und ſucht auf leuchtendem Gefieder,
Nach Kronen lüſtern nicht und Diadem,
Die einen Strahl von Edens Glüd ‚gerettet,
Wenn fie den Jüngling an die Jungfrau fettet.
Das ift das Neue und das Segensreiche,
Drum ift auch unjer Jubel voll und ect;
Das fih Gemäße fpiegelt ab das Gleiche,
Setzt fort fih als ein blühendes Geſchlecht;
Und in dem Felte, da3 wir froh bereiten,
Freu'n fih mit ung noch ungeborne Zeiten.
Ein altes Lied.
(18568.)
Als ih noch ein Knabe war,
Rein und ohne Falte,
Klang das Lied mir wunderbar,
Jenes „Gott erhalte,“
Selbſt in Mitte der Gefahr,
Bon Getöf’ umrungen,
Hört’ ich's weit entfernt, doch klar
Wie von Engelözungen.
Und nun müd’ und wegeskrank,
Alt, doch auch der Alte,
Spredh’ ih Hoffnung aus und Dant
Durch das „Gott erhalte.”
t Diefes die Treue der
erfchien 1854 in dem zur Feier
beraußgegebenen „Frühlingsalbum
IH. Im der neuen Aera. 159
Wiener Aürztage.
1848.)
Der Freiheitsdrang, der und kam über Nacht,
Wird, fürdt' ih, wenig leiften;
Wißt ihr, was mir ihn verbädtig macht?
Die Lumpe ergreift er am meiften.
Die Schreier.
Die Henne erhebt ein gewaltig Gefchrei
Bei jedem gelegten wirklichen Ci;
Bei euch aber lärmen die Schreier
Schon über ungelegte künftige Eier.
Falſcher Liberalismus.
Lern’ erft, was Freiheit will zu Recht bebeuten,
Eh Wort und Wahlſpruch du entlehnft von ihr.
Nicht nur, daß felbft du dienftbar feinem Zweiten,
Nein, auch fein Zweiter dir.
Ein geflügeltes Wort.
Hör’ id den Weltgeift euch citiren,
So find’ id) das begreiflich meift;
Glüd auf! leiht euh die Welt den ihren,
Denn ihr habt feinen eignen Geift.
Hören und Schen.
Ein einzelner Sinn wird leicht geftört,
Sie müſſen mitfammen gehen;
Nun hab’ id genug von ber Freiheit gehört,
Möcht einmal von ihr was fehen.
160 Gedichte.
Zwiſchen den Ertremen.
1.
Als liberal einft der Verfolgung Ziel,
Nennt jest der Freiheitstaumel mid jervil!
Nicht hier noch dort in den Ertremen zünftig,
Möcht ich vermuthen fait, ih fei vernünftig.
2.
Die Knechtſchaft hat meine Jugend zerftört,
Des Geiftesprudes Erhalter;
Nun kommt die Freiheit, finnbethört,
Und raubt mir no mein Alter!
Der greife Dichter.
Ihr nennt mid alt? — Ich bin nicht jung,
Doch fühl’ ih noch frife meine Gaben;
Nur anders ift Männerbegeifterung
Und ander? Begeiftrung von Knaben.
vor dem Sturme.
Sie ſehn die Fluth den Schlamm von Grund aus mifchen,
Und Jeder zittert ſelbſt vor der Gefahr;
Sie alle möchten gern das Waſſer Har,
Do freilich vorher noch im Trüben fiſchen.
Nach der Einnahme von. Wien.
'S ift Alles, fagt ihr, nur geſchehn
Im Dufel oder Dampus?
Ja, Kinder, wer den Niklo ruft,
Den bolt zulegt — der Krampus.
III. In der neuen Yera. | 161
Politifher Kalender.
(1849.)
Vormärzlich ift der Februar,
Es preif’ ihn, wer da will;
Doch auf den März unmittelbar
Kommt auch ſchon — der April.
Getänfchte Hoffnung.
Die Zeit bielt fih für ſchwanger
Mit hoffnungsreiher Frucht;
Doch als der Tag gelommen,
Da ward — die Waſſerſucht.
Die Alteonfervativen.
1.
Altconſervativ? — Wie alt denn gar?
Eu'r Datum iſt die Schlacht von Temesvaͤr!
2.
Ihr nennt euch: alt⸗conſervativ!
Wart ihr's denn auch gegen das Neue?
Ihr möchtet nur euer Recht conſervirt,
Nicht aber eure Treue.
Poet und Miniſter.
Ihr ſeid Miniſter,
Ihr miniſtrirt;
Ich bin ein Prieſter,
Der konſekrirt.
Grillparzer, Werke. J. 11
162 Gedichte.
An einen Sinanzminifer.
Vom Schidjal hieltit du dich erkoren,
Den Reichthum rüdzuführen in dieß Land?
Nicht Jeder, Freund, mit Midas’ Ohren
Hat auch des Midas reihe Hand.
Der bekehrte Minifter.
l.
Mit Gott ftand ich fonft nicht gar gut,
Nun macht' ih mi intim;
ft er gleih uns doch abjolut
Und höchlich legitim.
two
So ift denn bein VBergangnes todi,
Seit dir’3 nicht mehr vonnöthen ?
Du warſt doch fonft fo ziemlich roth,
Und kannſt nit mehr erröthen?
3,
Ein umgekehrter Talleyrand,
Obwohl ſonſt gern fein Affe,
Fängft du mit dem Minifter an
Und endigeft — als Pfaffe.
Nachtwächterruf.
(Bor einem Minifterhötel.)
Ihr Herrn und Frauen, laßt euch jagen:
Der Cultus hat den Unterricht erjchlagen.
IIT. In der neuen era, 163
Kopkur.
Man erkennt ganz wohl die Krankheit der Zeit
Und ift aud mit dem Heilmittel bereit;
Allein, was in Loth und Gran gefund,
Davon tödtet den Kranken ein ganzes Pfund.
Nichts Henes unter der Sonne.
Als Chriftus die Verkäufer aus dem Tempel trieb
Mit Anüttelfglag und Peitfchenhieb,
Da riefen die Schäder, beforgt um ihr Leben:
Das Hagen wir eilig bei ver Stadt,
Die hat und zum Wucher ein Recht gegeben,
Wir baben — ein Concorbat!
Schild und Schwert.
ass2.) .
„Deitreih das Schild und Preußen das Schwert!“
Nur leider find die Arme verkehrt:
Der Schild bleibt trogend in ber Rechten,
Und das Schwert foll mit der Linken fechten.
Der Verirfpiegel.
Ein geiftiges Verwandtſchafts⸗Siegel
Eint, trog Entfernung, Staat und Haus;
Sieht Pientont fih in den Spiegel,
Schaut Preußen Zug für Zug heraus,
Unpaffende Voransfegung.
Der deutſche Bund war nicht ſchlecht von Haus,
Gab Schu ja in mander Fährlichteit;
Doch ſetzt er etwas Altmod’ihes voraus:
Die Treue und die Ehrlichkeit.
164 Gedichte.
Energifcher Lundestagsbeſchluß.
Hanns fol fih des Schlagens enthalten
Und Kunz feine Schläge behalten;
Doch, wird er aufs neue gefchlagen,
Sp foll ee — von neuem Hagen.
Bn einer Biographie des Göh von Kerlicingen.
Das Fauftrecht gilt noch heut, die Fauſt beftimmt das Recht;
Doch weil gebildet auch das Schmuggeihledt,
Zog fih der Muth vom Herzen ing Gehirn:
Statt eiferner Hand — die eiferne Stirn.
Oeffentliche Gebete bei Seindesgefahr.
Die Hülfe Gottes, muß ich vermuthen,
Liegt für und heut ein wenig im Weiten;
Denn nach diefem Leben hilft er den Guten,
An diefem Leben aber — den Gefcheiten.
Auf des Dichters Porträtphotographie.
(Für das Album einer deuten Fürſtin.)
(1867.)
Als Deutfher ward ich geboren.
Bin ih noch Einer?
" Nur, was ih Deutfches gefchrieben,
Nimmt mir Keiner.
Alufik und Muſiker.
An die Tonkunfl.
(10. October 1826.)
Tonkunft, dich preif’ ich vor allen,
Höchftes Loos ift dir gefallen,
Aus der Schweiterfünfte Drei
Du die frei'ſte, einzig frei.
Denn das Wort, e3 läßt ſich fangen,
Deuten läßt fich die Geftalt;
Unter Ketten, Riegeln, Stangen
Hält fie menschliche Gewalt.
Aber du ſprichſt höhre Sprachen,
Die fein Häfcherchor veriteht;
Ungreifbar dur ihre Wachen
Geſhſt du, wie ein Cherub geht.
Darum preiſ' ih dich vor allen
In fo ängftlich ſchwerer Zeit;
Höchſtes Loos ift dir gefallen,
Dir, und wer fih dir geweiht.
ı In das Album des Klaviervirtuofen J. Mojcheles,
168
Gedichte.
Am Sarge Beethovens.
(26. März 1827.)
Abgeftreift das Band der Grüfte,
Noch erichredt, ſich findend kaum,
Flog die Seele durch den Raum
Dünn und leicht geſpannter Lüfte.
War Das Blitzen? — War's ein Laut?
Ach, er hört, er hört den Laut! —
Stürmen jetzt wie Windesbraut,
Wehen nun wie Engelsſchwingen,
Klänge nun, wie Harfen klingen.
Aufwärts! Aufwärts! — Kreis an Kreis,
Welt an Welt, vom Schwunge heiß,
Und der äußerſte der Sterne
Zeigt noch gleich entfernt die Ferne.
Ward's Genuß ſchon, iſt's noch Qual?
Sinne ſchwinden, Sinne berſten,
Denn das Letzte wird zum Erſten,
Und des Ganzen keine Zahl. —
Dunkel nun. Ha! Todesnacht,
Uebſt du zweimal deine Macht?
Aber nein, es führt nach oben,
Aus des Dunkels Schooß gehoben,
Strahlt der Tag in neuer Pracht.
Und ein Land ſtreckt ſeine Weiten,
Gleich Oaſen, die ſich breiten
In des Sandmeers wüſtem Graun,
Und durch ſeine Blumen ſchreiten
Männer, göttlich anzuſchaun.
Klarheit ſtrahlt aus ihren Zügen,
Lächeln ſchwebt um ihren Mund,
Ein befriedigtes Genügen
Gibt die Erdentnommnen fund.
IV. Muſik und Mufiler.
Do der Angelommne, düſter,
Stehet fern und blidt nit um,
Gält' es ihm, ihr leiſ' Geflüfter? .
Ihm ihre Winfen, ſtill und ftumm?
Da falt’3 plögli ab wie Schuppen,
Dffnen Sinnes eilt er bin;
Er erkennt die Meijter- Gruppen,
Und die Meifter fennen ihn.
Einer aus der Schaar der Sänger
Hebt den Finger, lächelt, droht.
„Bach, ich Tenne dich, du Strenger!
Rächſt du ein verlegt Gebot?” —
Ritter ohne Furcht und Tadel,
Auf der Stirn den Geiſteradel,
Geht vorüber Glud und meilt,
Nidt im Schreiten und enteilt. —
„Haydn, Haydn! alter Vater!
Sei mein Schüßer, mein Berather
In dem neuen, fremden Land!”
Und der Alte fapt die Hand,
Küßt ihn auf die Stirn und weinet,
Doch war fröhlih, was er meinet:
„Bravo, Scherzo, Allegretto!
Hie und da hätt’ ih ein Veto,
Doch iſt's Blut von meinem Blut.
Ah, fie nennen's, glaub’ ih, Laune:
Nun, ih war auch heitrer Laune,
Und das Ganze, wie fo gut.”
Cimaroſa will no zaudern,
Paeſiello wagt fih nicht,
Wenn fie je und dann auch fchaudern,
Zeigt doch Neigung ihr Geficht.
169
170 Gedichte.
Höher fajt um Kopfeslänge,
Drängt fih Händel durchs Gedränge. —
Da theilt plöglih fih die Menge,
Und der Glanz wird doppelt Glanz:
Mozart kommt im Siegeskranz.
Und der Frembling will entweiden:
„Ah, was foll ich unter euch?
Als ih Stand bei meines Gleichen,
Schien ih bis zu euch zu reichen,
Aber bier, den Beiten gleich?
Wo ih inte, was ich fehlte,
Bald zu raſch, bald grübelnd wählte,
Kühn gewagt, zu leicht erlaubt,
Hat mir Muth und Kranz geraubt.“
Und der Meifter wiegt das Haupt:
„Frage hier die Siegsgefährten,
Gie auch trog oft raſcher Muth;
Doch fein Tadel folgt Verklärten,
Und ver legte Schritt auf Erden
Macht den letzten Fehler gut.
Geiſter können ja nicht ſünd'gen!
Wenn's die Schüler breit verfünd’gen,
Nah es ahmen in Geduld,
Ihnen ift, nicht uns die Schuld.
Stnaben lehrt man Sylben ſcheiden,
Da genügt wohl Meifter Duns;
. Lernt von Andern Fehler meiden,
Großes ſchaffen lernt von uns.
Denn ſelbſt Gift, an rechter Stelle,
Wird der Heilung frohe Quelle;
Rechtes, ohne Maß und Wahl,
Zeugt verderbenfhwangre Qual.
Mer auch Richter über dir?
Starte Könige der Seelen,
IT. Wut und When.
Cıpen wur vera Frl uns Un,
Doch, zmirlı, zetüwtira wir.
Und das Nuntwert, aladı um Glauben,
Ch man flügelt, was man Ichit,
Läßt es jich fein Jota rauben,
Hat’3 durch Wunder fib bemäbit,
Drum tritt ein, fei nicht bellommen!
Gleich den Beiten fei geehrt!
Es ift dein, wad du genommen,
Und dein Wagen ift dein Werth!“ —
Ausgeiprohen bat der Meifter,
Endlos wädhst der Chor der Geiſter;
Um ven Aufgenommnen her
Wird's von Gruͤßenden nicht leer,
Shakeſpeare wintt ihm mit ben Händen,
Zeigt Lope de Bega’n ihm,
Klopfſtock, Dante, Taſſo wenden
Ihre Blide freundlich hin.
Eimer ur fieht woch tm Weiten,
Wartet, bis die Fluth verxinnt,
Kommt jet näher, hintt im Sreken,
Kräftig vonſt und hochgeſinnt.
Byron ts, Der Feind ver Richie,
Mitt ihn zent mit ſliolzem Plick,
Beut Ihm imiitselnd Tann om Machte,
Wirft Das Auge tier zurüch:
„Bilt du gern in Dem Geuränge?
Magi: du gen bei Vielen Je?
Sieh port dunkle Bucpengungt,
af. ung anı: Erunupt yeyıl“
172 Gedichte.
ur Enthüllung von Mozarts Standbild im
Salzburg.
(4. September 1842.)
Glüdlih der Menfh, ver fremde Größe fühlt
Und fie dur Liebe macht zu feiner eignen.
Denn groß zu fein, ift Wenigen gegönnt,
Und wer dem fremden Werth die Bruft vwerfchließt,
Der lebt in einem öden Selbft allein,
Ein Darbender, wohl etwa ein Gemeiner.
Tem Land auch Heil, das fie gebar, gejäugt
Und aufgezogen an ven Wutterbrüiten.
Denn die Natur gibt nur der Größe Geilt,
Den Körper bildet an ihr die Umgebung,
In der fie allererft den Tag geſchaut,
Der Freunde Schaar, der Mitgebornen Kreis,
Die fie mit Blid und Laut zuerft begrüßt,
Mit frommem Sinn bereitet ihr die Stätte.
Für Menſchen — nur durh Menſchen — wird der Menſch;
Darob aub Mancher, mit der Hobeit Siegel
Bezeihnet von der Schöpferin Natur,
Roh fpät durch irgend eine böſe Kurbe,
Turh einer Gliedmaß widrig wildes Juden,
Durch Etwas, das nicht ſchön, ob ſtumm, verfündet,
Wie karg der Boten war, in dem die Pflanze
Des harten Daſeins trübe Nahrung feg.
Drum find mir ftolz, obgleich demüthig auch:
Denn hier ward er geboren, den wir feiern!
In dieſes ſchlichten Landes engen Grenzen
Scholl ihm zuerſt des Lebens Herold: Ton;
Von dieſen Thürmen ſchwoll ein gläubig Läuten
Und lehrt' ihn glauben au die Ahnungen,
Tie, ohne andre Bürgen, als ſich ſelbſt,
IV. Sufl und ufter. 173
Und nur bewiejen, weil fie ſich geitaltet,
Zur Wirklichkeit verberrliden den Traum.
Bon diefen Bergen zog der Gotteathem,
Gewürzt mit Kräutern und mit Blumenduft,
In feine jugendlid gehobne Bruſt.
Darum iſt er geworden auch, wie ſie,
Wie dieſe Berge, ſeiner Wiege Hüter.
Wohl gibt es höhre — doch fie decket Eis,
Gewalt'gere — allein das ſcheue Leben,
Es findet für den Fußtritt keine Spur
Und flieht mit Schaudern die erhabne Wüſte.
Er aber klomm ſo hoch, als Leben reicht,
Und ftieg fo tief, als Leben blüht und duftet,
Und jo ward ihm der ewig frühe Kranz,
Den die Ratur ibm wand und mit ibm theilet.
Niht, was der Menſch in jeinem Dünkel veuft,
Was Gott verkörpert in der Schöpfung dachte,
War ihm der Leitftern feines edlen Thuns.
Drum bing er feit an deinen ew’gen Räthſeln,
Du Auge des Gemüths: allfühlend Obr;
Und was den Weg nicht fand dur dieſe Pforte,
Shien Menihen-Billfür ihm, nit Gottes Wort,
Und blieb entfernt aus jeinem lichten Kreife.
Nächſt Raphael, vem Maler der Madonnen,
Steht er deßhalb, ein glei geichaarter Cherub,
Der Ausdrud und der Hüter wahrer Kunft,
In der der Himmel fid vermählt der Erbe,
Wir aber, die wir dieſes Feſt begehn,
Sn ftarrem Erz nahbildend jenen Mann,
Der weih war mie die Hände einer Mutter,
Laßt uns in gleich vermedhjelndem Verwirren
Nicht auh des Mannes Sinn und Geijt entgehn.
Nennt ihr ihn groß? er war e8 durch die Grenze:
174 Gedichte,
Was er gethan, und mas er ſich verfagt,
Wiegt gleich ſchwer in der Schale feines Ruhms;
Meil nie er mehr gewollt, als Menfchen follen,
Tönt auch ein Muß aus Allem, was er fhuf,
Und lieber fhien er Eleiner, al3 er war,
Als ſich zu Ungethümen anzufchmwellen.
Das Reich der Kunft iſt eine zweite Welt,
Doch weſenhaft und wirklich, wie vie erfte,
Und alle8 Wirklihe gehorht dem Map.
Deß feid gedenk, und mahne dieſer Tag
Die Zeit, die Größres will und Kleinres nur vermag.
Am Grabe Mozarts des Sohnes.
1184 1.)
So biſt du endlich hingegangen,
Wohin der Geiſt dich ewig zog,
Und haͤltſt den Großen dort umfangen,
Der adlergleich zur Sonne flog.
Daß Keiner doch dein Wirken meſſe,
Der nicht der Sehnſucht Stachel kennt;
Du warſt die trauernde Cypreſſe
An deines Vaters Monument.
Wovon ſo Viele einzig leben,
Was Stolz und Wahn ſo gerne hört,
Des Vaters Name war es eben,
Was deiner Thatkraft Keim zerſtört.
Begabt, um höher aufzuragen,
Hielt ein Gedanke deinen Flug:
„Was würde wohl mein Vater ſagen?“ —
War, dich zu hemmen, ſchon genug.
IV. rk uns Mekka 175
Une wer's ;w tcanen tir gelunsen,
Was mamden Andern boch geebre,
Ta tell venmarit es — faum geſnngen,
Als mdı res Ramen: Mezart werth.
Nun innen at dem guten Schne
Des gırben Baier Arme weit,
Er aibt, ver Kindeſtren' zum Schne,
Ein Theilchen tur Untterblitteit.
Der Arme, tir ein Schmerzgenche,
Er wandelt nt ven beut ın Glüf:
Zönt dech ven Salzburgs Erztoleite
Fin Chr and für dich zurũd.
Senn teri tie Menae ñch verrammel:,
Fbrfürsug Sdweigen Alle bannt.
Ser dann den Kamen Mozart ſtammelt,
Hat ja den teinen aud genannt.
Stanz Schubert.
Schubert heiß ih, Schubert bin id,
Und als jolben geb’ ih mid,
Was tie Beiten je geleitet,
Ich erfenn’ es, ich verehr’ es,
Immer doch bleibt's außer mir.
Selbſt die Kunſt, die Kränze windet,
Blumen ſammelt, wählt und bindet,
Ich kann ihr nur Blumen bieten,
Sichte ſie und — wählet ihr.
Lobt ihr mich, es ſoll mich freuen,
Schmäht ihr mich, ich muß es dulden.
176
Gedichte.
Schubert heiß' ich, Schubert bin ich,
Mag nicht hindern, kann nicht laden;
Geht ihr gern auf meinen Pfaden,
Nun wohlan, ſo folget mir!
Pagmini.
Adagio und Rondo auf der G- Seite,
(1828.)
Du wärft ein Mörder nit? Selbftmörder vu!
Was öffneſt du des Buſens ftilles Haus
Und jagſt fie aus, die unverhüllte Seele,
Und mifft fie hin, den Gaffern eine Luft?
Stößft mit dem Dolh nah ihr und triffit;
Und klagſt und weinft,
Und zählft mit Thränen ihre blut’gen Tropfen?
Dann aber höhnſt du fie und dich,
Brichſt fpottend aus in gellendes Gelächter?
Du wärſt fein Mörber? Frevler du am Ich
Des eignen Leibs, ver eignen Seele Mörder!
Und aud der meine — doch ih wei’ dir aus!
„ Clara Wiek.
F-moll-Sonate von Beethoven.
(1838.)
Ein Wundermann, der Welt, des Lebens fatt,
Schloß feine Zauber grollend ein
Im feitverwahrten, demantharten Schrein
Und warf den Schlüffel in das Meer und ftarb.
Die Menfchlein mühen fih geſchäftig ab;
Umjonjt! fein Sperrzeug löst das harte Schloß,
IV. MRukf und Muſiler. 177
Und ſeine Zauber ſchlafen wie ihr Meiſter.
Ein Schäferlind, am Strand des Meeres ſpielend,
Sieht zu der haſtig unberufnen Jagd;
Sinnvoll gedankenlos, wie Mädchen find,
Senkt fie die weißen Finger in vie Fluth
Und faßt, nnd hebt, und hats. — Es iſt der Elüflel!
Auf fpringt fie, auf, wit höhern Herzensiclägen,
Der Schrein blinkt wie aus Augen ihr entgegen,
Der Schlüfſel paßt, der Dedel fliegt. Die Geitter,
Sie fteigen auf und jenlen dienend fid
Der anmuthreihen, unſchuldsvollen Herrin,
Die fie, mit weiben Fingern, ſpielend, lenft.
Miſtreß Shaw.
Abſchiebsconcert 12. Rai 1839.)
Ihr freut euch nur der lauten Katarafte
Am ſchroffen Fel3, um den der Rebel ſchwebt;
Indem euch Schauder über Schauder padte,
Fühlt ihr die Seele erit, dieweil fie bebt.
Es gellt da3 Chr, die wirren Einne ſchwanken,
Statt Haren Waſſers ſprüht geballter Schaum,
Im Schiffbruch des Bewußtſeins, der Gedanien,
Macht erſt Empfindung ſich — Begeiltrung — Raum.
Ich fiege gern am moosgeſchwellten Rande,
Um ven der Bad die Eilberwellen rollt;
Tas Laubdach ſchirmt vor heifem Sonnenkrante,
Tas Gras durchwirkt der Blumen belles Gold.
Des Wailers Lippen und der Bäume Zungen
Envidern meines Innern Melodie,
Halb an tem Uhr, balb in der Bruft erflungen,
Umtreist ein Strom mid leifer Harmenie.
Grillyarzer, Berle. L 12
178 Gedichte.
Da tönt vom Buſch ein Laut der Wunderkehle,
Er jteigt und ſchwillt, Hingt nad, verhallt und ftirbt ;
Hab Dank, du Zauberin, o Philomele,
In die verloren, man ſich ſelbſt erwirbt.
Jenny Lind.
(2. März 1846.)
Sie nennen did die Nachtigall
Mit dürft’gem Bilderraube; -
So füß aud deiner Lieder Schall,
Doch nenn’ ih dich die Taube.
Und bift du Nofe, wie du’3 bift,
Sei's denn die Alpenrofe,
Die, wo fih Schnee und Leben küßt,
Aufglüht aus dunklem Moofe.
Du bift niht Farbe, bift das Licht,
Das Farben erſt verkündet,
Das, wenn fein Weiß am Fremden bricht,
Die bunte Pracht entzündet.
Und fpenden fie des Beifall3 Lohn
Den Wundern deiner Kehle,
Hier ift nicht Körper, faum no Ton,
Ich böre deine Seele.
Rofini’s Stabat mater.
(In Wien zum erften Male aufgeführt am 31. Mat 1842.)
Nun wohl, es ward eu dargebradt,
Ihr habt es nicht erkannt;
IV. Wil zu Meile. 12789
In all ver Tonfunit Zaubermadit,
In des Gefühles Farbenpracht,
Ihr wiest es von der Hant.
Ihr jaudhztet wenigſtens nicht laut,
Daß in der Zeiten Eant,
Der tünre Kräuter jpärlich trägt,
Bon Zweifelsdornen eingebegt,
Die Roje end entitand,
Die Roje, mit geienftiem Haupt
Euch bittend: „Sebt mid an und glaubt!
Bergeht für einen Augenbfid
Euch jelbit in des Genuſſes Glück!“
Shr aber wiejet es zurüd.
Was liegt daran! Tas Werk beiteht,
Und euer jpäter Enfeljohn
Zahlt einft die Echuld des Bater3 ſchon,
Die ihr für eure Väter fteht,
Tie Mozarts Ton Juan verſchmäht.
Den Meiſter aber fümmert’3 nicht,
Er fennt vie Well. Mir däudt, er ſpricht:
„Denn fie mit den Augen bört,
Mit ven Ohren fieht,
Mit dem Kopfe fühlt
Und dem Gefühle denkt,
Iſt fie nicht werth, daß man fi kränkt.“
Eins aber ging verloren, Eins,
Der Unſchuld Glüd, o Deftreih, dein’!
In Deutſchlands Falter Nebelnadt,
Wo längft fein Sonnenftrahl mehr lacht,
Irrwiſche leudhten, fauler Dunit,
Mit der Natur einfchlief die Kunft.
Lagſt du, Dafen ähnlich, da
Für Den, der beßre Zeiten ſah.
180
Gedichte.
Ein lauer Hauch ging durd die Luft,
Durhwürzt von blauer Beilden Duft,
Die Bäume ftanden hoch und friich,
Bon Licht und Schatten ein Gemiſch.
Und wenn dein Willen minder reich,
Was wahr, theilt Gott an Alle gleich.
Drum gab’3 in deinen Thälern Schall,
Es klang das Lied der Nachtigall,
Indeß an deiner Grenze Saum
Der heiſre Sperling zwitſchert faum,
Und Papageien finnentfernt
Nachplappern, was fie eingelernt.
Allein die Gletſcher fohreiten fort,
Es wächst das Eid von Ort zu Dt,
Und der Pedant, ein froft’ger Nord,
Er bläst dich an mit feinem Wort.
Was liegt daran! Das Wort vergeht,
Die Welt, der Menſch, die Kunft befteht.
Doch wenn, nicht mehr wie fonjt geneigt,
Das Lied dir, gleih den Nachbarn, ſchweigt,
Dann denke, ftill in dich gelehrt:
Sind wir es noch zu hören werth?
Nahm etwa der Erfenntnig Baum .
Nicht dem des Lebens Luft und Raum?
Die Wahl fhon einmal ſchwer ſich wies:
Sie koſtete das Paradies.
Wanderſcene.
(14. December 1844.)
Es geht ein Mann mit raſchem Schritt, —
Nun freilich geht ſein Schatten mit —
Er geht durch Dickicht, Feld und Korn,
Und all ſein Streben iſt nach vorn;
IV. Mufit und Muſiler. 181
Ein Strom will hemmen feinen Muth,
Er ftürzt hinein und theilt die Fluth;
Am andern Ufer fteigt er auf,
Setzt fort den unbezwungnen Lauf.
Nun an der Klippe angelangt,
‚Holt weit er aus, daß Jedem bangt,
Ein Sprung — und fieh da, unverlegt
Hat er den Abgrund überjegt. —
Was Andern ſchwer, ift ihm ein Spiel,
Als Sieger fteht er jhon am Biel;
Nur hat er feinen Weg gebahnt.
Der Mann mih an Beethoven mahnt.
Chor der Wiener Mufiker beim Berliog- Sefl.
(1846.)
Genoſſen! macht ein ernft Geſicht,
Es gebt an unfre Ehre;
Und fünnen wir das Leichte nicht,
Verfuhen wir das Schwere!
Sept hoch und höher euch das Ziel,
Verſpottet alle Schranten;
Bon fern geſehn erfpart man viel,
Bor Allem die Gedanken.
Und fehlt uns etwa das Talent,
Genie lat der Gemeinbeit!
Drum, Nullen, jhaart, foviel ihr könnt,
Euch um die fremde Einheit.
Der Haydn ift doch gar zu alt,.
Was fol uns ſolch Gemwinfel?
Wir malen auh, wie er gemalt,
Nur mit dem groben Pinfel.
180
Gedichte.
Ein lauer Hauch ging durch die Luft,
Durchwürzt von blauer Veilchen Duft,
Die Bäume ſtanden hoch und friſch,
Von Licht und Schatten ein Gemiſch.
Und wenn dein Wiſſen minder reich,
Was wahr, theilt Gott an Alle gleich.
Drum gab's in deinen Thälern Schall,
Es Hang das Lied der Nachtigall,
Indeß an deiner Grenze Saum
Der heifre Sperling zwitfchert faum,
Und Papageien finnentfernt
Nahplappern, was fie eingelernt.
Allein die Gletfcher fchreiten fort,
Es wächst das Eis von Drt zu Dirt,
Und der Pedant, ein froft'ger Nord,
Er bläst di an mit feinem Wort.
Was liegt daran! Tas Wort vergeht,’
Die Welt, der Menſch, die Kunſt beiteht.
Doch wenn, nicht mehr wie jonjt geneigt,
Das Lied dir, gleih den Nachbarn, ſchweigt,
Dann denke, ftill in dich gelehrt:
Eind wir e8 noch zu hören werth?
Rahm etwa der Erfenntnib Baum
Nicht Dem des Leben: Luft und Raum?
Tie Wahl ſchon einmal ſchwer jib wies:
Sie foftete das Paradies.
Wanderfcrne.
ar Decentber 14)
Es gebt ein Mann mit wien Schritt, —
Nun freilich gebt jein Schuteen mit —
Er gebt durch Trip, Feld und Kom,
Und cl ſein Streden tk nad mern;
IV. Muft und Mufler. 131
Ein Strom will hemmen ſeinen Muth,
Er ſtürzt hinein und theilt die Fluth;
Am andern Ufer ſteigt er auf,
Setzt fort den unbezwungnen Lauf.
Nun an der Klippe angelangt,
Holt weit er aus, daß Jedem bangt,
Ein Sprung — und fieh da, unverlegt
Hat er den Abgrund überjegt. —
Was Andern jchwer, ift ihm ein Spiel,
AB Sieger ſteht er Ihon am Ziel;
Nur hat er feinen Weg gebahnt.
Der Mann mih an Beethoven mahnt.
Chor der Wiener Mufiker beim Verlioz- Seh.
(1846.)
Genoſſen! macht ein ernft Geficht,
Es geht an unfre Chre;
Und fünnen wir das Leichte nicht,
Verſuchen wir dag Schwere!
Setzt hoch und höher euch das Ziel,
Verſpottet alle Schranken;
Von fern geſehn erſpart man viel,
Vor Allem die Gedanken.
Und fehlt uns etwa das Talent,
Genie lacht der Gemeinheit!
Drum, Nullen, ſchaart, ſoviel ihr könnt,
Euch um die fremde Einheit.
Der Haydn iſt doch gar zu alt,.
Mas fol ung ſolch Gewinſel?
Wir malen au, wie er gemalt,
Nur mit dem groben Pinfel.
182
y—
Gedichte.
Und hält fie Mozart noch bebert,
Sein Rei ſoll bald verſchwinden!
Wir denken mit der Quint und Sert,
Bei ihm war’3 bloß Empfinden.
Beethoven erſt hob fih vom Staub,
Drum fei er unfer Lehrer,
Heißt das: von da an, wo er taub;
So wünjhen wir die Hörer.
Und wo ein Großes, wo ein Klein's,
Mir jchildern es in Tönen:
Die Fibel und das Einmaleins.
Zum Henker mit dem Schönen! |
Nehmt noch das Feldgeſchrei zuletzt
Bon Machetb3 Zauberjchweitern: |
Das „foul is fair“ heißt überfegt: |
Lobhudeln — und verläftern.
Toaſt für Meyerbeer.
(1860.)
In diefer Zeit, wo ever will
Und möglichſt hoch und möglichſt viel;
Wo körperlos die Weltideen
Wie Geifter durch die Straßen gehen,
Doch, kümmt’3 zu bilden, was gedacht,
Dem Wollen fehlt des Werkes Macht;
Wir von der Harmonie der Sphären
Die Reibung, nicht den Einklang hören:
Da laßt und hoch den Meifter ehren,
Der Großes will und, als ein Mann,
Was er gewollt, auch machen Tann!
— —
IV. Mufit und Mufiker. | 183
Zu Beethovens Egmont- Alufik.
(1834.)
Nach der Duperture.
Bernommen habt ihr die gewalt'gen Töne,
Die, einem größern Geiſte beigefellt,
Ein großer Geift vor euer Ohr gezaubert:
Beethoven, Goethe, wandelnd Hand in Hand,
Ein Paar, wie ihr vereint wohl nie mehr jchaut.
Und einen Helden gehen fie zu feiern,
Die Aehnlichen, den fie ſich ſchufen gleich:
Egmont, ven Mann der fernen Niederlande.
Nicht, daß er war, wie ftaunend ihr ihn ſeht.
Ein Staatsmann war er und ein Hort der Schladten,
Wie andre mehr, — fie aber zogen ihn
Empor in ihres Geiftes Sonnennähe
Und ftrablten an ihn mit dem reinjten Licht,
Daß ein Berflärter er die Zeiten lebt.
Sp war's die Art der Kunft feit ihrem Morgen,
Und wird es bleiben, bis ihr Abend graut.
Beiteiget denn, von Tönen hold geleitet,
Den Zauberwagen, ver geflügelt nabt;
Sagt euh von ihm in ferne Zeiten tragen,
Wo frifh der Sinn, verwegen war die That,
Und tretet ſchaudernd vor die ernjte Bühne,
Wo Häupter fallen, Meinungen zur Sühne.
Der Vorhang rollt empor: ihr feid in Brüffel,
Borm Thor der reihen, lebensfrohen Stadt.
Ein Armbruftfhießen feiern fie da draußen,
Der Bürgersmann hält mit und der Soldat,
Der Jubel ſchließt vereinigend die Runde,
Der Spott macht fih durch laute Schaaren Raum,
184 Gedichte.
Die Kedheit hört erftaunt aus fremtem Munde,
Was fie gedaht und fih geitanden kaum.
Man jhilt, man lobt, gibt zu, läßt ſich gefallen,
Den Herrfhern wird das Beſte zugetraut;
Doch fcheint dad Jetzt nicht hoch in Gunft bei Allen;
Wie priefe man das Ehmals fonft fo laut.
Die Armbruft fnadt; zwei Kreife, drei, getroffen!
Der Sieger wird glüdwünjhend fhon begrüßt;
Da tritt no Einer vor, ob kaum zu hoffen,
Hält er den Einfag mit und zielt und ſchießt
Rein ſchwarz. Sein ift der Zag! Wie ſchreit die Menge
Und drängt fih zu und ſchüttelt ihm die Hand,
Und Keiner wil’3 beneiven und beftreiten,
Iſt's Einer doch, hört ihr! von Egmonts Leuten.
Egmont! Der Name jubelt durch die Stätte,
Die Taubheit felber hört's und ruft vereint;
Nicht König und nit Staat, niht Amt und Näthe,
Er iſt's, den das Vertrauen jubelnd meint.
Und Jeder fügt ein Beiwort feinem Namen
Und glaubt genug ihn nicht gepriefen noch:
Der Siegesfürſt von Saint Quentin,
Der Held von Oravelingen!
Und Egmont, Egmont hoch!
So jubeln fie und zechen wohl noch Lange.
Laßt uns zur halbverwaisten Stabt zurüd;
Der Abend finkt, und auf dem kurzen Gange
Zeigt Ein und Andres etwa fih dem Blid.
Der Thorweg gähnt, des Marktes Seiten weichen,
Im Haufe der Regentin fhimmert Licht.
Die edle Frau, aus Dejtreih& mildem Stamme,
Wohl noch mit ihrem Kanzler ſich befpridt.
Mir forfhen nit, und gehn die Heine Gafle,
Ein Heine Pförthen führt zur Wendelſtieg',
Wie eng, wie jhmal; die Glasthür halb verhängt,
IV. Mufit und Muſiker. 00185
Drin Licht, und Worte, wie fie Freunde tauſchen. —
Wer liebend forfcht, der darf wohl einmal laufchen.
Im Armſtuhl fibt ein Weib, fhon was bei Jahren,
In niederländ'ſcher Tracht, ein wenig ſchwer;
Das dunkle Kleid fticht ab zur weißen Haube,
Die Enapp läuft um die Faltenftirne ber.
Sonft reinlih und behaglih, obſchon ärmlich.
Ihr Aug’ ruht lächelnd auf dem jungen Mann,
Der Garn gehängt um feine beiden Arme
Sich und den Faden abzuminden reicht,
Und diefer Faden läuft zu weißen Händen,
Und dieſe Hände wirbeln ihn zum Knäu'l.
Und drüber blitt’3 aus dunfelbraunen Augen,
Die fih, jo ſcheint's, des wirren Spieles freu'n;
Und feht, ein Mädchen iſt's! — Nicht doch: ein Cherub,
Der, halb geflügelt Kind, halb Zornesbote,
Mit Apleraugen eine Welt bejcheint.
Was ift fie Ihön! Die runden Mäpdchenwangen,
Die lihte Stirn, das Näschen jehr beftimmt,
Die Augenbraunen jharf, der Mund fo weich,
Und doch im ftolgen Mitleid manchmal zudend, —
Sit fie? — Es ift das Mädchen, das Graf Egmont meint,
Zu dem er ſchleicht, den Mantel über Kinn,
Und das die Nahbarinnen neidend fchelten.
Sie aber weiß e3, ijt erfreut, betrübt,
In Einem überfelig: daß fie liebt,
Und wieder traurig bis zu lauten Zähren;
Dem Liebften Tann fie ganz, fie weiß es, nie gehören.
Drum möchte fie ein Knabe fein, ein Mann,
Ihm dienend nahn in gut und böfen Tagen,
Die Fahne nah im heißen Streite tragen,
Und Zucht und Hoffnung, Scham und Glüd und Pein
Singt fie mit ſolchem Schlummerlieve ein.
(Folgt Klärchens erſtes Lich.)
186 Gedichte.
Mendelsfohn’s Mufik zum Sommernachtstraum.
(Einleitende Worte.)
(1852.)
Ihr feid verfammelt hier und feid gefpannt,
Ein Tonwerk anzuhören, weit befannt,
Das hoch und tief, wie heut zu Tag der Braud,
Sid übrall Play gemaht, und fo bei ung denn aud.
Ihr mwerbet’3 hören jekt, und zwar im Reich der Töne
So gut als irgendwo: wir find noch Mozarts Söhne!
Beethoven, Haydn, Meifter edler Art,
Sie wirken, obgleih ſchwach, noch in die Gegenwart;
Doch heut genügt das nicht, denn Mendelsſohns Mufil
Lehnt fih dramatiih an ein Bühnen: Stüd;
Das Stüd nun können wir euch vor nicht führen,
Deßhalb ward ich gefandt, es euch zu erpliziven.
Das fallt mir ſchwer, Shakeſpeare ift Proteus: gleich:
Glaubt ihr zu halten ihn, jo lacht er fern von eud.
Doh muß e3, fo geſcheh's. Wir faſſen's muthig an;
Ein Schelm thut mehr, al3 er nur eben Tann.
Doch zum Beginn, und eh’ wir weiter geben,
Sagt mir: glaubt ihr an Elfen oder Feen?
Glaubt ihr? dann gut; wenn aber nicht,
Dann geht ihr fehl im Leben und Gedicht. —
Der Teufel ift der Vater alles Böfen,
Mir beten drum, von ihm uns zu erlöfen.
Allein das Böfe, ſchwarz in vollem Grimme,
Iſt lange noch nicht alles Schief und Schlimme.
Die Thorheit ift noch da mit ihrem Mittleramt,
Die halb von ihm und halb von oben ftammt.
IV. Mufit und Mufiter. | 187
Ihr Tiebt, da ift die Hulbin eine Fee;
Zürnt ihr, fteht euch ein Kobold in der Näh';
Ihr wünſcht, ihr hofft, ihr ſeid begeiftert —
Wie man's nun eben iſt, nicht meifternd, nur bemeiftert —
Da feid ihr denn, ih kann nicht helfen,
Befefjen, nicht vom Teufel, doch von Elfen.
Und daß ſie's find, zeigt ſchon das öde Nichts,
In das der Wahn zerrinnt beim erften Strahl des Lichts,
Sa! all, was ſchön und anmuthövoll im Leben,
Iſt diefen Mächten in die Hand gegeben:
Die Neigung, dad Bertrau’n, die Feindesliebe, —
Was nüblicher vielleiht, wenn’3 unterbliebe,
Und doch, indem’3 der Klugheit Bann entihlüpft,
Die Bande zwifhen Menſch und Menſchen fnüpft:
Des Dichters Lied, des Malers Meifterftüd.
Wenn ihr, erfaßt vom Zauber ver Mufit,
Euch beijer fühlt, und habt doch nichts gethan,
Und reicher, obgleih Keiner was gewann,
Und höher, obgleich ftet3 vom felben Maß,
Und wiſſend, freilih nit wovon und was, —
Und nit nur fo euch fühlt, nein, wirklich jeid:
So denkt, e3 fiel in eure Spanne Zeit
Ein Strahl vom Jenſeits, da3 uns noch verborgen,
Ein Wintertraum von einem Sommermorgen;
Und jene Mächte haben’3 dort gejehn
Und künden's halb, weil ſie's nur halb verftehn.
Das ift der Boden, den wir heut gewählt:
Die Thorheit, die der Weisheit ſich vermählt.
Doch hoch, es rauſcht in ungeduld’gen Geigen!
Das find die Elfen ſelbſt. Da muß der Redner ſchweigen.
190 Gedichte.
An eine wälfche Sängerin.
(Als fie unjer Volkslied mit Variationen jang.)
Mit Alpenlievern treibe deinen Scherz,
Wer fragt da viel nad Wahrheit, Herz und Seele!
Zum „Sott erhalte“ ift ein deutfches Herz
Weit nöthiger als eine wälſche Kehle.
Ole Bull.
(18839.)
Es ſpukt! Ein Doppelgänger, ein Gejpenit!
Fern lebend in Paris, nicht minder doch darım
Geht Baganini leibhaft unter uns herum! —
Und dennoch fein Geipenft, fein Geift, ein Körper nur.
Liszis Abſchirdsconcert.
(16, Februar 1880.)
Noch ftürmt der Beifall, des Entzüdens Flug,
Es läht das Mas ih kaum nody mehr vergrößern;
Drum ſei's, o Herr, der Trefflihleit genug:
Wir danten ir — doch ſend' uns keinen Beſſern!
Thalberg.
(1841.)
Laß fie fih brüften mit erzwungnen Gaben,
Das Ziel erftreben mit gemagten Würfen;
Du fpielft für Hörer, die das Schöne haben,
Die Andern nur für jolbe — dies bedürfen.
IV. Mufit und Mufiker. | 191
Falſche Auslegung.
Mozart darbte! Thalberg, Liszt
Laßt ihr Tonnen Golds erwerben?
Freilich, wer unfterblich ift,
Meint ihr, kann nit Hunger jterben.
Jenny Lind.
(1847.)
Wollt ihr mit andern Künftlern fie vergleichen,
Und tadeln ihr Benehmen für die Welt?
Es geht ihr eben auch wie andern Reichen:
Sie hat nicht immer Kleines Gelb.
Beethovens neunte Symphonie.
Ob's mir gefällt, ob nicht gefällt,
Sein Ruhm bleibt ganz und heil;
Denn jeder Fauft — da3 weiß die Welt —
Hat feinen — zweiten Theil.
Den Beeihonomanen.
Ich ſähe, glaubt ihr, auf Beethoven jchief,
Als ob zu meinem Ohr nit feine Zauber reichten?
Mir graut nur vor dem Wörtchen: tief,
Bor Allem aus dem Mund — der Seidten.
Unferen ECompofitenren.
Die Stärke braucht, und nidht die Schwächen,
Sonft wird der Kunft ihr Höchſtes nie;
Geläng's der Tonkunſt je, zu ſprechen,
Wär’ fie verpfufchte Poefie.
—
— —
V.
Poeſie und Poeten.
Grittparzer, Werte. I.
192 Gedichte.
Den nenen Muſikgelehrten.
O, ihr kunſthiſtoriſches Gelichter!
Nennt ihr den Tonfeger: Tondichter?
Dann nennt auch, was wir Dichter nannten,
In Zukunft Wörtermufilanten.
Ein Compofitenr der Zukunft.
Man fagt, vu verachteſt die Melodie,
Schon das Wort erfüllt dich mit Schauer;
So ging’3 auch dem Fuchs, dem enthaltfamen Vieh,
Der fand die Trauben fauer.
Ein Zweiter.
Dein Quartett Hang, als ob Einer,
Der da hadt in dumpfen Schlägen,
Mit drei Weibern, welche jägen,
Ein Klafter Holz verkleiner! !
Refignation.
Ein Thor, mer der Thorheit widerftrebt,
Man muß e3 der Zeit übergeben ;
Habe die Hegel'ſche Philofophie überlebt,
Werd’ auch die Zukunftsmuſik überleben.
V.
Poeſie und Poeten.
Srittparzer, Werte. I. . 18
Dir Sreſtern
%=: mt ve Lenithen Inu’ nod temem Sibbe,
Sant? er, wer ine mut ummplenvent zit,
mei Engel m tn wertente Gefiine ⸗
Te Ems, har mm Wuds mr ihern HÄuen,
Ber ven Sropen len Zeus mr har,
Tes Simmmns Zub um ie müdh:gen Scnen,
Erem je ven Smmer jeglicbem Beperi.
Die Arme, zarıer Gar’: mt ihmäde'ger Glieder,
Den Leinen Kup ort jedem Sem ner,
Trũgt, wie ben leiten Bogel tem Geñieder,
Er Kü ter Sunbern onasicgt
R
Er wandeln je Die Welse, zücria,
Eiemtr, was bister Erbe ni mr fromm;
Indeß Die Simgre, eine Born flüchtig,
Die Runde Dong, mie bed von oben immmit.
Tıh Re m leid vergeplich, ſſchwanter Sıme,
Eie werk nur balt me Yosihaf: jener Wekb;
Tep wirt Die ſtenge Schweſter zürment im,
Der mer, wos fiber unt was ganz, neiältt.
196 | Gedichte.
Und einft zu Nacht, da jcheinbar Beide ruhten,
Tritt fie, von Groll bewegt, wohl aud von Neid,
Stil auf den Zehen zu der Leichtgemuthen
Und raubt ihr rafhen Griff das Flügelfleid
Und paßt ſich's an und ſchwingt fih in die Lüfte; —
Allein der ſchweren Glieder mächt'ger Bau
Trägt fie nicht höher als zum Felsgeklüfte,
Das formlos ſchaut ins unbegrenzte Blau.
Dem Lichte näher, doch nicht den Geftalten,
In denen fih daS Em’ge felbit erfennt,
Fehlt unten Raum, den jchmweren Fuß zu halten,
Nah oben Schwungfraft, die die Lüfte trennt.
Und doch zum Werk den troß’gen Muth verbindend,
Hört achtlos fie der Schweiter Jammerruf,
Die, heißer Thränen fih am Boden windend,
Die Saat erbrüdt, die Müh und Sorge fhuf;
Ya, taufhen Amt nicht neu fie und Geberde,
Wird mahtlos, mas ein Gott fo reich verlieh. —
Kehr', deutihe Proja, rüd zur fihern Erbe,
Nimm wieder Flügel, deutſche Poefie!
Märchen.
In eines alten Thurmes Schacht
Liegt goldenhell ein Schatz,
So reich, daß, wer ſein kundig ward,
Wünſcht ſich des Hüters Platz.
Der Hüter aber iſt ein Drach',
Der wahrt das edle Gut;
Goldgierig, neidifh, wie er ift,
Hält Tag und Naht er Hut.
V. Boefie und Poeten. 197
Der Schuppen jed’ ijt ihm ein Aug
Und Kralle jeves Glied,
Drum fieht er, merkt, wehrt ab, was vor,
Was hinter ihm gejchieht.
Ein Ritter aber, ohne Raft,
Klimmt fühn den Berg empor.
Umfonjt! denn wenn es halb gelang,
Kommt ihm der Drach' zuvor.
Der Schag nun felber regt fih nicht,
Wie eben Schäße thun.
Das Schöne will gewonnen fein,
Es ruht und läßt nicht ruhn.
Die Berle bat doch auch fein Ohr,
Der Demant feinen Mund,
Der Blid des Goldes winfend nur
Gibt Wunſch nah Freiheit fund,
So jegen ſie's ſchon lange fort:
Der Hüter feinen Lauf;
Das reihe Gut kommt nicht herab,
Der Suder nicht hinauf.
Nur fürcht' ih, währt es allzulang,
Erlahmt die Phantafie
Und ftreift die bunten Farben ab,
Die ihr das Märchen lieh.
Der Drache geht dann ſchuppenlos,
Der Ritter räumt ven Platz;
Nur Eins troßt der Entzauberung
Und bleibt, wie's war: der Schatz.
198 Gedichte.
Derfänmter Augenblick.
Auf Kresna: Hora, hütend feine Kühe,
Stand jener Hirt; da wollt’ es ihn bedünken,
Er ſäh' e3 aus dem Erdreich guldig blinfen,
Im Dämmerliht von Tages erjter Frühe.
Mit kurzem Athem eilt er bin, und fiehe!
Dem Grund entjprießen wirklich goldne Zinfen,
Auf Wurzeln, die noch tief und tiefer finfen,
Reichlohnend feines Grabens leichte Mühe.
Doch mie er gräbt, wird ängftlih ihm und enge,
Er muß fein Glüd vertrau'n, nad Beiltand laufen;
Er bricht den Stab entzwei auf Armes Länge
Und eilt ins Dorf. Ihm folgt hinaus der Haufen
Und ſucht und wühlt mit Hebel, Karft und Winden:
— So Platz als Gold war nit mehr aufzufinden.
’ Lope de Vega.
Du reicher Geiſt mit unbekannten Schätzen,
Dir ſelber mehr als Andern unbekannt,
Weil du nicht liebſt, an Zahlen Zahl zu ſetzen,
Nein, einzeln fie verfchentft mit voller Hand.
Mo irgend Gold in unerforfchten Klüften,
Die Wünjchelruthe zeigt dir feine Spur;
Wie deine Spanier, die gen Abend fchifften,
Befuhrft du alle Küften der Ratur.
Und was an Menihen, Pflanzen, Blumen, Thieren
Nur irgend da und ſich des Daſeins freut,
Das wobſt du ein, der Göttin Bild zu zieren,
Die, täglich fterbend, ſtündlich ſich erneut.
Alien.
V. Poeſie md Bocten. 199
Die Mutter alles Weſenhaften, Guten,
Sie fit an deinem Born, der ſtrömend quilit,
Und fpiegelt fi in den kryſtallnen Fluthen,
Ihr Selbft verwechjelnd träumrifh mit dem Bild.
Und lächelt fie, fo lächelſt du ihr wieder,
Und grofit fie, gibft du ihr den Troß zurüd,
Durchſichtig, gleih ver Wahrheit, deine Lieber,
Und täufchend nur, weil Täufhung alles Glüd.
Und jo ein Kind, nod bei ergrauten Haaren,
Und aud ein Greis beim frühſten Kinvesipiel,
Haft du für AU, was Menſchheit je erfahren,
Ein Bild, ein Wort, den Pfad und auch das Biel.
Uachtuf au Zacharias Werner.
(+ 18. Zänner 1823.)
So bift du nicht mehr unier un?
Biſt hingegangen, Werner, abzulegen
Das unfreiwillig ſchaurige Profeß
Bei deinen grauen Mönden vom Karmel,
Dem beil’gen Berg, du armer Sohn de3 Thals?
Was ift die Hora lang,
Der Guardian ftreng
Und fhredlih der Poſaunenſchall des Felts!
Man jagt, daß, wer ſich felbft geſchaut im Leben,
Die eigene Geitalt, anſichtig, außer fi,
Daß Der nicht leben könne fürder mehr
Und müuſſe fterben in der nächſien Frift.
D unglüdjel’ge Frucht der Selbitbefhauung !
Du haft dich auch geihaut und bift geftorben:
Denn Das nicht, was er ift, nein, was er thut,
200 Gedichte.
Das ſoll der Menſch erkennen und erwägen,
Sonſt iſt er todt, ſei's auch, daß er noch athme!
Die ew'gen Geiſter ſchauen und ſind heilig,
Der Menſch ſoll aber handeln und ſei gut!
Nicht auf ſich ſelbſt, die eigne Form und Unform,
Soll er die Augen heften, wenden ſeine Gluth;
Die Außenwelt ward ihm als lichte Braut,
Die mag er ſich erfaſſen und umarmen
Und Kinder zeugen, daß die Welt beſtehe!
Der Gottheit Blitz auch auf der Geiſter Sodom! —
Du, Armer, haſt die Ruhe nie gekannt,
Dein Streben nahm ſie dir, und ſtrebteſt doch um Ruhe.
Da dir die Milch der Menſchheit ſchmacklos war geworden,
Schien bald kein Reiz dir geiſtig ſcharf genug;
Dem Gleichgewicht entrückt durch eignes Schwanken,
Durchliefſt du jeden Punkt des großen Hebels
Und ſuchteſt nur den Ort, um feſt zu ſtehn. —
Umſonſt! Die Ruhe ſtellt ſich ein, ſobald man ruhig!
Im Sinnenrauſch, im Rauſch des innern Sinns,
Ward er von dir geſucht und nicht gefunden —
Des geiſt'gen Archimed dog uoı Nov co,
Der heut und geftern immer gleiche Punkt,
Der ew'ge Mittelpunkt. — Schlaf wohl, du Armer!
Nun haft du ihn!
Einem Grafen nnd Dichter.
(1834.)
Auersberg, du legter Ritter
Eine Stamm3, der ruhmbelaubt,
Streit! nit mehr im Helmesgitter,
Zeig bein freies, edles Hauptl -
V. Boerfie und Boeten.
Nicht mehr grün find deine Früdte,
Reif und bo, zu hoch dem Zwerg,
Du Erftandner im Gedichte,
Anaftas und Aueröberg.
Gehft ja in der Bäter Bahnen,
Kämpfft für Wahrheit und für Recht;
Schau’! e3 fehn auf dich die Ahnen
Und erfennen ihr Geſchlecht.
So mie fie in fernen Tagen,
Als der Mufelmann gedräut,
Manche heiße Schlaht geſchlagen
Und den Vaterherd befreit,
Ziert den Mufenroß-Beritinen,
Ihren Sohn, der Kampf zumeift
Mit den Herz: und Geift:Befchnittnen,
Den Ungläub’gen an ven Geilt.
Und ob Bortheil faum zu hoffen
In dem ungleich jchweren Krieg,
Sei fein Stillitand do getroffen,
Mo nicht weihen ſchon ein Sieg.
Würde felbjt das Glück Verräther,
Käme des Erliegend Tag,
Denk an jenen deiner Väter,
Der in Stambuls Kerkern lag.
Wie da der Boſtandſchi dräute,
Grimm de3 Sultans Angeſicht;
AU fein Glüd gab er zur Beute,
Doch des Buſens Wahrheit nicht.
Welkte fern den heim’fchen Triften,
Starb getrennt von Kind und Weib,
Bon zwei dargebotnen Giften
Trank er jenes für den Leib.
201
202 Gedichte.
Alfo bleib am Rechten bangen,
Und ob did die Welt verläßt,
Sie dich ausfpähn, binden, fangen,
Halte du am Glauben feit.
Daß, menn einft zerjtäubt die Gitter
Rings um all, was gut und wahr,
Man did grüßt als erjten Ritter
In der Nachgekommnen Schaar.
Brüden, die nicht abgetragen,
Haben Stamm und Glüd entzweit,
Uns vielmehr laß Brüden ſchlagen
In die beßre Enkelzeit!
Bretterwelt.
Komm, Muſe, her, du ſollſt mir vor das Volk!
Mit dieſen Stricken bind' ich deine Arme;
Die Glocke, einſt der Kuh, die reichlich molk,
Ruft zu Gericht; ob dein ſich Gott erbarme?
Den Helm von Pappe ſetz' ich dir aufs Haupt,
Ein hölzern Schwert wankt, wo die Hüften ſchwellen,
Und daß dein Fuß ſich nicht zu wiel erlaubt,
Nimm noch von Blech die engen Knöchelfchellen.
Auh in dem Umkreis hab’ mir forglih Acht!
Der Baum bier want, Tann nicht zur Stütze taugen,
Dort die Verfenfung führt in Abgrunds Nacht,
Und doch, vor Lichtglanz, hüll' ich deine Augen;
Den Mund allein nur will ih frei dir geben,
Den braud’, wie du's vermagft, wie dir befannt;
Was fonft no rührt und überzeugt im Leben,
Iſt ſtreng aus diefer zweiten Welt verbannt.
V. Bocke und Boeten. | 20
Die die Muſik niht Formen gibt, nur Töne,
Der Maler Töne nidht, nur Formen malt,
Lebt hier im dürren Wort allein das Schöne,
Bon Bohlflang nicht ergänzt, noch von Geftalt.
Nun aber laß uns erft noch Jene fchauen,
Die das Geſchick zu Richtern und gejebt,
Der Borhang ward zum Glüd von art’gen Klauen
Zu eigner Ausfiht ftellenweis zerfeßt.
Du ftaunft, nit wahr? und kannſt e3 faum erwarten?
Ein Anblid, bunt und rei, bergan, thalab.
Glaubſt du did nicht verfegt in jenen Garten,
Dem man vom Brunn den [hönen Namen gab?
Hier das Barterre, voll Rojen, Zulpen, Nelten,
Zwar leeres Gras dazwiſchen auch genug;
Die Hitze macht die Häupter fichtlih welken,
Doch blühn fie auf, befprengt fie erft dein Krug.
Und weit im Umkreis die geſchloßnen Fallen,
Des Gartens? Schmud, genannt Menagerie,
Des Städters Luft vor Jedem und vor Allen,
Bejegt mit edlem, jchwerbezahltem Vieh.
Ha, wie fie prangen, wie fie grinjen, ſchnauben,
Mit Fleifh genährt zum Theil, zum Theil mit Aas,
Zwar pflegen fie nicht mehr, wie fonft, zu rauben,
Doch, was fie längft geraubt, ift jegt ihr Fraß.
Der Löwe dort mit etwas kahlen Mähnen,
Dem, was und groß, ein ftolzer Zeitvertreib,
Ein halbes Bolt verſchlingt fein kleinſtes Gähnen,
Ihm fteht kein Mann, dir horcht er, weil ein Weib.
Der Eisbär nebenan, vor dem fein Säumen,
Wie dürr und alt, doch immer noch in Brunft,
Zwei Wärter fraß er fhon in diefen Räumen,
Doch hat man ihm die Zähne jet geitumpft.
SE)
204 Gedichte,
Das Zebra ſchau', ven Leib gefhmüdt mit Bändern,
Man kennt ven Stamm troß der gezierten Bruft;
Hier dad Kameel aus wüſten Steppenlänbern,
Das fhleppt und trägt und dem die Dürre Luft.
Dort die Hyäne, die mit leifem Winfeln
Im Dunkeln anzeigt, was fie ftil erlauſcht,
Hier Thiere, die das Mundhaar formt zu Pinfeln,
Und andre glatt, die Baden nur bebaufdt.
Die Löffelganz, vielmehr der Gänfrich felber,
Der Schnabel nur zeigt an fein platte Haupt,
Er ſchlingt die Nahrung ganz. Hier Lämmer, Kälber
Bon jeltner Art und theurer, als man glaubt.
Zulegt der Waſchbaͤr noch, er, der von allen
Den Fraß als Küchenmeiſter felbft ſich kocht;
Er wäſcht und wäſcht und läßt ſich's erſt gefallen,
Wenn er den letzten Saft den Faſern ausgepocht.
Nach weiter oben laß uns nicht mehr blicken,
Ein Schwindel droht. Die höchſten Wipfel ſind's,
Die, leicht erregt, verneinen over niden,
Se nah des Zufall Laune und des Winds. —
Die alle nun find unfres Werkes Nichter,
Bezeihnend e3 mit ſchwarz, mit rothem Strich,
Das Urtheil ſprechen fie dem armen Dichter
Und auch — fie ahnen’3 ewig nimmer — fid.
Sie find — mie überall, feit Herzen ſchlugen
Und der Verſtand Gedanken fnüpft und trennt —
In Zwei getheilt: die Thoren und die Klugen,
Nur freilih ruht auf erftern der Accent.
Die Thoren — ei, was mehr? — find eben Thoren,
Nur, ſonſt befchräntt, fühlt hier der Troß fich frei;
Den armen Geift im Alten matt verloren,
Strebt Jeder haft’gen Drangs nah Dem, was neu,
——M
V. Boefie und Poeten. | 205
Den todten Sumpf im Innern ihrer Weſen
Wünſcht Jeder durch die Dichtung aufgerührt,
Sie fühlen nur, wenn fie vom Fühlen leſen,
Das Leben lebend, das ein Andrer führt.
Wie jih der Hund an did drängt, aljo Jene:
Du follft ihm Elopfen feines Rüdens Grat;
Klopfit du zu ftarf, jo weist er dir die Zähne,
Zu ſchwach, fo weiß er faum, wie man ihm that.
Die folft du, nicht der Welt, nein, ſich entreißen:
Sid ſucht und flieht ein Jeder eifrig gleich,
Und willſt du ihm mit Fug ein Dichter heißen,
Sei unerhört, ein Wunder, jeder Streid.
Indeß die Klugen — und da3 find die Schurfen,
Bon Schlechtigkeit bis zum Verſtand gebeizt —
Nah Wirklihem verlangt, gewürzt mit Gurken,
Mit Senf, und was no fonft den Hunger reizt.
Die wollen ſich, ſich jelbit lebend'gen Leibes,
Heißt das: wie etwa ſie ſich einſt gedacht,
Ch Welt und Gier, die Wuth des Zeitvertreibes
Sie um den Abel ihres Seins gebradt.
Die mußt. du nun vor allen reizen können,
Denn, wife nur, fie find in was zerftreut:
Gie wollen gern uns ihren Abend gönnen,
Doch miederfaun fie ein gejchäftig Heut.
Der Eine zählt im Sad die Groſchen, Gulden,
Des fhnöden Wuchers ſchändlichen Geminnft,
Der Nahbar hört's und denkt mit Schred der Schulden,
Die morgen fällig, lange nicht verzinst.
Der hat den Feind und der den Freund verrathen,
Der Seele Schaf verkauft für böfes Geld;
Der fieht im Geift die Gattin andrer Gatten,
Die heut.-geftrauchelt und mohl morgen fällt.
906 Gedichte.
Dort Einer Augelt auf ver Freude Töchter,
Nächſtan ein Dichter ohne Preis und Dan,
Der, felber ſchlecht, die Andern wünſchte ſchlechter,
Ein Licht, das leuchtet, wenn die Sonne ſank.
Hier grinst der Spott, der Affe des Verſtandes,
Hier gähnt die Profa, die ſich felbft genug,
Dort Neid und Haß, lammſchürigen Gewandes,
Der Groll, der feinen Wurf feit Monven trug: —
Vor diefe follen wir mit unjern Spielen.
Was ſchauderſt du zurüd und ſchlägſt die Bruft?
Und wäre Tod im Grauen, daS wir fühlen,
Es ift ein heilig Amt! — ih fol, du mußt! —
Auch wiſſe nur: die Schlimmiten von den Schlimmen,
Wie hart ihr Frojt, wie fern fie der Natur,
Im Heimlichtiefiten blieb ein Fünkchen glimmen,
Mit Qualm bedeckt und kalter Aſche nur.
Erreichſt du das mit deines Athems Wehen,
Dann ſprüht's und kniſtert, und ein Flämmchen blinkt,
Zwar bläulich ſchwach, dem Auge kaum zu ſehen,
Doch wärmt's den Pulsſchlag, wie er ſteigt und ſinkt.
Am Arme ſeines Nachbars im Gedränge
Fühlt Jeder die geſteigert fremde Gluth,
Und über ſie kommt das Gefühl der Menge,
In dem der Menſch verzehnfacht, ſchlimm wie gut.
Der weiß, er theilt im Blicke mit ſein Wiſſen,
Der Fühlende im Athem ſein Gefühl,
Was Einzeln war, iſt ſeinem Selbſt entriſſen,
Zählt nur als Woge, ſchwindend im Gemwähl.
Dann ſind ſie dein. — Darum vom Aug' die Wolke! —
Dann ſprechen wir zu Dem und Dieſem nicht,
Dann ſprechen wir zum Menſchengeiſt, zum Volke,
Und die ſind's werth, daß man mit ihnen ſpricht.
us)
Seib ıbe jo arm in euıem eignen Baus,
Dab ifr Geräche borgt aus fremden, fernen?
Spricht das Gefühl nicht eignen Inhalt aus,
Pie ſol's in fremden ſich zu finden lernen?
Was beat geibehn, preiſ ih dem Geb nicht an,
Und Gegenwärt'ges bab' ich nie beiungen;
Was ik, it vem Bedũrfniß untertban,
Bergangues, weil werflärt, ziemt Tichterzungen.
Sch vie Empfintung, vie dem Liede lauſcht,
Eie if von heut und iſt mit dir geboren;
Wie ih dein Selbit mis feinem andern tauſcht,
Iſt, was du jelbit nicht füblit, für dich verloren,
Der Antheil liegt in Saden, nit im Wort,
Sein Mitleid weden nur verwantte Schmerzen;
Wächst aub ver Geiit durch die Geſchlechter fort,
Nicht Erbſchaft, nur Erwerb bereikert Herzen.
Wenn anders id in meinen Tagen jang,
AB Aeſchylus, erreichbar wohl für Keinen,
Bars, weil ein antres Echo mir erflang
Aus meiner Hörer Bruft, als ihm aus jeinen.
Und ihr, nad) zwei Jahrtaujend Zwiſchenraum,
Das Wideripiel von meines Volkes Leben,
Wollt, was das Wiſſen euch verbeutliht kaum,
Dem Mitgefühl als weihe Nahrung geben?
Ehrt ihr mi, wohl, jo eignet mid eud an,
Züllt eure Adern ftraif mit meinem Blute,
Und fo geitärkt, thut, wie ich felbit gethan:
Erzeugt das euch Gemäße und das Gute.
208 ' Gedichte.
Und fünnt nit ihr's, noch denen ihr vertraut,
So weint und Hagt im härnen Büßerhemde,
Nicht daß ihr ſtolz auf Mitgeborne ſchaut,
Weil ihr euch angeheuchelt habt das Fremde.
Dem aber, der euch deutelt Neu und Alt,
Sagt nur: e3 fein die ſchlechtſten der Inſekten,
Die ihre Eier, weil fie felbit zu kalt,
In fremde Körper auszubrüten legten.
Wer Leben ſchafft, das feiner Zeit gehört,
MWärs auh im Raum und dur die Zeit begrenzter,
That mehr, al3 wer zum Sabbath aufbeſchwört
Die Schatten von Geſpenſtern für Gefpeniter.
Epiſtel.
(1844.)
Ihr wollt denn wirklich deutsche Poeſie,
Die e3 auch fei, nicht bloß nur jo fih nenne?
Gerehtre Wünfche hörte man wohl nie, '
Doch deutihe Art! Macht erft, dab ich fie kenne.
Ich weiß euch ruhig, feſt, von ſchlichtem Sinn,
Zum Handeln minder rührig als zum Denken;
Doch ſeh' ih auf des Tags Geftalten hin,
Muß ic zum Widerſpiel die Meinung lenken.
Da lärmt’3 und prahlt und tobt und fchreit und droht,
Bernichtet jede Stunde zehn Tyrannen,
Bil Freiheit, gält’ es hundertfachen Tod,
Und führt doch Krieg nur mit den vollen Kannen.
Ihr rühmt der Väter Biederſinn und Art.
Hiſtoriſch, nur hiſtoriſch, ruft's hyſteriſch,
Im Glauben ruht das Heil der Gegenwart!
Und Strauß macht euch mit feinen Mythen narriſch.
V. Poefie und Poeten. 209
Freund Hegel gibt euch einen neuen Gott,
Und Schelling ſtutzt euch zu auf neu den alten;
Die Welt aus Nichts war ſchon ein hart Gebot,
Doch Nichts — das eine Welt — will gar nicht halten.
Gefühl, rühmt man, daß euer Vorzug ſei —
Drum koſtet wohl Verſtand euch Ueberwindung!
Doch als ihr todtſchlugt die Empfindelei,
Traf mancher harter Schlag auch die Empfindung.
Und ſtatt Gefühl, womit ihr euch begabt,
Find' ich euch kalt in holperichten Reimen,
Wo nur Gedanken, die man längſt gehabt,
Zum Harlekin ſich an einander leimen.
Ein Volk von Denkern? — Und ſprecht plappernd nach,
Was ihr gehört von nicht'gen Unterweiſern,
Gervinus, Menzel ſtehen wie zur Wach',
Bald abgelöst, in engen Schilderhäuſern.
Was heute gut, weicht morgen ſchon vom Pla,
Sa Billigung als Urtheil ohne Stärke,
Ihr lebt von heut, euch häuft fih nie ein Schatz,
Ahr habt nur Bücher, aber feine Werke.
Wo ift dann deutjhe Art? — Auf, zeigt mir fie,
Statt Launen, immer bunter und vertralter;
Und fordert ihr ihn von der Poefie,
So habt vor Allem felber erſt Charalter.
Allen ihr möchtet jein, was ihr nicht fein. —
Geht in die Schule denn und lernt, zu leben,
Und feid ihr zum Empfangen erft bereit,
Wird euch die Dihtkunft dad Gemäße geben.
Grillparzer, Werke. 1. 14
210
Gedichte.
Der dentſche Dichter.
Ein deutſcher Dichter iſt übel dran,
Und doch auch wieder gut:
Mas pladt fih nicht der arme Mann,
Er weiß kaum, wie fih’3 ruht.
Heut ift man objectiv gefinnt,
Er iſt denn objectiv;
Doch morgen ahnt die Welt und minnt,
Da jeufzt er brunnentief.
Heut leugnet man den Gott des AU,
Er leugnet, was er kann;
Horh! Naht dort nicht ein Beter: Schwall?
Er ſchließt fih fingend an.
Heut treibt man fpanifh, morgen wälſch,
Nun griehiih, dann Sanskrit;
Bis auf fein längjt gelerntes Deutſch
Rernt er die Sprachen mit.
Nun wird man radifal. Drauf hin!
Ein g8 ira zur Hand!
Die deutſchen Frauen ehren ihn,
Wie einft den felgen Sand.
Doch kommt ein hoher Namenstag,
Fühlt alle Welt fich weich,
Er eilet, waß er eilen mag,
Und jchreibt ein Carmen glei.
Und treibt er fih nicht raftlos um,
Wär’! gar die höchſte Noth,
Fand’ erft ein Uebergang ihn ftunm,
Er gälte glei für tobt.
a N
V. Boefie und Poeten. 211
Someit mın hat der Didier ſchlecht, —
Doch gut au injoweit,
Weil, wenn das Was dem Pobel recht,
Er gern das Wie verzeiht.
Am Grabe Lenan’s.
(+ 22. Auguft 1860.)
So bift du hingegangen, armer Mann,
Und bift im wüften Irrenhaus erblichen,
Gehörend jo im Ende denn aub an
Der Zeit, der du in deinem Lauf geglichen.
Beitimmt, ein blühend grüner Aft zu fein
An deines Vaterlandes Künftlerbaume,
Fandſt du's zu eng in dem beengten Raume,
Und, jelbft als Baum zu gelten, lud's dich ein.
Alfo entrüdt der vaterländ'ſchen Erde,
Verpflanzteft du, was jo verſprechend jchien,
Hin, wo im Treibhaus am geheizten Herde
Und unter Glas fie bleihe Pflanzen ziehn.
Der Triebe Keim blieb deiner Heimath eigen,
Nur Laub und Holz, e8 ward mit dir verjegt,
Ein wenig gohr der Saft noch in den Zweigen,
Dann ftarb er ab und du mit ihm zulegt! —
Daß du ein Ehrenmann, hat dich getöbtet,
Daß du kein Thor, war deine Wahnfinnd Grund;
Wem Selbiterfenntniß noch die Stirne röthet,
Der ftraft fih Fügen felbft mit eignem Mund.
Bom Lob getragen und vom Ruhm bejchienen,
Fandſt du dich felbit zu arm für ſolchen Werth,
Und ehrlih, fo viel Beifall zu verdienen,
Haft jpäter Bildung du dich zugefehrt.
212 Gedichte.
Mit öfterreih’jcher alter Treue,
Um auszufüllen, wa3 dir noch zu weit,
Nahmft du die Thoren- Weisheit, alt und neue,
Raſch auf in deines Ruhmes fchwellend Kleid.
Und weil dem Liebihen gerne nah der Buhle,
Der Wind am ftärkften da, woher er weht,
Begabſt du dih in Schwabens Dichterfchule,
Wo fern ein Meiſter feinen Schülern ſteht.
Dort in der alten Heimath alter Sparten,
Zum Märchen ſchon gewordenen von je,
Dem Baterlande der Genies und Narren,
Weil fir, als beiden eigen, die Idee; —
Warſt du von einem Männerkreis umgeben,
Die granmeis, wie einft König Mithrivat,
An Gift gewöhnt fih al ihr ganzes Leben,
So daß fie nun verdauen jeden Grad.
Du aber mit den unentweihten Kräften,
Der fein du wollteſt, wa3 für Jene Scherz,
Du trankſt dir Tod in jenen Taumeljäften,
Was für den Kopf beftimmt, es traf dein Herz.
Da trat, was du geflohn in allen Tagen,
Die Wirklichkeit dih an, von Anhalt ſchwer,
Halb ſelbſt fich Weberheben, halb Verzagen,
Stand ftill die Uhr, der Zeiger wies nicht mehr. —
Und fo fei dir ein Lebewohl gefprochen,
Ob That und Wollen fih gleich noch jo weit;
Was dich zerbrah, hat Staaten ſchon zerbrochen;
Dich bob, dich trug und dich verbarb die Seit,
: VW, Boefie und Poeten. 213
Den Sortfchrittsmännern.
(1860.)
Euch kann mein Lied, ich fühl’, nicht mehr gefallen:
Es ift zu larg, zu bürftig und zu Klein;
Die ihr jo weit in Jedem und in Allen,
Faßt euch nicht gern in enge Schranken ein.
Die Außenwelt verführte meine Blide,
In der fih Alles rundet und ergänzt,
Kein Leere3 irgend, nirgends eine Lücke
Und jede Bildung voll und fcharf begränzt.
Das ſucht' ih nun im Geifte nadhzuahmen,
Und da die Kraft mir nit fo reihlih quillt,
Wählt ich beſcheidne, ftrenggefhloßne Rahmen
Für mein dem Leben nachgeſchaffnes Bild.
Ihr aber habt der Weſen Grund ergründet,
Die Gotiheit felber liegt euch auf der Hand;
Wenn ja ihr etwas unbegreiflidh findet,
Iſt's, daß fo lang man’3 unbegreiflih fand.
Das Schöne, das ein Räthjel uns, den Schwachen,
Ihr habt's gelöst durch Vorderſatz und Schluß;
Zwar könnt ihr's vor der Hand nicht wirklich machen,
Doch wißt ihr, wie man's machen ſoll und muß.
So ſchreitet ihr denn fort mit Rieſenſchritte;
Die That ſelbſt, die ſonſt Denkern ſchwer gelingt,
Habt ihr erfaßt, ob zwar nach Dichters Sitte,
Der Handlung nennt — auch Fabel — was er fingt.
Der Baum der Selbitmaht ward durch euch gerüttelt,
Nur ift er Inorrig und bewahrt die Frucht;
Doch wenn fie je der Sturm vom Afte fchüttelt,
Ihr lest fie auf und habt dann, was gejudt.
214 Gedichte,
Für euh nun, die dem Weberfluß im Schooße,
Die ihr verlteht ver Schöpfung Allmachtruf,
Bor denen Klar das Kleine und das Große,
St freilich arm, was ich beſcheiden ſchuf.
Allein beventt doch: die Natur ift fparfam,
Mit Gleihem, feit dem Anfang, hält fie Haus,
Mas allzuviel, nimmt rüd fie in Gewahrſam
Und gleicht durch Kargheit die Verjhmendung aus,
Auf jede Zeit von Reden und Heroen
Folgt eine andre, die, wie andre, Klein,
Und die Giganten, die dem ‚Himmel drohen,
Sie [hrumpfen auf das Mat von Menſchen ein.
So folgt — die Form, die euch erzeugt, gebrochen —
Ein Entelvolf, das fih um euch bewegt
Wie um foffile, mäht'ge Mammuthknochen
Don Thieren, wie die Welt fie nicht mehr trägt;
Das, von den Worten flüchtend zu den Sachen
Und nur, was iſt, als wirklich ſprechend an,
Sih etwa gar erfreht, euch auszuladhen,
Als ob ihr viel geſchwatzt und nichts gethan;
Das, euern Fortſchritt felber macht zum Spiele
Und fragt: ob ihr auf Reifen nicht gelernt,
Ein Fortihritt fei, was näher bringt dem Siele,
Zu viel fei, wie zu wenig, gleich entfernt;
Das — wenn behaupten eurer Dichtung Jünger:
Nur Uebergang fei jeß'ge Zeit und Frift —
Euch gelten läßt als einer Zukunft Dünger,
Doch nicht für Roſen hält, was annoch Mift;
Das eure Luft am Weiten, Allgemeinen
Für Mangel hält an eigenkräft'gem Geift
Und eure „Sagen, die zum Lied fih einen,“
Ins Reich des Mörteld und des Kalks verweist.
V. Boefie und Poeten.
Wenn dann die Sonne, deren Anſchaun blenvet,
Den Kreis erhellt, in dem das Leben wohnt,
Wenn neu fie wieder Wärmeftrahlen fenvet,
Eich fpiegelt im Gefühl, ala ihrem Mon:
Dann kehrt die Zeit der Gelbitbegrenzung wieder,
Die Gräber, die ihr grubt, fie öffnen fi:
Für eure Enkel follen meine Lieber,
Die Hein wie eure Väter und wie ich.
Zur Beachtung.
Wenn dich die Dichtkunſt ſchaffen heißt
Und du das Drama wählſt,
Wenn dih auf3 Epos führt der Geift
Und du dem Volk erzählit:
Bit kaum du noch als Dichter bier,
€3 ift nur, wa3 du jhufft,
Und jene Geifter jind ftatt dir,
Die zauberhaft du rufit.
Doch wenn die Leier an du Elingit
Und tönft von Sram und Luft,
Dann bift du jelber, was du fingit,
Das Lied ift deine Bruft.
Nichts fihtbar ald nur du und ich,
Nichts hörbar als nur du,
Das Inme iſt allein mit fich,
Kein Mittler tritt hinzu.
Da aber nimm dich nur in Act,
Daß du du felber jeift,
Daß niht, was du gethan, gedadt,
Al3 Andern dich erweist.
215
216
Gedichte.
Sprichſt du von tiefem Seelenſchmerz,
Und warſt ein eitler Thor;
Von ew'ger Dauer für dein Herz,
Ein Wetterhahn zuvor;
Singſt du das Lob der Einſamkeit,
Sonſt laut im Volksgewühl;
Nennſt du die Welt, ſo groß, ſo weit,
Zu eng für dein Gefühl:
Sie ift ein ſchlimmres Schaufpielhaus,
Als wo man fpielt zu Naht, —
Hier laht man nur den Dichter aus,
Dort wird der Menſch verladt.
Gründlichkeit.
Wie viel, im Reich des Geiſtes gar,
Hängt ab von Ort und Zeit!
Was falſch einſt, gilt uns heut für wahr,
Für dumm, was ſonſt geſcheit;
Und Mancher, den die eigne Zeit
Verſpottet und verlacht,
Lebt' er in unſern Kreiſen heut,
Sein Glück wär' längſt gemacht.
So jener Mathematikus
Im heiteren Paris,
Setzt ins Theater nie den Fuß,
Da Zahlen nur gewiß.
Doch einſt die Freunde brachten ihn
Ins Schauſpielhaus mit Glüd,
Man gab ein Schauſpiel von Racine,
Des Meiſters Meiſterſtück.
V. Poeſie und Bocten.
Da wird denn rings Begeiftrung Yaut,
Man weint, man ruft, man tobt;
AN, was man hört und wad man fchaut,
Wird Einen Mund3 gelobt.
Nur unfer Mathematikus
Sah ftieren Augs da3 Spiel,
Bis ihn der Freunde Schaar am Schluß
Befragt: wie's ihm gefiel?
Ob ihn ergriff der Handlung Macht?
Des Unglüds Jammerruf?
Doch er erwiedert. mit Bedacht:
„Mais qu’est ce que cela prouve?* —
Da tönt Gelächter ring3 umher,
Der Spruch durchläuft die Stabt,
Und ein Sahrhundert oder mehr
Lacht fih die Welt nicht fatt.
O, ebler Mann, du kamſt zu früh
Und nicht am rechten Ort,
In unſers Deutſchlands Fleiß und Müh
Verſteht man erſt dein Wort.
Wo man Ideen nur begehrt,
Von holdem Reiz entfernt;
Man, bis zum Platzen ſchon gelehrt,
Noch im Theater lernt —
Dort ruft ein jeder Kritikus,
Was auch der Dichter ſchuf,
Wie jener Mathematikus:
„Mais qu’est ce que cela prouve?“
217
220 Gedichte.
6.
Die Altdeutſchen.
Herrlich nehmt ihr euch aus in der Ahnen blankem Gewaffen;
Kräftig ſtehet ihr da; — aber nun ſchreitet einmal!
7.
Fouquso.
Freundlich ſei mir gegrüßt, polariſcher Feuerländer,
Immer reizend und neu ſingend dein alt Peſcheräh!
8.
Tieck.
Dir auch töne mein Gruß, du herrlicher Maler-Torſo;
Bruſt und Auge wie ſchön! Weh! ob der fehlenden Hand.
9,
Schiller.
Wohl erblidt’ er’3 vom Berg und erkannt’ es, das Land
| ber Berheißung;
Doch, da er's fiegend betrat, nahm ihn ein zürnender Gott.
10.
Goethe.
Sage, was ſtört deine Ruh', o Schatten des göttlichen Goethe,
Daß du neblicht und kalt wallſt um dein eigenes Grab?
Abermals Goethe.
Und ob er mitunter kanzleihaft ſpricht,
Ob Tinten und Farben erblaſſen,
Die Großen der Zeiten ſterben nicht.
Doch das Alter iſt Keinem erlaſſen.
V. Boche und Bocien. | 2331
Und abımft du ihn nach, da junges Bolt,
Co laſßᷣ vor Allem dir ſagen:
Der Eilafınd Hecht zun Denen wohl,
Die früher den Harniſch getragen
Seilhafi au die Surkensiufl zu Weimar.
Cm Genf 5 Eismminf.)
Kehrft ru nah Weimar wieder,
En geh zu Goethes Graf;
Sag ihm, bie Deutihe Dichtung,
Nicht er zur, ftieg hinob.
Schiler · Gsrihe- Beukmel.
Wos jest ihr ihnen Bilder von Sıem,
95 tonnten fie jemals vergeſſen }ein?
Wolb ihr he aber wirklich ehren,
Sp folgt ihrem Beijpiel und horcht ihren Lehren.
Ahlen).
Als hd zum Himmel nahm den Lauf
Die dentſiche Poefie,
Hob Uhland ihren Mamel auf
Un? ſpricht aus Gott wie ſie
Ahlund ud Kürerl.
(Bon Bier beurtheitt.)
Wie ähnlich Beide, zeigt er woblgeſinnt,
Und gleiben Berrall5 im die Hünne kUopit er;
Sie fint auch ähnlich, wie zwei Adler ſind:
Cm lebender, ei, und ein ausgeſtopfter.
222
Gedichte.
Immermann.
Du guter Schüge, ſcharf und kühn,
Dein Pfeil fliegt überwärts:
Der Kopf ift ein bevenflih Ziel,
Halt’ niedriger — auf's Herz!
Ein profunder Dichter.
Du denfit und denkſt! Wir wollen gern dir's banken;
Doch gib dein Denfen nit; — nein, gib Gedanten!
Sein Bewunderer.
1.
Du nennft ihn tief? ‚Halt! immer dich daran!
Dem Froſch it jeder Pfuhl ein Ocean.
2.
Wär’ er jo tief, als und vein Mund verkündet,
Du wärft ver Legte, Freund, ber ihn ergrünbet.
Ein Bändchen philoſophiſche Gedichte.
Diefe8 Suchen und Zweifeln und Schwanten,
Mo nichts als des Strebens Dünkel Klar;
Ich hatte auch jo hohe Gedanken,
Als ich noch ein Knabe war.
Bn den Poeſien dreier Kunſtgenoſſen.
1.
Was tief gevaht und wahr gefühlt,
Nach oben hebt, verborgen wühlt,
Du ſprichſt es aus, und es gelingt:
Doch Proja jpriht — die Dichtung fingt.
V. Poeſie und Poeten. 223
2.
Denken, ja, und Fühlen find
Echten Liedes Keime,
Doch der Dichtung Garten will
Laubgekrönte Bäume.
3.
Willſt feinen Werth du ſchildern,
Bezeichnen ſein Gedicht:
Er weiß ganz wohl zu bildern,
Allein zu bilden nicht.
Wieder ein Sand Lyrik.
Wie find die Gedichte jo trefflich,
Und mitten im Blühn wieder falb!
Es gibt eben traurige Zeiten,
Bom Schidjal bezeihnet mit: Halb.
An eine Dichterin.
Willſt du dich öffentlich entkleiden,
Wie Phryne's Beiſpiel weist,
So prüfe vorher dich beſcheiden,
Wie ſchön du etwa ſeiſt.
Ein hiſtoriſches Drama.
Es ſtellt ſich gar ſo heimiſch dar,
Wie ein wackrer alter Bekannter;
Das Stüd iſt hiſtoriſch ganz und gar,
Nur — etwas ennuyanter.
—N
224
Gedichte.
Abermals ein Trauerſpiel.
Der Weg iſt ſchlecht, der Karren ſchwach,
's geht ziemlich holter⸗polter;
Da hilft am beſten Vorſpann nach:
Am allerbeſten: Fräulein Wolter!
Dramaturgiſches.
Trotz allem Bemühn eurer Bühnenberather
Fehlen noch drei Dinge zum deutſchen Theater,
Darnach jeht euch zum Schluß noh um:
Schaufpieler, Dichter und — Publikum.
Die Originalitätsfühtigen.
1.
Nahahmer fhilt das Ausland ung
Und gibt uns fpöttiih harte Namen;
Auf! Ahmen wir den Briten nad,
Von nun an nicht mehr nachzuahmen.
2
Als ihr mit Sinn ſchriebt, mit Verftand und Talt,
Erkannte man die Mufter ſchnell;
Kaum aber völlig abgeihmadt,
Bart ihr auch originell.
Iſt der Verftand doch ewig Eins
In Allen, die da find und die je wurden!
Doch Eigenthümlichleit bat breiten Play
Im ganz Verkehrten und Abjurben.
1
So lang die Ideen geordnet un "
Zeugt von Kraft wohl die Drigi
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Iſt originell jeder Hafenfuf.
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Abermals ein Tranerfpiel.
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Da hilft am beiten Vorſpann nad:
Am allerbeiten: Fräulein Wolter!
—
Dramaturgiſches.
Trotz allem Bemühn eurer Bühnenberather
Fehlen noch drei Dinge zum deutſchen Theater,
Darnach ſeht euch zum Schluß noch um:
Schauſpieler, Dichter und — Publikum.
Die Originalitätsſüchtigen.
1.
Nachahmer ſchilt das Ausland uns
Und gibt uns ſpöttiſch harte Namen;
Auf! Ahmen wir den Britten nach,
Von nun an nicht mehr nachzuahmen.
2.
Als ihr mit Sinn ſchriebt, mit Verſtand und Takt,
Erfannte man die Mufter ſchnell;
Kaum aber völlig abgejhmadt,
Wart ihr auch originell,
3.
Iſt der Verftand doch ewig Eins
In Allen, die da find und bie je wurden!
Doch Eigenthümlichkeit hat breiten Platz
Im ganz Verkehrten und Abfurben.
4,
So lang die Ideen georonet und ftät,
Zeugt von Kraft wohl die Originalität;
Doch find fie einmal geftört und im Fluß,
Iſt originell jeder Hafenfuß.
V. Poeſie und Poeten. Ä 225
Den Renliften.
1.
Weil die Welt ein Wunder ift,
Gibt's eine Poeſie;
Was ihr nach ſeinen Gründen wißt,
Reicht an ein Daſein nie.
2.
Vertreibt die Phantaſie
Nicht aus der Poeſie!
Sie läßt den Menſchen nie
Und flüchtet, ſtört ihr ſie,
Bis in die Nationalökonomie.
3.
Und wißt ihr auch, was Romantik heißt?
Muſtert die Muſter in eurem Geiſt!
Romantik weicht von der Dichtkunſt nie,
Sie iſt ihre Mutter: die Phantaſie.
4.
Fahrt ihr im Wirklich-Wahren fort,
Steht ihr mit Iffland an Einem Ort;
Wohl gar — phantaſielos und ohne Gefühl —
Erhebt ſich euch Gottſched vom Sterbepfühl.
5.
Ob ihr weiter gebracht die Poeſie?
Die Frage iſt etwas verwickelt;
Erweitert habt ihr wirklich ſie,
Da ihr die Proſa drangeſtückelt.
b.
Ihr habt die Romantik überwunden;
Nur hat ſich leider gefunden,
Daß in dem blutigen Krieg
Der theuer erkaufte Sieg
Grillparzer, Werke 1. 15
ä
226
Gedichte.
Die beften Truppen aufgerieben,
So daß nichts als Lumpe übrig geblieben.
Yolkspocfte.
1.
Mit Mittelhochdeutſch und Volkspoeſie
Weiß ih fürwahr nichts zu machen!
Mer trinkt au, fo lange e8 Brunnen gibt,
Aus Wegfpur gern und Laden?
2.
Und fragft du mid, wo der Brunnen fei?
Haft du Homer nicht gelefen?
Faͤllt dir der große Britte nicht bei?
Nicht, was Spanien und Wälſchland gewejen?
3.
Dort löſche deinen brennenden Durſt,
Dort aus dem Vollen dich letze!
Der Pöbel erzeugt das Schöne nicht,
Noch gibt er dem Schönen Geſetze.
Alldentſche Claſſiker.
1.
Gern möchtet ihr euch, ihr frommen Deutſchen,
Mit eurer Vorzeit Großen ſchmeicheln;
Doch, wie laut ihr's auch verſucht,
Eure Eichen trugen — Eicheln,
Hellas’ Bäume — goldne Frucht.
2.
„So wäre denn das Nibelungenlied
Kein wirklich epifches Gedicht?“
Man hört zwar Alles, was geſchieht,
Allein man fiebt eg nicht.
V. Boefie und Poeten. | 227
Tieck als Kunſtrichter.
Er ſteht am Geſtade der Poeſie
Und ſchaut, wie fie ſchäumt durch die Riffe;
Er ſchaut, bis ihm ſchwindelnd zu Kopfe ſteigt:
Sie ſtehe, er ſelbſt aber ſchiffe.
Shakeſpeare an ſeinen Erklärer.
„Wie Alles ſich dir zur Abſicht eint!
Du ſcheinſt in meiner Bruſt zu leſen.
So hätt ich's allerdings gemeint,
Wär ih — Ludwig Tieck geweſen.“
W. Menzel.
Die Grenzen alles Wiſſens ſchier
Umwandelt er, der Eine;
Umwandelt hat er alle ſie,
Betreten aber — keine.
Der Literarhiſtoriker.
Ein Ochs ging auf die Wieſe,
Wo er nad Kräften fraß;
Da waren Blumen und Kräuter,
Es Tümmert ihn nicht weiter:
Yür ihn war Alles — Gras.
Ueneſte Kunſtkritik.
Die Kritiker, will ſagen, die neuen,
Vergleich' ich den Papageien:
Sie haben drei oder vier Worte,
Die wiederholen ſie an jedem Orte.
228
Gedichte.
Romantiſch, klaſſiſch und modern,
Scheint ſchon ein Urtheil dieſen Herrn;
Und ſie überſehen in ſtolzem Muth
Die wahren Gattungen: ſchlecht und gut.
Gervinns.
Der Deutfhen Stämme, die gemüthlih ſchwachen,
Gilt's focialsäjthetiich zu entpuppen.
Du willſt fie, fcheint e8, zu Spartanern machen
Und forgft vorläufig drum für [hwarze Suppen.
Ueneſte Dichterfchnle.
1
Die deutſche Jugend, etwas bunt von Haus,
Ward höchſt negirt in fich zurüd gezwungen.
Als junges Deutfhland breitet fie fih aus
Und reflectirt fi jetzt als — deutſche Jungen.
2.
Den Fortſchritt der Kriegskunſt neuerer Zeit
Ahmt nach die Poeſie:
Die Stärke unſres poetiſchen Heers
Beſteht aus Infanterie.
3.
Sie ſind der höchſten Ideen voll,
Zum ſtaunen — oder zum lachen;
Ein Jeder weiß, wie man's machen ſoll,
Doch Keiner kann es machen.
4.
Weil ſie mit Werken ſchwanger ſind,
Sehn fruchtbar ſich die Thoren!
Die Mutter zählt erſt dann ein Kind,
Wenn lebend ſie's geboren.
V. Poeſie und Poeten. 229
5.
Freiheitsverſe herzubeten,
Scheint Gedicht mir im Gedicht;
Denn die Freiheit braucht Musketen,
Arme, aber Füße nicht.
6.
Wollt ihr die Freiheitsgluth kuriren,
Die fieberhaft in unſern Dichtern brennt,
Braucht ihr nicht Mittel lang erſt zu probiren;
Gebt ihnen Eins, es hilft gewiß: Talent.
7.
Wer Liebe ſingt und Wein,
Mag immer Weiberfeind und Waſſertrinker ſein;
Wer ſingt, was Allen nützt und Keinen kränkt,
Dem ſei die Ueberzeugung vornherein geſchenkt;
Doch wer, was zweifelhaft, ob Glück es bringt, ob Schmerzen,
Der iſt ein Schuft, fühlt, was er ſingt, er nicht im
eignen Herzen.
8.
Nennt ſich modern das Lumpenpack,
Die dichtende Kanaille!
Betracht' ich meinen neuen Frack
Mit ſeiner langen Taille
Und ſeh' im Geiſt der Mode Sturz
In nicht gar weiter Ferne:
Trägt wieder man die Taille kurz —
Wo bleibt da das Moderne?
Guter Rath.
Bleib nur der alten Kunſt getreu,
Sie iſt zu allen Zeiten Eine;
Wer ſich unter die volksthümlichen Kleien miſcht,
Den freſſen die patriotiſchen Schweine.
— —
230 Gedichte.
Künfllers Handwerksregeln.
1.
Wenn der Priefter opfern geht,
Geht er mit reinen Händen;
Wer nicht des Lebens Schmutz verjhmäht,
Wird nie das Edle vollenden.
2.
Vom Himmel träuft herab des Landmanns Eegen,
Doch tränkt den Boden aud des Landmanns Schweiß;
Iſt das Zalent der gotigefandte Regen,
SR, was Die Frucht gibt, immer nur der Fleiß.
3.
Der erſte Etoff fommt aus Gottes Hand,
Draus fpinnt jeine Fäden der Verſtand;
Doch ſoll das Geipinnft dir Nutzen geben,
Muß neu das Gemüth es zu Etoffe weben.
4.
Tas Denken iR nicht der Empfintung geicentt,
Es wirkt als geitaltente Macht;
Richt, was der Dichter beim Tichten ventt,
Rein, wa3 er von jeher gedacht.
5.
Der Leichtſinn m der Kunit bleibt ſchädlich immer,
Schwerfälligteit jedoch ift noch viel ſchlimmer.
6.
Der Tiertinn wird gar leiht zum Stumpinnn,
Der Scharffinn artet oft in Bis;
Salt mmer dich an ten Katurinn:
Ja ibm bat Grob und Klemes Tır
V. Poefie und Poelen. 231
Wenn des Kindes Organe fertig find,
Weht der Geift fie an, wie Luft und Wind,
Da Umgefeprte ginge freilich geſchwind,
Doch aus dem Geift macht man fein Kind.
8.
„Wenn Einer feinſten Marmor nähm'
Und wüßt' ihn zu behandeln?“ —
Prometheus’ Stoff war niedrer Lehm,
Doch feine Bilder wandeln!
9.
Ob der Schritt der richt'ge fei?
Wenn's nur paßt und padt!
Auf dem Tanzfaal, im Geſchaft
Lob' ich mir den Zaft.
10.
Thun fi) des Theater3 Pforten auf,
Strömt ein der Böbel in vollem Hauf;
Da ift es num des Dichters Sache,
Daß er ein Publikum draus made.
11.
Ob die Rechnung richtig fei,
Wie man fie auch Iobe,
Zeigt von allen Zweifeln frei
Immer erft die Probe.
Des Erfolges Widerſpiel
Findet dih im Rechten:
Denn, was Edlen wohlgefiel,
Auch mipfältt ven Schlechten.
12.
Noch eine Vorſchrift nenn’ ih, durch die du alle erfüllit:
Habe Talent, mein Lieber, dann fhreibe, was du millft.
232 Gedichte.
Schlußworte.
l.
Fragt ihr mih, was das Schöne ſei?
Geht zu, ob ich's verfeble;
Ein Gleihniß beut die Liebe mir:
Es geht vom Körper aus, gleich ihr,
Und enbigt in der Seele.
2.
In der Kunft fo wie im Glauben
Iſt Dreieinigkeit das Weſen
Bon dem Höchſten, Lebten, Einz'gen.
Men das Wahre nicht erleuchtet
Und das Gute nicht erlöfet
Bon des alten Uebels Banden,
Der wird nie das Schöne Ihaffen.
Zeigt gleich in geſchiedenen Geftalten
Jede ſich der drei Gewalten:
Nur aus der Vereinten Chor
Geht das Göttliche hervor.
VI.
Vermiſchte Gedichte.
Gelegenheitliches.
Als meine kleine Muhme farb.‘
(1817.)
Ueber des Bettes Haupt flog fäufelnden Fluges ein Engel,
Und de3 Unjterbliben Blid fiel auf das ſchlafende Kind.
Wie fein eigenes Bild im Spiegel filberner Wellen,
Lächelt ihn freundlih und hold an die ſüße Geftalt.
Leiſe ſinkt er herab, fich freuend der lieblihen Täuſchung,
"Und tritt Iuftigen Schritt? vor das ſchlafende hin.
AH! es fchlummert fo füß, und Unſchuld und himmlifcher
Friede
Säufeln im Athem des Munds, ruhn auf ver filbernen
Stirn,
Kräufeln zum Heiligenfchein des Hauptes goldene Loden,
Ruhn, wie ein Lilienzweig, in der gefalteten Hand.
Freundlich lächelt der Engel, doch bald umwölkt ſich fein
Antlig,
Und mit brütendem Ernſt wendet er jeufzend ſich ab.
Er überfhauet im Geift ven Sturm der kommenden Tage,
Dem nur die Eiche fteht, der die Blume zerfnidt;
Raufchen hört er des Unglücks ſeelenmordende Pfeile,
Wider die Unſchuld und Recht nur ein zerbrechlicher Schild;
ı Yacobine, das ſechsjährige Töchterchen des Profeſſors und Advokaten
Jgnaz v. Sonnleithner in Bien
936 Gedichte.
Thränend fieht er das Aug’, das weich die Wimper bedecet,
Und zerfhlagen die Bruft, die jegt athmend ſich hebt.
Banges Mitleid erfaßt die Seele des himmlischen Boten,
Fragend fieht er empor, und der Allmächtige nidt.
Da umfängt er den Naden und küßt die zudenbew Lippen,
Spridt: „Sei glüdlih, o Kind!” — und die Kleine war tobt.
Epilog,
am 26. März 1821 nah den erfien beiden Abtheilungen des drama⸗
tiſchen Gedihtes: Das goldene Bließ", von dem Hofſchauſpieler
Krüger geiproden.
Der Aeltſte einer altbefannten Schaar,
Zu eurem und der Mufen Dienjt vereinigt,
Nah’ ih, von meinen Brüdern abgejandt,
Der Eine, euch den Dank von Allen bringen.
Den Dienſtbeflißnen, immerbar bemüht,
An fremdem Herd für fremden Gaum zu forgen,
Uns ift ein einzigmal im Jahr vergönnt,
Den Hausherren felbft zu machen, werthe Gäfte
An einem Tiſche freundlih zu empfangen
Und zu bewirthen, wie da3 Haus es gibt.
Da ift nun unfer Streben drauf gewendet,
Daß wir aud des Vertrauens werth uns zeigen,
Den Vielwillkommnen ſich Willlommnes biete
Und Tiſch und Becher glänze bei vem Mahl.
Das ift fo leicht nicht in fo karger Zeit!
Die alten Meifter find dahingegangen,
Kaum lebet Einer, wiberwillig, noch;
Die jungen aber, fie und ſich verfennend,
Ermweitrung der Gedanken und der Kraft
Für Eines nehmend, fehn auf Jener Ziel —
als haätt's ihr Fuß erreicht, weil e8 ihr Auge —
Mit vornehm ſtolzem Mitleid tief berab.
1)
VI Vermiſchte Gedichte.
Nur weiter, weiter! geht das raſche Streben,
Das Höchfte will nur Jeder und verfehlt
Das Nächte drüber, kindiſch-ſchwachen Flugs.
Wohl fchwere Wahl in alfo Targer Zeit!
Da ift das Werk in unſre Hand gerathen,
Das ihr zum Theil gejehn, zum Theil noch nit;
Wir merkten drin, ob gut fonft oder fhlimm,
Doch manden Anklang aus entihmwundner Zeit,
Und jo, vertrauend, bringen wir euch's dar.
Verfaßt hat’3 Einer, der ſich euer nennt,
Als unter euch geboren, euch verwandt
Durch Das, was diejes Landes Beſte bindet:
Ein offnes Herz und einen ſchlichten Sinn;
Und folhen Sinns hat er jein Werk wollbradt.
Nicht überbieten foll ed, wa3 ſchon da,
Durd die Verlängrung altgewohnten Maße,
Aus dreien Stüden künſtlich Eines flechtend;
Dem Geiſte folgend, der ihm fo gebot,
Faſt wider Willen folgend, that er fo.
Mas ihr nun heut gefehn, der Eingang ift's,
Die Schwelle jenes vielverfchlungenen Bau's;
Sn den er Eu, den Faden reihend, führt.
Bon wo der Menjch beginnt, womit er endet,
Mas er für Mächte in ver Bruft verbirgt,
Und was für Mächte feine Bruft ihm bergen,
Das ift der Inhalt unfers ernten Spiels.
Was heut begonnen, morgen wird’3 vollendet.
Drum folget günftig unfern Schritten nad)
Und jchiebt für heute noch das Urtheil auf,
Bis fih das Ganze als ein Ganzes zeiget.
Und fo iſt meines Kommens Zweck erfült,
Der Dank gebracht, das Nöthige verkündet,
237
238 Gedichte.
Und Abſchied nehmen gilt's. So lebt denn wohl!
Es iſt auf lange nicht, wir hoffen's Alle.
Und übers Jahr ſieht wohl die Kunſt beiſammen
Denſelben Tempel und dieſelben Prieſter,
Dieſelben Freunde und vielleicht — wer weiß —
Denſelben Dichter auch, geliebt es Gott und euch.
Dater Unfer. !
(1825.)
Hör’ ung Gott, wenn wir rufen!
Wir alle deine Kinder!
Eingehült im Mantel deiner Liebe,
Hingelagert zu den Füßen deiner Macht,
Angeihmiegt an deine Vaterbruft:
Wir alle deine Kinder!
Bater unfer! —
Ob mir gleih Staub find und Spreu,
Geftern geboren, morgen todt,
Ein Nichts im AU, das Nichts war, eh du riefſt;
Ob unfre Erbe glei, die groß uns dünkt,
Ein Sandkorn ift im Unermeßlichen,
Das du hinwegbläf’ft, wenn dir's mohlgefält,
Wie man den Staub vom Tiihe bläst;
Und du der Mächt'ge biſt ob allen Mächt'gen
Und über den Gewalt'gen der Gewalt’ge,
Der Herr der Herrn, jo body ob aller Höhe,
Daß der Gedanke felber, der dich fucht,
Auf halbem Wege Ihwindelnd rüdwärts kehrt;
i Die Verleger ber 1826 erfhienenen Umriffe 3. Führichs zum Vater
Unfer, Bohmanns Erben in Prag, hatten ben Dichter um einen poctifchen
Tert zu jenen 9 Kunftblättern erſucht. Die Arbeit gerieth indeß ins
Stoden, unb ben Rabirungen wurde ein anberweitiger, proſaiſcher Text
unterlegt.
VI. Vermiſchte Gedichte. 239
Doch ſiehſt du uns, doch hörſt du uns
Von deiner Allmacht hochgeſtelltem Thron,
Doch ſorgſt du, hilfſt du, Großer, Machrger, Hoher,
Der du biſt im Himmel!
Wag' ich es, dich auszuſprechen?
Bin ich es werth, dich zu nennen?
Das kleinſte von den Werken deiner Hand?
Hohes beuge ſich und Höchſtes;
Ehre ſei dir und nur dir allein,
Allgütiger, Allweiſer,
Offenkund'ger, Geheimnißvoller,
Uranfang, ohn' Ende,
Schöpfer, Beſchützer, Erhalter!
In ſtumme Ehrfurcht
Sinke hin der Erdkreis!
Geheiliget werde dein Name!
Wohl haſt du die Erde ſchön gemacht,
Und ich danke dir drum, mein Herr und Vater.
Blumen ſind da und Früchte, Quellen und Bäume,
Frühlingsluſt und Sommerfreude, Alles aufs Beſte;
Auch gute Menſchen, die dir dienen und recht thun.
Aber ich kenne doch was Schöneres, mein Herr und Vater,
Und als hätt' ich's geſehn einmal in frührer Zeit,
Schwebt es mir vor, in meinen beſten Tagen;
Ein Land, wo dieſer Körper nichts begehrt
Und, wenn es nichts gewährt, auch nichts verſagt;
Wo der Gedanke Willen iſt
Und Willen iſt die That;
Die That im Wollen und im Denken ſchon;
Das Land, wo, unſrer Sonne gleich, das Recht
Und, wie der Mond, die Pflicht den Tag und Nächten leuchtet;
Wo das Gefühl nicht blind
Und der Verſtand nicht taub iſt allzumal;
240 Gedichte.
Dort möcht ich fein, mein Herr und Vater,
Bei dir, in deiner Näbe;
Und darum, Herr, o höre!
Zu un3 fomme dein Reid!
Ich bin kurzſichtig und ſchwach,
Raum das Nächſte erreicht mein Blick;
Der Zukunft Ferne iſt mir verſchloſſen:
Was gut gemacht ſchien, zeigte ſich ſchädlich,
Und wo Gefahr ich ſah, erſchien mir Gutes.
Auch hab' ich das Schlimme wohl gar gewollt,
Ja, das Schlimme gewollt, mein Herr und Vater!
Der mir der Nächſte war, ich hab’ ihn gekränkt,
Bekümmert hab’ ich, die mich lieben,
Den Zorn ließ ich walten ob meinem Thun;
Des Fremden Weh war nit immer mein eignes,
Hab’ ich immer gelohnt Dem, der Gutes mir that?
Immer gethban, mas als Beſtes fich zeigte?
Bater! wohl gar das Schlimme hab’ ich gethan,
Kurzihtig, wie ih war, und ſchwach;
Daher walte du ob mir und meinem Thun,
Führe mich, leite mich,
Und nicht meiner, Herr,
Dein Wille gefhehe!
Wenn wir all’ uns liebten bienieven,
Wie du uns liebft, mein Herr und Vater;
Menn der Menih den Menſchen ſäh' im Freunde,
Und aud in feinem Feinde nur den Menfchen,
Dann wäre nicht dort oben bloß dein Reich,
Auch unter ung wär’ es, auch bier, hienieven,
Und der Liebe Machtgebot geihäh’
Wie im Himmel, alſo aud auf Erden!
VI. Vermiſchte Gedichte. 241
Das Lied der Nachtigall.
Aus einer dem Finanzminifter Grafen Stadion gewidmeten Feſtkantate.
(1823 )
Rings umhüllt von dichten Zweigen,
Sigt ein Vöglein ftil und ftumm.
Furcht gebietet ihm, zu ſchweigen;
Denn fo laut ift’3 rings herum.
Darum, während Hymnen fteigen,
Sigt das Vöglein jtill und ftumm.
Laß dich nicht von Angſt bethören!
Er, der waltet in dem Al,
Trotz dem Hall von Jubelchören,
Mitten durch der Hymnen Schall,
Durch den Donnerklang der Sphären
Hört er au die Nachtigall.
Ständen. !
(1827.)
Zögernd, ftille,
In des Dunkels nächt'ger Hülle
Sind wir hier;
Und den Finger ſanft gekrümmt,
Leiſe, leiſe
Pochen wir
An des Liebchens Kammerthür.
Doch nun ſteigend,
Hebend, ſchwellend,
ı Mit Franz Schubert? Muſik am 11. Auguft 1827 zur Geburtstags⸗
feier der Braut Leop. v. Sonleitäners, Louife Gosmar, aufgeführt.
Grillparzer, Werke. 1. 16
242 Gedichte,
Mit vereinter Stimme Laut
Nufen aus wir hochvertraut:
Schlaf’ du nit,
Wenn der Neigung Stimme jpridht!
Sucht' ein Weifer nah und ferne
Menſchen einjt mit der Laterne,
Wie viel feltner dann, als Gold,
Menſchen, uns geneigt und hold?
Drum, wenn Freundichaft, Liebe fpricht,
Freundin, Liebchen, ſchlaf' du nicht! —
Aber was in allen Reichen
War dem Schlummer zu vergleichen?
Was du baft und weißt und bift,
Zahlt niht, was der Schlaf vergißt.
Drum ſtatt Worten und ftatt Gaben,
Sollſt du nun aub Ruhe haben;
Koh ein Grüßen, noch ein Wort,
Es verftummt die frebe Meile,
Leite, leiſe
Sxhleiiben wir und wieder jert.
Hirjems Sitgtsatſaug
28
Kıyr we ernhl. Bart me Sum.
Safe zur Sul ad Sue mar:
Sies Ne Dur je ner Sum,
Sur Ing nr ae ei
t rtmmad a3 dünner TE en Immo Ft? MeIsEnuger
ar much ne DXxα an am Sun? n Kal wege Bern
VI. Vermiſchte Geht. 243
Chor.
Groß der Herr zu allen Zeiten,
Heute groß vor aller Zeit.
Aus Aegypten vor dem Volke,
Wie der Hirt den Stab zur Hut,
Zogft du ber, dein Stab die Wolfe
Und dein Arm des Feuers Gluth!
Chor.
Zieh ein Hirt vor deinem Volke,
Stark dein Arm, dein Auge Oluth.
Und das Meer hört deine Stimme,
Zhut fih auf dem Zug, wird Land.
Scheu des Meeres Ungethüme
Schaun's durch die kryſtallne Wand.
Chor.
Wir vertrauten deiner Stimme,
Traten froh das neue Land.
Doch der Horizont erdunkelt,
Roß und Reiter löst ſich los,
Hörner lärmen, Eiſen funkelt:
Es iſt Pharao und ſein Troß.
Chor.
Herr, von der Gefahr umdunkelt,
Hülflos wir, dort Mann und Roß.
Und die Feinde, mordentglommen,
Drängen nach auf ſichrem Pfad;
Jetzt und jetzt — da horch, welch Säuſeln,
Wehen, Murmeln, Dröhnen — Sturm!
's iſt der Herr in ſeinem Grimme,
Einſtürzt rings der Waſſerthurm.
244
Gedichte.
Mann und Pferd,
Roß und Reiter,
Eingewickelt, umſponnen
Vom Netze der Gefahr.
Zerbrochen die Speichen ihrer Wagen,
Todt der Lenker, tobt das Geſpann.
Tauchſt du auf, Pharao?
Hinab, hinunter,
Hinunter in den Abgrund,
Schwarz wie deine Bruft.
Und das Meer bat nun vollzogen,
Lautlos vollen feine Wogen,
Nimmer aibt es, was es barg,
Kine Wuſte, Grab zugleih und Earg.
Eder.
Tau du auf, Tourur?
Dinad, birunter,
Hinunder in der Adgrund,
Sau wir deine Pruf,
Sally Fur Ver Dere meuzwuer,
daud pede des Neeres Wegen:
Wer ri ud. mus os Aus?
Nerergrat zieh um Sum —
Don mir Comdur un? nır Saicen
yore ae Sul a mann mar
Hug Ne Sere zu Alen star
Dur og wer zer Sch
& 132.
rg Ne rer su mn ur,
ne IE NE Mer At
VI. Vermiſchte Gedichte. 245
Nachruf an Chereſe Löwe.
( 5. September 1830.)
Kaum ging auf der bunte Vorhang
Deines jungen, art’gen Lebens,
Wie? und jhon ertönt das Glöckchen,
Das ihn wieder fallen heißt? —
Nur fo kurz auf unfrer Bühne?
Und die Rolle gar jo Klein?
Kaum ein Aufzug, ein Paar Scenen,
Kinderfreude, Elternglück,
“ Ohne Knoten und PVerwidlung,
Liebe blinzelnd erſt durch Spalten,
Und eb noch der Freund fi freute,
Ch die gute Stabt geklatſcht,
Schlüpfſt du von den lichten Brettern
Hin, wo dein ver Wagen harrt? —
Ihr fein traurig? Ich bin’3 auch!
Und doch wieder bin ich’3 minder:
Bon jo kurzen, leichten Spielen
Kehrt der Mime leicht nah Haus,
Unerfhöpft und unbefangen.
Aber, fpinnt ſich's länger aus,
Hält ver Scherz kaum bis zum Schluſſe;
Oder, wenn zum Ernſt gewendet,
Gibt e3 eine „Schuld“ zu löſen,
Gibt's „ein Leben, das ein Traum,”
„Eines Starten Glüd und Ende;“
Darum befjer: ende, ende!
246. Gedichte.
Kiofterfcene. '
(1831.)
Ein Mönch in Heiner Zelle,
Mit forglihem Geficht,
Halb in der Sonnenbelle,
Halb in des Kreuzgangs Licht.
Es zeigt von frommen Bitten
Mand heilig Konterfei ;
Bon firengen, mäß’gen Sitten
Der Korb Gemüf’ dabei.
Daß weih und janft fein Fühlen, "
Der Blumentopf zur Hand;
Des Willen! Durft zu kühlen,
Dient wohl der mächt'ge Band.
Doch dort mit ernitern Mienen
Strahlt herberes Gerätb;
Das find des Panzerd Schienen,
In dem der Krieger geht.
Dort auch des Roſſes Zäume,
Des Sattel leere Wucht,
Auf dem durh blut'ge Räume
Der Tod fein Opfer ſucht.
Und brütend fieht er reiten
Die Krieger dort im Thal,
Als dächt' er frührer Zeiten,
Wo er in ihrer Zahl
t Diefeg Gebicht war für den Jahrgang 1832 ber „Veſta“ beftimmt,
wo c3 den Text zu einem, Garl V. im Klofter zu St. Juſt vorftellenden
Kupferſtich, nach einem Gemälbe Peter Fendi's bilden follte. Es wurde
jeboch von der Wicner Genfur beanflandet,
VI, Vermiſchte Gedichte. 247
So mochte jener Kaiſer,
Der fünfte Karl genannt,
Als büßender Karthäuſer
Hinblicken auch ins Land.
So ward ſein Auge trüber,
Die Hand fuhr nach der Bruſt,
Ging ſeinem Geiſt vorüber,
Was nun ihm erſt bewußt:
Wie, ſchöner als kein Zweiter,
Von Gott er hingeſtellt,
Eh er das: „Immer weiter!“
Zum Wahlſpruch ſich erwählt;
Wie Ländergier und Ehre
Sn feiner Bruft im Streit,
Halb Zögling der Tibere,
Halb Ritter alter Zeit;
Bis jener Fürft der Franken,
Mit Glüd won ihm befriegt,
Ihn in der Meinung Schranfen,
Der Mann den Mann, befiegt;
Und er, geftört fein Zielen
Nah Ruhm aus fi allein,
als Höchſter nur ob Vielen,
Noch Eriter konnte fein. —
Wie nun die fehwere Rechte,
Das trodene Gemüth
Dem menſchlichen Gefchlechte
Die dürre Regel zieht;
Und was ſich drüber hebet,
Drüdt nieder feine Hand;
Was eigne Bahnen ftrebet,
Trifft er mit Stahl und Brand;
HAB Gerichte.
In des Gedankens Reiche
Den vielgeftalt'gen Geift
Engt er zu öder Gleiche
In Form, die er ihm weist.
Und fo, ein Freiheitäbüttel,
Unftellt er jeden Fleck;
Das Größte wird ihm Mittel,
Ihm, dem das NKleinfte Zwed;
Bis nun die junge Fichte,
Mit Macht zum Grund gebüdt,
Empoihnellt und zu nidıe
Tas Band matt, das Re drũdt;
Der weit ibm nodgerreten,
Zuern zur ehe mer,
Des die zeiprengtes Kecen
-n
Siutlicen m die Yu —
Se sun Ne Nele ie mie,
Neil niht mege ein Geprag
Er luuniſch U erniedere,
VSeil ⁊u wures mer ein Ben:
Und io, im Nönchestleide,
Am Nimtecheriertaß,
Er minditens ſchmrut Ne Freude,
Daß er ſich 'cibit ha Zur:
Ta, auch noch mug Jeniegen
Des weis linden Stich,
Sid? tuderjeims zu willen,
Wal Suneyt Tem Schiechtern vich. —
So zrabt una ner der Alte,
Tenit venig an Me Wert,
Bis eima Mud) Ne Spuite
Ein ferner Syimmer "alt;
VI. Vermiſchte Gedichte.
Mit einer raſchen Wendung
Sein Leben vor ihm liegt, —
Er denket ſeiner Sendung
Und wie er ihr genügt.
Da wird fein Antlig trüber,
Die Hand fährt nah der Bruft,
Und Schatten ziehn vorüber,
Um die er einft gewußt.
Fühlt er nun Menſchenachtung,
Sp fühlt wohl auch der Mann:
Mit Reue und Betrachtung
Sei's noch nicht abgethan!
— —— — — ——
herkules und Hylas.
Zu einem Gemälde von Marksö.
(1832.)
Hylas! Hylas! ruft der Alcide
Laut an Myſia's Felfengeftad ;
Obſchon wankend und megesmübe, -
Klimmt er hinan den fteinigten Pfad.
Den feine Bruft zum Liebling erforen,
Hylas, den ſchönen, hat er verloren;
Und fon die Naht, die verhüllende, naht.
Suchend nach Waller, ging er, der Knabe,
Mit dem Krug auf dem lodigen Haupt,
Sih und dem durftenden Freund zur Labe.
Doch durch die Pfade, waldigt umlaubt,
War er gegangen und nicht mehr gefommen,
Dunkel nur ward die Sage vernommen,
Daß ihn die Nymphen, den Knaben, geraubt.
Denn, als den Krug in emfigen Handen,
Uebergebeugt in den fpiegelnden See,
249
250
Gediqhhie
Gr am Ujer ſchẽpfend geitanten,
Hab’ es gequellen vom Grund in bie Heb —
Glaͤnzende Stim’ und Augen und Wangen
Und zwei Hände, von tenen umjangen,
Hylas verfanf in dem mwallenden Ser.
Solches, von zagenten Hirten erjählet,
Hört des Herafles heilige Madıt,
Und, von Zorn die Sehnen geitählet,
Dringt er dur Klippen und Waldesnacht.
Recht hat die ſchwankende Kunde geleitet,
Siehe, ſchon liegt weithin verbreitet
Bor ihm der See in ruhiger Pracht.
Hin and Ufer tritt er im Grimme
Und fchreit hinaus in die neblidhte Luft:
„Hyla3! Höre des Freundes Stimme!
Komm wieder! — Und, die in feljiger Kluft
Ihr euch vermept, ven Geliebten zu halten,
Fuürchtet des Donnerer3 höchſte Gewalten,
Denn fein Erzeugter ift’3, der zu euch ruft!“
— — —— —
Die Unſchuld.
Zu einem Gemälde von Waldmüller.
(1888.)
Ah, du ſchöne, weiße Taube,
Bitterft du gleich Espenlaube!
Schmiegit dih bang mit jheuem Sinn
An die holde Schüßerin?
Wohl mit Recht warnt dieſes Zagen!
Diele darf der Starke wagen:
Gierde lauert, Unſchuld weint,
Und dort feh’ ih deinen Feind;
VI. Vermiſchte Gedichte, | 251
Einen nur der langen Reihe:
Adler, Falle, Sperber, Weihe,
Glatt und fraus, mit Streif und Stern,
Alle frefien Täubchen gern.
Selbft die Kate krümmt den Rüden ;
Zwar vor folhen Feindes Tüden
Schützt ein raſcher Flügelſchlag,
Auch iſt wohl ein Engel wach.
Aber auch die Engel ſchlafen,
Und will Gott am härtſten ſtrafen,
Zeigt der Feind geflügelt ſich;
Täubchen, Mädchen! hüte dich!
— — — —
Dem Komiker Haſenhut.
Zu deffen Biographie.
(1834.)
Du mir Erinnerung meiner Yugendjahre
Und jener Yugendzeit zum Theil ein Bild,
Wo noch der Ernſt dad Gute war, das Wahre,
Der Scherz ein Bach, der unter Blumen quillt.
Die Welt ward ftumpf feitvem, nicht bloß wir Beide:
Das Grauen borgt vom Graufen feine Macht,
Es wühlt der Scherz im eignen Eingeweide
Und lat mit Grinfen, wie Verzweiflung lacht.
Erwartend, ob fih Härt das trübe Ganze,
Empfang’ ich dieß dein Buch, erinnrungsvoll;
Wie man ein trodnes Blatt bewahrt vom Kranze,
Der einft jo reih um unfre Stirnen ſchwoll.
20
52 Gedichte.
Zur goldenen Hochzeil.
(13. Rovemiber 1842,
Golten, filbern, eilern, ehern
Kennt die Alter man der Welt,
Und zum niedem von dem häbern
Schreitet fort fie, wird erühlt.
Toh ver Menſch in uumfem Tagen
Sieht vie Alter ſich verkehrt:
Jugend, vie ſhou Sergen plagen,
Zeigt mar eiierm ihrem Werth.
Erjgewarmuet gebt tus Leben,
Selbft die Liebe wird zum Streit,
Und dem ſtets erneuten Streben
Liegt der Rule Glück fe weit.
Erft nach durchgekämpften Jahre
Lacht das Schickfal mieder hol,
Und me Silber m wer Haaren
Wird die Zeit, die Ehe — Gold.
Ein Ehrifibaum.!
1846.)
Tie ihe werfummelt bier nach frommer Sitte,
Sar Mander nennt euh arm — ihr ſeid nicht reich ! —
Und habt doch einen Ehriftbaum in ver Witte,
Den Kindern reicher Menfchen heute gleich.
Tas madt: Gott gibt nicht jtets mit eignen Händen,
Er burgt zum Geben oft vie fremde Hand,
Läßt Andere vertheilen jeıne Spenden,
Ten Bruder, binter dem der Vater ſtand.
ı Fürft Fr. Rarl Schwarzenberg batte din Ertrag feiner Erinnerun⸗
gen eines „verabſchiederen Landoknehes ur die Soldatenituder des
Wiener Invalidenhuuſes beſtimmt.
VI. Vermiſchte Gedichte. | 253
Und jchafft fo niht nur Freudige, auch Gute,
— Denn Zufall Scheint, was frei vom Himmel ſank —
Macht glüklih Zwei und, voll won edlem Muthe,
Zheilt das Gefühl in Wohlthat und in Dank.
So bat für euch, die Kinder wadrer Krieger,
Ein Kriegerfohn wie ihr, und darin gleich,
Der Sohn des Helden, der bei Leipzig Sieger,
Die Früchte mander Mühn beftimmt für euch.
Was er gejehn, erjtrebt, gethan, gelitten,
Er gibt’3 der Welt, des Volles Neugier preis
Und bat für fih als einz’gen Lohn eritritten
Hier diefen Chriftbaum, dieſes Tannenreis!
Folgt ihm die Wohlthat nun auf feinen Wegen
Und ftärkt ihn, wie ein feurig ebler Trank,
Nehmt ihr den zweiten Theil von Gottes Segen
Und ehrt, was man euch gab, durch euern Dan,
Als ein Freund den öffentlichen Dienft verließ.
Bilt du gegangen, müd der ew'gen Kriege,
Die Einfiht mit der Thorheit fiht und ſchlägt?
Und haft, verzweifelnd an dem fpäten Siege,
Die wohlgebrauchten Waffen hingelegt?
Mohl gut! denn ob man fteh’, ob unterliege,
Der Feind bleibt ewig ganz und unbewegt,
Iſt Allgemeinheit de3 Gemeinen Wiege,
Zilgft du ein Kraut, deß Samen wieder trägt.
Dir ftand es frei, du haft mit eignem Wählen
Der Waffen edlen Dienft dir auserfehn,
Auf Freigeworbne darf das Heer nicht zählen.
-
254 Gedichte.
Doch mir, die zu der Fahne wir geſchworen,
Uns ziemt, bis zu dem legten Haud zu ftehn,
Daß, ob der Sieg, die Ehre nicht verloren,
An Sanıy Elßler.
Als fie von der Bühne Abſchied nahm.
(1851.)
Sp willft du did der Kunft entziehen?
Gib fie nicht auf, die heil'ge Kunft!
Was uns zum Schuß ein Gott verliehen,
Hat fih gelöst in Nebeldunft.
Das Gute, der Berftand, die Sitte
Zähmt nicht mehr dieſes ftörrifhe Geſchlecht,
Blind für das Unheil, taub ver Bitte,
Nur die Gewalt behielt ihr altes Recht.
Nah außen die Gewalt ver Waffen,
Nach innen zu der Künfte Macht,
Die ftreng gebieten, weil fie fchaffen,
Weil Dafein wird, was fie gedacht;
So daß der Menſch im reinen Spiegel
Sich als das Urbild ſelbſt erfennt,
Das ausgelöjchte Geifterfiegel
Ihm neu auf feiner Stirne brennt.
Dir ward die holde Macht gegeben,
Sei günftig du für fo viel Gunft:
Nicht dir allein gehört dein Leben,
Gib fie nit auf, die heil’ge Kunft!
— — — — —
VI. Vermiſchte Gedichte. 2385
An Cherefe ***,
die treue Fluchtgenoſſin während der Oktobertage de3 Jahres 1848.
(20. Juni 1850.)
Schwarz und gelb, wie id, du felber,
Fanden wir und auf der Fludt;
Schmwärzer ih, du etwas gelber,
Haft du geihimpft und ich geflucht.
Und fo, dem Feind zu großem Schaden,
Belämpften wir ihn bis aufs Blut;
Er war in Wien, und wir in Baden:
Der Abftand ftärkte unfern Muth.
Doch nun, befiegt des Krieges Wehe,
Sind wir von neuem Harm gejudt:
Das Waffenbündniß unjrer Nähe
Begibt ſich felber auf die Flucht.
Du ſchwörſt zu einer andern Fahne,
Die, heißt's, ein Roſenband umflicht;
Allein das Neue, wie ich ahne,
Verdrängt bei dir das Alte nicht.
Gelb find ja Blätter, welche ftarben,
Schwarz ift der Tod, der fürchterlich ;
Nimm nur getroft der Liebe Farben, —
Auh weiß und roth ift kaiſerlich.
Gold und Zilber.
Zur filbernen Hochzeit eines Geldmannes.
(1870.)
Goldmacher find verrufen ſchier,
Wie wohl ein ever meiß;
Doch bleiben zwei, die längft erprobt:
Die Ehe und der Fleiß.
256 edichte.
Der Fleiß macht Gold; nicht Jeder trifft's,
Man plagt ſich früh und ſpat
Und dankt zuletzt dem lieben Gott,
Wenn man ſein Auskomm' hat.
Die Ehe iſt viel beſſer dran,
Sie braucht nicht Glück, nur Zeit:
Nach fünfundzwanzig Jahren iſt
Sie ſilbern, ſo wie heut!
Noch fünfundzwanzig — ihr ſollt ſehn,
Ich lad' euch freundlich ein,
So wird ſie — wie jetzt ſilbern nur —
So wird ſie golden ſein.
Wer Lieb' und Treu im Herzen trägt
Und wem ſich gleiches weiht,
Für den iſt, wie der Weltſturm braust,
Noch heut die goldne Zeit.
arabofifdes.
Das Seh im Anhflall.
(1823.)
Seht mir doc die blanken Rinder,
Mie fie ftehn in vollem Glanz!
Reich geſchmückt wie Chrifttags: Kinder,
Kopf und Naden ziert der Kranz.
Herren gehn herum und Frauen,
Fein von Sitten und Gewand;
Und um Ohr und Hörner frauen
Sie mit fhmeihelnd mweiher Hand.
Sonft von Rohen nur mißhandelt
Und geplagt von Magd und Knedit:
Hat die Welt fih fo verwandelt?
Ward der Menſch mit Ein gereht? —
Armes Voll! Du bebit den Naden,
Und es wächst dir neu der Muth?
Morgen wird man neu dich pladen,
Heut ift man zum Scherz dir gut,
Wenn nicht eigne Luft fie triebe,
Deine lodte fie wohl nie;
Und nit, Völklein, deine Liebe,
Deine Milch verlangen fie.
Grillparzer, Werke. 1. 17
258 Gedichte.
Der Geſchichtsforſcher.
(1889.)
Ich gehe mit meinem Kober
Und meinem Hafenftab,
Und wo von Mift ein Schober,
Setz' ih die Bürde ab.
Da wird geforſcht, zerſtochen
Der Kehricht weit und tief,
Ob irgend ein Abfall: Knochen
Sich etwa hinein verlief.
Und was ih da gefunden,
Trag’ ich vergnügt nah Haus
Und fieb’ in einfamen Stunden
Mandy Schöne Notiz heraus.
Derfchlafene Anſprüche.
(1846.)
Es waren, wie euch wohl belannt,
Der frommen Männer fieben,
Die in die Wüſte fih verbannt
Und ſchlafend dort geblieben.
So ſchliefen fie fünfhundert Jahr!
Und träumten dieß und jenes:
Nom Nichts, vom Geiſt, vom Schein und Mabr
Viel Gutes und viel Schönes.
Zulegt jevoh der Schlaf zerrann,
Sie ftanden auf den Beinen,
Und Seven kam die Sehnfuht an
Nah Haufe, zu den Seinen.
Sie gingen den befannten Pfad,
Nur ſchien er fehr verändert:
XC
. VI Bermifhte Gedichte, | 259
Gr lief, wie früher, fort gerad, —
Doch neu war er umrändert.
Wo fonft ein Baum, ftand nun ein Haus,
Statt Wiefen waren Gärten,
Das ſchien denn doch ein wenig fraus
Den wandernvden Gefährten.
Und nun die Menfhen vollends gar,
In fonderbaren Trachten,
Rüdgebend jenes „jonderbar,”
Da fie der Wandrer lachten.
So kamen fie zur Stadt zulekt,
Zum Haus, das fonft das ihre,
Bon Fremden fanden ſie's beſetzt,
Sie weiſend von ber Thüre.
Da eilen fie zur Obrigfeit
Und lagen, jhmähen, meinen; -
Der Richter, fonft zum Schuß bereit,
Berfteht kaum, was fie meinen.
Allmählich kommt er doch ans Ziel
Der ftammelnden Erklärung,
Da fpriht er denn vom Rechte viel,
Bor Allem von Verjährung;
Gr meint: „Es heilt wohl feine Macht
Die Schläge, die euch trafen;
Denn man verliert, zu ſpät erwacht,
Was man fo lang verjchlafen.”
Spradenkampf.
(1848.)
Zu Aeſops Zeiten ſprachen die Thiere,
Die Bildung der Menſchen warb fo die ihre;
Wau
Dr
a
Nest
Dar ade no
EN
Gedichte.
Da fiel ihnen aber mit einmal ein,
Die Stummesart ſollte das Hödſte fein.
AB will wieder drummen.“ iprad ter Bär,
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VI. Vermiſchte Gedichte. 261
Neue Allianz.
Dem Gimpel war vor dem Habicht bang
ALS feinem künft'gen Untergang;
Damit von Furt er freier,
Aliirt er ſich — mit dem Geier.
Die nene Aera.
Es war einmal ein Mann,
Der hatte alte Stiefel an,
Die ſchadhaft offen ftehen.
Da kauft' er fih ein neues Paar,
Wie man fie trug in jenem Jahr,
Man mochte niht3 Schöners fehen.
Allein was that der gute Mann?
Er z0g fie über die alten an
Und konnte nun gar nicht gehen.
Das Duell.
Der Hafe und das Lamm im Gtreite,
Sie fordern fih zum Zweikampf aus,
Das Windfpiel, ob geneigt gleih Einer Geite,
Soll Richter fein dem blut’gen Strauß.
Der Tag erjcheint, der Hafe ſucht das Weite,
Das Lamm ift kaum ſich feines Siegs bewußt,
Da wirft das Windſpiel fih an feine Bruft
Und ruft entzüdt, in Freundesarm gebettet:
„Sr macht's wie ich, du bift gerettet,
Wirſt nicht getödtet und erfparft dag Morden,
Hier nimm von meinem Hals den eignen Löwenorden!“
262 Gedichie.
Orientaliſcher Kongreß.
Der Eſel und der Wolf im Streit,
Sie greifen zum Gewehr,
Da treten als Vermittler ein
Die Nachbarn rings umher:
Der Stockiſch und das Murmelthier,
Der Marder und der Fuchs,
Dem Langohr fern und nah verwandt,
Sie bieten Hülfe flugs. —
Doch vreinzufhlagen, eh es Noth,
Wär eben au zu toll;
Man zieht dem Eſel ab die Haut
Und ſchreibt ein Protololl.
— — — — —
Diplomatiſcher Rath.
Ein Marder fraß die Hühner gern,
Doch wußt' er nicht, wie ſie erhaſchen;
Er fragt den Fuchs, 'nen alten Herrn,
Dem Steifheit ſchon verbot das Naſchen.
Der ſagt ihm: „Freund, der Rath iſt alt,
Was hilft zu zögern, brauch' Gewalt!“ —
Der Marder ftürmt in vollem Lauf,
Die Hühner aber flattern auf,
Die eine gadernd, kreiſchend jene,
Gerade in des Fuchſes Zähne,
Der gegenüber lauernd lag
Und mühlos hielt den Erntetag.
Wenn du nah Hühnern lüjtern bift,
rag’ Keinen, der fie felbit gern frißt.
RB. 2_ _ı_._
Cpigrammatifdes.
nn
Louis Philipp.
, (24. Yebruar 1848.)
Zögernder Fabius! ſchlau gewannjt du vermiedene
Schlachten;
Doch, wie der Schild feinen Mann, dedet das Schwert
erſt ven Schild.
Den Piemontefen.
(1848.)
Das Schwert Staliens? — Mag wohl fein!
Zum Wenigften für Solde;
Die Schwerter find dort etwas klein —
Bei ung nennt man fie Dolche.
In der Paulskirche.
(An Herrn v. X.)
Du bift der deutihen Parteien Mann,
Gemadt, fie zur Einheit zu flechten;
Als Schelm gehörſt du der Linken an,
Und als Narr zugleih aud der Rechten.
—
264
Gedichte.
Laseiate ogni speranza!
Wie dort an Dante's Schauerorte,
Steht über Deutſchlands Eingangspforte
Als Spruch aus Shakeſpeare's Wunderhorte
Binz Hamlets: Worte, Worte, Worte!
Zwiſchen Frankfurt und Gotha.
(1849.)
Der General von Rabomwig
Flieht aus geträumten Lagern
Und folgt ala ausgelöjchter Blitz
Dem Donner: Herrn von Gagern.
Der Weltverbefferer.
Ein neuer Don Quirot zieht er dahin,
Auf feinem Haupt den Helm des Mambrin,
Zu ändern die fertige, wirklide Welt
Nah feinem Träumen und Fühlen;
Nur daß Jener die Mühlen für Rieſen hält,
Und er die Riefen für Mühlen.
Stoßgebet.
D Gott! Tag dich herbei
Und mad’ die Deutfchen frei;
Daß endlich das Gejchrei
Darnach zu Ende ſei.
VI. Bermifchte Gedichte. 265
Wahre Sreiheit.
Macht euch erft von der Freiheit frei,
Wollt wirklich frei ihr werden;
Kein Sklave fein von der Menge Gefchrei,
Heißt frei fein erft auf Erben.
Verfehltes Bweikammerfuftem.
‚Hier ift die wahre Republit
Und Gleichheit bis zum Weinen:
Kein Oberhaus trifft hier ver Blick,
Nur Kammern der Gemeinen.
Louis Napoleon.
1.
Dein Oheim ift bein Jpeal,
Du ſuchſt ihm in Allem zu gleichen;
Auch ift ſchon die Copie ganz Original,
"Bis auf — das Meifterzeien.
2.
Ob er der Zweite, der Dritte gar,
Streit’ Einer, bis er berite;
Eins ift gewiß und fiher wahr:
Daß keinenfalls er der Erfte.
3.
Napoleon des Friedens! Worte, ſchwer
Und — recht betont — ein Lob, das außer Zweifel;
Verweilſt du jedoch auf dem Frieden zu fehr,
So geht dir der Napoleon zum Teufel,
266 Gedichte.
Arithmetifche Eonfufion.
Zwei Friedrich der Einzige? Nun, meiner Treu,
Der Fall wäre einzig und wirklich neu!
Und da nun der Erfte ein Zweiter aud war,
Brächt' ein Neuer das Einmaleins in Gefahr.
Ein König.
Du bift von hohen Gaben, will ich meinen,
Boll Geift und Sinn für Menſchen und für Saden;
Man könnt' aus deinem Stoff drei Fürften mahen —
Drei Fürften leiht — viel ſchwerer Einen.
Dor der Walhalla.
Der deutſche Sinn in Einheit? - Macht
Schaut übrall glänzend durch;
Doh dort am Giebel, jene Schlacht —
Iſt's die von Regensburg ?
Zwei fürſtliche Patrone.
Zwei Könige, vom Weltgeiſt nicht verdorben,
Vereinigen um ſich mit edlem Streben:
Der Eine große Männer, die geſtorben,
Der Andre kleine, die zur Zeit noch leben.
Der neue Mnuſenhof.
(1858.)
In Weimar war einft der Muſen Chor,
Die Zeit zwar liegt etwas ferne;
Doch leuchtet e3 immer noch Deutſchland vor,
Sonft Fadel — jet Blendlaterne.
VI. Vermiſchte Gedichte.
Ein durchlauchtiger Literat.
Des Fürften find und des Schreiber Amt
Sin ihm getheilt und bemefien:
Der Edelmann gibt dem Schreiber Rang,
Der Schreiber dem Fürften zu eſſen.
Der Polyhiſtor.
Bon Jedem etwas und vom Ganzen nichts,
Galt fonjt als Tadel voll Gewichts;
Heut gilt in unſrer Welt des Lichts:
Vom Ganzen etwas und von Jedem nichts.
Sprachforſchung über Alles.
Philofophie und Poefie,
Berihlagen vom Wind der Emphatif,
Sie find geitrandet, ich weiß nicht mie,
Auf der Sandbank der Grammatik.
Schwierige Kaiferwahl.
A. Men wählen wir an Goethe's Statt
Zum geiftigen Imperator?
. Weiß nicht, wer die meilten Stimmen hat:
Grammatifus oder Conpilator.
Denken und Fühlen.
Das Denken fuht fih nah außen Raum,
Im Fühlen find wir daheim ;-
Und all unfres Wiſſens ſtolzer Baum
Hat im Herzen den fruchtbaren Keim.
267
268
Gedichte.
Spernlation.
1.
Einer Mühle vergleich’ ich den Verſtand,
Die mahlt, was an Korn fi) gejhüttet fand;
Doch geſchehen der Schüttungen feine,
So reiben ſich felber die Steine „
Und erzeugen Staub, Splitter und Sand.
2.
Ihr, meine Freunde vom deutſchen Land,
Habt einen durchdringenden Verſtand:
Er durchdringt das Wahre in all ſeiner Weite
Und kommt heraus — auf der andern Seite.
3
Dem Bergesgipfel naht ihr der Kultur,
Von Feldern und Pfaden längſt keine Spur;
Das Knieholz fängt bereits ſchon an,
Kaum kurzes Gras auf eurer Bahn.
Steigt ihr noch weiter, wie ich ſeh',
Erreicht ihr bald den ew'gen Schnee.
4.
Es gibt nun bald kein Tiefſtes mehr,
Das nicht ein Jeder erreichte;
Und in der Welt iſt nichts mehr ſchwer,
Als Eines nur — das Leichte.
5.
Bereitet nur vor die künftige Zeit,
Ihr neuen Weisheit-Jünger,
So daß ihr ſelbſt nicht Früchte ſeid,
Nur künft'ger Ernte Dünger.
ET DE EEE EEE EEE "SE 2 ERBE ——
VL Vermiſchte Gedichte. 8269
Genealogiſches.
Der Pedantismus und die Phantafie
Vergingen fih, ih weiß nicht mie,
Und zeugten Miſchlingskinder, bie
ALS Pflanzer fie nad) Deutſchland fandten:
Die fonft im Weltall unbekannten
Phantaſtiſchen Pedanten.
Hegel.
1.
Möglich, daß du uns lehrſt, prophetifch, das göttliche Denken ;
Aber das menſchliche, Freund, richteft du wahrlich zu Grund.
2.
Mas mir an deinem Syſtem am Beiten gefällt?
Es ift fo unverſtändlich als die Welt,
3.
Du ſchreibſt die Muſik zum Weltentert,
Singft, wie, was ſchon da ift, wird und wächst;
Doch wäre dein Zonftüd nur Schall geweſen,
Hätten wir nicht früher den Tert gelefen.
Schelling.
Statt Philofophie der Mythologie
Sag’: Mythologie der Philoſophie.
Die vorigen Beide.
Nur überbieten wollen fie,
Der Eitelkeit zu Dank;
Biegt Hegel erft ein Paroli,
Spielt Schelling fein Va banque.
270
Gedichte.
Alexander von Humboldt.
Daß er die Welt zum Begriff gebracht,
Iſt mir ein leeres Gemunkel;
Es bat fie ſchon Hegel durchſichtig gemacht,
Und gleich drauf war ſie wieder dunkel.
David Strauß.
Was machſt du, Freund, ſo viel Spektakel,
Kehrſt uns den Glauben um nach neuer Regel?
Ich mindſtens glaube lieber zehn Mirakel,
Als Einen — Hegel.
Epithalamium für deſſen Braut.
Das Härteſte gar leicht verdaut der Strauß,
Ein beßrer Gatte kann ſich dir nicht bieten;
Denn brächt'ſt du ſelbſt Hiftorien nah Haus,
Dein Mann erklärte fie gewiß als Mythen.
—
Bedenkliche Nadhwirkungen.
1.
Die Hegel'ſche Unbeilsftiftung
Gleicht einer Quedfilbervergiftung :
Haft du fie aus den Gefäßen vertrieben,
Iſt fie in den Knochen zurüdgeblieben.
2.
Des Feldherrn Kriegsvolk, entlaſſen
Aus dem Dienſte der Pbiloſophie,
Macht jetzt unſicher die Straßen
Der Geſchichte und Poeſie.
VI. Vermiſchte Gedichte. | . 271
Snperkinge Hiftoriker.
1.
Wenn ihr aus der Gefchichte Gott ftubirt,
Iſt die Ausficht eine geringe;
Stubirt aus ihr nur, wie fih’3 gebührt,
Die menfhlihen Dinge! °
2.
Denn im Berftehen von Gottes Art
Sind wir und bleiben Kinder,
Er ftraft vor Allem die Dummen batt,
Die Shlehten — minder.
3.
Auch in der Menſchheit Urzuftände
Tragt ihr eures Geiſtes Licht;
Do fieht man nit die Gegenjtände,
Man fieht nur euer Licht.
Eonjechnral - Hefchichte.
Die Geſchichtſchreiber waren ſonſt befangene,
Die neufte Zeit gab neue Richte:
Man fchreibt nicht mehr die vergangene,
Man fhreibt zukünft'ge Geſchichte.
Signalement der Gegenwart.
„Welch Merkmal trägt die heut'ge Welt,
Daß man fie dran erkennte?“ —
Sie zahlet Ruhm und borget Gelb:
Anlehbn nd Monumente.
272 ® | Gedichte.
- Ein wohlthätiger Banquier.
Im Schenken ohne Maß, bei Darlehn klug bedacht,
Erquickſt du Bettler heut, die geſtern du gemacht.
Eine fromme Dame.
Der frommen Buße Dauer zu vermehren,
Wie einft Penelope im Freierhauf,
Was du bei Tag erwirkt an Kirchen und Altären,
Trennſt du bei Nacht geduldig wieder auf.
Die Erfinderin der Erinoline.
Die Fejtung felbit hat etwa wenig Gtärfe,
Weil gar fo ausgedehnt die Außenwerfe.
Auf eine gefchenkte Schale.
JJugend halte dir die Schale,
Freude fchenfe dir den Trank!
Jugend — auch im Abenpftrahle,
Freud’ — auch wenn die Sonne fanl.
Auf eine Yhr.
Die Uhr, fie zeigt die Stunde,
Die Sonne theilt den Tag;
Do, was fein Aug’ erſchaute,
Mißt unfres Herzens Schlag.
VI. Vermiſchte Gedichte. 273
Auf Schwanthalers Srunnen in Wien.
846.)
Des Quells und feines Gebers den?’ in Ehren!
Scheint Wafler dir gering? — Verſuch', e3 zu entbehren!
In cin Exemplar von Goethe's Werken.
Wo du ftehft im Kreis der Weſen,
Stellt er fih als Führer ein;
Doch will er nicht nur gelefen,
Er will auch gelebet fein,
In ein Exemplar der Ahnfran.
Wie oft ich gefehlt,
& fei nit gezählt;
Doch was id getroffen,
Laßt mich eine Zukunft hoffen.
In ein Exemplar von: des Meeres und der Liebe
Wellen.
Die Wellen legen ſich — nur gar zu fehr,
Allein die Liebe bleibt — es bleibt das Meer.
Grillparger, Werte, I. 18
274 Gedichte.
Mit dem Bildniſſe des Dichters.
Mer viel verfchenfen will, ob Kürft und König,
Mehr als fi felbft gab Keiner nody, der war.
Hier nimm mid felbft, und felber bring’ ich's var;
Dein Herz entfcheide nun, ob's viel ift oder wenig.
Auf ein zweites Porträt deflelben.
Nur weiter geht ihr tolles Treiben,
Von „Vorwärts! vorwärts!” erfchallt das Land;
Ich möchte, wär's möglich, ſtehen bleiben,
Wo Schiller und Goethe ftand.
Anf ein drittes.
Ob ſchlecht das Bild, verfehlt von Haus,
Ob ähnlich doch zum Theile?
Mich daäucht: fo ſeh' ich wirklich aus,
Wenn ich mid langeweile.
Album- Blätter.
In das Radesky- Album.
Dem Helden von Novara zur Feier feines neunzigfien Geburtätages
überreicht.
(1856.)
Was wundert ihr euh, daß er Wunder thut,
Er, der da felber ein Wunder;
Der im Alter, das ſonſt hinterm Ofen ruht,
Noch heiß von der Jugend Zunder.
Drum fpart euer Wundern noch manches Jahr,
Bis er, ftatt neunzig — hundert,
Bis grau feine Kraft, wie leider fein Haar;
Sept, ftatt euch zu wundern — bewundert!
In das Stammbuch Gehlenfchlägers.
(1817.)
Was frag’ ih viel nah Nord und Süd,
Streng abgetheilt nad) Grenzen und Revieren,
Wenn jo wie du der Norden glüht,
Des Südens Dichter aber frieren.
276 Gedichte.
In Ferdinand Hillers Album.
(15. April 1827.)
Kommft du von Weimar, dem fhönen Dit,
Wohnen fo Große wie Goethe dort,
Mohnen jo Gute wie Edermann,
Was ſprichſt du ung arme Wiener an?
Mir find ein Völklein, dumpf und jung,
Nur ftarf in Lieb’ und Bewunderung;
Gehit du nach Weimar, geb mit mir,
Mein ganzes Wejen folget bir.
In Anderfens Album.
(1834.)
Gleicher Stamm erkennt ſich wieder,
Läg' inmitten eine Welt;
Gleiche Treue, gleiche Lieder
Nennen Dän' und Deutſche Brüder,
Leugnet's murrend gleich der Belt.
Für Sophie Schröder.
(24. Diai 1864.)
Zwei Schröder, Frau und Mann,
Umgrenzen unſres Drama’3 höhern Lauf:
Der Eine ftand dabei, als es begann,
Die Zweite ſchied — da hört’3 wohl etwa auf.
VI. Vermiſchte Gedichte. 277
Für Ludwig Löwe.
(9. Februar 1861.)
Wir fahen andere Zeiten,
Nur liegen fie leider entfernt;
Gie plaudern und lehren und ftreiten,
Nur fiegen hat Keiner gelernt.
Mir haben gemeinfam gerungen,
Wir haben gemeinfam gefiegt,
Und jelbft, wo mir's etwa mißlungen,
Du ftebft, Ivo, der Dichter erliegt.
Für den Schriftſteller Ed. Duller.
Schon früh der Heimath Muttergrund enthoben
Und fernehin verpflanzt in fremde Erbe,
Darfit du des Wechſels dich ala Glüd beloben;
Denn frei’re Luft ließ wachſen dich nach oben,
Und daß das Innre feit und tüchtig werde,
Blieb an den Wurzeln hangen — vaterländ’fhe Erde.
s
Bwei jungen Damen.
(Auf der Rüdreife von Italien 1819.)
1
Fern im prangenden Rom jah ih der Charis Altäre,
Doch in Karinthia’3 Gebirg fand ich die Liebliche felbit.
2.
Monden und Jahre vergehn und find auf immer vergangen;
Aber ein fchöner Moment leuchtet das Leben hindurch.
278 Gedichte.
Der reizenden Nachbarin.
Allmacht ift deine Macht, o Schönheit, mächtige Herrin!
Was dein Scepter berührt, ändert das Weſen, die Art.
Als ih am Fenfter fie fah, in papiernen Wideln die Loden,
Glaubt ih die Charis zu fehn, weißliche Roſen im Haar.
Der dreifachen Muſe.
Wenn dein Tanz das Herz befehbet,
‚Wenn dein fprehend Wlge redet,
AN dein Weſen Harmonie,
Seh’ ich hold in dir vereinet,
Was in Künften jchön erſcheinet:
Tanz, Muſik und Poeſie.
Der Tänzerin Cherefe Heberle.
(1821.)
Freund Amor, fag’, was fiht did an,
Du ſprichſt ja wie ein Schwäberle?
Ob Adelung auch bebe,
Nennft du die Rofe: Referle,
Und Heberle die Hebe.
Einem Soldaten.
Mars und Amor, beide Krieger,
Aber mit dem Unterjchied,
Daß, mer Stand hält, dort der Sieger,
Hier der Sieger nur, der flieht.
VI Vermiſchte Gedichte. 279
Einem jungen Freunde.
Was du haben folllt,
Was du nehmen darfit
Und behalten kannſt —
Minder nit, noch mehr —
Habe, nimm, begehr!
An Gräfin Helene ***.
(Gaſtein 1819.)
So fanft, jo ftil, als wir dich hier gefunden,
O mögeft du's im ganzen Leben fein!
Und wär dein holdes Bild dir je entſchwunden,
Denk an die Schweiterbähe von Gaftein.
Wie's ftündlih dort gleih Mühlenrädern Tlappert,
Doh mit dem Lärm die Ruh das Amt getheilt:
Der Waflerfall zerftört, bejprigt und plappert,
Die warme Quelle riefelt ſtill und heilt.
Für einen jungen Ranfmann.
(2ondon, 16. uni 1836.)
Ein Kaufmann bin ih auch — ich felbit bin meine Waare;
Drum hen! ih nit davon, ih trachte nah Gewinn.
Wer Herz um Herzen tauſcht, dem folg’ ich bis zur Bahre:
Du baft den Preis bezahlt, — jo nimn mid hin.
— — — —
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Einſt au denſelben Pänien
Sagen 2eın Narer no :dy;
Tes GButen no Schenen zu Venien,
er Rortag uns nummer »entwich.
Uno tag wirs nicht zanuh sertebiten,
Tas zeigte die ‚jet, Die verſtrich,
VI. Bermifchte Gedichte. j 281
All', was wir ſchufen und wählten
Und jeder läßt ſterbend nach ſich:
Die Kinder voll Anmuth und Sitten —
Reid, weißt du es anders, jo ſprich! —
Ich Sappho'n und Melitten,
Dein Vater, o Liebliche, dich.
Einem angehenden Diplomaten.
(1862.)
Du trittſt nun in der Welt oft falſches Spiel,
Mußt klügeln lernen, ſchweigen, lauern;
Mir, dem dein Weſen, wie es war, gefiel,
Mengt in die Freude ſich zugleich Bedauern.
Doch ſind ja mannigfalt des Lebens Normen,
Die Wahrheit ſelbſt nimmt Masken oft zum Scherz,
Und gibſt du deinen Geiſt in neue Formen,
Bewahr' in ſeiner alten uns dein Herz.
Einer Dilettantin.
(21. September 1851.)
Laß dir die Kunft ver Garten fein,
Sin dem du ſelbſt dich lohneft;
Doch Häuslichleit das feſte Haus,
In dem du ſinnig wohneſt.
Für ein ſechzehnjähriges Mädchen.
Jetzt im Mai fchreib’ ich Dir dieſes,
Und du felber bilt im Mai;
Alattre, bunter Sommervogel,
Sonnenwend’ ift bald vorbei.
route:
um wumn ich. un om rmınpeer,
Zunmem, Wifem — ‘leur um W.
randpireupen, Nontärmumen —
YNuure: enm mar it Dr Vur.
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VI.
Jugendgedichte.
—. [nn
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Au Ovid.
(1808—1812.)
Du, den in wilde, unwirthbare Wüften,
Mo nie ein Glüdlicher fih ſchauen ließ,
Auf Pontus’ ferne meerumtobte Küften
Der Grimm von Roma’3 tück'ſchem Herrſcher ftieß:
‘Dir, armer Dulder, weih' ich diefe Blätter,
Denn gleiches Loos beſchieden und die Götter.
Bon Menſchen ferne, lieg’ ich bier und meine,
Unglüdlicher als du, denn mich verbannt
Ein Henker, fürdterlicher als der deine,
Des Schidjals allgewalt’ge Eifenhand.
Zu Menihenohren dringt des Menſchen Stimme,
Doch taub ift das Geſchick in feinem Grimme.
Deil du zu viel gejehn, zu viel geſprochen,
Traf dich des Kaiſers harter Richterſpruch;
Doch welch Vergehn wird denn an mir gerochen,
In deflen Herzen Fried’ und Unſchuld ſchlug?
Iſt mir’3 beftimmt, fo martervoll zu leiden,
So könnt' ih dich um dein Vergehn beneiden.
Für Sünden, lieblih im Begehn, zu büßen,
Das ftumpft der graufenvolliten Strafe Qual;
Doch hölliſch leiden und fich ſchuldlos wiſſen,
Das ſchneidet tief wie dreigeſchliffner Stahl;
Und bei den Göttern, die den Meineid rächen,
Rein ift mein Herz, ich weiß nichts von Verbrehen! —
286 Gedichte.
Sanft trieb des Lebens Nachen; das Gewiſſen
Schlief drinnen wie ein neugebornes Kind,
Da ward ich plötzlich in die See geriſſen,
Ein unglückſel'ges Spiel von Meer und Wind;
Erloſchen find die fihern Leiterfterne,
Und meine Heimath birgt die Nebelferne.
Die Hoffnung hat das Steuer aufgegeben
Und flieht mit ſcheuem, winvesfchnellem Fuß;
Sie, die jonft felbjt beim Ausgang aus dem Leben
An des Avernus dunklem Schauerfluß
Dem müden Waller tröftend fteht zur Seite,
Sie jelbit verfagt mir Armen ihr Geleite.
Verzweiflung fitt an ihrer Statt im Nachen
Und treibt den Kiel vom Lande weiter fort,
Dorthin, wo aus des ſchwarzen Abgrunds Rachen
Der Jammer grinjet und der bleihe Mord;
Und wohin immer meine Blide ſchweifen,
Sie können nicht? als Schredliches ergreifen.
Nur Einen Hafen läßt fie mich erfchauen,
An deſſen Mund in unerforichter Nacht
Der Ewigkeit furhtbare Nebel grauen,
Die bleibe Furcht mit ſcheuem Zagen wacht,
Die Jedem, der ſich nahet ihren Thoren,
Das Wort „Vernichtung“ flüftert in die Ohren.
„Vernichtung!“ — Sei's — Mag, was ich bin, entfchweben
Im ew’gen Wirbeltanz der flücht’gen Zeit,
Trotz fei geboten dir! Dieß Blatt foll Ieben,
Wenn meine Seind Atome längjt zerftreut.
Zertritt mich aud der Fuß der nächſten Stunde,
Doc leb' ich ewig in der Nachwelt Munde.
— — — — —
VII Jugendgedichte. - 287
Eherubin.!
(8. Februar 1812.)
Mer bift du, die in meine3 Herzens Tiefen,
Die nie der Liebe Sonnenblid durdftrahlt,
Mit unbelannter Zaubermaht gegriffen?
Mer bift du, füße, reizende Geftalt?
Gefühle, die im Grund ver Seele ſchliefen,
Haft du gewedt mit magiſcher Gewalt,
Gefefjelt ift mein ganzes, tiefſtes Weſen,
Und Kraft und Wille fehlt, dad Band zu löfen.
Geh’ ich der Glieder zarte Fülle prangen,
Entftellt durchs ſchöngeſchmückte Knabentleid,
Das füße Roth der fhamgefärbten Wangen,
Die blöde, knabenhafte Schüchternheit,
Das dunkle, erſt erwachende Verlangen,
Das brennend wünjht und zu begehren jcheut,
Den Flammenblid, ſcheu in ven Grund gegraben:
So ſcheinſt du mir der reizendfte der Knaben.
Doh ſeh' ich dieſes Buſens Wallen wieder,
Verrätherifh durchs neid'ſche Kleid gebläht,
Des Nackens Silber, gleich des Schwans Gefieder,
Vom reichen, ſeidnen Lockenhaar umweht,
Hör' ich den hellen Klang der Zauberlieder,
Und was ein jeder Sinn noch leiſ' erſpäht,
Horch' ich des Herzens ahnungsvollen Tönen:
So nenn' ich dich die Krone aller Schönen.
Schlicht' dieſen Streit von kämpfenden Gefühlen,
Bezähme dieſes ſiedend heiße Blut,
1 An die jugendliche Sängerin Henriette Teimer, nachmals verehe⸗
lichte Forti, in der Rolle ded Pagen in Mozarts „Hochzeit bes Figaro“.
Bgl. Grillparzers Autobiographie: Säimmtl. Werke. Bd. X, S. 30,
288 Gedichte.
Laß meinen Blick in dieſen Reizen wühlen,
Laß mich der Lippen fieberiſche Gluth
In dieſes Buſens regen Wellen kühlen;
Und meiner Kuſſe rauberiſche Fluth
Soll das Geheimniß dir im Sturm entreißen,
Welch ein Geſchlecht du würbigft fein zu heißen,
Die Anſik.!
Sei mir gegrüßt, o Königin!
Mit der ftrahlenden Herrſcherſtirn,
Mit dem lieblich tönenden Munde
Und dem Wahnfinn fprühenden Blid,
Schwingend das zarte Plektton,
Ein mädtiger Scepter in deiner Hand!
Sei mir gegrüßet, Herrlichſte
Unter den herrlihen Schweftern!
Lieblich find fie, die Huldinnen alle,
Die, am Throne des Lichts gezeugt,
Von unfterblihen Müttern geboren,
Gerne nieder zur Erde fteigen,
Boten einer vergangenen,
Verkünder einer künftigen Welt!
Lieblich find fie, die Huldinnen alle,
Denn fie, der Sterbliteit Nebellleid
Um die leuchtenden Schultern geworfen,
Wie Apollon unter den Hirten,
In dem Kreife der Menſchen weilen
' Zu dieſer Ode wurbe Grillparzer gegen Ende des Jahres 1812
hurd) die Auffügrung bes Händel’fgen Dratoriums „Limotyeus“ In einır
Asejelfgaft der abeligen Frauen Wiend begeifert,
VII. Jugendgedichte. | 289
Und in der Fremde rauhen Boden
Palmenreifer der Heimath pflanzen;
Menſchen ähnlih und dennod Götter,
Beide Welten liebend verbinden,
Hernieder zur Erde den Himmel ziehn
Und den Menfhen zu Göttern erhöhn.
Lieblich find fie, die Huldinnen alle,
Doch mie die Roſe unter ven Blumen
Strahlft vu hervor au3 dem Chore der Schweitern.
Als das Recht von der Erde verfchwunden
Und die Unſchuld gen Himmel geflohn,
Dienen lernte die freie Geberve,
Lügen das heiter, offene Aug’,
Und das Wort, das heilige, wahre,
Sich in ſchändende Felleln ſchlug:
Da wardſt du von den Göttern geſendet,
Als Vertraute beſſerer Seelen,
Deine Sprach' ihrem Munde zu leihn.
Freudig eilten ſie dir entgegen,
Sanken vertrauend dir in den Arm,
Und Lieb' und Hoffnung und Scham und Reue
Flüſterten leiſ' in deinen Buſen,
Was ſie erreicht und was ſie verloren,
Was ſie geträumt und wie ſie gefühlt.
Seitdem ſtehſt du dem Menſchen zur Seite,
Eine helfende Tröſterin!
Wo er weilt und wo er wandelt,
An des Unglücks gähnendem Abſturz,
Auf der Freude Blumenhöhe,
Ueberall tönt deine Stimm' ihm entgegen,
Wie ein Ruf aus beſſeren Welten,
Klagend, tröſtend, freundlich erhebend,
Von der Wiege bis ins Grab.
Grillparzer, Werke. I. 19
288 Gedichte.
Laß meinen Blick in dieſen Reizen wühlen,
Laß mich der Lippen fieberiſche Gluth
In dieſes Buſens regen Wellen kühlen;
Und meiner Küſſe räuberiſche Fluth
Soll das Geheimniß dir im Sturm entreißen,
Welch ein Geſchlecht du würdigſt ſein zu heißen.
Die Mnſik.
Sei mir gegrüßt, o Königin!
Mit der ſtrahlenden Herrſcherſtirn,
Mit dem lieblich tönenden Munde
Und dem Wahnſinn ſprühenden Blick,
Schwingend das zarte Plektron,
Ein mächtiger Scepter in deiner Hand!
Sei mir gegrüßet, Herrlichſte
Unter den herrlichen Schweſtern!
Lieblich ſind ſie, die Huldinnen alle,
Die, am Throne des Lichts gezeugt,
Von unſterblichen Müttern geboren,
Gerne nieder zur Erde ſteigen,
Boten einer vergangenen,
Verkünder einer künftigen Welt!
Lieblich ſind ſie, die Huldinnen alle,
Wenn ſie, der Sterblichkeit Nebelkleid
Um die leuchtenden Schultern geworfen,
Wie Apollon unter den Hirten,
In dem Kreiſe der Menſchen weilen
1 Bu dieſer Ode wurde Grillparzer gegen Ende bed Jahres 1812
durch die Aufführung des Händel’fhen Dratoriums „Timotheus“ in einr
Geſellſchaft der adeligen Frauen Wiend begeiftert.
VU. Jugendgedichte. 259
Und in der Fremde rauben Boden
Palmenreifer der Heimath pflanzen ;
Menſchen ähnlih und dennoch Götter,
Beide Welten liebend verbinden,
Hernieder zur Erde den Himmel ziehn
Und den Menſchen zu Göttern erhöhn.
Lieblih find fie, die Hulvinnen alle,
Doch wie die Roje unter den Blumen
Strahlft vu hervor aus dem Chore der Schweitern.
Als das Recht von der Erde verſchwunden
Und die Unfhuld gen Himmel geflohn,
Dienen lernte die freie Geberde,
Zügen das heiter, offene Aug’,
Und das Wort, das heilige, wahre,
Sih in ſchändende Felleln ſchlug:
Da warbft du von den Göttern gefendet,
Als Bertraute befjerer Seelen,
Deine Sprach' ihrem Munde zu leihn,
Freudig eilten fie dir entgegen,
Sanken vertrauend dir in den Arm,
Und Lieb’ und Hoffnung und Scham und Reue
Flüfterten leif’ in deinen Bufen,
Was fie erreiht und was fie verloren,
Mas fie geträumt und wie fie gefühlt.
Seitdem ftehjt du dem Menfchen zur Seite,
Eine belfende Tröfterin !
Mo er weilt und wo er wandelt,
An des Unglüds gähnendem Abfturz,
Auf der Freude Blumenhöbe,
Ueberall tönt deine Stimm’ ihm entgegen,
Wie ein Ruf aus befjeren Welten,
Klagend, tröftend, freundlich erhebend,
Bon der Wiege bis ins Grab.
Grillparzer, Werke. 1. 19
290 Gedichte.
Sanft ftehjt du an der Wiege des Knaben,
Der faum dem Schooß ſich der Mutter entiwand,
Dem noch in Einer trüben Welle
Taumelnd fein Sch und die Außenwelt jchwimmt,
Dem kaum der Schmerz noch ahnend gelehret,
Daß er zum Lehen — voll Schmerzen! — erwacht.
Wie er jo daliegt und jammert und Elaget,
Da tönt ein Laut in feine Ohren, —
Der erſte Strahl in der irvifhen Naht —
Aus der MWärterin einfachem Liede
Sprit dein Mund dem Klagenden zu:
„Dulde! Lerne bei Zeiten dulden!
Iſt doch Leiden des Lebens Name,
Wenige Stunden, und es ift vollbracht!“
Und du legft in des Kleinen Wiege
Einen treuen, liebenden Bruder,
Der dur das Leben ihn begleitet,
Helfend und treu ihm zur Seite fteht,
Jeden Rummer halb ihm abnimmt,
Jede Freude vertaufendfacht
Und am Ziele ver Lebensbahn
Ihn in die offenen Arme nimmt;
Legit ven Schlummer ihm an die Geite,
Und der Knabe lächelt und — ſchläft.
In der Trompete muthigen Zönen
Aufft du den Jüngling ins Schlachtgewühl,
Leiteft den Starken, ermuthigjt den Schwaden;
Jubelſt ob dem geſchlagenen Feind,
Verkündeſt die Siegesbotihaft dem Lande,
Weinſt dem Gefallenen nad in3 Grab,
Aus der Zither melodiſchen Saiten
Klagft du dem Mädchen des Liebenden Gluth,
Wo die Sprahe das Wort verweigert,
Borgeft du hülfreih den lieblihen Klang.
VII. Jugendgedichte. 291
Und das Mädchen höret die Klage,
Ahnung und Scham beſtürmt ihren Buſen,
Zögernd folgt ſie dem ſüßen Zuge,
Gleich den Saiten bebet ihr Herz,
Und auf der Töne goldenen Schwingen
Ziehet die Liebe als Sieger ein.
An des Altars geſchmückten Stufen
Empfängft du jauchzend die ſchamhafte Braut,
Scheuchſt von der Stirn ihr das zagende Bangen,
Beigjt ihr die nahende Seligkeit.
So dur alle Gewinde des Lebens
Geleiteſt du Tiebreih den Ervenfohn,
Hilfſt ihm erflimmen die fteilen Stufen
Und ftreueft auf jede mit mildem Sinn
Deine Rofen oder Cypreſſen,
Freuden: oder Mitleivsthränen.
Und wenn endlich das Leben verflungen,
Der legte Seufzer der Bruft vermweht,
Zum Staub gelehrt der Staubgeborne,
Wankſt du ftöhnend hinter der Bahre,
Hinüberzeigend in lichte Fernen,
Glaub’ und Hoffnung an leitender Hand. —
Mo ift eine Macht, die deiner gleichet,
Eine Gewalt, die deiner fih naht,
Wenn du auf Sturmesflügeln einherbraufft,
Wenn du mit Zephyrslifpeln fäufelft;
Menn du des Muthes glimmenden Funken
In die zagende Geele ſchleuderſt
Und den Funken zur That entflammit;
Wenn du im duftenden Myrtenhain
Mit ſüßer Ahnung das Herz beſchleichſt —
Mo ift eine Macht, die deiner gleicht?
292 Gedichte.
Bewehrt mit deinem flammenden Schwert,
Schlug Tyrtäus der Feinde Gewalt;
Felſen gehorchten deinem Worte,
Als du aus Amphions Leiter gebotit;
Aus der Unterwelt heulenden Klüften
Zug bie Geliebte des Orpheus Gejang.
Mie bildſamer Thon, wie weiches Wachs
St des Menſchen Herz in deiner Hank.
Timotheus' Leier tönt,
Und Berjepolis flammt;
Händel greift in bie Saiten,
Und Berfepolis flammt noch einmal
Bor den Augen der trunfenen Hörer!
Mer vermag, beinen Zauber zu jchildern,
Sieblihe, milde, freundlich holde,
Fühlende Freundin fühlenver Seelen,
Herrlichfte unter den herrlichen Schweftern!
Mas der Mime nur ſchwankend ftammelt,
Was ver Dichter zu laut verfünbet,
Liſpelt vernehmlid dein Saitenſpiel.
Sei die Dichtfunft noch fo gepriefen,
Sie jpriht doch nur der Menſchen Sprade,
Du ſprichſt, wie man im Himmel jpridt!
Darum jei mir breimal gejegnet,
Hohe, ſtrahlende Königin!
Ewig joll meine Lippe dich preifen,
Und in den Klang meiner Weihgejänge
Miſche ſich jauchzend der Jubel der Welt!
VI. Jugendgedichte. 293
An eine matte Herbfifliege.‘
Wanken dir die matten Füße?
Iſt der Flügel Schwung erlahmt?
Traurig ſchleichſt du an dem Fenſter,
Das fonft deine Spiele ſah;
Ah, der Sommer ift vergangen
Und der rauhe Winter nah!
Do ſieh meine welfen Aniee,
Sieh da3 Antlig todtenbleich,
Gieh der Augen muth'ges Feuer
Bon der Krankheit Hau dahin:
it denn ſchon mein Herbit gefommen,
Ch mein Sommer nody erſchien?
Abſchied von der Hofbibliothek.?
Lebet wohl, ihr guten Mufen,
Ich verlaſſ' euch bald,
Denn an eurem welfen Bujen
Iſt's verzweifelt Talt.
Für den Kopf, ih muß es jagen,
Eorgtet ihr reiht jehr;
Doch ic) hab’ aud einen Magen,
Und den liegt ihr leer.
1 Als Grilparzer im Spätjahr 1818, von ber gräflidden Yamilie
v. Seillern in einem einfamen Baberhaufe bei Luckow in Mähren Irant
zurüdgelafien, nad einem ſchweren Rervenfieber zum erfien Male das
Bett verlaffen konnte. Vgl. Grillparzers Uutobiographie: ſaͤmmtl. Werte,
Br. X, ©. b4.
2 Grillparzer verließ im November 1818 feine Stelle als unbefolbeter
Praktikant bei ber Wiener Hofpibliothel und trat in ben Dienft der
nieberöfterreihifchen Zollverwaltung. Vgl. Autobiographie: fänmtl. Werte.
Bd. X, ©. 66 —62.
294
Gedichte.
„Sieh der Lorbeer! Was lohnt höher?”
Ah, ih hab’ ihn fatt!
Scheid' id) nicht, ſo braucht' ich eher
Noch ein Feigenblatt;
Denn hienieden iſt man leider
Nur auf Geld erpicht:
Geld verlangt der harte Schneider,
Ach, und kein Gedicht.
Mit den Göttern nur im Bunde,
Fremd im ird'ſchen Land,
Schüttelt Gold ihr aus dem Munde,
Kupfer aus der Hand.
Leder habt ihr an den Bänden,
Keines für den Schuh;
Tiſche gnug an euren Wänden,
Tiſchtuch fehlt dazu.
Trotz der Handſchrift, die für theuer
Jener Schrein uns gibt,
Dünkt ein Wechſel mir, beim Geier,
Beßres Manuſkript.
Und am Schluß, ſtatt laͤngerm Fabeln:
Lieschens Auge brennt
Nach ganz andern Inkunabeln,
Als Herr Senfel kennt.
Drum lebt wohl, ihr guten Mufen,
Ahr feid mir zu kalt;
Mich zieht an des Lebens Buſen
Stärkere Gemalt.
VI. Jugendgedichte. 295
Als mein Schreibpult 3erfprang.!
Wenn im Lenz die Bäume knoſpen
Und der Saft die Stämme füllt,
Fangt im Wald fih’3 an zu regen,
Und des Frühlings Kuß entgegen
Dehnt, erwacht, fih Zweig und Alt.
Doch nicht bloß das Holz im Walde,
Auch das Holz, das, längſt gefället,
Als Geräth ſchon ſteht und trodnet,
Fühlt des Götterboten Nahen,
Und in thörichtem Vergeſſen
Dehnt's verlangend feine Adern:
Doch, nit fähig mehr, zu grünen,
Aechzt es laut auf und zeripringt.
So, obihon vom Stamm getrennet
Und vermelfet in der Blüthe,
Winkt im Frühling mir dein Athem,
Himmelstochter Poeſie!
Und mein Bufen drängt und hebt fidh;
Doch, nicht fähig mehr, zu grünen
Aechzt er laut auf und — zerfpringt.
1 Dieb Bebicht, wohl im Frühjahr 1814 oder 1815 entftanden, ſpricht
ba8 Gefühl der Nichtbefriebigung des Dichters mit dem neuen, ber Dicht-
Zunft abgewwendeten Geſchäftsleben aus.
296 Gedichte.
Willkommen!!
(1816.)
Ich hab’ fie gejehen
Apart und genau,
Ich hab’ fie gejeben,
Die herrlihe Frau!
Ja, ftaunet nur, ftaunet!
Ich Stand dort am Rain
Und trieb meine Gänje
Ans Waſſer hinein.
Und wie wir fo ftehen,
Ein jedes für fi,
Und fhauen — der Gänſrich,
Mein Pudel und ich:
Da hebt fih’3 von ferne,
Da wirbelt der Staub,
* Da kommt e3 gerafjelt
Durchs fallende Laub.
Ein Zug kommt geflogen
In goldener Pracht,
Wie Wolken, wenn Morgens
Die Sonne erwacht;
Und mitten ein Wagen,
Ganz ſchlicht, ohne Glanz;
Doch glänzt er vor allen,
Er führt unſern Franz.
1Zur Feier der Ankunft ber neuvermählten Kaiſerin Karolina
Auguſta wurde im Hofburgtheater ein Luſtſpiel aufgeführt, in welchem
Frau Korn in der Rolle eined armen Bänfejungen obiges Gebicht ſprechen
folte. Dasjelbe wurde indeß durch ben gefhmadlofen Prolog eines obs
ſeuren Dichters erfegt.
VII. Jugendgedichte. 297
Und an feiner Seite
So lieblih und mild
In züchtigem Schweigen
Ein Frauenbild.
Hal dacht' ich mir felber,
Wer mag das wohl fein?
Dem Herren zur Seite
Muß Herrlihes fein!
Ich Ihau’ ihr ins Auge,
Da trifft mich ihr Blick,
Noch den?’ ih mit Zittern,
Mit Wonne zurüd.
Daheim in der Kirche
Am hohen Altar,
Da ftehet ein Bildniß
So berrlih und Har:
Die Mutter des Heilands
Am Sternenthron,
In liebenden Armen
Den göttlihen Sohn;
Mit freundliher Wehmuth,
So troftreih und lind,
Bermeilet ihr Auge
Am fchlafenden Kind;
Sie ſcheint's zu geleiten
Auf fünftiger Bahn —
So ſah mich die Hohe,
Die Lieblihe an.
D Blid ohne Gleichen,
Boll hbimmlifhem Sinn!
Er ftammet vom Himmel
Und führet dahin.
238
Gedichte
Da ſtand ih und ſtaunte,
Mein felbit nit bewußt,
Mit thränenden Augen,
Mit ſchwellender Bruft.
‘est lächelt vie Hohe,
Da fuhr's durch mid bin:
Es ift unfre Mutter,
Tie Kaiſerin!
Laut will ih fie grüßen,
Ih fudhe das Wort —
Ta rauſcht eS vorüber,
Und Alles war fort.
Ih Alberner rüdte
Nicht einmal den Hut,
Nun wird fie wohl glauben,
Ih fei ihr nicht gut;
Glaubt wohl, daß in Deſtreich
Ein Einziger fei,
Ter fih ihrer Ankunft,
Sid ihrer nidt frau!
Noch heut foll fie fommen,
So hört man, zur Stadt,
Da fehet ihr glüdlichen
Städter euch fatt.
Wenn ihr nun ihre zuruft
Sm Freudenerguß,
So bringt ihr audy meinen
Beripäteten Gruß.
Und fagt ihr: Der Junge
Da draußen am Bad,
Cr ftehe an Liebe
Den Belten nicht nad.
VII. Jugendgedichte. 299
Für fie unjer Leben,
Für fie unjer Blut!
Kein Einziger in Oeſtreich,
Der weniger thut.
An Hofrath Carl v. Küberk. !
(1816.)
Bon feiner ewigen Berge Spiten
Hebt ſich Tirols gefürdhteter Aar;
Hoch ob der Menſchen niedrigen Sitzen
Läßt er die mächtigen Flügel blitzen,
Stellet ein Götterbote ſich dar.
Einen Kranz in den mächtigen Krallen,
Schwebt er daher zu der Donau Strand.
Welchem Glücklichen, welchem vor Allen
Iſt das herrliche Loos gefallen,
Wem ward ſolcher Bote geſandt?
Und er ſenket das ſtolze Gefieder:
Auf ein werthes, ein würdiges Haupt
Legt er die köſtliche Spende nieder;
O, ihr kennt es, ihr kennet es, Brüder!
Iſt's gleich dem Sang nicht zu nennen erlaubt.
1 Die Erhebung des Hofraths (ſpäteren Hofkammerpräſidenten) Karl
Kübel, eines aus ben beſcheidenſten Kreiſen des Bürgerſtandes hervor⸗
gegangenen Staatsmannes, in ben Ritterſtand des öſterr. Kaiſerſtaats
und deſſen am 29. Ditober 1816 erfolgte Eintragung in bie ſtändiſche
Adelsmatritel von Tirol, veranlaßte Grillparzer zu dieſem Gedicht; vie
Erwägung jedoch, daß dasfelbe als Wohldienerei oder Protektionshafcherei
ausgelegt werben könnte, bewogen den Dichter, es verfchloffen zu halten.
300 Gedichte.
Trefflicher! mweife den Schmud niht von dannen!
Ging gleih nah Schmud dein Begehren nıe;
Reihe dich zu den Träftigen Mannen,
Die das Werk der Freiheit begannen,
Du ein Befreier, fo wie fie!
Ein Befreier von ftärkeren Banden,
Als Tyrannen fie jemals gejtählt.
Ketten, die troßende Kräfte manden,
Haben noch nie der Kraft wideritanden,
Nie hat dem Zwingherrn ein Gegner gefehlt.
Offen ftellt die Gefahr fich entgegen,
Wedet den Gegner mit ftürmender Hand,
Poht an den Bufen mit donnernden Schlägen,
Daß die fchlummernden Kräfte fih regen,
Eilig fih rüften zum Widerſtand.
Laßt und die Kraft und den Muth und den Willen!
Mo ift Gefahr? Sie fomme nur an!
Doh, wo's tief unter ſchmeichelnden Hüllen
Heimlich naget und gräbt im Stillen,
Da gilt’3 zu zittern, da bebt auch ein Mann!
Was, in dem eigenen Bufen geboren,
Krieg dem eigenen Bufen erregt,
Das fein Ich zum Gott ſich erforen
Und dem Moloch, dem es gejchworen,
Das eigene Kind in die Arme legt;
Eigennug, die gefräß’'ge Hyäne,
Eigenliebe, fih Gott und Altar,
Selbſtſucht, wegend die gierigen Zähne,
Lüftern fchlürfend des Bruders Thräne —
Auftria! dag deiner Feinde Schaar!
VIE Jugendgedichte.
Auf diefe Brut von zifhenden Schlangen
Haft du, Starker, den Fuß gejebt;
Ende das Werk, das du angefangen,
Und dein Bild foll ewig uns prangen
In der Zukunft Hallen wie jekt.
Auf! du Starker, e8 muß gelingen!
Stürze darnieder der Hölle Trug!
Und unfre Wünſche mit wehenden Schwingen
Sollen im Kampfe dir Kühlung bringen,
Wunſche der Frommen find mädhtiger Schub!
Sigt doh ein Mann auf Auftria’3 Throne,
Edel heißend, was edel ift,
Der dem Verdienſte beut feine Krone,
Der, ftet3 bereit zu Dank und Lohne,
Nichts, als erlittenes Unrecht, vergißt.
Er gebeut, daß dein Name fi ſchaare
Zu den Sternen der Majeftät,
Damit die jubelnde Welt erfahre,
Daß noch außer dem Adel ver Jahre
Auch ein Adel des Werthes bejteht!
Mürde foll nie dem Würdigen fehlen!
Tritt hinan, und der Segen der Welt
Mag in des Nachruhms ftrahlenden Sälen
Einst dich unter die Höchſten zählen,
Wie e3 jet unter die Velten dich zählt.
30l
302 Gedichte.
An Joh. Ludwig Deinhardflein.
(1816.)
Gar Manche tragen nad) der Kunft Verlangen
Und ftreben ihr auf manden Wegen nad;
Willſt du die Himmlifche bei dir empfangen,
Bereite ihr ein würdiges Gemad).
Sie liebt in ſchmutz'gen Hütten nicht zu weilen
Und in des Ervenlebens ſchmutzigem Koth.
Mer einer Göttin bräutlich Bett will theilen,
Der able erft dur Reinheit ſich zum Gott.
Drum jeder Leidenfhaft den Zügel,
Und nah den Wolten hin ven Blick!
Mein Freund, denn nur der reine Spiegel
Strahlt ungetrübt die Welt zurüd.
Alphabetifches Verzeicniß
der Anfangsworte von Örillparzers ſämmtlichen Gedichten.
Abgeftreift das Band ber Brüfte 168.
Ad, bu ſchöne, weiße Taube 250.
Ach wie fo gerne, Sean Baul 219.
Allmacht ift deine Macht 278.
Aloe! Aloe! 53.
Als Chriſtus die Verfäufer aus dem
Tempel trieb 163.
Als Deutſcher warb ich geboren 164,
Als du heraufkamſt an der Tage
Morgen 105.
Als Froft und Unheil heimgefucht 131.
Als Gott, die Menſchen ſchuf nad
ſeinem Bilde 196.
Als ih noch ein Knabe war 158.
Als ih noch jung war 82.
ALS ihr mit Sinn fohriebt 224,
Als liberal einft ber Verfolgung Biel
160.
Alfo hatt' er lang geſprochen 77.
Als ruck zum Himmel nahm den Lauf
221.
Als Sinnbild bed Bodens 137.
Altconfervativ? — Wie alt denn gar
.161.
Am Eingang fleh ic Hier 232.
Am fünfzehnten Jänner geboren 102.
Am Heil’gen Ghrifttagabenb 87.
Amor würfelt’ einft mit Hymen 13.
Arbeiten jo id, daß Bott erbarm
99.
Auch in der Menfchheit Urguftänbe 271.
Aueröberg, bu letzter Ritter 200.
Auf blintenden Gefilben 59.
Auf, ernene ben Streit 130.
Auf Kresna-Hora, hütend feine Kühe
198.
Augen, meiner Hoffnung Stern 16.
Aus Tag und Nacht Hat, wohlbedacht
188.
Begeifterung, was ruf ich bir 58.
Bei dem Klang des Saitenfpieles 8.
Belle, belle nur zu 129.
Bereitet nur vor bie Lünftige Zeit
268.
Beſchwert mit Fleiſch⸗ und Studien
referat 136.
Bift bu gegangen, müb ber ew'gen
Kriege 253.
Bift du genejen denn? Sei ung wills
fommen 111.
Bleib nur ber alten Kunſt getreu 229.
Brim blim, Hang, kling 8.
Chriſtus folgen? — Wie mich's dränge
50.
Da liegt fie, eingehüllt 82.
Das bittere Gefühl, wie arm bieß
Leben 50.
Das Denken ift nicht ber Empfindung
geſchenkt 230,
Dad Denken fuht id nah außen
Raum 267.
Das Fauſtrecht gilt noch heut 164.
Das Härtefte gar leicht verbaut ber
Strauß 270,
304
Das haft du nicht gedacht, Gewalt’:
ger bu 85.
Das Höchſte ift, das Höchſte bleibt 52.
Das Schwert Italiens? — Mag wohl
fein 263.
Das fol der neue Heiland fein 135.
Das Unmögliche wollen 99.
Das Waſſer rinnt vom Felögeftein 70.
Daß bein Kleid rofenroth 6.
Daß bu, Freund, nicht ſchreiben kannſt
130.
Daß er bie Welt zum Begriff gebracht
270.
Dein iſt die Saat und ber Fleiß 94.
Dein Dbeim ift bein Ideal 266.
Dein Duarteti klang, al3 ob Einer 192.
Dem Bergesgipfel naht ihr der Kultur
268.
Dem Gimpel war vor bem Habicht
bang 261,
Dem klugen Manne fchmeicheln 96.
Denken ja, und Fühlen find 223.
Den Kopf von Sorgen mübe 260.
Denn im Verftehen von Gottes Art
271.
Der Aeli’fte einer altbefannten Schaar
236.
Der deutſche Bund war nicht Tchlecht
von Haus 168.
Der Deutfhen Stämme 228.
Der deutſche Sinn in Einheitsmacht
266.
Der erfte Stoff kommt aus Gottes
Sand 280.
Der Efel und der Wolf im Streit 262,
Der Fortſchritt der Kriegskunſt 228.
Der Freibeitäbrang, ber und kam 159.
Der frommen Buße Dauer zu vers
mehren 272.
Der Geift ber Beit if nur ein Traum
142.
Der General von Radowitz 264.
Der Hafe und das Lamm im Streite
261,
Alphabetifches Verzeichniß
Der Himmel grau, bie Erbe weiß 89.
Der Leihtfinn in der Kunſt 230,
Der Mann bracht' es auf Siebzig gar
135.
Der Nachbar einer Frommen 98.
Der Pebantiömus und die Phantafie
269.
Der Teufel wollte einen Mörder ſchaf⸗
fen 182.
Der Tieffinn wird gar leicht zum
Stumpffinn 230.
Der Wächter auf den Binnen 60.
Der Beg ift Ichleht, ber Karren
ſchwach 224.
Der Zeit Gedanken, unverzagt 98.
Der Zeit vorzugreifen ift jegt Mode
101.
Des Feldherrn Kriegsvolk, entlafien
270.
Des Fürften find und des Schreiber
Amt 267.
Des Quells und feines Gebers ben?
273.
Des Staat und ber Bühne Berather
136.
Deutſchland ift nicht fo groß, als es
fcheint 282.
Die Aehnlichkeit ift unbeflritten 132.
Die deutſche Jugend, etwas bunt von
Haus '228.
Die Dichtkunſt, jagt man oft und fagt
e3 laut 180.
Die ew'ge Macht gibt nicht fo viel 100.
Die Feſtung Ehre, die er ſchwor 140.
Die Feſtung jelbft bat etwa wenig
Stärle 272.
Die Gefchichtfchreiber waren fonft be=
fangene 271.
Die Grenzen alles Wiſſens ſchier 227.
Die Hegel'ſche Unheiläftiftung 270.
Die Henne erhebt ein gewaltig Ge
ſchrei 169.
Die Hilfe Gottes, muß ich vermutben
164.
der Anfangdworte von Grillparzers ſämmtlichen Gedihten. 305
Die ihr verfammelt bier nach frommer
Sitte 252
Die Anechtſchaft Hat meine Jugend
gerflört 160.
Die Kritiler, will fagen, bie neuen 227.
Die Schweizer worfeln tüchtig brauf
138,
Diefed Suchen unb Zweifeln 222.
Die Stärfe braudt, unb nicht bie
Schwäden 191.
Dieß ift bie Bank, dieß find biefelben
Bäume 70.
Die Titel meiner Stüde 101.
Die Trennungdftunde Ichlägt, und id)
muß ſcheiden 26.
Die Uhr, fie zeigt die Stunde 278.
Die Wellen legen fih — nur gar zu
ſehr 273.
Die Zeit hielt fi für ſchwanger 161.
Die Zeit, fie eilt fo ſchnell voraus 81.
Dir auch töne mein Gruß 220.
Doch ſtand ed einmal 64.
Dort löfcge deinen brennenden Durft
ERS.
Du bi der beutichen Parteien Dann
268.
Dun bifl von hoben Gaben 266.
Du, den in wilde unwirtäbare Wüften
285.
Du denift und bentfi 222.
Du, diefed Ortes Einfamteit 69.
Du Geiftedleuguer! leugneft bu bie
Peſt 140.
Du guter Schüge,, ſcharf ind Fühn 222.
Du Qunbägefiht mit einer Haſenſeele
134.
Du lite ſchwarze Kunft 122.
Du mir Erinnrung meiner Kinder⸗
jahre 251.
Du nennf ihn tief 222.
Du reicher Beift mit unbelannten
Schäßen 198.
Du fchreibft bie Mufit zum Welten
text 269.
Grillparzer, Bere. 1.
Du trittfi nun in ber Welt oft fals
ſches Spiel 281.
Du wärft ein Mörder nicht? Selbſt⸗
mörber bu 176.
Du zählft dich aud) zur Literatur 132.
Eigne Gedanken ſprichſt du mir ab 129.
Ein deutfcher Dichter ift übel dran 210.
Ein Dummkopf bleibt ein Dummkopf
nur 135.
Ein einzelner Sinn wirb Leit ge
flört 159.
Einer Mühle vergleich’ ich den Berfland
268.
Ein geifligeößerwanbticaftäftegel 163.
Ein Graf und rabilal 189.
Ein Kaufmann bin ih auch 279.
Einmal gewährte der Gott 219.
Ein Rann kehrt Beim zur Winters
zeit 90.
Ein Marder frag bie Hühner gern 262.
Ein Mönch in Heiner Zelle 246. ,
Ein neuer Don Quixote zieht er bahin
264.
Ein DG3 ging auf bie Wieſe 227.
Ein Schiffer irrt durch Sturmesnacht
getrieben 12.
Eins die Göttin noch ſprach 180.
Eins if, was altergraue Zeiten Ich,
ren 79.
Einft auf beufelben Bänten 230.
Ein Theil bed Schönheitsſinns 183.
Ein Thor, wer ber Thorheit wider⸗
firebt 192.
Ein umgelehrter Talleyrand 162,
Ein Wundermann, der Welt, bes
Zebens fatt 176.
Ei, wer ſchilt die Jugend euch 83.
Er ift verwundet, tragt ihn aus ber
Schlacht 119.
Er fieht am Geflabe der Poefie 227,
Es geht ein Mann mit raſchem Schritt
180.
Es gibt nun bald fein Tiefſtes mehr
268.
20
306
Es ſpukt! Gin Doppelgänger 190.
Es ftelt fi) gar jo heimiſch dar 223.
Es war ein Hirt, milb wie die Gottes⸗
gabe 148. "
Es war einmal ein Mann 261.
Es waren, wie euch wohlbelannt 258.
Euch kann mein Lieb, ich fühl's 218.
Fahrt ihr im Wirklih-Wahren fort
225.
Fern im prangenden Rom 277.
Fernüber burch die Berge 46.
Flackernd erſcheint ihr im Sturm 219.
Fragſt bu mich, wie er heißt 46..
Fragt ihr mid, was das Schöne jei
232, x
Frau Poeſie war frank 218.
Freiheitsverſe herzubeten 229.
Frei in unendlicher Kraft 94.
Freund Amor, ſag, was ficht dich an
278.
Freundlich ſei mir gegrüßt 220.
Gabſt du ſchon auf bie Poefle 84.
Gar Mande tragen nach der Kunft
Verlangen 302.
Gelobt fei Gott! Die Stund ift da 18.
Genoſſen, macht ein ernft Gefiht 181.
Gern mißte den Orden ber Barde 101.
Gern möchtet ihr euch, ihr frommen
Deutſchen 226.
Geſteh' dir's felbft, haft bu gefehlt 95.
Gewinnſucht und Eitelkeit 97.
Glaubſt du, man konne Loften vom
Gemeinen 97.
Gleich dem ſchaffenden Geiſt 219.
Gleicher Stamm erkennt ſich wieder 276,
Gleich und gleich gefellt fih gern 97.
Slüd auf, mein Felbherr, führe ben
Streih 147.
Glücklich der Menfch, der fremde Größe
fühlt 172.
Golden, filbern, eifern, ebern 252.
Goldenthronende Aphrobite 12.
Goldmacher find verrufen ſchier 255.
Gott fagte: Nein 99.
.„- - n
Alphabetiiches Verzeichniß
Grazie hätteft bu 189.
Grunbjäge, Freund, Principien 141.
Sab ih mich nicht losgeriffen 6.
Halt dich entfernt 97.
Salt ein, Unfelige! Salt ein 28.
Hans ſoll fi des Schlagens ent⸗
Balten 164.
Harter Winter, fireng und rauf 39.
Haft du vom Kahlenberg 102.
Haft einmal wieder geftürmt 21.
Herrlich nehmt ihr euch aus 220.
Hier iſt die wahre Republik 265.
Hier liegt, für feinen Ruhm zu ſpät 141.
Hier ſend' ih bir, was bu mir haft
geliehen 4.
Sier fig’ ich mit läfjigen Händen 62.
Hoch und erhaben ſteht bes Lebens
Baum 156.
Homdopathiſch Heißt bie Kur 188.
Hör’ ich den Weltgeift euch eitiren 159.
Hör’ und Gott, wenn wir rufen 288.
Humor, Humor, wer fagt mir, was
das iſt 131.
Hylas, Hylas, ruft ber Alcide 249.
Ich fühle wohl meine Sünden 100.
Ich führe den Pflug in dem leeren
Gelb 102.
Ich gehe mit meinem Kober 258.
Ich grüße dich, du Land ber eifgen
Steppen 117.
Ich hab’ fie gejehen 296.
Ich Iag im grünen Laubgezelt 48.
Ich jähe, glaubt ihr, auf Beetbonen
ſchief 191.
IH ſah einen Rubel Gafjenbuben 280.
Ich ſtehe im Kreis der Intriguen 140.
Ich weiß ein allgewaltig Wort 140.
Ich will ift ein gewichtig Wort 99.
Ihr freut euh nur der lauten Kata⸗
ralte 177.
Ihr habt die Romantik überwunden
225.
Ihr Herrn und Frauen, laft euch
ſagen 162.
«
der Anfangsworte von Grillparzers fämmtligen Gedihten. 307
Shr, meine Freunde vom beutfchen
Zand 268.
Ihr nennt euch alteonfervativ 161.
Ihr nennt mich alt? — Ich bin nicht
jung 160.
Ihr ſeid Minifter 161.
Shr ſeid verfammelt hier und ſeid ges
fpannt 186.
Ihr forgt für unfern beſſern Theil 137.
Ihr wollt denn wirklich deutfche Poefie
208.
Im Holden Mond der Maien 68.
Am Schatten deiner Wimpern 6.
Im Schenten ohne Maß 272.
In ber Kunft fowie im Glauben 232.
In biefer Zeit, wo Jeder will 182.
In eined alten Thurmes Schacht 196.
In hoher Politik zwei wichtige Dinger
141.
In Weimar var einft der Mufen Chor
266.
In Wien erfholl der Freiheit Ruf
158.
SR denn bein Baterland nicht ſchön
136,
Iſt der Berſtand doch ewig Eins 224,
Iſt gleich, ſeit ich dich kenne 280.
Sieber Irrthum hat drei Stufen 96.
Jent, da ich's beſtanden babe 37.
Jetzt im Mai ſchreib' ich dir dieſes
281.
Jugend halte bir die Schale 272.
ung war ih aus der Heimath fort-
gesögen 78.
Kam zurüd bie Luft, gu ſchweifen 61.
Kaum ging auf der bunte Vorhang
245. -
Kehrſt du na Weimar wieber 221.
Kennt ihr die Sängrin des Hains 188.
Komm, Muje, ber, du ſollſt mir vor
das Boll 202.
Kommſt bu von Weimar, dem Ichönen
Drt 276.
Kummer, nimm erft Geſtalt 94,
Runftbefliffen und unverzagt 16.
Lächelſt bu mir durch bie Zweige 44.
Zaß dir bie Kunft der Garten fein 281.
Laß fie fih brüften mit erzwungenen
Gaben 190.
Laßt mich berab von biefer hohen
Stelle 122.
Laßt mich mit eurem Publikum 134.
Lebet wohl, ihr guten Mufen 293.
Leb wohl, bu ſtolze Kaiſerſtadt 125,
Leb wohl, Geliebte, ich muß fcheiden
80.
Lern erft, was Freiheit will zu Recht
bedeuten 159.
Zope einft de Vega Garpio 188.
Macht eu erfi von ber Freiheit frei
265.
Mädchen, wilft du mir gehören 7.
Mag dein Schmerz fi roh entladen
17.
Mag noch ein Lieb in dieſer Zeit er»
tönen 113.
Malet Teine tobten Bilder 64.
Man ertennt ganz wohl die Krank⸗
beit der Zeit 168.
Man fragt, ob ihr denn Deutſche fetb
138.
Man hört mit dem Ohr 189.
Man fagt, die Dichter fingen 188.
Man jagt, du verachteft die Melodie
192.
Mars und Amor, beide Krieger 278,
Mein Kummer tft mein Eigenthum 67.
Mein Wiſſen iſt gegen ba3 eure ein
Kind 98.
Mit Alpenliebern treibe deinen Scherz
190.
Mit Gott ftand id fonft nit gar
gut 16%.
Mit Mittelhochdeutſch und Volkspoeſie
226.
Möglih, daß du uns lehrſt 269.
Monden und Jahre vergehn 277.
Mozart darbte! Thalberg, Liszt 191.
308
Nachahmer ſchilt das Ausland ung 224.
Nachdem er vereint mit Gleichen ſchon
183.
Nachtigall, Flöte nicht mehr 189.
Naht umhüllt 1. ;
Napoleon des Friedens 266.
Nebenbuhler mir zu weden 134.
Nennt fi modern das Lumpenpack 229.
Richt, ald wär’ gar fo hoch mein Sinn
96.
Nichts, was nur echt hiſtoriſch iſt 139.
Noch eine Vorſchrift nenn’ ich 231.
Noch ſtürmt der Beifall 190.
Nu, nu! Was wilft du 51,
Nun wohl, ed warb euch dargebracht
178.
Nur einmal zögert’s 64.
Nur überbieten wollen fie 269.
Nur weiter geht ihr tolle Treiben 274.
Ob ber Schritt der richt’ge fei 231.
DB die Rechnung richtig fei 281.
Db er ver Zweite, der Drittegar 265.
Ob ihr weiter gebracht bie Voefle 225.
Ob ſchlecht das Bild 274.
D5’3 mir gefällt, ob nicht gefällt 191.
D Gott, laß dich herbei 264.
Ohne Geld und ohne Sorgen «.
D Hügel, fanft von Steinen aufges
ſchichtet 34.
D, ihr kunſthiſtoriſches Gelichter 192.
Defterreih das Schilb und Preußen
das Schwert 168.
Philofophie und Poeſie 267.
Piſang mit ben breiten Blättern 47.
Preßfreibeit fteht dort oben an 189.
Negellos fcheltet ihr mich 128,
Rings umhült von dichten Biveigen
241.
Rubini, Malibran, Fodor, Lablache
189.
Rüprt die Eymbel, ſchlagt bie Saiten
242.
Sage, was ftört deine Ruh 220.
Schatten find des Lebens Güter 17,
Alphabetiſches Verzeichniß
Schilt mich nicht arbeitsſchen und
träge 51.
Schmäht, ſoviel euch beliebt 129.
Schon einft Boltaire var auf ber
Spur 182.
Schöner und fchöner 19.
Schon früh ber Heimath Muttergrund
enthoben 277.
Schubert heiß ich, Schubert bin ich 175.
Schwarz ihre Brauen 5.
Schwarz und gelb, wie id, bu jelber
265.
Schwing did auf, Adler, zu Mimerz
Born 49.
Seht mir doch bie blanfen Rinder 257.
Seid gegrüßt, ihr heil'gen Trilmmer
22.
Seid ihr fo arm in eurem eignen
Haus 207.
Seid ihr Horaudgegangen 17.
Sei krank! ſcholl dir der Körper Fluch
280.
Sei mir gegrüßt, mein Defterreich 145.
Sei mir gegrüßt, o Königin 288.
Seit ich von dir gefoftet 16.
Siehft bu der Saaten 6.
Sieh, wie fi die Blumen freun 54.
Sie nennen dich die Nachtigall 178.
Sie fagen fi, bag ein Minifter ſchied
154.
Sie fehn die Fluth den Schlamm von
Grund ans milden 160.
Sie find ber höchſten Ideen voll 228.
'S iſt Alles, jagt ihr, nur geſchehn
160.
So bift du denn gefallen, Stabt ber
Ehre 113.
Sp bift das endlich Hingegangen 174.
So bift du Hingegangen, armer Mann
211.
So bift bu nicht mehr unter uns 109,
So ift denn bein Bergangnes tobt 162.
So ift bir erlofchen der Muſen Gunſt
187,
der Anfangsworte von Grillparzers ſämmilichen Gedichten.
So lang bie Ideen geordnet und flät
224.
So laß uns ſcheiden denn, thut’3 noth
3u ſcheiden 65.
Sorgfam beſchaut vi und prüft 189.
So fanft, fo ſtill, ald wir dich bier
gefunden 279.
So ftehft bu ſtill, du unruhvolles
Sera 107.
Eo wäre denn dad Nibelungenlieb 226.
So wilR du bi der Kunft entziehen
264.
Statt Philofophie ber Mythologie a60.
Stil faß fie dal die Lieblichfte von
Allen 40.
Zapferer Winfelried 219.
Thespis' alte Kunft ift Kin 134.
Thun fi des Theaters Pforten auf
231. "
Tontunft, dich preif’ ich vor allen 1607.
Tonkunſt, die vielberebte 188.
Trog allem Bemühn eurer Bühnen
beratber 224.
Ueberall folgft du mir nach 180.
Ueber des Bettes Haupt 235,
Und fragft du mid, wo der Brunnen
ſei 226.
Und ob er mitunter kanzleihaft ſpricht
220.
Und tränkſt bu heute Götterwein 97.
Und mwißt ihr auf, was Romantik
heißt 225.
Verlieren und Haben 96.
Bernommen habt ihr die gewolt’gen
Töne 1883.
Vertreibt die Phantafie 225.
Bier arme Saiten — es Hingt wie
Scherz 188.
Bom Himmel träuft herab 280.
Vom Schidfal hieltft du dich erforen
162%.
Bon Jedem etwas und vom Ganzen
nichts 267.
Bon feiner ewigen Berge Spitzen 299,
309
Bormärzlich ift der Februar 161.
Wähnft du denn ungeflraft 129.
Wahrheit nennt ihr fein Spiel 189.
Wanken dir die matten Füße 298.
Rär’ er fo tief 222.
War's nit genug an Sournaliften
100. ,
Wärſt du fo gut, ala ſchön du bift
vor Vielen 68.
Barum gibft deine Werke 137.
Barum zu ihrem Slauben 137.
Was du haben folft 279.
Bas folgft du mir auf jedem Schritt
68.
Was frag’ ih viel nah Norb und
Süd 275.
Was gebt ihr der Regierung Schuld
139.
Was hängt ihr eu an mich 96,
Was je ein Land, geugt unfres wohl
181.
Was mahft du, Freund, fo viel
Speltatel 270.
Was mir an deinem Syſtem am Beflen
gefält 269.
Was nennt ihr nicht von Chriftus
euch 188.
Was ſchiltſt bu mich? Und wenn auch
noch ſo leife 54.
Bas Ihmüdt ihr euch, ihr alter
grauen Hallen 167.
Was fegt ihr ihnen Bilder von Stein
221.
Bas ſoll ich in eurer Mitte 98.
Was tief gedacht und wahr gefühl
222.
Was wundert ihr euch, daß er Wun⸗
der thut 275.
Was ziehft du trübe Geſichter 81.
Weil die Welt ein Wunber ift 225.
Beiland Alerander dem Großen 92,
Weil mich Gefelligfeit 101.
Beil fie mit Werken ſchwanger find
228.
21
310
Welh’ Merkmal trägt die heut’ge
Melt 271.
Denn bein Tanz daB Herz befehdet
278.
Wenn ver Humor ber Scherz des
Ernites iſt 131.
Wenn der PBriefter opfern geht 230.
Wenn ber Vogel fingen will 88.
Wenn bed Kindes Drgane fertig find
231.
Wenn dich die Dichtlunft fchaffen heißt
215.
Denn did Glück und Freunde fliehen
80.
Wenn bu die Liebe fchon gefannt 7.
Wenn Einer feinften Marmor nähm
281.
Wenn er herabzieht, was von oben
ftammt 188,
Wenn ihr aus ber Gefihichte Gott
ftubirt 271.
Wenn im Lenz bie Bäume Inofpen 205,
Wenn man dich Engel nennt 6.
Wenn ſich der Untergang auf Staat
und Haus gerüftet 126.
Denn ftarle Winde wehen 91.
Wen wählen wir an Goethes Statt
287.
Ber bift du, die in meines Herzens
Tiefen 287.
Wer jemals unrecht bir getban 96.
Wer Liebe fingt und Wein 229.
Wer viel verichenten will 274.
Wie ähnlich Beide, zeigt er wohl⸗
gefinnt 221.
Wie Alles fich dir zur Abficht eint 227.
Wie bift du fchaurig 63.
Wie die Knofpen fchivellend bligen 14.
Wie dort an Dante’8 Schauerorte 264.
Wie oft ich gefehlt 273.
Alphabetifches Verzeichniß.
Wie paffend fchmüdt dich der Lilien
Bier 135.
Wie fhön fie war! die Drüuuli
blonden Flechten 10.
Wie find die Gedichte fo klaſſiſch 223.
Wie viel, im Reich des Geiſtes gar 216.
Wie weit verbreitet find bed Wohl⸗
thuns Triebe 132.
Wie wirb mir denn fo weh und bang 35.
Will der Gefang ind Innere gehn 189.
Wil eine Meinung dich gewinnen 146.
Willſt die Befcheidenbeit 94,
Willſt du Dich öffentlich entkleiden 223.
Billft du, ich fol Hütten bau'n 8.
Willſt du, Seele, nicht mehr blühen 90.
Willſt feinen Werth bu ſchildern 223.
Will unfre Beit mich beftteiten 102.
Wir Künftler, bu und ich vielleicht 91.
Wir ſahen andere Zeiten 277.
Wo du ſtehſt im Kreis der Weſen 273.
Wohlan! werft um, reißt ein 150.
Wohl erblidt’ er’3 vom Berg 220.
Wohl, müder Staatsmann, weide bich
. 141.
Wo ih bin, fern und nah 42,
Volt ihr Freibeitägluth kuriren 229.
Wollt ihr mit andern Künſilern fie
vergleichen 191.
Bögernder Fabius 263.
Bögernd, ftille 241.
Zu Aeſops Zeiten ſprachen die Thiere
259.
Zu Mitternadt in Habsburgs alten
Mauern 109.
Zwei Schröder, Frau und Mann 276.
Zwei Friedrich der Einzige 266.
Zwei Könige, vom Weltgeift nicht
verborben 266.
Zwei Leben lebt der Dienih 95.
Zwilingsfinder Eined Stengeld 46.
—209300——
Grillparzers
Sämmtliche Werke
in zehn Bänden.
Dritte Ausgabe,
Sweiter Band.
Stuttgart.
Derlag der I. G. Eotta’fhen Buchhandlung.
1878.
Bucdruderei der 3. ©. Cotta'ſchen Buchhandlung in Gtuttgait.
Bie Ahnfren.
Irxrzertgiel in Frıd Nationen
Berfonen.
Graf Zdenko von Borotin.
Bertha, feine Tochter.
Jaromir.
Boleslav.
Günther, Kaſtellan.
Ein Hauptmann.
Ein Soldat.
Mehrere Soldaten und Diener.
Die Ahnfrau des Hauſes Borotin.
I«
Erſter Aufzug
— —
Gothiſche Halle. Im Hintergrunde zwei Thüren. An beiden
Seitenwänden, links und rechts, ebenfalls eine Thüre. An einer
Couliſſe des Vordergrundes hängt ein verroſteter Dolch in feiner
Scheide. Später Winterabend. Licht auf dem Tiſche.
Graf Borotin. Bertha.
Der Graf
(am Tifche figend und auf einen Brief hinftarrend, ben er in beiden
Händen hält). .
Nun, wohlan! was muß, geſchehe!
Fallen ſeh' ich Zweig’ auf Zmeige,
Raum no hält der morfhe Stamm;
Noch ein Schlag, jo fällt auch diefer,
Und im Staube liegt die Eiche,
Die die reichen Segensäſte
Weit gebreitet rings umher.
Die Jahrhunderte gejehen
Werden, wahjen und vergehen,
Wird vergehen jo wie fie;
Keine Spur wird übrig bleiben,
Mas die Väter auch gethan,
Wie gerungen, wie geftrebt,
Kaum daß fünfzig Jahr verfließen,
6 Die Ahnfran,
Wird kein Enkel mehr es wiſſen,
Daß ein Borotin gelebt.
Bertha (am Fenfter).
Eine graufe Nacht, mein Vater!
Kalt und dunkel wie das Grab.
Losgerißne Winde wimmern
Durch die Luft, gleih Nachtgefpenitern ;
Schnee, fo weit das Auge trägt,
Auf den Hügeln, auf den Bergen,
Auf den Bäumen, auf den Feldern;
Wie ein Todter liegt die Erde
In des Winters Leichentuch;
Und der Himmel, fternelos,
Starrt aus leeren Augenhöhlen
In das ungeheure Grab
Schwarz herab!
Graf.
Wie fi doch die Stunden dehnen!
Mas ift wohl die Glode, Bertha?
Bertha
(vom Fenfter zurückkommend und ſich dem Vater gegenüber zur Arbeit
ſetzend).
Sieben Uhr hat's kaum geſchlagen.
Graf.
Sieben? Und ſchon dunkle Nacht! —
Ach, das Jahr iſt alt geworden,
Kürzer werden ſeine Tage,
Starrend ſtocken ſeine Pulſe,
Und es wankt dem Grabe zu.
Bertha.
Ei, kommt doch der holde Mai,
Wo das Feld ſich kleidet neu,
Mo die Lüfte ſanfter wehen
Und die Blumen auferftehen.
Erſter Aufzug.
Graf.
Wohl wird fi das Jahr erneuen,
Diefe Felder werden grünen,
Diefe Bäche werden fließen,
Und die Blume, die jegt welket,
Wird vom langen Schlaf erwachen
Und das Kinderhaupt erheben
Bon dem weißen, weichen Kiffen,
Deffnen ihre Karen Augen,
Freundlich lächelnd, mie zuvor.
Jeder Baum, der jet im Sturme
Seine nadten, dürren Arme
Hülfeflehend ftredt zum Himmel,
Wird mit neuem Grün fi) Heiden.
Alles, was nur lebt und mwebt
In dem Haufe der Natur, .
Weit umher, in Wald und Flur,
Wird ih frifchen Lebens freuen,
Wird im Lenze fih erneuen;
Nie erneut fih Borotin!
Bertha.
hr feid traurig, lieber Vater!
Graf.
Glücklich, glüdlih nenn’ ich Den,
Dem des Dafeins letzte Stunde
Schlägt in feiner Kinder Mitte.
Solches Scheiden heißt nicht Sterben,
Denn er lebt im Angedenlen,
Lebt in feines Wirkens Früchten,
Lebt in feiner Kinder Thaten,
Lebt in feiner Entel Mund.
O, es ift fo Schön, beim Scheiden
Seines Wirkens ausgeftreuten Samen
Lieben Händen zu vertraun,
Die ver Pflanze forglich warten
Die Ahnfrau.
‚Und die fpäte Frucht genießen,
Sm Genufje doppelt fühlend
Den Genuß und das Geſchenk.
O, es ift fo füß, jo labend,
Das, was ung die Väter gaben,
Seinen Kindern hinzugeben
Und fi felbft zu überleben!
Bertha.
Ueber diejen böfen Brief!
Ihr wart erſt fo heiter, Vater,
Schienet feiner Euch zu freuen,
Und nun, da Yhr ihn gelejen,
Seid mit Eins Ihr umgeftimmt.
Graf.
Ah, es ift nicht dieſes Schreiben —
Seinen Inhalt konnt’ ih ahnen —
Nein, es ift die Ueberzeugung,
Die fih immer mehr bewährt:
Daß das Schidjal hat beichloffen,
Bon der Erde auszuftoßen
Das Geſchlecht der Borotin.
Sieh, man fohreibt mir, daß ein Better,
Den ih Taum Einmal gejehen,
Der der Einz'ge außer mir
Don dem Namen unfers Haufe,
Kinderlos, ein welker Greig,
Gählings über Nacht geftorben ;
Und fo bin ich denn der Letzte
Bon dem hochberühmten Stamme,
Der mit mir zugleich erlifcht.
Ah! fein Sohn folgt meiner Bahre;
Trauernd wird der Leichenherold
Meines Haufes Wappenſchild,
Oft gezeigt im Schlachtgefild,
Und den mwohlgebraudhten Degen
Erfter Aufzug.
Mir nad in die Grube legen. —
Es geht eine alte Sage,
Fortgepflanzt von Mund zu, Mund,
Daß die Ahnfrau unfers Haufes,
Ob begangner ſchwerer Thaten
Mandeln müffe ohne Ruh,
Bis der lebte Zweig de3 Stammes,
Den fie felber hat gegründet,
Ausgerottet von der Erde,
Nun wohlan, fie mag fi freuen,
Denn ihr Ziel ift nicht mehr fern!
Faſt möcht’ ih das Märchen glauben,
Denn fürwahr, ein mächt'ger Yinger
Mar bemüht bei unferm Fall. —
Kräftig ftand ich, herrlich blühend,
In der Mitte dreier Brüder;
Alle raubte fie der Tod!
Und ein Weib führt! ich nah Haufe,
Schön und gut und hold wie du.
Hochbeglüdt war unfre Ehe,
Und ein Knabe und ein Mädchen
Sproßten aus dem trauten Bund.
Bald wart ihr mein einz’ger Troft,
Meine einz'ge Lebensfreude,
Denn mein Weib ging ein zu Oott.
Sorgfam, wie mein Augenlicht,
Wahrte ich die theuern Pfänder,
Doh umfonft! Vergeblich Streben!
Welche Klugheit, welche Macht
+ Mag das Opfer wohl erhalten,
Das die finfteren Gemalten
Ziehen wollen in die Nacht?
Kaum drei Jahre war der Knabe,
ALS er, in dem Garten fpielend,
Die Ahnfrau.
u Bon der Wärtrin ſich verlief.
Dffen Stand die Gartenthüre,
Die zum nahen Weiher führt.
Immer fonft war fie gejchloflen,
Eben damals jtand fie offen, —
(bitter)
Hätt’ ihn ſonſt der Streih getroffen !
Ach! ich jehe deine Thränen
Treu fi fchließen an die ‚meinen,
Weißt du etwa ſchon den Ausgang?
Ah, ih armer, ſchwacher Mann
Habe dir wohl oft erzählet
Die alltägliche Geſchichte.
Was iſt's weiter? — Er ertrant;
Gind doch Manche ſchon ertrunfen !
Daß es jujt mein Sohn gewefen,
Meine ganze, einz'ge Hoffnung,
Meines Alter3 legter Stab,
Mas kann's helfen! — Er ertrank;
Und ich fterbe kinderlos!
Bertha.
Lieber Vater!
Graf.
Ich verjtebe
Deiner Liebe fanften Vorwurf.
Kinderlos konnt' ih mich nennen,
Und ich habe di, du Treue!
Ach, verzeih dem reihen Manne,
Der fein Habe halb verloren
In des Unglüds hartem Sturm
Und nun mit der reihen Hälfte,
Lang an Ueberfluß gemöhnet,
Sich für einen Bettler hält.
Ah, verzeih, wenn das Berlorne
In fo hellem Lichte glüht,
Eriter Aufzug. 11
Iſt doch der Verluft ein Blisftrahl,
Der verklärt, was er entzieht!
Sa, fürwahr, ib handle unredt!
Sit mein Name denn das Höchſte?
Leb' ih nur für meinen Stamm?
Mag ich Talt das Opfer nehmen,
Das du mit der Jugend Freuden,
Mit des Lebens Glüd mir bringft?
Meines Dafeins lebte Tage
Seien deinem Glüd geweiht.
Na, an eines Gatten Geite,
Der dich liebt, ber dich verdient,
Werde dir ein andrer Name
Und mit ihm ein andres Glück!
Mähle von des Landes Söhnen
Frei den fünftigen Gemahl,
Denn dein Werth verbirgt mir deine Wahl.
Wie, du feufzeft? — Haft wohl ſchon gemählet?
Jener Jüngling? — Idromir —
Jaromir von Eſchen, denk' ich.
Iſt's nicht alſo?
Bertha.
Wag' ih es?
Graf.
Glaubteſt du, dem Vaterauge
Bleib' ein Wölkchen nur verborgen,
Das an deinem Himmel hängt?
Sollt' ich gleich wohl eher fchelten,
Daß ich erit errathen muß,
Mas ich längſt ſchon willen follte;
Mar ich je ein ‚harter Vater,
Biſt du nicht mein theures Kind?
Edel nennft du fein Geſchlecht,
Edel nennt ihn feine That;
Bring ihn mir, ih will ihn kennen,
12
Die Ahnfrau.
Und befteht er auf der Probe,
So fann Manches noch gejchehn.
Fallen glei die weiten Lehen
Als erlofhen heim dem Thron,
Ein beſcheidnes 2003 zu gründen,
Hat noch Borotin genug.
Bertha.
O, nie fol ih —
" Graf.
Mir nicht danke!
Zahl’ ih doch nur alte Schulben.
Kann ich's fpärlidher dir lohnen?
Haft nicht du's um mich verdient,
Hat nit er's, der wadre Mann?
Denn er war's doch, der im Walde
Dir das Leben einft gerettet,
Und mit eigener Gefahr?
Iſt's nicht alſo, liebe Tochter?
Bertha.
D, mit augenfcheinliher Gefahr!
Hab’ ich's Euch doch ſchon erzählet,
Wie in einer Sommernacht
Ich dort in dem nahen Walde
Mich luſtwandelnd einſt erging
Und, vom Schmeichelhauch der Lüfte,
Von dem Duft der tauſend Blüthen
Eingelullt in ſüß' Vergeſſen,
Weiter ging als je zuvor.
Wie mit Einmal durch die Nacht
Einer Laute Klang erwacht,
Klagend, ſtöhnend, Mitleid flehend,
Mit der Tonkunſt ganzer Macht,
Girrend bald gleich zarten Tauben
Durch die dichtverſchlungnen Lauben,
Bald mit langgedehntem Schall
Eriter Aufzug.
Lockend glei der Nachtigall,
Daß die Lüfte ſchweigend horchten
Und dad Laub der regen Espe
Seine Regfamleit vergaß.
Wie ih jo da fteh’ und Taufche,
Ganz in Wehmuth aufgelöst,
Fühl' ih mich mit Eins ergriffen,
Und zwei Männer, angethan
Mit des Mordes blut’ger Farbe,
Mit vem Dolch den Augen dräuend,
Seh’ ih gräßli neben mir.
Schon erheben fie die Dolche,
Schon glaub’ ih, die Todeswunde,
Schreiend, in der Bruft zu fühlen:
Da theilt ſchnell fih das Gebüfche,
Reißend fpringt ein junger Mann,
Hoch den Degen in der Rechten,
In der Linken eine Laute,
Auf die bleihen Mörder zu:
Wie er ihnen obgefieget,
Wie er, einzeln, fie bezmang,
Wie die kühne That gelang,
Weib ih nicht. In ftarre Ohnmacht
War ich zagend hingeſunken.
Ich erwacht' in feinen Armen,
Und zum Leben neu geboren,
Unbehülflich, ſchwach und duldend
Wie ein Kind am Mutterbuſen,
Hing ich an des Theuren Lippen,
Seine heißen Küſſe trinkend. —
Und, mein Vater, für Das alles,
Was er erſt für mich gethan,
Konnt' ich wen'ger, als ihn lieben?
Graf.
Und ihr ſaht euch öfter? —
13
14
Die Ahnfrau.
Bertha.
Zufall
Ließ mich drauf ihn wieder finden;
Bald — nicht bloß der Zufall mehr.
Graf.
Warum flieht er deines Vaters,
Seine3 Freundes, Angeficht?
Bertha.
Obgleich edlem Stamm entfproffen ,.
Nur des Haufes edler Stolz,
Nicht fein Gut, fam auf den Erben.
Arm und dürftig, mie er ift,
Fürchtet er, hört! ich ihn fagen,
Daß der reihe Borotin
Andern Lohn für feine Tochter,
Als die Tochter felber, zahle,
Graf.
Ich weiß Evelmuth zu ehren,
Wenn er fih und Andre ehrt.
Bring. ihn mir, er foll erfahren,
Daß dem reihen Borotin
Er fein reichites Gut erhalten,
Soll erfahren, daß dein Vater
Für das Gold der ganzen Welt
Dih nicht für bezahlet hält —
Doch jest, Bertha, nimm die Harfe
Und verfuh es, meinen Kummer
Um ein Stündchen zu betrügen.
Spiel’ ein wenig, liebe Tochter!
(Bertha nimmt die Harfe. Bald nad ben erften Allorben nidt ber Alte
und fhlummert ein. Sobald er ſchläft, ſtelt Bertha die Harfe weg.)
Bertha.
Schlummre ruhig, guter Vater!
Daß doch all vie füßen Blumen,
Die du. ftreuft auf meinen Pfad,
| Erſter Aufzug. 15
Dir zum Kranze werden möchten
Auf dein forgenfchweres Haupt. —
Sch fol alfo ihm gehören,
Mein ihn nennen, wirklich mein?
Und das Glüd, das ſchon ald Hoffnung
Mir der Güter größtes fchien, .
Gießt in freudiger Erfüllung
Mir fein ſchwellend Füllhorn hin.
Ich kann's nicht faflen,
Mich felber nicht faflen;
Alles zeigt mir und fpriht mir nur ihn,
Den Wolfen, den Winden
Möcht' ich’3 verkünden,
Daß fie'3 verbreiten, fo weit fie nur ziehn.
Mir wird’3 zu enge
Sn dem Gebränge;
Fort auf den Söller, wie laftet da3 Haus!
Dort von den Stufen
Will ih e3 rufen
In die jchweigende Nacht hinaus.
Und naht der Treue,
Dem ich mich meihe,
Künd' ih ihm jubelnd das frohe Geſchick;
An feinem Munde
Preif’ ich die Stunde,
Preiſ' ih die Liebe, preif’ ih das Glück. an)
Pauſe.
Die Uhr ſchlägt die achte Stunde. Bei dem letzten Schlage verlöſchen die
Lichter; ein Windſtoß ſtreift durchs Gemach; der Sturm heult von außen,
und unter ſeltſamem Geräuſche erſcheint die Ahnfrau, Bertharn an
Geſtalt ganz ähnlich und in der Kleidung nur durch einen wallenden
Schleier unterſchieden, neben dem Stuhle des Schlafenden und beugt ſich
ſchmerzlich über ihn.
Graf (unruhig im Schlafe).
Fort von mir! — Fort! — Fort!
(Er erwadt.)
16 Die Ahnfrau,
Ah — bift du hier, meine Bertha?
Ei, das war ein ſchwerer Traum, .
Noch empört fih mir das Innre.
Geh doch nah der Harfe, Bertha,
Mich verlangt's, Mufif zu hören.
(Die Seftalt Hat fih aufgerichtet und flarrt ben Grafen mit weit⸗
geöffneten, tobten Augen an)
Graf (entiegt).
Was ftarrft du jo graß nad mir,
Daß das Herz im Männerbujen
Sih mit bangem Graufen menbet,
Und der Beine Mark gerinnt!
Meg den Blid! Von mir die Augen!
Alfo ſah ih dich im Traume,
Und noch ſiedet mein Gehirn.
Willſt du deinen Vater tödten?
(Die Geftalt wendet ſich ab und geht einige Schritte gegen die Thüre.)
Graf.
So! — Nun fenn’ ich felbjt mid) wieder. —
Wohin gehit du, Kind?
Ahnfrau
(wendet ſich an der Thüre um. Mit unbetonter Stimme).
e Nah Haufe. (%b.)
Der Graf
Kürzt niebergebonnert in ben Seſſel zurüd. Nach einer Weile),
Was war da3? — Hab’ ih geträumt? —
Sah ich fie nit vor mir ftehn,
Hört’ ih nicht die tobten Worte,
Suhl ih nicht mein Blut noch ftarren
Bon dem graflen, eif’gen Blid? —
Und doch, meine fanfte Tochter!
Heda, Bertha! Bertha!
Bertha und Kaftellan fommen.
Bertha (Hereinftürgenn).
Ad), was fehlt Euch, lieber Vater?
Erſter Aufzug. 17
Graf.
Bift vu dal Was fiht dich an?
Sprich, was iſt's, unkindlich Mädchen,
Daß du wie ein Nachtgeſpenſt
Durch die öden Säle wandelſt
Und mit ſeltſamem Beginnen
Lebensmüde Schläfer ſchreckſt?
Bertha.
Ich, mein Vater?
Graf.
Du, ja du!
Wie, du weißk nicht? Und noch haften
Deine ſtarren Leichenblicke
Mir, gleich Dolchen, in der Bruſt.
Bertha.
Meine Blide?
Graf.
Deine Blide!
Bieh nicht ftaunend auf die Augen!
Siehſt du, fo! — doch nein, viel ftarrer!
Starr? — die Sprade hat Fein Wort!
Blickſt du mich lieblofend an,
Um den Eindrud wegzumifchen
Jenes finitern Augenblids 3
AM umfonft! So lang ich lebe,
Wird das Schredbild vor mir ftehn,
Auf dem Todbett werd’ ich's fehn!
Scheint dein Blid gleih Mondenſchimmer
Ueber einer Abenplandfchaft,
D, ih weiß, er kann auch tödten!
Bertha.
Ach, mas hab’ ich denn begangen,
Das Euch alfo aufgeregt
Und Euch beißt die Augen fchelten,
Die, den Euern bang begegnend,
Grillparzer, Werke. 1. .9
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18
Die Ahnfranu.
Sih mit Wehmuthsthränen füllen.
Daß ich Euch im Schlaf verlaſſen,
Unbedachtſam fortgegangen —
Graf.
Daß du fortgingft? — Daß du hier warſt!
Bertha.
Daß ich hier mar?
‚Graf.
Standſt du nicht
Hier auf diefer, diefer Stelle,
Schießend deine falten Pfeile
Nah des grauen Vaters Bruft?
Bertha.
Als Ihr ſchliefet?
Graf.
Kurz erſt, jetzt erſt!
Bertha.
Eben komm’ ih von dem Göller.
Als der Schlummer Euch umfing,
Ging ih ſehnſuchtsvoll hinaus,
Nah dem Theuern umzuſchauen.
Graf.
Schändlich! — Mädchen, höhnft du mich?
Bertha.
Höhnen? — id, mein Vater? — ih?
(Mit überftrömenden Augen zu Glintber.)
Ah! fprih du! — Ih weiß nicht — kann nidtl
Günther.
Ya, fürwahr, mein gnäb’ger Herr,
Sa, das Fräulein fommt vom Söller;
Ich Stand bei ihr, und wir ſchauten
In die fohneeerhellte Gegend,
Ob fein Wanderer fih nahe.
Erſt, als Ihr fie gellend rieft,
Eilte fie mit mir herbei.
Erſter Aufzug. 19
Graf (aſch.
Und ih ſah —
Günther.
‘hr ſahet —?
Graf. -
Nichts!
Günther.
Ihr faht etwa —?
Graf.
Nichts! nichts, ſag' ich!
GVor fi Hin.)
Es ift klar, ich hab’ geträumt!
Wenn ſich gleih die Sinne fträuben,
Das Gedächtniß e3 verneint,
Doch iſt's fo, ich hab’ geträumt!
Kann der Schein ſich alſo hüllen
Ins Gewand der Wirklichkeit?
Diefe Hand feh’ ich nicht Harer,
Als ich jenes Bild gefehn!
Und doch, meine fanfte Bertha! —
Es ift Har, ich hab’ geträumt! — —
Mas ſtehſt du fo ferne, Bertha?
Haft bu feinen Vorwurf, Liebe,
Für den harten, rauhen Vater,
Der jo bitter dich gekränkt?
Ab, fo warſt du ſchon als Kind,
Zrugeft immerdar zugleih
Der Beleiv’gung herben Schmerz
Und das Unrecht des Beleid'gers.
Immer gut und immer jehuldlos,
Schienſt du ftet3 die Schulvige.
Bertha
(an jeiner Bruft).
Und bin ich nicht wirklich ſchuldig?
—
—
PER —
20
Die Ahnfrau.
Wenn aud nicht als Grund des Zornes,
Ah, doch als jein Gegenftanv.
Graf.
Du verzeihit mir aljo, Bertha?
Bertha.
Ihr habt wohl geträumt, mein Vater!
Es gibt gar lebend'ge Träume!
Oder diefer Halle Dunkel,
Matt vom Kerzenliht erhellt,
Täuſcht' in trügender Geitaltung
Euer jhlummertrunfnes Aug!
O, ich hab’ es oft erfahren,
Wie die Sinne, aufgeregt,
Stumpfe Diener unfrer Seele,
Gern für wahr und wirklich balten
Die verworrenen Geftalten,
Die der Geiſt in ſich bewegt.
Geftern nur, mein Vater, ging ich
In des Zwielichts mattem Strahl
Dur den alten Ahnenfaal.
In der Mitte hängt ein Spiegel
Halb erblindet und voll Fleden.
Wie ich ihn vorübergehe,
Bleib’ ih, meinen Anzug muſternd,
Bor dem matten Glafe ftehn.
Eben jent ih nah dem Gürtel
Nieder meine beiden Hände,
Da — Ihr werdet laden, Bater!
Und aud ich muß jegt fait lächeln
Meiner kindiſch ſchwachen Furcht;
Doch in jenem Augenblicke
Konnt' ich nur mit Schreck und Grauen
Das verzerrte Wahnbild ſchauen —
Wie ich ſenke meine Hände,
| Erfier Aufzug. 21
Um den Gürtel anzuziehn,
Da erhebt mein Bild im Spiegel
Seine Hände an dad Haupt,
Und mit ftarrendem Entſetzen
Seh’ ich in dem dunkeln Glafe
Meine Züge fi) verzerren.
Immer find es noch diejelben,
Und doch anders, furchtbar anders,
Und mir felbft nicht ähnlicher
Als ein. Lebenv’ger feiner Leiche.
Weit reißt e3 bie Augen auf,
Starrt nah mir, und mit dem Finger
Droht es warnend gegen mid.
Günther. N
Weh, vie Ahnfrau!
Graf
(tie von einem plöglichen fchredlichen Gebanten ergriffen, vom Sefiel
auffpringenb).
Ahnfrau?!
Bertha Gerwundert).
Ahnfrau?
Günther.
Saht Ihr nie ihr Bild im Saale,
Euch fo ähnlich, gnäd'ges Fräulein,
Gleich als hättet Ihr dem Maler,
Lieblih wie Ihr ſeid, geſeſſen?
Bertha.
Oftmals hab’ ich's wohl geſehen,
Es mit Staunen mir betrachtet,
Und es war mir immer theuer
Wegen dieſer Aehnlichkeit.
Günther.
Und Ihr kennet nicht die Sage,
Die von Mund zu Munde geht?
22
Die Ahnfrau.
Bertha.
Schon als Kind hört' ich's erzählen,
Doch ein Märchen nennt's der Vater.
‚Günther.
Ah, er fühlt's zu dieſer Frift,
Mie er ſich's auch ſelbſt verhehle,
Fühlt's im Ziefiten feiner Seele,
Daß es mehr als Märchen ift.
Ya, die Ahnfrau Eures Haufes,
Jung und blühenn noch an Jahren,
Bertha, fo mie Ihr, geheißen,
Schön und reizend, fo wie hr,
Bon der Eltern Hand gezwungen
Zu verhaßter Ehe Bund,
Sie vergaß ob neuen Pflichten
Langgehegter Liebe nicht!
In den Armen ihres Buhlen
Meberfiel fie der Gemahl.
Dürftend, feine Schmach zu rächen,
Straft’ er felber das Verbrechen,
Stieß ins Herz ihr feinen Stahl,
Senen Stahl, den in der Blinde
Man dort aufgehangen bat,
Zum Gedächtniß ihrer Sünde,
Zum Gedächtniß feiner That.
Ruhe ward ihr nicht vergünnet,
Mandeln muß fie ohne Raſt,
Bis das Haus iſt ausgeſtorben,
Deſſen Mutter fie geweſen,
Big weit auf der Erde hin
Sich fein einz'ger Zweig mehr findet
Von dem Stamm, den fie gegründet,
Bon dem Stamm der Borotin.
Und wenn Unbeil drobt dem Haufe,
Sih Gewitter thürmen auf,
Erfter Aufzug. 23
Steigt fie aus der dunfeln alauſe
An die Oberwelt herauf.
Da fieht man fie klagend gehen,
Klagend, daß ihr Macht gebricht,
Denn fie kann's nur vorherjehen,
Ab e3 wenden fann fie nicht! '
Bertha.
Und das ift es —?
Günther.
Das ift Alles,
Mas ich hier zu fagen wage,
Wenn gleih all nicht, mas ich weiß,
Eines ift noch übrig, Eines,
Das des Hauſes ältre Diener,
Das der Gegend welfe Greife
Bang ih in die Ohren raunen,
Das der Sage heil'ger Mund,
Aus der Väter fernen Tagen '
In die Enfelwelt getragen —
Eines, das den Schlüſſel gibt
Bu fo mandem finftern Räthſel,
Das ob diefem Haufe brütet.
Aber wag’ ich e3 zu jagen
Hier an diefem, diefem Ort,
Mo noch kurz zupor der Schatten —
(Mit ſcheuen Bliden umberjehend, Bertha ſchmiegt fih an ihn und folgt
mit ihren Augen den feinigen.)
Runzelt Ihr die hohen Brauen,
Edler Herr? Ih kann nit anders!
Meinen Bufen will's zerbrechen,
Und e3 drängt mich's auszufprechen,
Beb' ich jelber gleich zurüd, —
Kommt hieher, mein Fräulein, hieher,
Und vernehmt und ftaunt und bebt.
Mit der Ahnfrau blut’ger Leiche
24
Die Ahnfrau.
Ward ver Sünde Keim begraben,
Aber nicht der Sünde Frudt.
Das Verbrechen, das des Gatten’
Blut’ger Racheſtahl beftraft,
War, wie jene Sage fpridt,
Wohl das legte ihres Lebens,
Aber, ab, ihr erites nicht.
Ihres Schooßes einz’ger Sohn,
Den Ihr unter Euern Ahnen,
Unter Euern Bätern zählt,
Der des mächt'gen Borotin
Leben, Gut und Namen erbte,
Er —
Graf.
Schweig!
Günther.
Es iſt ausgefprocden,
Er, dem Vater unbewußt,
War das Kind geheimer Luſt,
War das Kind verborgner Sünde!
Darum muß ſie klagend wallen
Durch die weiten, öden Hallen,
Die die Sünde einer Nacht
Auf ein fremd Geſchlecht gebracht.
Und in jedem Enkelkinde,
Das entiproßt aus ihrem Blut,
Hapt fie die vergangne Sünde,
Liebt fie die vergangne Gluth.
Alſo harret fie feit Jahren,
Wird noch harren Jahre lang
Auf des Hauſes Untergang ;
Und ob der fie gleich befreiet,
Hütet fie do jeden Streich,
Der dem Haupt der Lieben dräuet,
Den fie wünſcht und ſcheut zugleid.
Erfter Aufzug.
Darum wimmert e3 fo. Hläglich
In den halbverfallnen Gängen,
Darum pocht's in dunkler Naht —
(Entferntes Getöfe.)
Bertha.
Himmel!
Günther.
Weh uns!
Graf.
Mas ilt das?
(Das Getöfe wiederholt fi.)
Faſt gefährlich fcheint dein Wahnſinn,
Er ftedt auch Geſunde an.
An die Pforte wird gefchlagen,
Einlaß fordernd. Geh hinab
Und fieh zu, mas man begehtt.
(Günther ab.)
Bertha.
Bater, du fiehft bleih; iſt's Wahrheit,
Was der alte Mann da fpridt?
Graf.
Was iſt wahr, was ijt es nicht?
Laß und eignen Werthes freuen
Und nur eigne Sünden fcheuen.
Laß, wenn in der Ahnen Schaar
Jemals eine Schuld’ge war,
Alle andre Furcht entweichen,
Als die Furt, ihr je zu gleihen. —
Und jegt fomm, mein liebes Kind,
Führe mi nah meinem Zimmer.
Iſt's gleih noch nicht Schlafens Zeit,
Ruhe beifcht ver müde Körper,
Hat er doch in Einer Stunde
Mehr als manchen Tag gelebt.
(Ab mit Bertha.)
25
‘
26 Die Ahnfrau.
Baufe.
Dann ſtürzt wankend, mit verworrenem Haar und aufgeriffenem Wanıms,
einen zerbrochenen Degen in ber Rechten, Jaromir herein,
Jaromir (athemlos).
Bis hieher! — Ich kann nicht weiter!
Wankend brechen meine Kniee,
Es iſt aus! — Ich kann nicht weiter.
(Sinkt gebrochen auf den Seſſel Hin.)
Günther (nagtommen).
Sagt doch, Herr, iſt das wohl Sitte,
Ginzudringen fo ins Haus,
Achtlos auf mein mahnend Wehren?
Spredt, was wollt Ihr? was begehrt hr?
Jaromir.
Ruhe! — Nur ein Stündchen Ruhe,
Nur ein kurzes Stündchen Ruhe.
Günther.
Was iſt Euch begegnet, Herr?
Woher kommt Ihr?
Jaromir.
Dort — vom Walde —
Wurde — wurde überfallen —
Günther.
Ah, man bört jo manches Unbeil
Bon den Räubern dort im Walde!
Wie bedaur' ih Euch, mein Herr!
Ah, verzeihet, wenn ich Anfangs,
Eure bange Halt mißdeutend
Und das Fremde Eures Eintritts,
Anders ſprach, al3 ich gefollt.
Wenn's Euch gut dünkt, folgt mir, Herr,
Nach den oberen Gemädern,
Do Euh würdig Speif’ und Trant
Und willkommne Lagerjtätte —
Erfter Aufzug. 27
Iarowir.
Nein, ih kann — ih mag nicht Schlafen!
Laß mich hier in diefem Stuhl,
Bis die Sinne fih gefammelt
Und ich wieder jelber bin.
(Er legt den Arm auf den Tiſch, und den Kopf daran.)
Günther.
Was foll ich mit ihm beginnen?
Ganz verwirrt hat ihn der Schred.
Bleib’ ich? geh’ ich? laſſ' ih ihn?
Ich will’3 nur dem Grafen melden,
Mag er felber doch empfangen
Seinen fonderbaren Gaft. (26,)
Jaromir.
Ha, er geht, er geht! — Was ſoll ich?
Sei es denn! — Nun Faſſung, Faſſung!
Der Graf und Günther kommen.
Günther.
Hier, mein gnäd'ger Herr, der Fremde!
“ Iaromir (fteht auf).
Graf.
Laßt Euch doch nicht ftören, Herr,
Und genießt der nöth’gen Ruhe.
Hoch willlommen jeid Ihr mir,
Doppelt werth, denn Euch enıpfiehlt
Eure Noth und Euer Selbſt.
Jaromir.
Mag mein Unfall mich entſchuld'gen,
Wo ich ſelbſt es nicht vermag.
Dort in jenem nahen Walde
Ward ich räubriſch überfallen.
Ich und meine beiden Diener
Wehrten lang uns ritterlich:
Aber wachſend ſtieg die Menge,
28 " Die Ahnfrau.
- Meine treuen Diener lagen
' Hingeftredt in ihrem Blut.
Da gewahr' ich meines Bortheilz,
Und ins dunkle Didiht fpringend,
Schnell die Räuber auf der Ferſe,
Sud’ ich fliehend zu entrinnen
Und da3 Freie zu gewinnen.
Gibt die Hoffnung ſchnelle Füße,
Leiht dafür das Schreden Flügel,
Bald gewinn’ ich einen Vorfprung,
Und beraus ins Freie tretend,
Blinkt mir Euer Schloß entgegen.
Gaſtfrei fchien’3 mich einzuladen,
Zögernd folgt’ ih — und bin bier.
Graf.
Halten wird Euch der Beliker,
Was fein Eigenthbum verfprad.
Was nur dieſes Haus vermag,
Sit das Eure, Euch zu Dienite.
Bertha (komm). 5,
Hört’ ih hier nicht jeine Stimme?
. Sa, er iſt's! — Mein Jaromir!
Jaromir.
Bertha!
(Er eilt auf fie zu; plötzlich hält er ein und tritt mit einer Berbeu⸗
gung zurüd.)
Graf.
Mär’ e8 etwa Diefer?
Bertha.
Ja, er iſt's, er iſt's, mein Vater!
Ja, er iſt's, der mich gerettet,
Ja, er iſt's, der theure Mann!
Graf.
Weht Euch nicht fo fremd zurüd,
Und willkomnh nit unter Fremden!
Erler Aufzug. 29
Schließt fie immer in die Arme,
Ihr habt Euch ein Recht erworben,
Ohne Euch mär’ fie geftorben,
Daß fie lebt, ift Euer Wer!
Wohl mir, daß mir warb vergönnt,
Den zu jehben, Dem zu danken,
Der mir meine legten Tage,
Mir mein Sterbebett verfchönt,
Mit dem Glüde mich verföhnt.
Komm an meine Bruft, du Theurer,
Lebensretter, Segengengel!
Könnt’ ich dankbar nur mein Leben
Für dich hin, du Outer, geben,
Wie du deines gabft für fiel
Iaromir.
Staunend fteh’ ih und beihämt —
Graf.
Du? An uns iſt's, fo zu ftehn,
ft doch unfer Dank fo menig,
Ah, und deine That fo viel!
Iaromir.
Viel? O, daß ich's fagen Tönnte,
Daß es Etwas mich gefoftet!
Daß ih eine Wunde trüge,
Gine Heine, Heine Narbe
Nur als Denkmal jener That!
Es Tränft tief, das Köftliche
Um ſo ſchlechten Preis zu Taufen!
Graf.
Ziert Beſcheidenheit den Jüngling,
Nicht verkenn' er ſeinen Werth!
Bertha.
Glaubt ihm nicht, o glaubt ihm nicht!
Er liebt, ſelber ſich zu ſchmähen,
Ich weiß das von lange her!
30
Die Ahnfrau.
Wie fo oft lag er vor mir,
Er, der Trefflihe, vor nıir,
Meine Kniee heiß umfallend,
Und mit fchmerzgebrocdhner Stimme
Rief er Hagend, mweinend aus:
Ich verdiene dich nicht, Bertha!
Gr nidt mid! er mih nidt! —
Iaromir.
Bertha!
Graf.
Wolltet Ihr wohl, daß fie minder
Des Geſchenkes Werth erlennte?
Trieb Euch gleih zu jener That
Nur des Herzens edles Streben,
Net zu thun und groß und gut;
Laßt uns glauben, laßt ung ſchmeicheln,
Daß auf uns, auf unfre Noth
Auch ein flücht'ger Blick gefallen,
Daß Zhr nit nur bloß beglüden,
Daß Ihr uns beglüden molltet.
Mer fih ganz dem Dank entzieht,
Der erniedrigt den Beſchenkten,
Freund, indem er fich erhebt!
Iaromir.
Mas erwidr ıh auf Das alles!
Wie ih bin, vom Kampf ermüdet,
Bon den Schreden dieſer Nacht,
Zaug’ ih wenig, zu beftehen
In der Großmuth edlem Wettftreit.
Graf.
Mußtet Shr mich erjt erinnern,
Daß Ahr müd und Rube dürſtend!
Bertha.
Ah, was ift ihm denn begegnet?
—— —
Erſter Aufzug. 31
Graf.
Das auf morgen, liebes Kind.
Bertha, komm und laß uns gehn.
Unſer Günther mag ihn weiſen s
In das köſtlichſte Gemach.
Dort umhülle tiefer Frieden
Mit der Segenshand den Müden,
Bis der ſpäte Morgen naht.
O, er hat ein weiches Kiſſen:
Ein noch unentweiht Gewiſſen,
Das Bewußtſein ſeiner That! —
So, noch dieſen Händedruck,
So, noch dieſen Segenskuß,
So, mein Sohn, jetzt geh zur Ruh!
Ein Engel drück das Aug dir zu!
Bertha
(den Alten abführenb).
Schlummre ruhig!
Jaromir.
Lebe wohl!
Bertha
(an der Thüre umwendend).
Gute Nacht denn!
Jaromir.
Gute Nacht!
(Graf und Bertba.ab.)
Günther.
So! nun kommt, mein wadrer Herr,
Ih will Euch zur Ruhe leiten.
Iaromir
(in den Borgrund tretend).
Nehmt mich auf, ihr Götter dieſes Haufes,
Nimm mid auf, du beil’ger Dirt,
Bon dem Lafter nie betreten,
Bon der Unjhuld Hauch durchweht.
32 Die Ahnfrau.
Unentweihte, reine Stelle, .
Werde, wie des Tempel Schwelle,
Mir zum heiligen Afyl! —
® Unerbittlich ftrenge Macht,
Ha, nur diefe, diefe Nacht,
Diefe Naht nur gönne mir,
Harte! und dann fteh’ ih dir!
(Mit Günther ab.)
Ende des erfien Aufzuges.
Zweiter Aufzug.
— —
Halle wie im vorigen Aufzuge. Dichtes Dunkel.
Jaromir ſtürzt herein.
Jaromir.
Iſt die Hölle losgelaſſen
Und knüpft ſich an meine Ferſen?
Grinſende Geſpenſter ſeh' ich
Vor mir, an mir, neben mir,
Und die Angſt mit Vampyr⸗Rüſſel
Saugt das Blut aus meinen Adern,
Aus dem Kopfe das Gehirn!
Daß ich dieſes Haus betreten!
Engel ſah ih an der Schwelle,
Und die Hölle
Haufet drin! —
Doch wo bin ich hingerathen,
Bon der innern Angit getrieben?
Iſt dieß nicht die würd'ge Halle,
Die den Kommenden empfing?
Hier des Alten Schlafgemad.
Still! die Schläfer nicht zu ftören |
Stille! Wenn fie würden innen
Hier mein feltfames Beginnen!
. (An des Grafen Gemach horchend.)
Orillparzer, Werle. I. 3
34 Die Ahnfrau,
Alles ſtille!
(An der Thüre zur linken Seite des Hintergrunbes.)
Welche Laute!
Süße Laute, die ich kenne,
Die ih einzufchlürfen brenne.
Horch! — hal — Worte! — Ad, fie betet!
Betet! Betet wohl für mid!
Habe Dank, du reine Seele!
(Horchend)
„Heiliger Engel, ſteh uns bei!“
Steh mir bei, du heil'ger Engel!
„Und beſchütz uns!“ — O, beſchütz uns!
Ja, beſchütz mich vor mir ſelber! —
O, du ſüßes, reines Weſen!
Nein, ih kann mich nicht mehr halten,
Ich muß hin, ih muß zu ihr.
Wil vor ihr mi niederftürzen
Und an ihrer reinen. Seite
Ruh und Frieden mir erflehn!
Ja, fie möge über mir
Wie ob einem Leichnam beten,
Und in ihres Athems Wehn
Wil ich heilig auferftehn!
(Er nähert fih ber Thilre; fie geht auf, und die Ahnfrau tritt heraus,
mit beiben Händen ernft ihn fortwintend.)
IJaromir.
Ad, da bift du ja, du Holde!
Ich bin’3, Theure, zürne nicht!
Wink' mich nicht fo Falt von dir,
Gönne dem gepreßten Herzen
Die jo lang entbehrte Luft,
An der engelreinen Bruft
Aus den bimmelflaren Augen
Troſt und Ruhe einzufaugen!
(Die Geftalt tritt aus ber Türe, bie fi Hinter ihr ſchließt, und winkt
noch einmal mit beiden Händen ihm Entfernung zu.)
Zweiter Aufzug. | 35
Iaromir.
Ich ſoll fort? Ich kann nicht, kann nicht!
Wie ich dich fo ſchön, fo reizend
Vor den trunknen Augen ſehe,
Reißt es mich in deine Nähe!
Ha, ich fühle, es wird Tag
In der Bruſt geheimſten Tiefen,
Und Gefühle, die noch ſchliefen,
Schütteln fih und werden wach. —
Kannft du mich fo leiden jehn?
Soll ih hier vor dir vergehn?
Laß dich rühren meinen Sammer,
Laß mid ein in deine Kammer!
Hat die Liebe je verwehrt,
Mas die Liebe heiß begehrt?
(Auf fie zueilend.)
Bertba! Meine Bertha!
(Wie er ſich ihr nähert, Hält bie Geftalt ven rechten Arm mit dem aus⸗
geftredten Zeigefinger ihm entgegen.)
Iaromir
(ftürgt ſchreiend zurüd).
Hal
Bertha (von innen).
Hör' ih did nit, Jaromir?
(Beim eriten Laut von Bertha’ Stimme feufzt die Geftalt und bewegt
fh langſam in die Scene. Ehe fie dieſe noch ganz erreicht hat, tritt
Bertha aus der Thüre, ohne aber die Geftalt zu fehen, da fie nach dem
in der entgegengejegten Ede ſtehenden Jaromir blidt.)
Bertha
(mit einem Lichte kommend).
Jaromir, du hier?
Jaromir
(die abgehende Geſtalt mit den Augen und den ausgeſtreckten Fingern
verfolgend).
Da! da! da! da!
Bertha.
Was iſt dir begegnet, Lieber?
36
Die Ahnfrau,
Warum ftarrft du aljo wild
Hin nad jenem düſtern Winkel?
Iaromir,
Hier und dort, und dort und bier!
Uebrall fie und nirgends fie!
Bertha.
Himmel, was ift bier gejchehen?
Iaromir.
Ei, bei Gott, ih bin ein Mann!
Ich vermag, was Einer kann.
Stellt den Teufel mir entgegen
Und zählt an der Pulfe Schlägen,
Ob die Furcht mein Herz bewegt!
Doh allein fol er mir fommen,
Grad, als grader Feind. Er mwerbe
Nicht in meiner Phantafie,
Nicht in meinem heißen Hirm,
Nicht in meiner eignen Bruft
Helfershelfer wider mich!
Komm’ er dann als mächt'ger Nicfe,
Stahl vom Haupte big zum Fuß,
Mit der Finfternig Gewalt,
Bon der Hölle Gluth umftrahlt;
Ich will lachen feinem Wüthen
Und ihm kühn die Stirne bieten.
Oder komm’ ala grimmer Leu,
Wil ihm ftehen ohne Scheu,
Auge ihm in? Auge tauchen,
Zähne gegen Zähne brauchen,
Gleich auf gleih! Allein, er übe
Nicht die feinite Kunft der Hölle,
Schlau und tüdenoll, und ftelle
Nicht mich felber gegen mid!
Bertha (auf ihn zueilend).
Jaromir! mein Jaromir!
Zweiter Aufzug. 37
Iaromir (Gurüdtretend).
O, ih fenn’ did, ſchönes Bild!
Nah’ ih mid, wirft du vergehn,
"Und mein Hau wird dich verwehn.
Bertha UGhn umfaffend).
Kann ein Wahnbild fo umarmen?
Und blidt alſo ein Phantom?
Fühle, fühle, ich bin's felber,
Die in deinen Armen liegt.
IJaromir.
Sa, du biſt's! Sch fühle freudig
Deine warmen Pulfe Hopfen,
Deinen lauen Athem wehn.
Sa, das find die Haren Augen,
Ya, das ift der liebe Mund,
‘a, das ift die füße Stimme,
Deren mohlbefannter Laut
Frieden auf mich niederthaut,
Sa, du biſt's, du bift’3, Geliebtel —
Bertha. .
Wohl bin ich's, o wärft du's auch!
Wie du zitterſt!
Jaromir.
Zittern! zittern?
Wer ſieht das und zittert nicht?
Bin ich doch nur Fleiſch und Blut,
Hat doch keine wilde Bärin
Mich im rauhen Forſt geboren
Und mit Tigermark genährt,
Steht auf meiner offnen Stirne
Doh der heitre Name: Menſch!
Und der Menſch hat feine Gränzen,
Gränzen, über die hinaus
Sid fein Muth im Staube mwindet,
Seiner Klugheit Aug erblinvet,
38
Die Ahnfrau.
Seine Kraft wie Binfen bricht
Und fein Innres zagend fpricht:
Bis hieher und weiter nicht!
Bertha.
Du biſt frank, ab, geb zurüd,
Geh zurüd nach deiner Kammer.
Iaromir.
Cher in die heiße Hölle,
Als noch einmal auf die Stelle!
Arglos und vertrauensvoll
Folgt’ id meinem Führer nad
In das weite Prunkgemach.
Müde, ruhelechzend ſteig' ich
Schnell das hohe Bett hinan,
Und das Licht iſt ausgethan.
Wehend fühl' ich ſchon den Schlummer,
Mild, wie eine Friedenstaube
Mit dem Oelzweig in dem Munde,
Ueber meinem Haupte ſchweben
Und in immer engern Kreiſen
Sich auf mich herniederlaſſen.
Jetzo, jetzo ſenkt ſie ſich,
Süße Ruhe feſſelt mid. —
Da durchzuckt e8 meine Glieder,
Sch erwache, horch' und lauſche.
Laut wird's in dem öden Zimmer, -
Rauſchend wogt es um mich her,
Wie ein wehend Aehrenmeer,
Seltſam fremde Töne wimmern,
Zuckend fahle Lichter ſchimmern,
Es gewinnt die Nacht Bewegung,
Und der Staub gewinnt Gefſtalt.
Schleppende Gewänder rauſchen
Durch das Zimmer auf und nieder,
Hör! es weinen, hör' es klagen,
\
Zweiter Aufzug.
Und zulegt in meiner Nähe
Mimmert e3 ein dreifach Wehe!
Da reif’ ich des Bette Vorhang
Auf mit ungeftümer Haft:
Und mit taufend Flammenaugen
Starrt die Nacht: mich gloßend an.
Lichter feh’ ich ſchwindelnd drehen
Und mit taufend fahlen Ringen
Schnell fih in einander fchlingen,
Und nad mir ftredt’3 hundert Hände,
Krieht an mid) mit hundert Füßen,
Fletiht auf mich mit hundert Fratzen;
Und an meines Bettes- Füßen
Dämmert e8 wie Mondenlicht,
Und ein Antlitz tauchet auf
Mit geſchloßnen Leichenaugen,
Mit bekannten holden Zügen,
Ya, mit deinen, deinen Zügen,
Sept reißt e3 die Augen auf,
Starrt nad mir hin, und Entſetzen
Zudt mir reißend durchs Gehirn,
Auf Spring’ ih vom Flammenlager,
Und durchs flirrende Gemach
Stürz' id) fort, der Spuk mir nad).
Wie von Furien gepeitjcht
Lang’ ih an bier in der Halle,
Da hört’ ich dich, Holde, beten,
Mil zu dir ind Zimmer treten,
Da verftellt mir — Siehſt du? Siehſt du?
Berthe.
Mas, Geliebter?
Jaromir.
Siehſt du nicht?
Dort im Winkel, wie ſich's regt,
Wie's geſtaltlos ſich bewegt!
39
40
Die Abnfrau.
Berthe.
Es ift nichts, Geliebter, nicht,
Als die wilde Ausgeburt
Der erhigten Phantafie.
Du bift müde, ruh' ein wenig,
Sep dih hier in diefen Stuhl,
Sch will ſchützend bei dir jtehn,
Zabefühlung zu dir wehn.
Jaromir
(figend, an ihre Bruft gelehnt).
Habe Dank, du treue Geele!
Süßes Weſen, habe Dank!
Schling um mid) her deine Arme,
Daß der Hölle Nachtgefpeniter,
Scheu vor dem geweihten Kreife,
Nicht in meine Nähe treten,
Lieg' ich jo in deinen Armen,
Angeweht von deinem Athen,
Ueber mir dein holdes Auge:
Dünkt es mid, auf NRojenbetten
In des Frühlings Hauch zu fhlummern,
Klar den Himmel über mir.
Der Graf kömmt.
Graf.
Mer ift bier noch in der Halle?
Bertha, du? und hr?
Bertha.
Mein Vater —
Jaromir.
Weiß ich doch kaum, was ich ſagen,
Weiß kaum, wie ich's ſagen ſoll.
Thöricht werdet Ihr mich nennen,
Und faſt möcht' ich's ſelber thun,
Haͤtt' ich nicht gehört, geſehen,
Zweiter Aufzug. 41
Fühlt' ich nicht im tiefiten Innern
Jede meiner Fibern beben,
Beben, ja; und Ihr mögt glauben,
Es gibt Menſchen, welche leichter
Zu erſchüttern ſind, als ich.
Graf.
Wie verſteh' ich?
Bertha.
Ach, ſo hört nur;
Oben in die Erkerſtube
Hatte man ihn hingewieſen.
Schon ſenkt ſchlummernd ſich ſein Auge,
Da erhebt ſich plötzlich —
Graf. .
Ah!
Zählt man di ſchon zu den Meinen?
Iſt's in jenen dunkeln Orten
Alfo auch fehon Fund geworden,
Sohn, daß du mir theuer bilt.
Warum kamſt du auch hieher!
Glaubteſt du, getäufchter Züngling,
Wir hier feiern Freudenfelte?
Sieh und nur einmal beifammen
Sin der weiten, öden Halle,
An dem freubelofen Tiſche;
Wie fih da die Stunden dehnen,
Das Geſpräch in Paufen ftodt,
Bei dem leifeften Geräuſche
Jedes raſch zufammenfährt,
Und der Vater ſeiner Tochter
Nur mit Angſt und innerm Grauen
Wagt ins Angeſicht zu ſchauen,
Ungewiß, ob es ſein Kind,
Ob's ein hölliſch Nachtgeſicht,
Das mit ihm zur Stunde ſpricht.
42 Die Ahnfrau.
Sieh, mein Sohn, fo leben Die,
Die das Schichſal hat gezeichnet!
Und du willſt den muth’gen Sinn,
Willſt die raſche Lebensluſt
Und den Frieden deiner Bruſt,
Köſtlich hohe Güter, werfen
Raſch in unſers Hauſes Brand?
O, mein Kind, du wirſt nicht löſchen,
Wirſt mit uns nur untergehn.
Flieh, mein Sohn, weil es noch Zeit iſt.
Nur ein Thor baut ſeine Hütte
Hin auf jenes Platzes Mitte,
Den der Blitz getroffen hat.
Jaromir.
Möge, was da will, geſchehn,
Ich will euch zur Seite ſtehn,
Muß es, mit euch untergehn!
Graf.
Nun wohlan, iſt das dein Glaube,
So komm her an meine Bruſt.
So, und dieſer Vaterkuß
Schließt dich ein in unfre Leiden,
Schließt dich ein in unſre Freuden;
Ja, in unſre Freuden, Sohn,
Iſt kein Dorn doch alſo ſchneidend,
Daß er nicht auch Roſen trägt.
(Der Alte ſetzt ſich, von Jaromir und Bertha unterſtützt, in den Stuhl.
Die Beiden ſtehen Hand in Hand vor ihm.)
So, habt Dank, habt Dank, ihr Lieben! —
Seh' ich euch ſo vor mir ſtehen
Mit dem freudetrunknen Auge,
Mit dem lebensmuth'gen Blick,
Will die Hoffnung neu ſich regen,
Und erloſchne, dunkle Bilder
Aus entſchwundnen ſchönern Tagen
Zweiter Aufzug.
Dämmern auf in meiner Bruft:
Seid willlommen, Duftgeftalten,
Froh und fchmerzlih mir willlommen! —
Iaromir.
Bertha, fieh doh nur, dein Vater! —
Bertha
(mit ibm etwas zurüdtretend).
Laß ihn nur, er pflegt fo öfter
Und fieht ungern fi geftört;
Aber, Lieber, fei vergnügt!
Sieh, mein Bater weiß ſchon Alles.
Iaromir (raf).
Alles?
Bertha.
Ya, und fcheint’3 zu bill’gen |
Heute nur — er war fo gut, '
Ah, jo gut, fo mild und fanft;
Sanfter, gütiger, al3 du,
Der du kalt und troden ftehft,
Während ih nicht Worte finde
Für mein Fühlen, für mein Glüd,
Iaromir.
Glaube mir —
Bertha.
Ei, glauben, glauben!
Beſſer ftünd’ es Dem, zu fehweigen,
Der nicht weiß, wie Liebe fpricht.
Kann der Blid nicht überzeugen,
Ueberred't die Lippe nicht.
Sieh, man hat mir oft erzählet,
Daß e3 leihte Menfchen gebe,
Deren Liebe nicht bloß brennt,
Auch verbrennt und dann erlifcht,
Menſchen, die die Liebe lieben,
Aber nicht den Gegenitand,
48
Er nf.
Simmern. um Surfer,
Te we Kıre Ure Fiter.
Ar ur. mu we me Are,
Ki mom Sam
E:rtm xor Tr. Sıcmmr. Türe?
Sum Siormigmer ame Sunirge Terme)
Sa rıl mu ne Yin rm.
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Teer Ion 8.8 Izarer!
Ser Kst tt mmamns
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Irns Supra Sr maumer
N rät oo marieer
Irqne umarn rın
Zi de Ir mmear Bert
‘
\
N
\ Fand den Höchften noch zu niedrig,
Zweiter Aufzug. 45
Als fie mir geboren ward
Und vor mir lag in der Wiege,
Freundlich lächelnd, Schön und holo,
Mie durchlief ih im Gedanken
Die Geſchlechter unfer3 Landes,
Sorgfam wählend, kindiſch fuchend
Nah dem fünftigen Gemahl.
Kaum den Belten gut genug:
Damit iſt's nun wohl vorbei!
Ab, ih fühl es wohl, wir feheiden
Kaum jo ſchwer von wahren Freuden,
Als von einem ſchönen Traum!
Bertha
(an der Schärpe mufternd).
Halt mir ftill, du Ungeduld'ger!
Graf.
Und ziemt mir fo ekles Wählen?
Wenn e3 wahr, wa3 er gejprochen,
Was im Nebel der Erinnrung
Aus der fernen Yugendzeit
Unbejtimmt, in fich verfließend,
Meine Stirn vorüber fchwebt;
Wenn fie wahr, die alte Sage,
Daß der Name, ven ich trage,
Der mein Stolz war und mein Schmud,
Nur durch tief geheime Sünden —
Fort, Gedanke! — Ha, und doch, und doch!
Bertha
(ihr Werk betrachtend).
Sp, nun fteht es ſchön und gut.
Aber nun fei mir aud freundlich,
Daß nich nicht die Arbeit reue!
Graf.
Saromir!
46
Die Ahnfrau.
Ja ro mir Caufgefähredt).
Was? — Ihr, Herr Graf!
Graf.
Noch biſt du uns Kunde ſchuldig
Von den Deinen, deiner Abkunft.
Jaromir von Eſchen heißt du,
Fern am Rhein wardſt du geboren,
Dienſte ſuchſt du hier im Heer,
So erzählte mir mein Mädchen,
Aber weiter weiß ich nichts.
Jaromir.
Iſt doch weiter auch nichts übrig.
Mächtig waren meine Ahnen,
Reich und mächtig. Arm bin ich;
Arm, ſo arm, daß, wenn dieß Herz,
Ein entſchloßner, kräft'ger Sinn
Und ein ſchwergeprüfter, doch vielleicht
Grade darum feſtrer Wille
Nicht für Etwas gelten können,
Ich nichts habe und nichts bin.
Graf.
Du ſagſt viel mit wenig Worten. —
Alſo recht! du biſt mein Mann!
Sieh, mein Sohn, ih bin ein Greis;
Die Natur winkt mir zu Grabe,
Und ein dunfel, dumpf Gefühl
Nennt mir nah des Lebens Ziel.
Nie hab’ ich dem Tod gezittert,
Und auch jebt fchredt er mich nick.
Aber fieh dieß Mädchen, fieh mein Kind.
Könnteft du in meinen Thränen,
Hier in meinem Herzen lejen,
Mas fie Alles mir gewesen,
Du verftündeft meinen Schmerz.
Daß ich fie allein muß laſſen
Bieiter Aufzug.
In der unbefannten Welt,
Das maht mid dem Tod erblaſſen,
Das iſt's, was ſo tief mich quält.
Sohn, auf dich iſt ihrer Neigung
Schlaferwachtes Aug gefallen;
Du weißt ihren Werth zu ſchätzen,
Weißt zu ſchützen, was dir werth;
Du gabſt einmal ſchon dein Leben
Und wirſt's freudig wieder geben,
Wenn das Schickſal winkt, für ſie.
Dir vertrau' ich dieſes Kleinod,
Sohn, du liebſt ſie?
Jaromir.
Wie mein Leben.
Graf.
Und du ihn?
Bertha.
Mehr als mich ſelbſt.
Graf.
Mög' denn Gottes Finger walten!
Nimm ſie hin, die du erhalten!
(Schläge ans Hausthor.)
Graf.
Was iſt das? — Wer naht ſo ſpät
Noch ſich dieſes Schloſſes Thoren?
Bertha.
Gott, wenn etwa —
Graf.
Sei nicht kindiſch.
Glaubſt du wohl, verdächtig Volt
Mage fih an feſte Schlöfler,
Wohl verwahrt und wohl bemannt?
47
48
Die Ahnfrau.
Günther Tommt,
Günther.
Herr, ein königlicher Hauptmann
An der Spitze ſeines Haufens
Bittet Einlaß an der Pforte.
Graf.
Wie? Soldaten?
Günther.
Ja, Herr Graf.
Graf.
Weiß ich gleich nicht, was ſie ſuchen,
Oeffne ihnen ſchnell die Pforten;
Stets willkommen ſind ſie mir.
(Günther gebt.)
Graf.
Was führt Den hieher zu uns?
Und in dieſer Stunde? Gleich viel.
Wird doch ſeine Gegenwart
Wohl die Stunden uns beflügeln
Dieſer peinlich langen Nacht.
Bertha.
Jaromir, geh doch zu Bette.
O, du biſt noch gar nicht wohl!
Sieh, ich fühl's an dieſem Zucken,
An dem Stürmen deiner Pulſe,
Daß du krank, bedenklich krank!
Jaromir.
Krank? ich krank? was fällt dir ein!
Stürmen gleich die raſchen Pulſe,
Grad im Sturme iſt mir wohl!
Günther öffnet die Thüre. Der Hauptmann tritt ein.
Hauptmann.
Ihr verzeihet, mein Herr Graf,
Daß ih noch in fpäter Nacht
Eures Haufes Ruhe ftöre.
m S
Bweiter Aufzug. 49
Graf.
Mer des Königs Farben trägt,
Dem ift ftet3 mein Haus geöffnet;
Eu, mein Herr, au ohne jie.
Hauptmann.
Sier grüß’ ich wohl Eure Tochter?
Ä Graf.
Ya, es ift mein einzig Kind.
Hauptmann.
Wie foll ich mich bier entſchuld'gen?
Hart und rauh, mein fchönes Fräulein,
Iſt des Dienftes ftrenge Pflicht:
Er will nur, daß es gejchebe,
Wie's gefchieht, drum frägt er nicht.
Doch, bringt meine Ankunft Schreden,
Soll fie Schreden auch zerftreun.
Jene mächt'ge Räuberbande,
Die die Geißel dieſer Gegend —
Graf.
Ja, fürwahr, 'ne ſchwere Geißel!
Dieſes Mädchen, meine Tochter,
Daß ſie lebt noch, daß ſie iſt,
Dankt ſie nur dem kühnen Muthe
Ihres wackern Bräutigams,
Jaromir von Eſchen, hier.
Ja er ſelbſt, noch dieſe Nacht
Ward im Forſt er überfallen,
Seine Diener ihm erſchlagen,
Kaum entging er gleichem Loos.
Hanpimann.
Diefe Naht?
Jaromir.
Ja, dieſe Nacht.
Grillparzer, Verke. IL 4
Die Ahnfrau.
hauptmann.
Und wann —?
Jaromir.
Vor drei Stunden etwa!
Hauptmann
(ibn ins Auge faſſend, dann zum Grafen).
Euer Eidam?
Graf.
Ja, mein Herr.
Hauptmann.
Reif’tet ihr ein Stündchen fpäter,
War Euch jene Angit eripart.
(Zu den Vebrigen.)
Fürder mögt ihr ruhig fein
Und nicht? Arges mehr befahren,
Denn die euer Schreden waren,
Jene Räuber, find nicht mehr!
Lange fhon auf ihren Ferſen,
Ueberfielen wir fie heute.
Nach beherztem, blut’gem Streite
Trat der Sieg auf unſre Seite,
Und die Mörberfchaar erlag.
Theil3 getöbtet, theild gefangen,
Netteten fih Wen’ge nur:
Mir verfolgen ihre Spur.
So fam ich in diefe Gegend,
Kam an diejes Schloß, bin bier.
Graf.
Nun habt Dank, ihr wadern Krieger,
Habt den wärmiten, beiten Dank!
Hauptmann.
Seht noch nicht, big es vollendet.
Iſt der Stamm glei ſchon gefallen,
Haften doch noch manche Wurzeln,
Und ich hab' mir's ſelbſt geſchworen,
Zweiter Aufzug.
Als man mid zur That erforen,
Auszurotten diefe Brut.
Bauern haben ausgefagt,
Daß hier in des Schloffes Nähe,
In des nahen Weihers Schilf,
Den verfallnen Außenwerfen
Sich verbähtig Volk gezeigt.
Drum erlaubt, mein edler Graf,
Daß ich hier aus Eurem Schloſſe
Meiner Späher Suchen leite,
Stets bereit, nach jeder Seite,
Wo es Noth thut, abzugehn.
Bald, fo hoff ich, iſt's vorüber;
Ringsum ftehen meine Bolten:
Wenn fih auch in Buſch und Feld
Einer noch verborgen hält,
Sollen fie ihn tüchtig fallen,
Ihm ift nur die Wahl gelaflen
Zwiſchen Ketten, zwifhen Top.
Graf.
Dieſes Schloß iſt nicht mehr mein;
Bis Ahr Euer Werk vollendet,
Sit es Euer, ift des Königs.
O, wie lieb’ ih diefen Eifer,
Der das Rechte fchnell ergreift
Und feſt hält, was er ergriffen.
hanptmann.
Nicht mehr Lob, als ich verdiene.
Führ' ich hier des Rechtes Sache,
Zühr’ ich meine auch zugleich.
Hat doch dieſes Räübervolk,
Während ih am Hof des Königs,
Mir mein Stammſchloß überfallen
Und geraubt, gebrannt, gemorbet,
Daß noch jebt bei der Crinnrung
52
Die Ahnfran.
Mir das Herz im Bufen bebt.
D, mid) drängt es, zu bezahlen,
Mas ich ſchwer nur fehulvig bin!
Ich will fhonen, grimmig fchonen:
Nicht der Tod in Kampf und Schlacht
Werde diefer Brut zu Theile,
Nein, dem Rad, dem Henkerbeile
Sei ihr ſchuldig Haupt gebradit.
Bertha.
Nicht doch! Wollt Ihr Menfchen richten,
Geht als Menſch ans blut'ge Werk!
Hanptmaun,
Hättet Ihr gejehn, mein Fräulein,
Was ih ſah, mit Schauder fah,
Ihr verfchlößet Euer Herz,
Wieſet das geſchäft'ge Mitleid
Gleich nem unverfchämten Bettler
Bon der ftreng geihloßnen Thür.
Jene rauchenden Ruinen,
Bon der Flamme Gluth bejhienen,
Greiſe zagend,
Weiber klagend,
Kinder weinend
An erfhlagner Mütter Brüften
Durch die leergebrannten Wüſten;
Und dazu nun der Gedanke,
Daß die Geldgier, daß die Habjudt
MWen’ger feiger Böſewichter —
Jaromir
. (oortretend und ibn hart anfaflendb).
Wollt Ihr diefes holde Weſen,
Ihrer Seele jchönen Spiegel,
Der auf feiner Haren Fläche
Rein die Schöpfung ftellet dar,
Zweiter Aufzug.
Meil er felber rein und Har,
Mit der Rachſucht gift’gem Hauch,
Mit des Hafles Athem trüben?
Laßt fie ſüßes Mitleid üben
Und in dem Gefallnen auch
Den gefallnen Bruder lieben.
D, e3 läßt der Binfe wohl,
Der gebrochnen Eiche fpotten!
Hauptmann.
Raſch ins Feuer, wenn fie brad.
Iaromir.
Eure Zunge richtet ſcharf;
Doch, was vorſchnell fie gejündigt,
Macht der Arm wohl zögernd gut.
Hanpimann.
Ha, wie nehm’ ich diefe Worte?
Iaromir.
Nehmt fie, Herr, wie ich fie gab,
Hanptmaun.
Mär es nicht an diefem Orte —
3aromir,
Legtet Ihr den Trog wohl ab,
Hauptmann.
Warm ſeh' ih Euch Räubern dienen,
Iaromir.
Mer in Noth ift, zähl' auf mid.
Hanptmanı.
Nah' der Belte unter ihnen —
Jaromir.
Ruft ihn! Vielleicht ſtellt er ſich!
Graf.
Jaromir! was muß ich hören!
Führt der Eifer dich ſo weit,
Magſt du meinen Gaſt beleid'gen,
53
54
Die Ahnfrau.
Kannft du Menfchen wohl vertheid’gen,
Welche felber ſich verdammt?
Doch was gilt's, trotz dieſer Hitze,
Hab' ich richtig dich erkannt,
Braucht es wen'ge Worte nur,
Und dem Fehlgriff folgt die Reue,
Ja, du folgſt uns ſelbſt ins Freie
Auf der Böſewichter Spur.
Jaromir.
Ich?
Graf.
Ja, du!
Jaromir.
Ich, nimmermehr!
Wie? ich ſollte einen Armen,
Einen Stiefſohn des Geſchicks,
Den die unnatürlich harte Mutter
Stiefgeſinnt hinausgetrieben,
Fern von Weſen ſeiner Art,
Zu des Waldes Nachtrevieren,
Wo im Kreis von Raubgethieren
Selber er zum Raubthier ward,
Wie, ich ſollt' ihm, wenn er naht,
Alles bietend, was er hat,
Mit der Reue herben Zeichen,
Statt der Hand, um die er bat,
Meinen blut’gen Degen reihen?
Mer thut das, und ift ein Mann?
Einen Feind mir, der no fidt,
Doch zum Häfcher taug’ ich nicht!
Graf.
Und wenn ih nun felber gebe
Und, des Königs Lehensmann,
Dieſe Häfcher führe an,
Wirft du folgen?
Zweiter Aufzug.
Jaromir.
Ihr?
Graf.
Ja, ich.
Ich mag Menſchenleben ſchonen,
Weiß zu ſchätzen Menſchenwerth:
Doch laß uns nicht grauſam ſein
Gegen unſre beſſern Brüder,
Um den ſchlimmen mild zu ſein.
Ob das Herz auch ängſtlich bebe,
Laß uns thun die ſtrenge Pflicht,
Und, damit der Gute lebe,
Mit dem Mörder zum Gericht!
Jaromir.
Recht geſprochen, recht geſprochen!
Daß die Kindlein ruhig ſchlafen,
Mit den Hunden vor die Thür!
Mir ein Schwert! Ich will hinaus,
Will hinaus auf Menſchenleben!
Ei, ſie werden tüchtig fechten!
Iſt das Leben doch ſo ſchön,
Aller Güter erſtes, höchſtes,
Und wer Alles ſetzt daran,
Wahrlich, der hat recht gethan!
Waffen, Waffen! Gebt mir Waffen!
Fort, hinaus! Auf Menſchenleben!
Laßt die Treiber fertig fein;
Und dann wader losgejagt,
Dig der fpäte Morgen tagt!
Waffen, Waffen! Hedal Waffen! —
Bertha.
Sagt’ ih es Euch nicht, mein Vater,
Er iſt krank, gefährlich Trank.
Jaromir.
Iſt's doch nur gerechte Strafe!
56
Die Ahnfrau.
Seht doch, konnten fie es wagen,
Die Verruchten, rückzuſchlagen,
Da auf fie das Shidfal ſchlug!
Menſchen, Menſchen! — Toller Wahn!
Außer ung, wer geht und an?
dort, hinaus aus unjerm Kahn,
Der nur uns und Unſre faßt,
Fort hinaus, unnütze Laft!
Menn empor ein Schwimmer taucht,
Schnell das Ruder wohl gebraudt:
Meg vom Rande deine Hände,
Daß ſich unfer Kahn nicht wende,
In dem Wellenftrudel ende!
Graf.
Saromir, was fiht dich an?
Jaromir.
Ach, verzeiht! Kaum weiß ich's ſelber!
Es ward mir die Jagdluſt rege
Bei der fröhlichen Erzählung,
Wie die Netze ſei'n geſtellt,
Und nun bald das Wild gefällt.
Graf
(um Hauptmann).
‘hr verzeibet wohl, mein Herr,
Seht, der Unfall diefer Nacht
Und dann noch fo mandes Andre
Hat fein Weſen fo zerrüttet,
Daß er kaum er felber noch.
hanptmann.
So bewegt, in dieſer Stimmung
Iſt nicht von Beleidigung,
Von Verzeihen nicht die Rede.
Pflegt der Ruhe, Herr von Eſchen.
Unſer widriges Geſchäft,
Dat
N
Zweiter Aufzug.
Hat’3 gleich feine gute Seite,
Zaugt für fein bewegt Gemüth.
Bertha.
Wohl, mein Lieber, folge mir.
Iaromir.
Nicht doch! Lak mid, laß mi! Sieh,
Mir ift wohl, wahrhaftig wohl.
Hauptmann.
Uns geziemt e3, vorzufchlagen,
Anzunehmen fteht bei Euch;
Und fo nehm’ ih denn jet Urlaub,
Zu vollenden mein Geſchäft.
Graf.
Doch, Herr, kennt Ihr au die Räuber?
Daß Ihr arglos ftille Wandrer
Nicht beläftigt ohne Noth?
Hauptmann.
Kennen? Ich nicht. Denn im Dunteln
Veberfielen wir fie heute,
Und in Kampfes blut’gem Ringen
Sieht man auf der Feinde Klingen
Mehr als auf ihr Angeficht.
Doch im Vorgemache draußen
Harret einer meiner Leute,
Der, von feinem Trupp getrennt,
Einft in ihre Hand gerathen,
Der oft Zeuge ihrer Thaten
Und die Räuber alle kennt.
Hedal Hola!
(Solbat kommt.)
Haupfmann.
Walter komme!
(Solbat ab).
Graf.
Zwinge dich doch länger nicht,
57
58
Die Ahnfrau,
Jaromir, und geh zu Bette,
Leichenblaß ift dein Geficht,
Und aus deinem düjtern Auge
Blickt des Fiebers dumpfe Gluth.
Geh zu Bette, lieber Sohn!
(Auf die Seitenthüre rechts zeigend.)
Hier in dieſem ſtillen Zimmer
Soll nichts deine Ruhe ſtören.
Bertha.
Jaromir, laß dich erbitten.
Jaromir.
Wohl, ihr wünſcht es, und es ſei;
Faſt fühl' ich mich ſelber unpaß.
(Das Schnupftuch an bie Stirne preſſend.)
Walter kommt.
Hauptmann.
Komm! Wir mahen jegt die Runde,
Und du folgit mir!
Walter.
Wohl, Herr Hauptmann.
haunptmann.
Iſt dir dein Gedächtniß treu?
Wirſt du jeden dieſer Räuber
Wieder kennen, der fich zeigt!
Walter.
Sicher werd’ ich, forget nicht!
Bertha
t (Saromir führend),
Wie du wankſt! Sieh, bier hinein!
(Jaromir geht durch bie Seitenthlre rechts ab.)
Graf.
Sp, und jetzt gebt denn mit Gott!
Haupimann,
Eins ift vorher noch zu thun,
Meines Auftrags Teichtite Hälfte,
Zweiter Aufzug.
Die mir bier zur fchmerften wird.
Aber ſei's, ib muß. — Gar Manches
Scheint dem Menſchen überflüſſig
Und iſt's dem Soldaten nidt.
Mein Herr Graf, Ihr mögt erlauben,
Daß ih Eures Schloffes Innres
Noch vor Allem erjt durchforfche.
Graf.
Dieſes? Meines Schlofjes, Herr?
Hauptmann.
Streng gemefjen ift mein Auftrag,
Jede Wohnung zu durchfuchen,
Wem fie fei, wen fie gehöre,
Nah der flücht'gen Räuber Spur.
Mag ih ungeftüm erjcheinen,
Ich erfülle meine Pflicht;
Eigned Glauben, eignes Meinen
Schmeiget, wo die Hohe fpridhtt.
Und zudem, Ihr mögt verzeihen,
Mer bürgt Euch für Eure Leute?
Graf.
Und wer Euch, denkt Ihr, für mid.
Hauptmann.
Hätt' ich wirklich Euch beleidigt,
So bedenkt —
Graf.
O laßt das! laßt das!
Wird es mir denn nimmer klar,
Welcher weite Abgrund ſcheidet
Das, was iſt, von Dem, was war.
Muß es mich denn immer mahnen!
Ich gedachte meiner Ahnen,
Deren Wort hier, weit und breit
59
60
Die Ahnfrau.
Mehr galt, als ver höchſte Eid,
Unter denen der Verdacht
Und de3 Argwohns finjtre Macht
Schamroth ſich gemweigert hätten,
Diefe Hallen zu betreten.
Doch ich bin der Legte und ein Greiz,
Nun, fo glaubt denn Euren Augen!
(Die Thüren nach ber Reihe öffnend.)
Kommt und ſeht! — Hier dich mein Zinmer —
Meiner Tochter Schlafgemah —
(An der Thüre nad Jaromird Gemad.)
Hier —
Bertha.
D, gönnt ihm Ruhe, Vater!
Graf.
Nun, Ihr faht ja erft vor Kurzem
Meinen Eivam e3 betreten.
Hauptmann.
Ihr verlangt mich zu beſchämen.
Graf.
Nur zu überzeugen, Herr!
Und nun fommt!
Hauptmann.
Wohin?
Graf.
Ins Freie
Mit Euch auf der Räuber Spur.
Hauptmann,
Wie, Ihr mwolltet?
Graf.
Was ih muß,
Bin ih nit Vaſall des Königs?
Und ich kenne meine Pflicht
Minder nicht als Ihr die Eure,
Zweiter Aufzug.
Drum, ohn’ eine’zweite Mahnung,
Laßt uns gehen —
Bertha.
O, mein Vater!
So bedenkt doch!
Graf.
Still, mein Kind!
Hier hör' ich nur eine Stimme,
Und die hat bereits geſprochen. —
Kommt, mein Herr, und ſagt dem König,
Daß ich, Graf von Borotin,
Kein Genoß der Räuber bin,
Sagt, daß in des Löwen Höhle
Statt des kräftigen, geſunden,
Einen welken Ihr gefunden,
Der gebeugt und hülflos zwar,
(aufgerichtet)
Aber doch noch Löwe war.
(Ab mit dem Hauptmann.)
Bertha,
Ah, er geht, er hört nicht, gebt,
Läßt mich hier allein zurüd,
Der Berzmeiflung Preis gegeben
Und der Sorge Natterzahn.
Soll id für ven Vater beben,
Sürdten, was dem Trauten droht?
Hab’ doch nur dieß eine Leben,
Warum zweifach mir den Tod?
(An der Thüre von Jaromirs Gemad.)
Saromir! Mein Jaromir! —
Keine Antwort, Alles ftille,
Alles ſchweigend, wie das Grab,
Wie bezähm’ ich diefe Angft,
Wie bezähm’ ich dieſes Bangen,
61
Die Ahnıfrau.
Das mir fhwül, wie Welterwolten,
Auf der ſchweren Bruft fi lagert.
O, ich feh’ es in der Ferne,
Es verbüllen fih die Sterne,
Es erlifht des Tages Licht,
Der erzürnte Donner ſpricht,
Und mit ſchwarzen Eulenſchwingen
Fühl' ih es, gehaltnen Flugs,
Sich um meine Schläfe ſchlingen.
O, ich kenn' dich, finſtre Macht,
Ahne, was du mir gebracht.
Muß ich's vor die Seele führen!
O, es heißt, es heißt verlieren!
Und des Unheils ganzes Reich
Kennt kein Schrecken, deinem gleich.
Wehl! beſitzen und verlieren,
Beſitzen und verlieren! —
Wohin ſeid ihr, goldne Tage?
Wohin biſt du, Feenland?
Wo ich ohne Wunſch und Klage
Mit mir ſelber unbekannt
Lebte an der Unſchuld Hand;
Wo ein Hänfling meine Liebe,
Eine Blume meine Luſt,
Und der ſchmerzlichſte der Triebe
Noch ein Fremdling diefer Bruft.
War der Himmel auch umzogen,
Heiter ftrahlte dodh mein Sinn,
Und auf fpiegelhellen Wogen
Zaumelte das Leben hin.
Spielend in dem Strahl der Sonne,
Lodte mich des Bechers Rand,
Und ich trank der Liche MWonne
Und ihr Gift aus feiner Hand,
Seit fein Arm mich bat ummunden,
Zweiter Aufzug. 63
Geit ih fühlte feinen Kuß,
Iſt das Seenland verſchwunden,
Und auf Dornen tritt mein Fuß:
Dornen, die zwar Rofen fhmüden,
Aber Dornen, Dornen doch,
In dem glühenditen Entzüden
Fühl' ich ihren Stachel nod.
Sehnend wünſch' ich feine Nähe,
Und er kommt: wie jauchzt die Braut!
Doch wie ih ins Aug ihm jehe,
Werden innre Stimmen laut,
Tief im Bufen ſcheint's zu ſprechen,
Wenn mein Blid in feinem ruht:
Deine Liebe iſt Verbredhen,
Gottverhaßt ift diefe Gluth.
Jenes dumpfe, trübe Brüten,
Seines Auges ftarrer Blid
Scheint Entfernung zu gebieten,
Und ich bebe bang zurüd;
Doch will ih mich ihm entziehen,
Trifft fein Blid mich weih und warm,
Mit dem Willen, zu entfliehen,
lieh’ ih nur in feinen Arm;
Und wie der Charybde Tofen
Erſt von fi ſtößt Schiff und Mann,
Dann verſchlingt die Rettungslofen,
Stößt er ab und zieht er an.
Wer mag mir das Räthſel löſen?
Sit e8 gut, warum fo bang?
Ah, und führet es zum Böſen,
Woher dieſer Himmelsbrang ?
(Mit ausgebreiteten Armen.)
Kann mein Flehen dich erreichen,
Unerflärbar hohe Macht,
Die ob diefem Haufe wacht,
64 Die Ahnfran.
So gib gnäbig mir ein Zeichen,
Einen Leititern in der Nacht!
Iſt es Tod —
(88 jält ein Schuß.)
Hal — Was war da3? — Ein Schuß! -—
Deut’ ih es, das graufe Zeichen?
Ward mein frevler Wunſch erhört?
Weh mir! — Weh! — Ic bin allein! —
Ha, allein? — Was ftreifte da
Kalt und mwehend mir vorüber? —
Bilt du's, geift'ge Sünderin? —
Ha, id fühle deine Nähe!
Ha, ih höre deinen Tritt!
(An der Thüre von Jaromirs Gemach.)
Jaromir, wah auf! wach auf!
Schübe deine Bertha! — Saromir!
Nur ein Wort, nur einen Laut!
Daß du wachſt, daß du mich hörft,
Daß ih nicht allein! — Bei dir! —
Schweigſt vu? — Ha, ih muß dich fehen!
Dich umfangen, dich umfhlingen,
Sehen, fühlen, daß du lebit!
(Deffnet die Thüre und ſtürzt hinein. Es fällt noch ein Schuß;
beraustaumelnd.)
Haltet ein! o haltet ein!
Alles Teer! — das Feniter offen!
Er ift fort! — ift tobt — tobt — tobt!
Ende des zweiten Aufzuges.
Dritter Aufzug.
Halle wie in den vorigen Aufzügen.
Bertha fist am Tifhe, den Kopf in die Hand geftügt.
Liebe, das find deine Freuden,
Das, Beſitz, ift deine Luft?
Wie find dann der Trennung Leiden,
Und wie martert der Berluft?
(Sinkt in ihre vorige Stellung zurüd.)
Jaromir öffnet bie Geltentfäue sone und will ſchnell zurüd, ba er
Jemanden erblidt.
Bertha.
Saromir! — Du weicht zurüd?
Weichſt vor mir zurüd? — O, bleib!
Mie hab’ ich um dich gezittert,
O, Oeliebter, wie gebebt!
Sprich, wie fühljt du dich?
Jaromir
((heu und duſter).
Gut! Gut!
Bertha.
Gut? O, daß ich's glauben könnte!
Grillparzer, Werke. II. 5
66
Die Ahnfrau.
Jaromir, wie fieht du bleidh!
Gott! Am Arm die Binde —
Jaromir.
Binde?
Bertha.
Hier!
Jaromir.
Ei, Scherz!
Bertha.
Ein blut'ger Scherz!
Sieh das Blut hier an dem Aermel.
Jaromir.
Hat's geblutet? Poſſen! Poſſen!
Bertha.
Reiß mich doch aus dieſer Angſt!
Wo wardſt du und wie verwundet?
(Ihre Augen begegnen ben ſeinigen, er wendet ſich ſchnell ab.)
Bertha.
Du erbebft? du kehrſt dich ab?
Iaromir.
(einige Schritte ſich entfernend).
Nein, ih kann nicht, kann nicht, kann nicht!
Seh’ ich diefe reinen Züge,
Sentt zu Boden fih mein Blid,
Und der finftre Geift der Lüge
Kehrt zur finftern Bruft zurüd,
Hölle, eh du das begehrft,
Laß zuvor dieß Herz fi wandeln,
Und fol ih als Teufel handeln,
Mache mich zum Teufel erft!
Bertha.
Saromir! ich laß dich nicht!
Steh' mir Rede, gib mir Antwort:
Wo wardſt du und wie verwundet?
Dritter Aufzug. . 67
Iaromir
(mit geſenktem Auge).
Schlafend ritzt' ih mich am Arme.
Bertha.
Schlafend? Du haft nicht gejchlafen !
Sieh, ih mar in deiner Kammer,
Du warſt fort, das Fenfter offen!
Jaro mir (erfchredenv).
Ha!
Bertha. A
Geliebter, laß mich's wifjen!
D, du weißt nicht, welche Bilder
Schwarz vor meine Seele treten.
Heiß’ fie weichen, heiß’ fie fliehn!
Mo wardſt du und wie verwundet?
Iaromir (mit Bedeutung).
Du begehrſt's, fo fei es denn!
(Mit Abfägen.)
Angelangt in meiner Kammer —
Hört ih ſchießen, Hirten, ſchreien —
Deinen Bater wußt' ih unten —
Wollte helfen — ſchützen — retten —
Weiß kaum felbjt mehr, was ich wollte,
(Sefaßter.)
Wie ih nun fo finnend ftebe,
Da gewahr’ ich einer Linde,
Die die froftentlaubten Aeſte
Bis zu jenem Fenſter ftredt.
Ich ergriff die ſtarken Zweige,
Die fie hülfreich bot, und fteige
Unbefonnen, unbedacht
Raſch hinunter in die Nacht.
Hundert Schritte faum gegangen —
Fällt ein Schuß — ob Freund, ob Feind —
Weiß ih nicht — genug — er traf. "
68 Die Ahnfrau.
Da erwacht' ich zur Beſinnung,
Sah mit Schreck, was ich gewagt;
Weiter gehen ſchien gefährlich,
Drum eilt’ ich zurüd zur Linde,
Die herab mir half, und finde
Auch den Rückweg jo zurüd.
Bertha.
Und bei allem Dem befiel dich
Auch nicht ein, nicht ein Gedanke
Nur an mich, an meinen Schmerz?
Einem Einfall hingegeben,
Wagteſt lieblos du dieß Leben,
Das zugleich das meine iſt.
O, du fühlſt nicht ſo, wie ich!
Wenn dich gleiche Sehnſucht triebe,
Wüßteſt du wohl, daß die Liebe
Auch das eigne Leben ehrt,
Weil's dem Theuern angehört.
Jaromir
(an ſeinem verwundeten Arm zerrend)
Tobe, tobe, heißer Schmerz,
Uebertäube dieſes Herz!
Bertha.
Warum zerrſt du ſo am Arme?
Deine Wunde —
Jaromir.
Iſt verbunden!
Bertha.
Rauh die Schärpe umgewunden!
Harter, fühle meine Schmerzen,
Wenn du deine auch nicht fühlſt.
Hier iſt Balſam, hier iſt Linnen —
Mir den Arm! — Ich will ihn heilen.
Reich mir ihn, ich will verſuchen,
Ob es mir vielleicht gelingt,
Dritter Aufzug. 69
Ginen jener lieben Blide,
Ein Geſchenk in fhönern Tagen,
Jetzt als Lohn davon zu tragen.
Jaromir, ih will's verſuchen,
Ob die Hand hier mehr erreicht,
Als dieß Herz voll heißer Triebe,
Ach, und ob dein Dank vielleicht
Reicher iſt als deine Liebe.
(Die Sqarpe ablöfend.)
Sieh doch nur, die ſchöne Schärpe,
Die ich mühevoN geftidt
Und auf die, ftatt reicher Perlen,
Manche Thräne frommer Liebe,
Dir einft theurer Schmud, gefallen,
Sieh, wie ift fie doch zerriffen,
Ad, zerriffen, wie mein Herz!
(Sie verbindet ihn. Die Schärpe fällt vor ihr auf ven Voden Hin.)
Bertha.
” Immer ftumm noch, immer düſter!
Ad, du bift fo fonderbar,
Im Gefihte wechſelt Gluth
Mit des Todes fahler Farbe,
Gichtriſch zudt der bleihe Mund,
Und dein Aug fucht ſcheu den Grund.
Gott, du fohredit mid!
Iaromir (ik).
Schrech ich dich?
Bertha.
Gür’ger Himmel, was war das?
Iaromir.
Horch, — im Vorfaal — hörft du? — Trittel
Fort!
Bertha.
So bleib do!
70 Die Ahnfrau.
Iaromir,
Nein, nein, nein!
Horh, man kömmt! — Schnell fort, fort, fort!
(Eilt ind Gemach zurüd.)
Bertha.
Iſt ers noch? Iſt's noch Derfelbe?
Wie er bebte und erblid,
Wie fein Aug zu Boden fan!
Himmel, wie er's auch verhehle,
Schmer ijt no fein Körper Frank,
Oder — ſchwerer feine Seele.
Ein Soldat tümmt, ein are Stüd von einer Schärpe in der
and.
Soldat.
Ihr verzeibt, ift hier mein Hauptmann?
Bertha.
Nein, mein Freund!
Soldat.
Wo mag der fein?
Erft war er bei unfern Poſten,
Und jeßt nirgends aufzufinden.
Glaubt’ ihn ſchon zurüdgelehrt,
Um der Nube bier zu pflegen,
Bertha.
Und mein Bater?
Soldat.
St bei ihm!
Habt nit Angft, mein holdes Fräulein.
An den Räubern iſt's, zu zittern,
Denn wir find auf ihrer Spur.
Zielte Kurt ein Bischen ſchärfer,
Dver hatt’ ich beſſres Glüd,
Mar der Räuberhauptmann unfer.
Ya, der Hauptmann! Staunt nur, Fräulein!
Ei, ih war ihm nah genug,
Dritter Aufzug. - 7]
Um ihn wieder zu erfennen!
Mie er da fo um die Mauern
Und durch die Gebüſche kroch,
Da ſchoß Kurt nach ihm, und brav,
Denn, bei meiner Treu, es traf,
Hier am Arme.
Bertha.
Gott! — Am Arme?
Soldat. |
Ja, am Arm, ’3 floß Blut darnad).
Taumelnd wankt' er hart und ſchwer,
Und es wollt’ uns fajt bevünfen,
Jetzt müf er zu Boden finten.
Mie ih ihn fo wanken fehe,
Sch hervor, und auf ihn hin.
Hart faßt ich ihn an am Gürtel
Und am Hald mit ftarker Hand,
Trotz dem Sträuben, troß dem Ringen,
Meint’, e3 müfje mir gelingen:
Doch bald war er aufgerafft,
Packte mic) mit Riefenkraft,
Wie ich mich verzweifelt wehrte,
Mußt' ich dennod auf die Erbe,
Und der Höllenfohn verſchwand.
Ob wir raſch gleih nach ihm ſetzen,
AU umfonft, und diefer Fetzen
Blieb ftatt ihm in meiner Hand.
(Das Stüd der Schärpe hinhaltend.)
Bertha (es ertennend).
Ha!
(Sie läßt ihr Schnupftud auf die Erde fallen, fo, daß ed bie am Boden
liegende Schärpe bebedt, und fteht zitternd.)
Soldat.
Ei ja, mein ſchönes Fräulein,
Glaubt, fürwahr es ift fein Scherz,
Dem da in den Weg zu treten.
12
Die Ahnfrau.
Ich war lang in ſeinen Klauen,
Und noch jetzt den? ih mit Grauen,
Mit Entfegen jener Zeit.
Wenn er jo nad) feiner Weife
Stand in der Gefährten Kreife,
Mit dem dunkel glühnden Blid,
Wie da nicht ein Laut entfchwebte,
Und der Muthigite ſelbſt bebte,
Und der Ungeftümfte ſchwieg.
Bis er mächtig dann begann:
Friſch, Genoffen, drauf und dran!
Jeder zu den Waffen eilte,
Und der milde Haufen beulte,
Daß es bis gen Himmel drang
Und die Gegend rings erflang.
Und dann fort der ganze Troß,
Er vorauf auf ſchwarzem Roß,
Wie des Teufeld Kampfgenoß,
Heiß von Wuth und Rachgier glühend,
Blige aus den Augen ſprühend.
Wo der Haufe fi ließ fehn,
Wars um Menjhenglüd gejchehn,
Nichts verfehonte ihre Wuth,
Alles nieder! Menfchenblut -
Raudte auf der öden Stätte
Mit den Trümmern um die Wette.
Schaubert Ihr? Es ift darnach.
Doch gekommen iſt der Tag,
Wo auch ihnen wird ihr Lohn,
Und der Henker wartet ſchon.
Bertha.
Weh!
Soldat
Den Fetzen auf den Tiſch werfend).
Da lieg, unnützes Stück,
"Dritter Aufzug. 73
Wil noch 'mal hinaus zum Tanz,
Und was gilt's, ich bring’ ihn ganz.
Gott befohlen, ſchönes Fräulein. (Ab.)
Bertha.
Weh mir! weh! — Es iſt geſchehn!
(In den Seſſel ſtürzend und die Hände vor's Geſicht ſchlagend.)
Iaromir
(die Thüre öffnend).
St er fort? — Was fehlt dir, Bertha?
Bertha
(deutet mit abgewwandten Bliden auf das am Boden liegende Schnupfs
tuch Hin).
Jaromir (e3 aufheben).
Meine Schärpe!
Bertha
(Hält ihm das abgerifjene Stüd vor, mit bebender Stimme).
Räuber!
Iaromir (urüdtaumelnd),
Hal —
Nun mohlan! es ift geſchehn!
Wohl, der Bligftrahl hat gefchlagen,
Den die Wolfe lang getragen,
Und id) athme wieder frei;
Fühl' ich gleich, es hat getroffen,
Sit vernichtet gleih mein Hoffen,
Doch iſt's gut, daß es vorbei.
Jene Binde mußte reißen
Und verſchwinden jener Schein;
Soll ich zittern, das zu beißen,
Was ich nicht gebebt, zu fein?
Nun braucht's nicht mehr, zu betrügen,
Fahret wohl, ihr feigen Lügen,
Ihr wart niemal3 meine Wahl:
Daß ih es im Innern wußte
Und es ihr verjchweigen mußte,
Das war meine gift’ge Qual.
74
Die Ahnfrau.
Wohl, der Blisftrahl hat geſchlagen,
Das Gemitter ift vorbei;
Frei Tann ih nun wieder jagen,
Was ih auf der Bruft getragen,
Und ih athme wieder frei. —
Ya, ib bin's, du Unglüdjel’ge,
Ya, id bin’, den du genannt;
Bin’3, den jene Häfcher ſuchen,
Bin's, dem alle Lippen fluchen,
Der in Landmanns Nachtgebet
Hart an, an dem Teufel Iteht;
Den der Bater feinen Kindern
Nennt als furdhtbares Erempel,
Zeile warnend: Hütet euch,
Nicht zu werden biejem gleich!
Ja, ih bin's, du Unglüdjel’ge,
Sa, ih bin’3, den du genannt;
Bin’3, den jene Wälver kennen,
Bin’3, den Mörder Bruder nennen,
Bin der Räuber Jaromir!
Bertha.
Weh mir, wehe!
Jaromir.
Bebſt du, Mädchen?
Armes Kind, ſchon bei dem Namen
Faßt e8 dich mit Schauder an?
Laß dich nicht fo ſchnell bethören;
Was du jchauderit, anzuhören,
Mädchen, das hab’ ich gethan!
Diefes Aug, de deinen Wonne,
Mar des Wanderers Entjegen;
Diefe Stimme, dir fo lieblich,
Mar des Näuberarms Gehülfin
Und entmannte, bis er traf;
Dritter Aufzug.
Diefe Hand, die ſich jo fehmeichelnd
In die deinige getaucht,
Hat von Menjchenblut geraucht!
Schüttle nicht dein ſüßes Haupt,
Ya, ih bin’3, du Unglüdjel’ge!
Weil die Augen Waſſer blinfen,
Weil die Arme kraftlos finten,
Weil die Stimme bebend bricht,
Glaubſt du, Kind, ich fei es nicht?
Ah, der Räuber hat auch Stunden,
Mo fein Schidjal, ganz empfunden,
Solche Tropfen ihm erpregt,
Ihm die Luft, zu weinen, läßt;
Bertha, Bertha, glaube mir,
Defien Augen jegt in Weinen
Fruchtlos fuchen nach den deinen,
Iſt der Räuber Jaromir!
Bertha.
Himmel! Fort!
Jaromir.
Ja, du haft recht!
Faſt vergaß ich, wer ich bin!
Feige Thränen, fahret hin!
Darf ein Räuber menſchlich fühlen?
Darf fein heißes Auge fühlen
Einer Thräne köſtlich Naß?
Fort! Bon Menjchen ausgeltoßen,
Sei dir auch ihr Troft verfchlojlen,
Dir Verzweiflung nur und Haß!
Wie ich oft mit mir geitritten,
Wie gerungen, wie gelitten,
Darnach fragt fein Menfchenrath;
Bor des Blutgerichtes Schranken
Richtet man nicht die Gedanken,
75
76
Die Ahnfrau.
Richtet man nur ob der That!
Nun, fo weiht mich euerm Grimme,
Willig fteig’ ih aufs Schaffot,
Doch zu dir ruft meine Stimme,
Auf zu dir, du heil’ger Gott!
Du börft gütig meine Klagen,
Dir, Gerechter, will ich's fagen,
Was mein wunder Bufen beat,
Du, mein Gott, wirft gnädig richten
Und ein Herz nicht ganz vernichten,
Das in Angft und Reue jchlägt.
Unter Räubern aufgewachſen,
Großgezogen unter Räubern,
Früh ſchon Zeuge ihrer Thaten,
Unbekannt mit milderm Beifpiel,
Mit dem Vorrecht des Befiges,
Mit der Menfchheit füßen Pflichten,
Mit der Lehre Lebenshaud,
Mit der Sitte heil’gem Brauch;
Wirſt du wohl den Räubersfohn,.
Wirft, Gerechter, ihn verdammen,
Menſchen ähnlich, ſchroff und hart,
Wenn er ſelbſt ein Räuber ward?
Ihn verbammen, wenn er übte,
Was Die thaten, die er liebte,
Und an feines Vaters Hand
Dem Verbrechen fich verband?
Weißt du doch, wie beim Erwachen
Aus ver Kindheit langem Schlummer
Er mit Schreden ſich empfand;
Seinem ſchwarzen Looſe fluchte,
Zmweifelud einen Ausweg juchte,
Sudte, Himmel! und nit fand.
Weißt du doch, wie feit den Stunden,
XCÄcX.t
Dritter Aufzug. 77
Als ich fie, ich fie gefunden,
Die mih nun bei dir verklagt,
Meinem wüſten Thun entjagt;
Weißt du — doch, wozu die Worte!
Wie mein Herz au ſchwellend bricht,
. Bleibt verjperrt des Mitleids Pforte,
Du weißt Alles, ew'ges Licht,
Und die Harte hört mich nid.
Ab von mir bleibt fie gewendet. —
Nun mwohlan, jo fei’3 vollendet,
Ah, geendet iſt's ja doch!
Db mein Blut die Erde röthet,
Hat doch fie mich ſchon getödtet,
Henker, ſprich, was kannſt du noch?
(Geht raſch der Thüre zu.)
Bertha (auffpringend).
Jaromir! — Halt ein!
Jaromir.
Was hör' ich?
Das iſt meiner Bertha Blick!
Ihre Stimme tönt mir wieder,
Und auf goldenem Gefieder
Kehrt das Leben mir zurück.
(Auf fie zueilend.)
Bertha! Bertha! Meine Bertha
Bertha.
Laß mich!
(Sie eilt fliehend gegen den Vorgrund. Jaromir erreicht fie und faßt
ihre Hand, die fie nach einigem Widerſtreben in feiner läßt. Sie ſteht
mit abgewandtem Gefidt.)
Iaromir.
Nein, ih laß dich nicht!
Ah, ſoll denn der Unglüdfel’ge,
Kaum dem Schiffbruh nur entgangen, x
Dem die Kraft fhon ſchwindend finkt,
Treibend auf der Waſſerwüſte, .
78
Die Ahnfrau.
Denn umllammern nit die Küfte,
Die ihm reich entgegen blintt?
Nimm mih auf! D, nimm mid.auf!
Was aus meinem frühern Leben
Noch mir hafte, noch mir bliebe,
Alles, bis auf deine Liebe,
Als unwürdig deinem Blid,
Stoß ich's in die Fluth zurüd;
Als ein neues, reines Weſen,
Wie aus meines Schöpfer Hand,
Lieg’ ich bier zu deinen Füßen,
Um zu lernen, um zu büßen.
(Ihre Knie umfaffend.)
- Kimm mid auf! DO, nimm mid auf!
Mild, wie eine Mutter, leite
Mich, dein Kind, wie's dir gefällt,
Dap mein Fuß nicht ftrauchelnd gleite
In der neuen, fremden Welt;
Lehr’ mich deine Wege treten,
Glüd gewinnen, Glüd und Ruh,
Lehr’ mich hoffen, lehr' mich beten,
Lehr’ mich heilig fein, wie du!
Bertha! Bertha! und noch immer,
Und noch immer fällt fein Blid
Auf den Flehenden zurüd?
Meine Bertha, fei nicht ftrenger
ALS der ftrenge Richter, Gott,
Der mit feiner Sonne Strahlen
In des Sünders legten Qualen
Noch vergoldet das Schafft. —
Ha, ich fühle — diefes Beben —
Ja, — du bift mir rüdgegeben!
(Die ſchwach fih Sträubende in feine Arme ſchließend.)
Bertha! Mädchen! Gattin! Engel!
(Auffpringend.)
Dritter Aufzug.
Stürze jeßt die Erde ein,
Iſt doch hier der Himmel mein!
Bertha.
- Saromir, ad! Saromir!
Jaromir.
Fort jebt, Thränen, fort jetzt, Klagen!
Mag das Schidjal immer fhlagen,
Denn dein Arm mid, Theure, hält,
Trotz' ich einer ganzen Welt.
Meine Schuld ift ausgeftrichen,
Subelnd bin ih mir’3 bewußt,
Und Gefühle, längft verblichen,
Blühen neu in diefer Bruft.
Wieder bin ih aufgenommen
In der Menfchheit heil'gem Rund,
Und des Himmeld Geifter fommen,
Segnend den erneuten Bund:
Unſchuld mit dem Lilienftengel,
Liebe mit der goldnen Frucht,
Hoffnung, jener Friedensengel,
Der fi jenſeits Kronen ſucht.
Nun ſtürmt immer, wilde Wogen,
Schwellt in himmelhohen Bogen,
In des Hafens ſichrer Hut
Lach’ ich der oͤhnmächt'gen Wuth.
Und nun höre, meine Bertha!
Zange noch, eh ih dich kannte,
Dacht' ih ſchon auf künft'ge Flucht.
Weit von bier, am fernen Rhein
Iſt ein Schloß, ein Gütchen mein,
. Gelder, Wechfel ftehn bereit,
dertig, wie mein Wink gebeut;
Dorthin, wo mid Niemand kennt,
Wo man mid: von Eſchen nennt,
79
80
Die Ahnfrau.
Nah dem ftillen Gütchen bin,
Dahin, Bertha, laß uns fliehn.
. Dort fang’ ih auf neuer Bahn
Auch ein neues Leben an,
Und nah wenig kurzen Jahren
Dünkt und, wa3 wir früher waren,
Wie ein altes Märhen, kaum
Klarer al3 ein Morgentraum.
Bbertha.
Fliehen ſoll ich?
Jaromir.
Kann ich bleiben?
Kann ich fliehen ohne dich?
Bertha.
Und mein Vater?
Jaromir.
Weib, und ich?
Wohl, ſo bleib: auch ich will bleiben,
Hier, hier ſollen ſie mich finden,
Faſſen, würgen, feſſeln, binden,
Hier vor deinem Angeſicht.
Wohl, ſo bleib, du gute Tochter,
Pflege deinen grauen Vater,
Führ luſtwandelnd ihn -hinaus,
Hin zu jener ſchwarzen Stätte,
Wo auf ſturmdurchwehtem Bette,
Im durch dich vergoßnen Blut
Dein ermordet Liebchen ruht.
Zeig ihm dann am Rabenſteine
Jene modernden Gebeine —
Bertha.
Ach, halt ein!
Jaromir.
Du willſt?
Dritter Aufzug.
Bertha
(Halb ohnmächtig).
7
Ich will!
Jaromir.
So hab Dank, hab Dank, mein Leben!
Schnell jetzt fort, ich kann nicht weilen,
Hier wird mich ihr Arm ereilen,
Meine Spur iſt ſchon entdeckt.
Dieſes Schloß wird man durchſpüren,
Sie durch die Gemächer führen,
Denn ihr Argwohn iſt geweckt.
Abwärts ſuchen jetzt die Späher,
Dieſes Schloſſes Außenwerke,
Seine halbverfallnen Gänge
Sind dem Räuber längſt befannt;
Dorthin will ich mich verbergen,
Bis der Augenblid erſcheint,
Der auf ewig uns vereint.
Wenn erſchallt die zwölfte Stunde,
Und kein lebend Weſen wacht,
Nah’ ich leiſe, Leif im Bunde
Mit der Stillen Mitternadt.
Im Gewölbe, wo in Reiben
Deiner Väter Särge jtehn,
Führt ein Fenſter nah dem Freien,
Dort, mein Kind, ſollſt du mid fehn.
Und fchnell eil' ich, wenn das Zeichen
Bon der lieben Hand erſchallt,
Schnell dahin, wo unter Leichen
Mir vieß liebe Leben wallt.
Grillparzer, Werke. I 6
82
Die Ahnfrau.
Dort, an deiner Bäter Särgen,
Die Verdacht und Argwohn fliehn,
Soll die Liebe fich verbergeh,
Und dann fchnell ins Weite hin.
Alfo kommſt du?
Bertha deife).
Ya, ich fomme.
Jaromir.
Alſo willſt du?
Bertha.
Ja, ich will.
Jaromir.
Jetzt leb wohl, denn ich muß fort,
Daß ſie uns nicht überraſchen:
Lebend ſoll man mich nicht haſchen.
Doch, noch Eins, Kind, ſchaff mir Waffen!
Bertha.
Waffen? Waffen? Nimmermehr!
Daß du, von Gefahr gevrängt,
Selber nah dem eignen Leben —
Iaromir.
Sei nur unbeforgt, mein Kind,
Geit ich weiß, wie du gejinnt, -
Seit ich deinen Schwur gehört,
Hat mein Leben wieder Werth.
Auch bedürft' e3 nicht der Waffen;
Um mir Freiheit zu verfchaffen,
Mär’ dieß Fläfchehen wohl genug.
Bertha.
Fort dieß Fläfchchen!
Jaromir.
Kind, warum?
Dritter Aufzug. 83
Bertha,
Glaubt du denn, mir würde Ruh,
Glaubſt, ich könnt' es bei dir wiſſen,
Ohne daß mein Herz zerriſſen?
Jaromir.
Macht's dich ruhig, nimm es hin!
(Das Fläſchchen auf den Tiſch werfend.)
Doch nun ſchaff mir Waffen, Waffen!
Bertha.
Waffen? Ach, woher?
Jaromir.
Ei, hängt nicht,
Hängt denn nicht an jener Mauer
Dort ein Dolch?
Bertha.
Ach, laß ihn, laß ihn!
Zieh ihn nicht aus ſeiner Scheide,
Unglück hängt an dieſer Schneide.
Von dem Dolche, den du ſiehſt,
Ward der Ahnfrau unſers Hauſes
Einſt in unglückſel'ger Stunde
Eingedrückt die Todeswunde.
Als ein Zeichen haͤngt er da
Bon dem nächtlichen Verhängniß,
Das ob unſerm Haufe brütet.
Blut'ges hat er ſchon gefehn,
Blut'ges kann noch jet geichehn!
Die Ahnfran erſcheint Hinter den Beiden, die Hände, wie abwehrenb,
gegen fie außgeftredt.
Bertha.
Was ſtarrſt du fo gräßlich hin?
Mann, du zitterſt? ich auch bebe!
84
Die Ahufrau.
Grabesihauder faßt mid an,
Leichenduft weht um mich ber!
(Sid an ihn fchmiegend.)
Ich erftarre! ich vergehe!
Jaromir.
Laß mich! — dieſen Dolch da kenn' ich!
Bertha.
Bleib zurück! Berühr ihn nicht!
Jaromir.
Sei gegrüßt, du hülfreih Werkzeug!
Ya, du bift’3, fürwahr, du bift’s!
Mie ih dich fo vor mir fehe,
Tauchen ferner Kindheit Bilder,
Lang verborgen, lang entzogen
Bon des Lebens wilden Wogen,
Wie ver Heimat blaue Berge,
Auf aus der Crinnrung Fluth. —
An dem Morgen meiner Tage
Hab’ ih dich fhon, dich gefehn;
Seitdem durch die Nacht des Lebens
Schwebteſt du mir gräßlic wor
Wie ein blutig Meteor.
In der flucherfüllten Nacht,
Als ih auf der erften Stufe
Meinem furdtbaren Berufe
Scheu die Erftlinge gebracht,
Da ſah ich mit bleihem Schreden
In der Wunde, die ih ſchlug,
Statt des Dolches, den ih trug,
Deine, deine Klinge jteden.
Und feit jenem Schredenstag
Blieb dein Bild mir immer wach!
Sei gegrüßt, du hülfreich Werkzeug!
Lodend ſeh' ich her dich blinken,
Dritter Aufzug.
Und mein Schidjal ſcheint zu winken.
Du bift mein! drum ber zu mir!
(Darauf 108 gehend.)
Bertha
(u feinen Füßen).
Ach, halt ein!
Iaromir
(immer unvertvandt auf den Dolch blidend).
Weg da! — Zurüd!
(Er nimmt den Dolch, die Ahnfrau verſchwindet.)
Iaromir.
Was ilt das? Was it gefchehn?
Als du dort no flimmernd bingft,
Schien von deiner blut’gen Schneide
Auszugehn ein glühend Licht,
Das dur der Vergangenheit
Nachtumhüllte Nebelthäler
Scheu, mit mattem Strahle flammte,
Und Geftalten, oft gefehn,
Wie in einem, frühern Leben,
Fühlt' ich ahnend mich umſchweben.
Diefe Halle grüßte mich,
Dieß Geräth jchien mir zu winken,
Und in meine? Buſens Gründen
Schien ih mir mich felbit zu finden!
Und jetzt ausgelöfcht, verweht,
Wie ein Bligftrahl kommt und geht.
Bertha.
Diefen Dolch! O, leg ihn hin!
Jaromir.
Ih, den Dolh! Nein, nimmermehr!
Er ift mein, ift mein, ift mein! .
Gi, fürwahr, ein tüchtig Eifen!
Wie ih ihn jo prüfend ſchwinge,
Wird mit Eind mir guter Dinge
85
86
Die Ahnfrau.
Und mein innres Treiben Har.
Scheint er do fo ganz zu paflen:
Wen's mit dir, mein guter Stahl,
Mir gelingt, jo recht zu faflen,
Der wird mich wohl ziehen laſſen
Und kömmt nicht zum zweiten Mal.
Nun leb wohl! — Leb wohl, mein Kind!
Muthig, froh! — Die Zukunft Tat!
Und gedenk: um Mitternadt!
(Mit erhobenem Dolce ind Seitengemach ab.)
Ende bes dritten Aufzuges.
Vierter Aufzug.
Halle, wie in den vorigen Aufzügen. Lichter auf dem Tiſche.
Bertha ſigt, ben Kopf in bie laden Hände, und biefe auf ben Tiſch
gelegt. Günther kümmt,
Günther.
Ihr feid hier, mein gnäd'ges Fräulein?
Mögt Ihr weilen fo allein
In den düfteren Gemädern
Und in biefer, diefer Naht?
Wahrlich, eine fchredenvollre
Hat dieß Aug nod nie gefehn.
Bimmernd heult der Sturm von aufen,
Und im Innern fhleiht Entfegen
GSinnverwirrend durch das Schloß.
Auf den dunklen Stiegen raufcht es,
Durch) die Öden Gänge wimmert's,
Und im Grabgewölbe drunien
Poltert's mit den morſchen Särgen,
Daf das Hirn im Kreife treibt
Und das Haar empor fi fträubt.
Manches fteht uns noch bevor,
Bandelt dod die Ahnfrau wieder;
Und man weiß aus alten Beiten,
68
Die Ahnfrau.
Daß das Großes zu bebveuten,
Schweres anzufünven hat,
Unglüd over Frevelthat!
Bertha.
Unglüd oder Frevelthat?
Unglüd, ab! und Frevelthat.
Reichte nicht das Unglüd bin,
Diejes Dajein zu vernidten,
Warum noch den ſchweren Frevel
Laden auf die wunde Bruit?
Warum, du gerehtes Wegen,
Noch mit des Gemifjens Fluch
Deinen barten Fluch veribärfen?
Warum, Gott, zwei Blige werfen,
Wo's an einem jhon genug?
Günther.
Ah, und Euer grauer Pater,
Draußen in dem Winterjturm
Bloßgeftellt ver Muth des Wetters
Und ver blut’gen Räuber Dolch!
Bertha.
Dolh? — Was jagit du? — Welcher Dolch?
Gab ih? Nahm er nidt?
Günther.
Liebes Fräulein,
Last ven Muth nit ganz entweichen!
Alle diefe trüben Zeichen
Sind ja doch nur Wetterwolken,
Die des Sturmes Nahn verkünden:
Doch nicht alle Donner zünden,
Und des Bliges glühnder Brand
Liegt in Gottes Baterhand.
Kırtha.
Du baft Recht. — In Gottes Hand!
Du haſt Recht! — Sa, ih will beten!
Vierter Aufzug. 89
Er wird Hülf und Troft verleihn;
Er fann ſchlagen, er Tann reiten,
Cr Tann Strafen und verzeihn!
(Am Sefjel nievdertnieenb.)
Günther
(and Fenfter tretenb).
Es erbellet ſich vie Gegend,
Fadeln ftreifen durd das Feld,
Man verfolgt den Reit ver Räuber,
Der fih bier verborgen hält.
Bertha (fnieend).
Heil’ge Mutter aller Gnaden,
Laß mid dir mein Herz entladen,
Aus mi ſchütten meinen Schmerz;
Mild, mit weihem Finger ftreife
Bon der Bruft den Kummer, träufe
Balfam in dieß wunde Herz!
Günther.
Rund herum im Kreis fie fteben,
Jeder Ausweg ift verftellt;
Da mag Keiner mohl entgehen,
Wie er fih verborgen hält.
Bertha
(in ſteigender Angſt).
Hüll' ihn ein in deinen Schleier,
Den Geliebten, mir ſo theuer,
Er iſt ja zurück gekehrt!
Wolleſt gnädig ihn bewahren,
Führ' ihn durch der Späher Schaaren,
Führ' ihn durch der Feinde Schwert!
Günthet.
Mär doch Euer Vater bier.
Daß e3 ihn hinaus getrieben!
Wär’ er doch bei ung geblieben,
Denn — mit Schaudern denk ich's mir!
90 Lie Mafran
Bertha.
Schan herab vom Eternenüige,
Uns auch ihn, auch ihn beichüge,
Dem man Ion fo viel geraukt;
Was den Theuern, Lieben dräuet,
Sa auf dieſes Haupt geitremet,
Se gelegt auf diejes Haupt!
Günther.
Jetzt ſcheint Etwas aufgeipärt!
Alles eilt der Mauer zu,
Setzt er ſich auch noch zut Wehr,
Der entlommt wohl nimmermehr.
Bertha
(in höchſter Angk, fa ſchreiendy.
end’ es ab! — Ad, wende! wende!
Hier erheb’ ih meine Hände.
Over ende! — ende! — ende!
(Beide horchen mit ber gelpannt her Kufmertiamkeit Bertha richtet
fi langſam auf.)
Günther.
Horch! — Ein Schrei!
Bertha.
Ein Schrei!
Günther.
Wieder Stille.
Bertha.
Wieder Stille —?
Günther.
Himmel! ‚War das nit die Stimme —?
Berthe.
Weſſen Stimme?
Günther.
Fort, Gedante!
Das zu denlen, wär ſchon Top!
Bierter Aufzug. 91
Bertha.
Meilen Stimme?
Günther.
Gi, nit doch.
Alle Stehen fie verfammelt
Rings um einen Gegenftand,
Der, jo ſcheint's, am Boden Liegt.
Bertha.
Liegt? Am Boden liegt?
Günther.
Ich kann
Nicht hinvor bis dahin blicken,
Denn des Hauſes ſcharfer Vorſprung
Hemmt die Ausſicht nach der Seite.
Doch dünkt mich, an jener Linde,
Die das Fenſter dort beſchattet —
Bertha.
An der Linde?
Günther.
Ya, fo dünft mid.
Kertha.
An der Linde? — Liegt am Boden?
Günther.
Wie ich ſagte. Alſo ſcheint's.
Bertha.
Gott, mein Jaromir!
Günther.
Ci, Fräulein,
Der ſchläft ruhig in der Kammier.
KBerthe.
Shläft? Ach, fchläft, um nie zu wachen.
Günther.
Horh, man fommt. — Da laßt ung fragen,
Was fih unten zugetragen.
92
Die Ahnfrau.
Hauptmann kommt.
Haupimann.
Heda! Betten! Tücher! Betten!
Günther.
Ah, fagt an po, edler Herr —!.
(Bertha ftebt bewegungslos.)
Hauptmann.
Ihr auch bier, mein holdes Fräulein?
Darauf war ich nicht bereitet;
Hülfe wollt’ ich hier begehren,
Nicht des Unglüds Bote fein.
Euer Bater iſt —
Bertha Cine.
Und Er?
Hauptmann.
Mer, mein Fräulein?
Scerthe,
Und — die Räuber?
Haupimanı.
Noch ift es und nicht gelungen.
Ah, und Euer Pater 7
Bertha.
Nicht? —
Nun habt Dank für Eure Botſchaft!
Hauptmann.
Botſchaft? Welche Botichaft?
Bertha.
Daß —
Ich erwarte, wollt' ich ſagen,
Ich erwarte Eure Votſchaft.
hauptmann.
Hört ſie denn mit wenig Worten —
Euer Vater iſt verwundet.
Vierter Aufzug. 93
Bertha.
Iſt vermundet? Wie, mein Vater?
O, ib will ihn Pflegen, warten,
Sorglos heilen feine Wunden,
Und er foll gar bald gefunden
An der Tochter frommer Bruft.
Hauptmann.
Nun, mid freut’3, daß meine Boiſchaft
Euch gefaßter, muth'ger trifft,
Als ich fürchtete und — hoffte.
Günther.
Alſo war's doch ſeine Stimme!
Ich will allſogleich hinaus —
hanptmann.
Bleib! Bereite lieber Alles,
Denn man bringt ihn ſchon hieher.
Hart traf ihn der Stoß des Räubers —
Bertha.
Ha! des Räubers?
Hauptmann.
Wohl, des Räubers,
Meilen fonit? doch ja, Ihr wißt nicht. —
Wir durchftreiften rings die Gegend,
Euren Vater in der Mitte,
Denn troß meiner warmen Bitte,
Blieb er, tief die Kränkung fühlend,
Die ih ſchuldlos ihm gebradt,
Helfend, leitend unter uns.
Horch! da rauſcht's durch die Gebüfche,
Und die Wachen rufen’3 an.
Keine Antwort. Meine Leute,
Froh ob der gefundnen Beute,
Stürzen jubelnd drauf und dran.
Und nah einem jener Gänge,
94 Die Ahnfrau,
Die in wildverworrner Menge,
Halb verfallen, weit umhin
Diefes Schlofieg Wall umziehn,
Sahn wir einen Schatten fliehn.
Euer Bater ftand der Nächſte,
Und mit vorgehaltnem Degen
Stürzt er jugenblich verwegen
Nach dem Räuber in den Gang.
Da ertönt ein matter Schrei,
Eilig ſtürzen wir herbei,
Euer Vater liegt am Boden
Ohne Leben, ohne Odem,
Seiner ſelbſt ſich nicht bewußt,
Einen Dolch in ſeiner Bruſt.
Bertha.
Einen Dolch?
Hauptmann.
Ja, liebes Fräulein !
Bertha.
Einen Dolch?
Hanptmann.
Ja, einen Dolch!
Bertha.
Fort! hinaus! hinaus! hinaus!
Hauptmann (fie zurüchaltend).
Bleibt doch, liebes Fräulein, bleibt doch!
Seht, man bringt ihn.
Soldaten und Diener bringen den Grafen auf einer Tragbahre,
bie fie in der Mitte der Bühne niceberfegen.
Bertha.
Gott! mein Vater!
Laßt mich! laßt mich!
Bierter Aufzug. 95
Hauptmann.
Ruhig, Fräulein!
Denn Ihr tödtet Euch und ihn.
Ruhig!
Bertha.
Ruhig? — Laßt mi! laßt mich!
(Sid losreißend und an der Bahre niederſtürzend.
Vater! Vater! o mein Vater!
Graf tin Abſätzen).
Ach! bift du es, meine Bertha?
Gutes Mädchen, armes Kind!
Armes, armes, armes Kind!
Bertha.
Bater, mir nicht diefe Güte,
Bater, mir nicht diefe Huld,
Sie vergrößert meine Schuld!
Graf.
Wenn in jenem Augenblide
Bei der Fadeln fernem Licht
Mich getäufeht mein Auge nicht,
Wenn er’3 war, er, den ich meine,
Armes, armes Kind, dann weine
Um dich felber, nit um mih! —
Mo ift Jaromir?
Bertha Gebend leiſe).
Ich weiß nicht.
Graf.
Wo iſt Jaromir? mein Kind.
Bertha
(ihr Geſicht in die Kiffen verbergend).
Vater! Vater!
Graf.
Nun, es ſei!
Fahre wohl denn, fahre wohl,
Meine letzte, einz'ge Hoffnung!
Die Ahnfrau.
Mohl, die Sonne ift hinunter,
Ausgeglimmt der legte Schein,
Dunkle Nacht bricht ringS herein.
Es ift Schlafens — Schlafens Zeit! —
Gutes Mädchen, armed Kind,
Klage, dulve, leide, ftirb!
Dir kann nimmer Segen werben,
Für dich gibt's kein Glüd auf Erden,
Bift du ja dod meine Tochter,
Bift doch eine Borstin.
Günther.
Haltet ein, mein gnäd'ger Herr!
Eure matte, wunde Bruft
Reidet unter Eurem Sprecden.
Graf.
Laß mich, treuer Diener, laß mid
Noch einmal am Rand des Grabes
Diefem wüſten, wirren Leben,
Wüſt und rauh und dennoch ſchön,
Noch einmal in Auge fehn;
Seine Freuden, feine Leiden,
Mich zum lehten, lebten Abſchied
Noch Einmal als Menſch mich fühlend,
Drüden an die Menſchenbruſt.
Noch zum legten Male ſchlürfen
Aus dem bitterfüßen Beher —
Und dann, Schidjal, nimm ihn hin!
Bertha.
Bater, nein! — Nicht Sterben! Rein!
Nein, Ihr dürft nicht, dürft nicht fterben!
Seht, ih Hammre mid an Euch,
Seht, Ihr dürft, Ihr könnt nicht Sterben!
Graf.
Willft du mit den Kinderhänden
Vierter "Aufzug,
In des Schickſals Speichen greifen?
Seines Donnerwagens Lauf
Hält fein ſterblich Weſen auf.
Ein Soldat kömmt.
Soldat (um Hauptmann),
Eben hat man einen Räuber,
Der im Schilfe lag verborgen,
Bon dem nahgelegnen Weiher,
Edler Herr, hier eingebradt..
Graf.
Einen Räuber?
Bertha.
Güt'ger Gott!
Graf.
Jüngling noch? Von ſchlankem Wuchſe?
Soldat.
Nein, Herr Graf, beinah ſchon Greis.
Er verlangt, mit Euch. zu fpredhen;
Wicht'ges hab’ er zu verkünden,
Wichtiges für ihn und Euch.
hanptmann.
Mag der Böſewicht es wagen,
Dieſes Mannes letzte Stunden —
Graf.
Laßt ihn Tommen, lieber Herr!
Hat er fih gen mid vergangen,
Wil ich fterbend ihm verzeibn,
Oder ward vielleicht von mir
Ihm Beleid’gung oder Unbild,
Soll ih aus dem Leben ſcheiden,
Mit des Armen Fluch beſchwert?
Saupimann.
Wohl, er komme! (Soldat ab.)
Grillparzer, Bere IL 17
93
Die Ahufran.
Günther.
Gnäb’ger Herr,
Unbequem ift dieſes Lager;
Ihr erlaubt e3 wohl, wir tragen
Eud in Euer Schlafgemad.
Graf.
Nein, nicht doch! Hier will ich bleiben,
Hier, in diefer heil’gen Halle!
Die des Anaben muntre Spiele,
Die des Jünglings bunte Träume,
Die des Mannes Thaten ſah,
Soll aud fehn des Greiſes Ende.
Hier, wo meiner Ahnen Geifter
Mich mit leifem Flug umſchweben,
Hier, wo von den hohen Wänden
Eine lange, würd'ge Reihe,
Die noch jetzt der Ruhm erhebt,
Niederſchaut auf ihren Erben;
Mo die Väter einſt gelebt,
Soll der lebte Enkel fterben.
BoleBlnan tritt ein, von den Wachen geführt,
Boleslan
(fi auf die Kniee niederwerfend).
Gnäd'ger Herr! ach, habt Erbarmen!
Laßt mich Gnade, Gnade finden,
Sprecht für mid ein mächtig Wort!
Und zum Lohne will ih dann
Eine Kunde Euch ertheilen,
Die ſchnell Euer Siechthum heilen,
Euch mit Luft erfüllen ſoll.
Graf.
Gibt's für mich glei feine Kunde,
Die jo mächtig, wie du jpridit,
Fon
Vierter Aufzug. 99
Doch verſprech' ih dir zur Stunde,
Hier in meines Freundes Geift,
Wenn's zum Guten, was du meißt,
Sollit du gnäd'ge Richter finden,
Onädig auch bei ſchweren Sünden.
Boleslan.
Wohl, jo hört, ah, und verzeiht!
Einft, jegt jind’3 wohl zwanzig Jahre,
Ging ih eines Sommerabends,
Damals ſchon auf ſchlimmen Wegen,
Hier an Eurem Schloß vorbei;
Wie ih lauernd ringsum fpähe,
Da gewahr ih an dem Weiher,
Der an Eure Mauern ftößt,
Einen ſchönen, holden Knaben,
Raum drei Jahre mocht' er haben;
Der warf fpielend Stein auf Stein
An die klare Fluth hinein.
Günther.
Güt’ger Gott!
Graf.
Was werd' ich hören!
Boleslan.
Schön und köſtlich war fein Kleid,
Und um feinen weißen Naden
Hing ein funlelndes Geſchmeid;
Mich gelüftet nach der Beute,
Ringsum ſchau ih, nirgends Leute,
Ich und er nur ganz allein.
Ich verſuch's, ihn anzuloden,
Abzuloden ihn vom Schloſſe,
Zeig’ ihm Blumen, zeig’ ihm Yrüdte,
Und der Knabe, froh und heiter,
Folgt mir weiter, immer weiter,
Tie Aynfran.
Bei des Abends Dämmerſchein
In den düftern Wald hinein.
Graf.
Ah, es war, es war mein Sohn!
Günther.
Und wir glaubten ihn ertrunten,
In des Weihers Schlamm verfunten,
Weil fein Hut im Waller ſchwamm.
Graf.
Jubelſt du im toller Luft,
Glaubft du, daß in Räuber Bruft
Menſchlichkeit und Mitleid wohnet?
Glaubſt du, daß er ihn verfchonet?
Soleslan.
‘a, ih habe ihn verfchont !
Morden wollten ihn die Brüder,
Daß nicht durch des Anaben Mund
Unfre Wege würden fund;
Doch ich fehte mich dawider,
Und als die Gefährten ſchwören,
Nimmer foll er wieberlehren
Aus des Waldes Nacht heraus
In der Eltern heimiſch Haus,
Da, Herr, dau’rte mich der Kleine,
Da ward Euer Sohn der meine,
Bald vergaß er Euch und id,
Und er ehrt al3 Vater mid.
Graf.
Gott, mein Sohn! — er lebt! er lebt!
Aber wie? — Ha, unter Räubern!
ft wohl gar —? Veh! ift —
Bolesladv (mit geſenkten Augen).
Mas ich!
Graf.
Räuber? — Gott, er fagt nicht: Nein!
. Vierter Aufzug. 101
Schweigt erſtarrt, und fagt niht: Nein!
Ha! mein Sohn ein Räuber, Räuber!
Hätt’ ihn doch dein fchwarzer Mund,
Tückiſch Waflergrab, verfchlungen,
Beſſer, ſchien's mir gleich fo hart,
Mär fein Name nie erklungen,
Als mit Räuber jet gepaart.
Aber, ah, was fluch' ich ihm?
Gott! hab’ Dank für diefen Strahl!
Räuber? war's denn feine Wahl?
Bring ihn, Guter, bring ihn mir,
Auch für den Räuber dank’ ich dir.
Boleslan.
Er ift bier in Euerm Schlofie.
Graf.
Hier?
Boleslan.
Ja, Herr, Euch unbelannt.
Jener Fremde, der heut Abend
Matt und bleih um Zufluht bat —
Bertha.
Saromir?
Boleslav.
Derſelbe, ja!
Graf.
Teufel! Schadenfroher Teufel!
Nimm's zurück, das Donnerwort!
Nimm's zurück!
Boleslan.
Er iſt's, mein Herr!
Graf.
Widerruf!
Boleslan.
Ich kann nit, Herr!
102
Die Ahnfrau. Ä #
Gra
(ich mit höchſter Anſtrengung aller efie vom Lager aufrichtend).
Widerruf'!
hanptmann
(Beſänftigend zum Grafen).
Herr Graf!
(Auf Boleslav zeigend.)
Fort mit ihm!
Soleslan.
Mein Herr Ritter!
hanptmann.
Fort mit ihm!
(Boleslav wird abgeführt.)
Graf.
Er geht fort, und fagt nit: Nein!
So begrabt mid denn, ihr Mauern,
Und Verwüftung brich herein,
Stürzet ein, ihr felten Säulen,
Die der Erde Ball getragen,
Denn den Bater hat fein Sohn erfchlagen!
(Zurüdfintend.)
Bertha
(in Ohnmacht ſinkend).
Todespforte, thu dich auf!
Pauſe.
(Alle ſtehen in ſtummem Entſetzen.)
Graf.
Wie hab’ ich,ſo oft geklagt,
Daß ein Sohn mir ward verjagt,
Kampfgereht und lehenbar,
Wie ver Väter hohe Schaar;
Seht des Schidjals gifegen Hohn!
Seht, ih habe einen Sohn,
Es erhielt ihn mild am Leben,
Mir den Todesftreich zu geben!
Vierter Aufzug. 103
Wenn mein Aug ich thränend netzte,
War die Klage ohne Noth,
Väter, ih bin nicht der Letzte!
Noch lebt Einer! — am Schaffet! — —
Was Tiegt dort zu meinen Füßen
Und blinkt mich fo blutig an?
Günther
(den Dolch aufhebend und hinhaltend).
’3 iſt der Dolch, der Euch verwundet!
Graf
Dieſer war es? Diefer Dolch?
Ya, du biſt es, „blutig Eifen,
Ya, du biſt's? du bift daſſelbe,
Das des Ahnherrn blinde Wuth
Tauchte in der Gattin Blut!
Ich ſeh' dich, und es wird helle,
Hell vor meinem trüben Blick!
Seht ihr mich verwundert an?
Das hat nicht mein Sohn gethan!
Tiefverhüllte, finſtre Mächte
Lenkten ſeine ſchwanke Rechte!
(Günther anfaflend,)
Wie war, Alter, deine Sage
Bon der Abnfrau früher Schuld,
Bon dem fündigen Geſchlecht,
Das in Sünden warb geboren,
Um in Sünden zu vergehn?
Seht, ihr jenen blut’gen Punkt
Aus der grauen Väterwelt
Glühendhell berüber blinken?
Seht, vom Bater zu dem Sohne
Und vom Enkel bin zum Entel
Rollt er wachſend, wallend fort,
Und zulegt zum Strom geſchwollen,
104 Die Ahnfrau.
Hin dur wild gefprengte Dämme
Ueber Felder, über Fluren,
Menfchendafeins, Menſchenglücks
Leicht dahin geihmenmte Spuren,
Wälzt er feine Fluthen ber,
Uferlog, ein wildes Meer.
Ha, e3 fteigt, es ſchwillt heran,
Des Gebäudes Fugen krachen,
Sinkend ſchwankt die Dede droben,
Und ich fühle mich gehoben!
Tiefverhüllte Warnerin,
Sünd'ge Mutter fünd’ger Kinder,
Trittft du dräuend hin vor mid?
Triumphire! Freue dich!
Bald, bald ijt dein Stamm vernichtet,
Iſt mein Sohn doch ſchon gerichtet:
Nimm denn aud dieß Leben hin,
Es ftirbt der legte Borotin!
(Sintt ſterbend zurüd.)
Günther.
Gott! Es fprengen die Verbande!
Weh, er ftirbt!
(tteber ihn gebeugt, die Hand auf feine Bruſt gelegt, nad einer Pauſe.)
Er ift nicht. mehr!
Kalt und bleich find diefe Wangen,
Diefe Bruft hat ausgebebt.
Qualvoll ift er heimgegangen,
Qualvoll, fo mie er gelebt.
Fahr denn wohl, du reine Seele,
Ah, und deine Tugenden
Tragen di, wie lichte Engel,
Bon der Erde Leiden los,
An des Allerbarmers Schoof.
Schlummre bis zum Morgenroth,
Suter Herr! und was bieß Leben,
Vierter Aufzug. 105
Karg und hart, die nicht gegeben,
Gebe freundlih dir der Top!
(Er ſinkt betenb auf die Kniee nieber. Der Hauptmann und alle Ume
ſtehenden entblößen bie Häupter. Yelerliche Stille.) .
Hanptmann.
Sp, ihm ward der Andacht Zoll!
Und jegt, Freunde, auf, zu rächen
Das entfegliche Verbrechen
Auf des blut’gen Mörders Haupt!
Günther.
Wie, Ihr wolltet?
Hauptmann.
Fort, mir nad)!
(Ab mit feinen Leuten.)
Günther.
Güt'ger Himmel! Haltet ein!
Hört hr nicht? Es ift fein Sohn!
Meines Herren einz’ger Sohn!
Fräulein Bertha! Hört doch, hört!
(Dem Hauptmann nad.)
Bertha (fi aufrichtend).
Rief man mir? — Nu, Bertha, rief &,
Ei, und Bertha it mein Name —
Aber nein, ih bin allein!
(Bom Boden aufftehend.)
Stille, jtill! Hier liegt mein Vater,
Liegt fo fanft und regt fih nid.
Stille! Stille! Stille! Stille!
Wie fo ſchwer ift diefer Kopf,
Meine Augen trübe, trübe!
AH, ich meiß wohl, mande Dinge,
Manche Dinge find gefhehn,
Noch vor Kurzem erſt geſchehn;
Sinnend denk' ich drüber nach,
106 Die Ahnfran.
Aber, ah, ein liter Punkt,
Der hier an der Stirne brennt,
Der verfehlingt die wirren Bilder!
Halt! halt! Sagten fie denn nidt,
Nicht, mein Vater fei ein Räuber?
Nicht mein Pater, nicht mein Vater!
Jaromir, fo hieß der Räuber!
Der ftahl eines Mädchens Herz
Aus dem tiefverfchloßnen Buſen,
Ah, und ftatt des warmen Herzens
Legte er in ihren Bufen
(Sinen kalten Skorpion,
Der nun grimmig wüthend nagt
Und zu Tod das Mädchen plagt.
Und ein Sohn erjhlug den Vater —
(Freudig.)
Und mein Bruder kam zurüd,
Mein ertrunfner, todter Bruder!
Und der Bruder — halt! — hinunter!
Nur hinunter, da hinunter!
sort in euern Schwarzen Käfich!
(Die Hand krampfig aufs Herz gepreßt.)
Nage, nage, gift’ges Thier,
Nage, aber jchweige mir!
(Ein Licht vom Tiſch nebmend.)
Gi, ib will nur ſchlafen gehn,
Schlafen, ſchlafen, ſchlafen gehn,
Liebli find des Schlafes Träume,
Nur das Wachen träumt jo ſchwer!
(Ihre umherſchweifenden Blicke auf den Tiſch werfend.)
Mas blinft dort vom Tiſch mih an?
O, ih kenn' dich, Schönes Fläſchchen!
Gab mir's nicht mein Bräutigam?
Gab zum Brautgeſchenke mir's;
Vierter Aufzug. 107
Sprady er nicht, als er mir's gab,
Daß in diefer Heinen Wiege
Shlummernd drin der Schlummer liege?
Ah, der Schlummer! ja, der Schlummer!
Laß an deinem Rand mich nippen,
Kühlen diefe heißen Lippen,
Aber leiſe — leife — leiſe. —
«Sie gebt auf den Zehenſpitzen, mit jedem Schritt mehr wankend, auf
den Tiſch zu. Ehe fie ihn noch erreicht, ſinkt fie zu Boden.)
Ende bes vierten Aufzuges.
Aünfter Aufzug.
Schloßzwinger. Bon allen Seiten halbveriallene Werke. Lints
an einer Wand des Vorgrundes ein enfter in der Mauer,
im Hintergrunde ein Theil des Wohngebäudes mit der Schloß-
kapelle.
Jaromir kommt burd bie Nacht.
Jaromir.
So — hier iſt der Ort, das Fenſter!
Hier, in dieſen wüſten Mauern,
Will ich tief verborgen lauern,
Bis des Glüdes Stunde jchlägt.
(Auf⸗ und abgehenb.)
Fort, ihr marternden Gebanten,
Schlingt nit eure dunkeln Ranken
Um dieß weichliche Gefühl!
Pfui! der nie dem Tod gezittert,
Felt und muthig, den erjchüttert
Lofer Bilder leichtes Spiell —
Ha, und wenn ich ihn erihlug,
Ihn, der mich erichlagen wollte,
Was iſt's, daß ich zittern jollte?
Hat die That nit Grund genug?
Hab’ ich ihm den Tod gegeben,
Fünfter Aufzug. 109
War's in ehrlihem Gefecht,
Ei, und Leben ja um Leben,
Sprit die Sitte, ſpricht das Recht!
Mer iſt's, der darob erröthet,
Daß er feinen Feind getöbtet,
Mas iſt's mehr? — Drum fort mit eud),
War ich font doch nicht*fo weich.
Und wenn's vet, was ich gethan,
Warum faßt mich Schauder an?
Warum brennt es hier ſo heiß,
Warum wird mein Blut zu Eis?
Warum ſchien's, als ich es that,
In dem ſchwarzen Augenblicke,
Teufel zögen mich zur That,
Gottes Engel mich zurücke!
Als ich fliehend in den Gang,
Der Verfolger nach mir ſprang,
Schon ſein Athem mir im Nacken,
Jetzt mich ſeine Hände packen,
Da rief's warnend tief in mir:
Deine Waffen wirf von dir,
Und dich hin zu ſeinen Füßen,
Süß iſt's, durch den Tod zu büßen!
Aber raſch, mit neuer Gluth,
Flammt empor die Räuberwuth
Und ruft ungeſtüm nach Blut.
Vor den Augen ſeh' ich's flirren,
Hör' es um die Ohren ſchwirren,
Geiſter, bleich wie Mondenglanz,
Wirbeln ſich im Ringeltanz,
Und der Dolch in meiner Hand
Glühet, wie ein Höllenbrand!
Nette, ruft es, rette dich!
110
Die Ahnfrau.
Und blind ſtoß' ich hinter mid.
Ha, es traf! Ein wimmernd Ad
Folgt dem raſchen Stoße nad,
Mit befannter, füßer Stimme,
Mit erftorbner Klageftimme.
Bebend hör’ ich fie erfchallen.
Da faßt ungeheure Angjt
Mich mit Falten Eifestrallen,
Wahnſinn zudt mir durchs Gehirn;
Bebend ſuch' ih zu entweichen
Mit dem blut’gen Kainzzeichen,
Flammend auf der Mörberftirn.
AU mein Ringen, al mein Treiben
Kann den Ton nicht übertäuben,
Immer dröhnt mir dumpf und bang
In das Ohr fein hohler Klang;
Und mag ih mir's immer fagen:
Deinen Feind haft du erjchlagen,
Ruft der Hölle gift’ger Hohn:
Das war keines Feindes Ton! —
Doh wer naht dort dur die Trümmer,
Cilig jchreitenb auf mich zu?
Thor! den Rüdweg findft du nimmer,
Ich muß fallen, oder du. |
Denn, wenn Einmal nur der Tiger
Grit gefättigt feine Wuth,
Bleibt die Gierde ewig Gieger,
Und fein Innres ſchreit nah Blut.
(Er zieht fi zurüd.)
Boleslav Lömmt.
Bolesltav.
Gott ſei Dank! Es iſt gelungen,
Ledig bin ich meiner Haft,
Fünfter Aufzug. 111
Doch von Mauern noch umrungen,
Und ſchon ſchwindet meine Kraft.
Daß ich ihn doch finden könnte,
Ihn, den Theuern, den ich ſuche,
Meinen, ſeinen, unſern Sohn.
Werf' ich mich mit Jaromir
Zu des mächt'gen Vaters Füßen,
O, dann muß der Richter ſchonen,
Trifft deſſelben Schwertes Streich
Doch den Sohn mit mir zugleich.
Jaro mir (hervortretend).
Das iſt meines Vaters Stimme!
Bolesltav.
Jaromir! — du biſt's?
Jaromir.
Ich bin's.
Bolesltav.
Sei geſegnet!
Jaromir.
Großen Dank!
Ei, behaltet Euern Segen,
Räubers Segen iſt wohl Fluch.
Und woher des Wegs, mein Vater,
Welcher Dietrich, welche Leiter
Führt Euch in des Sohnes Arm?
Boleslav.
Ach, ich war in Feindeshänden!
An dem Weiher dort gefangen,
Ward ich in das Schloß gebracht;
Doch benützend die Verwirrung,
Die des Grafen jähe Krankheit
Unter ſeine Diener ſtreute,
Sucht' ich Rettung und entſprang.
Jaromir.
Und entſprangt? Ihr ſeid mein Mann!
112 Die Ahnfrau.
Seht, jo hab’ ih auch gethan.
Denn una blüht fein Glüd, uns Beiden,
Unter unbefcholtnen Leuten,
In des Waldes Naht und Graus
Fühlt ein Räuber fih zu Haus.
Recht, mein Bater! Wackrer Bater!
Würdig eines ſolchen Sohns.
Bolesltav.
Solchen Sohns? — Er weiß noch nicht! —
Jaromir, du nennſt mich Vater!
Jaromir.
Soll ich nicht? — Wohl, tauſchen wir!
Nehmt den Vater Ihr zurück,
Doch erlaßt mir auch den Sohn!
Boleslav.
Wozu mag noch Schweigen frommen,
Iſt die Stunde doch gekommen,
Wo die Hülle fallen muß.
Nun, wohlan denn, fo erfahre
Das Geheimniß langer Jahre,
Mer dir gab des Lebens Licht.
Laß den Dank nur immer walten,
Denn ich habe dir's erhalten,
Wenn auch gleich gegeben nidt.
Jaromir.
Ha! — Wenn gleich gegeben nicht?
Nicht gegeben? Nicht gegeben?
Boleslav.
Nein, mein Sohn, nicht mehr mein Sohn.
Jaromir.
Nicht dein Sohn? — Ich nicht der Sohn
Jenes Räubers Boleslav?
Alter Mann, ich nicht dein Sohn?
Laß mich's denken, laß mich's faſſen,
O es faßt, es denkt ſich ſchön!
Fünfter Aufzug. 113
Ich gehörte mit zum Bunde,
Den verzweifelnd ich geſucht,
Und Gott hätte in der Stunde
Der Geburt mir nicht geflucht?
Meinen Namen nicht gefchrieben
Ein in ver Berwerfung Bud,
Dürfte hoffen, dürfte lieben,
Und mein Beten ift fein Fluch?
(Boleslav Hart anfaffend.)
Ungeheuer! Ungeheuer!
Und du Eonnteft mir’3 verhehlen,
Sahft mid gift’ge Martern quälen,
Sahit de3 Innern blut’gen Krieg,
Ha, und deine Lippe ſchwieg!
Schlichſt dich Firchenräuberifch
In des reinen Kinderbuſens
Unentweihtes Heiligthum;
Stahlſt des theuren Vaters Bild
Von der gottgeweihten Schwelle,
Setzteſt deines an die Stelle!
Ungeheuer! Ungeheuer!
Wenn ih im Gebete kniete
Und des Dantes Gegenitand,
Der, mir jelber unbelannt,
Sn dem heißen Herzen brannte,
Lebensſchenker, Vater nannte,
Segen auf ihn nieberflehte,
Schlichſt du dich in die Gebete,
Cigneteft dir, Mörder du,
Meiner Lippen Gegen zu!
Sprich's nod Einmal, ſprich es aus,
Daß du dir den Vaternamen
Wie ein feiger Dieb geftohlen,
Mörder! dab ich nicht dein Sohn!
Grillparzer, Berle. I, . 8
114
Die Abnfrau.
Soleslan.
Ach! mein Sohn —
Iaromir.
Sprich es nit aus!
Deine Zunge töne Mord,
Aber nicht dieß heil'ge Wort! —
Nicht dein Sohn! Ich nidht dein Sohn!
Habe Dank für diefe Nachricht!
Mörder! darum haßt' ich dich,
Seit ih Gottes Namen nenne,
Seit ih Gut und Böſes kenne;
Darum bohrten deine Blide
Sih wie Meuchelmörder : Dolche
In des Knaben warme Bruft;
Darum faßt' ihn kalter Schauder,
Wenn du mit den blut’gen Händen
Seine vollen Wangen ftrichft,
Dich zu ihm berunter neigteft,
Auf erſchlagne Leichen zeigteft
Und dein Mund mit Lächeln ſprach:
Werd’ ein Mann und thu mir nad!
Und ih Thor, ich blinder Thor,
Ich veritand des eignen Innern
Tief geheime Warnung nicht,
Rang mit meinem weichen Herzen,
Rang in frudtlos blut'gem Ringen,
Um ihm Liebe abzudringen
Für des Mannes greijes Haar,
Der der Unjhuld Henker war.
Böfewicht, gib mir zurüd,
Was mir die Geburt bejchieven,
Meiner Seele goldnen Frieden,
Meines Daſeins ganzes Glüd,
Meine Unfhuld mir zurüd!
Fünfter Aufzug, 15
Koleslan.
Gott im Himmel! Höre doc!
Jaromir.
Und wo ift, wer ift: mein Vater?
Führ mid hin zu feinen Füßen.
Laß ihn einen Landmann fein,
Der mit feiner Stine Schweiß
Seiner Väter Erbe dünget,
Hin zu ihm, an feiner Seite
Wil ich gern, ein Landmann nur,
Mit der fparfamen Natur
Ringen um die karge Beute,
Legen meiner Thränen Saat
Mit dem Samen in die Erde,
Froh, wenn mir die Hoffnung naht,
Daß noch Beides grünen werde.
Lab ihn einen Bettler fein,
Ich will leiten feine Schritte,
Zheilen feine dürft'ge Hütte,
Zheilen feine Angft und Noth,
Zheilen fein erbettelt Brod;
Mil, wenn fpäte Sterne blinken,
Auf den nadten Boden finten
Und mid reich und felig dünken,
Reicher, als kein König ift,
Wenn der Schlaf mein Auge fchliekt.
Sprid, wo ift er? Führ mich Hin!
Soleslan.
Nun wohlan, fo folge mir!
Nicht ein niedrig dunkler Landmann,
Nicht ein Sklav in Bettlertracht,
Nein, ein Mann von Rang und Macht,
Den be3 Landes Höchſte kennen,
Und den Fürften Bruder nennen,
116
Die Ahnfrau.
Dem der Erften Haupt fi beugt,
Jaromir, hat dich gezeugt.
Heiß’ den düftern Mißmuth fliehn,
Denn dein Loos ift nicht fo herbe,
Stolz fieh auf den Boden hin,
Du trittft deiner Väter Erbe,
Bift ein Graf von Borotin!
Jaromir Gufaminenfabrend).
Hal —
| "Boleslan.
Deiner Kitiöheit 'erites Lallen
Hörten dieſes Schloſſes ‚Hallen,
Hier haft du das Licht erblidt,
Und bei des Beſitzers Küffen
Haft du, ohne e3 zu wiſfen,
Vaters Bruft ans Herz gedrüdt.
Jaromir (chreiend).
Nein! u
u Soleslan.
Es ift fo, wie ich ſagte!
Komm mit mir hinauf Zu ihm.
Des Geſetzes rauhe Stimme,
Hart und fürchterlich dem Räuber,
Milvert feinen ftrengen Ton
Gegen jenes Mächt'gen Sohn!
Komm mit mir, weil es noch Zeit.
Hart verlegt liegt, er darnieber,
Und wer weiß, erſteht er, wieder.
Denn nur jegt, in dieſer Nacht,
In des Schloſſes düſtern Gängen,
Unſrer Brüder Spur verfolgend,
Traf ihn eines Flücht'gen Dolch.
Jaromir.
Teufel! ſchadenfroher Teufel!
Fünfter Aufzug. 117
Tödteft du mit Einem Wort?
Glaubſt du, weil ich, feine Waffen?
Die Natur, vie halb nichts thut,
Gab mir Krallen, gab mir Zähne,
Gab zu der Hyäne Wuth
Mir auh Waffen der Hyäne!
Natter, lab mich dich zertreten,
Senden dich ins Heimatland!
Können deine Worte tödten,
Beſſer kann's noch diefe Hand!
(Auf ihn losgehend.)
Bolesltav.
Er iſt raſend! Rettung! Hülfe!
Gliehend ab.)
Jaromir.
Mär’ ed wahr? Sa, waͤr es wahr,
Was des Unthiers Mund geſprochen?
Und wovon ſchon der Gedante,
Nur das Bild der Möglichkeit
Meine raſchen Pulſe ſtocken,
Mir das Mark gerinnen macht.
Mär’ es Wahrheit? — Ja, es iſt!
Ja, es iſt! es iſt! es iſt!
Ja! tönt's durch die dumpfen Sinne,
Ja! beult’3 aus dem finſtern Innern,
Und die ſchwarzen Schrecgeſtalten,
Die vor meiner Stirne ſchweben,
Neigend ihre blut'gen Häupter,
Winken mir ein gräßlich: Ja!
Ha, und jener Klageton,
Der erſcholl in blut’ger Stunde
Aus des Hingefunfnen Munde,
Er ijt meinem Ohre nah
Und feufzt mwimmernd, fterbend: Ja!
118
Die Ahnfrau.
Er mein Vater, er mein Bater!
Sch fein Sohn, fein Sohn, und — Hal
Mer fpriht hier? Wer ſprach es aus?
Aus das Wort, das felbft ein Mörder
In de3 Herzens tieflte Falten,
Bleih und bebend, fich verbirgt,
Mer ſprach's aus? Sein Sohn und Mörder!
Ha, fein Sohn, fein Sohn und Mörder!
(Die Hände vB Geficht ſchlagend.)
Was die Erde Schönes kennet,
Was fie hold und Fieblih nennet,
Mas fie hoch und heilig glaubt,
Reicht nicht an des Vaters Haupt.
Balfam ftrömt von feinen Lippen,
Und auf wem fein Segen ruht,
Der ſchifft durch des Lebens Klippen,
Lächelnd ob der Stürme Wuth;
Doch wer in der Sinne Toben,
Gottesraͤuberiſch, verrudt,
Gegen ihn die Hand erhoben,
Iſt verworfen und verfludt.
Ya, ich hör’ mit blut’gem Beben,
Wie der ew'ge Richter ſpricht:
Allen Sündern wird vergeben,
Nur dem Vatermörder nicht!
Sprenge deine ſtarken Yelleln,
Gift’ges Lafter, komm bervor
Aus der Hölle offnem Thor,
Laß fie los, die ſchwarzen Schaaren,
Die fo lang gebunden waren:
Hinterlift mit Net und Striden,
Lüge mit dem falfhen Wort,
Neid, du mit den hohlen Bliden,
Mit dem blut’gen Dolhe, Mord!
Fünfter Aufzug. 119
Meineid mit dem gift’gen Mund,
Gottesläftrung, toller Hund,
Der die Zähne grimmig bledt
Gegen Den, der ihn gepflegt;
Brecht hervor, durchſtreift die Welt
Und verübt, was euch gefällt!
Was ihr au gethan, getrieben,
Ungeftraft mögt ihr's verüben,
Euer Thun reiht nit binan,
Nicht an das, was ich gethan!
Ha, gethan! — Hab’ ich's gethan?
Kann die That die Schuld bemeifen,
Muß der Thäter Mörder fein?
Weil die Hand, das blut’ge Eifen,
St drum das Verbrechen mein?
Sa, ich that’3, fürwahr! ich that's!
Aber zwifchen Stoß und Wunde,
Zwiſchen Mord und feinem Dolch,
Zwiſchen Handlung und Erfolg
Dehnt ſich eine weite Kluft,
Die des Menſchen grübelnd Sinnen,
Seiner Willensmacht Beginnen,
Alle ſeine Wiſſenſchaft,
Seines Geiſtes ganze Kraft,
Seine brüſtende Erfahrung,
Die nicht Alter als ein Tag,
Auszufüllen nit vermag;
Eine Kluft, in deren Schooß
Ziefverhüllte, finftre Mächte
Würfeln mit dem ſchwarzen Loos
Ueber kommende Geſchlechte.
Ja, der Wille iſt der meine,
Doch die That iſt dem Geſchick,
Wie ich ringe, wie ich weine,
Seinen Arm hält nichts zurück.
120
Die Ahnfrau.
Wo ift Der, der fagen dürfe:
So mill ich's, fo ſei's gemacht!
Unfre Thaten find nur Würfe
In des Zufall blinde Naht —
Db fie frommen, ob fie tödten?
Wer weiß das in feinem Schlaf? .
Meinen Wurf will ich vertreten,
Aber Das nicht, was er traf!
Dunkle Macht, und du Tannt!3 wagen,
Rufſt mir: Vatermörder zu?
Ih ſchlug Den, der mich geſchlagen,
Meinen Bater ſchlugeſt du! —
Doch wer hält dieß Bild mir vor?
Ha, wer flüftert mir ind Ohr?
Halt! laß mich die Kunde theilen!
Munden, ſprichſt du, Wunden heile.
Und Berwundete genefen. „
Habe Dank, du güt’ges Weſen,
Segen3bote, habe Dant!
"Mit der Hoffnung auf fein Leben
Halt du meines mir gegeben,
Das verzweifelnd ſchon verſank.
Sa, er wird, er muß gefunden,
Heilen müflen jene Wunden,
Die der Hölle gift'ger Trug,
Nicht der Sohn dem Bater ſchlug. —
Ich will hin zu feinen Füßen,
Bil die blut’gen Male küfien
Und des Schmerzes heiße Gluth
Kühlen mit der Thränen Yluth.
Nein, in jenen düftern Fernen
Waltet Feine blinde Macht,
Ueber Sonnen, über Sternen
Iſt ein Vateraug, das wacht.
X
RB
Fünfter Aufzug. -» . 121
Reine finftern Mächte rathen
Blutig über unjre Thaten,
Sie find keines Zufall Spiel;
Nein, ein Gott, ob wir's gleich leugnen,
Führt fie, wenn auch nicht zum eignen,
immer doch zum guten Ziel.
Sa, er hat auch mich geleitet,
Menn ich gleih die Hand nicht ſah;
Der die Schmerzen mir bereitet,
Sit wielleiht in Wonne nah.
«(Die Zenfter der Schloßfapelle Haben fi währen dem erleuchtet, und
fanfte, aber ernfte Töne klingen jet berüber.)
Mas it da3? — Habt Dank! Habt Dank
Säufelt, fäufelt, holde Töne,
Säufelt lieblih um mich ber,
Sanft und weih, wie Silberfhhmäne
Ueber ein bewegtes Meer.
Schüttelt eure weihen Schwingen,
Träufelt Balfam Auf dieß Herz,
Laßt die Himmelslieder klingen,
Einzufchläfern meinen Schmerz.
Sa, ich Tenne eure Stimme,
Ihr follt laden mid zum Bund;
Der mi rief in. Donner? Grimme,
Ruft mich jegt dur euern Mund.
Laßt ihre mich Verzeihung hoffen?
Ihr tönt fort, und fagt nicht: Nein,
Seht, die Pforten ftehen offen,
Friedensboten, ziehet ein!
(Die Töne nehmen nah und nah einen immer ernfteren Charakter an
und begleiten zulegt folgende Worte:)
Chor (von innen).
Auf, ihre Brüder!
Sentt ihn nieder
In der Erde ftillen Schooß,
122 Die Ahnfrau.
In der Trube
Yinde Ruhe,
Die dein Leben nicht genof.
Jaromir.
Aendert ihr ſo ſchnell das Antlitz,
Unerklärte Geiſterſtimmen?
Habt ſo lieblich erſt geſchienen,
Zoget ein, wie Honigbienen,
Und jetzt kehrt ihr fürchterlich
Euren Stachel wider mich!
Das ſind keine Friedensklänge,
Ha, ſo tönen Grabgeſänge!
Dort in der Kapelle Licht —
Stille, Herz! Weiſſage nicht!
Ich will ſehen, ſehen, ſehen!
Sollt' ich drüßer auch vergehen.
(Er klettert an verfallenem Geſtein bis zum Kapellfenfter enper,)
Gefang (ahrt fort).
Hat hienieden
Auch den Frieden
Dir dein eigen Kind entwandt,
Dort zum Lohne,
Statt dem Sohne,
Reicht ein Vater dir die Hand.
Und den Blinden
Wird er finden,
Wie er Abels Mörder fand,
Das Verbrechen
Wird er rächen
Mit des Richters fchwerer Hand.
Jaromir
(wantend und bleih zurückkommend).
Was war da3? — Hab’ ich geſehn?
Iſt es Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit,
\
—
8.
Funfter Aufzug. 123
Oder ſpiegeln dieſe Augen
Nur des Innern dunkle Bilder
Statt der lichten Außenwelt?
Starr und dumpf in wüſtem Graus
Lag das weite Gotteshaus,
Seine leichenblaſſen Wangen
Mit des Trauers Flor umhangen;
Am Altar des Heilands Bild,
Abgewandt und tief verhüllt,
Als ob Dinge da geſchehen,
Die's ihn ſchaudre anzuſehen.
Und aus ſchwarz verhülltem Chor
Wanden Töne ſich empor,
Die um Straf' und Rache baten
Ueber ungeheure, Thaten.
Und am öden HSodaltar, ’
Ringsum eine Dienerfhaar,
Lag, umftrahlt von dumpfen Kerzen,
Eine Wunde auf dem Herzen,
Weit geöffnet, blutig voth,
Lag mein Vater, bleib und tobt.
(Die Lichter in der Kirche find indeſſen ausgelöfcht.)
Wie? mein Vater? Mag ich’ jagen?
Nein, lag Der, den ich erfchlagen:
Denn, was auch die Hölle ſpricht,
Kein, er war mein Bater nicht!
Bin ih ja doch nur ein Menſch,
Meine Thaten, wenn gleich ſchwarz,
Sind ja doch nur Menfchenthaten,
Und ein Teufel würde beben,
Gaͤlt' e3 eines Vaters Leben.
Hab’ ich doch gehört, gelejen
Bon der Stimme ver Natur;
Wär’ mein Vater es gemwefen,
Warum ſchwieg fie damals nur?
1.34
Div Ahnjrau.
Duste fie nicht donnernd jchreien,
Als der Dolch zum Stoß geneigt:
Halı! dein deine Hände dräuen,
Wiszder, der hat Did gezeugt!
Ind wern fie, fie, Die ib liebe,
Liebe? — Nein, die ib begebeg,
Wenn fie meine Schwelter wäre,
Woher dieſe heiße Gier,
Die mid flammend treibt zu ihr?
Schweſter! Schweſter! toller Wahn!
Sieht es 10 den Bruder -arr?
Wenn uns Hymens Fadeln blänfen,
Wir uns an Die Arme ſinfen
In ·des Brautbetts Bindegluth,
Dann erſt pen’ ich ſie mein Bint.
Bir wird Zag; Die Nebel: jchwinden,
E erhellet ſich Die Racht:
—* ‚ach ſuchie, will ech findenz,
Mas ich tag, jei vwoloracht.
Guauhſt dal, Munde konnen »erti,
Und entſühnent kan einn Worr?
Mae auch man Den War betrtew,
Woer ihm iraß, der wandee Pet.
So Bar at put WLan Abdbottaj,
Mackläie au Der Untmasttorg;:
Wer Dem ep Fi erbscen,,
Ma mar, der di Zn.
Gr am mn. di Brise),
x Der Pimret. Deore, Viesm,
Yiae dee pls Parma terimt
a0 xit: Screcter: ſt. Ter.
ver der telt Grm oe beis,.
Drill ud Watını etis, u De,
Und rd er Deore tie,
Jo der Nase em mm.
Znfier Yigg. 123
Hier der Ort, und hie das Senken,
Die Entſcherdumgoſcunmde malt,
Rabt, Die Stunde der Geſpenſter,
Und mahnt vaut mich anf zur That,
Fr Drang)
Schauderſt, Kebchen? Sei nit bange!
Sich, du harreſt nicht mehr lange,
In des Heißgeliebten Arm
Ruht ſichs ſelig, tuht ſich ‚mau,
DS Fenſter Kinein.)
Huuptmann kommt mit Soldaten, vie Balesian Fünem
j Zanpimann,
Suche nit mehr zu entrinnen,
Du halt Sorgfalt und gelehrt.
Ruhig, und wicht non der Stelle!
Aber wo iſt dein Geſelle?
Hier ſprachſt du, verließ'ſt du ihn,
Boleslan,
Na, mein Herr]
Banptmann.
Ge dit nicht bier!
Soldat,
Here, an jenem Meinen Fenſter
Sah ich es von Meitem blinken,
Und es wollte mich bedunken,
Daß ein Menſch in voller Haft
Durch die enge Definung ſteige,
Und ich mette, Herr, er war's;
An des Schloſſes innern Bängen
Suchet er wohl Sicherheit.
Hanpimanm.
Wohl, nicht mehr kann er entweichen,
126 Lie Ahufrau.
Wo er fei, an jedem Ort
Soll die Rache ihn erreichen.
Und nun folgt mir! Eilig fort!
(Ab mit ben Gelkaten)
Grabgewölbe. Im SGintergrunde daS hohe Grabmal der Ahn⸗
frau mit paflenden Sinnbilden. Nechts im Borgrunde eine
Erhöhung, mit ſchwarzem Tuch bevedt.
Jaromir tommt,
Jarsmir.
So! Hier bin ih! — Muthig! Muthig! —
Schauer weht von diefen Wänden,
Und die leisgefprodnen Worte .
Kommen meinem Ohre wieber,
Mie aus eines Fremden Mund.
Wie ich gehe, wie ih wandle,
Ziehet fih ein ſchwarzer Streif,
Duntel, wie vergoßnes Blut,
Vor mir auf dem Boden hin,
Und ob gleih das Innre fchaudert,
Sich empdret die Natur,
Ich muß treten feine Spur.
(Seine Hände begegnen fi.)
Ha, wer faßt fo kalt mih an? —
Meine Hand? — Ya, 's ift die meine.
Bift du jebt fo ſtarr und kalt,
Sonft von heißem Blut durdmwallt,
Kalt und ftarr, wie Mörderhand,
Mörder Mörder-Mörderhand !
(Bor fi hin brütenb,)
Poſſen! — Fort! Gebt euch zur Ruh,
Fort, e8 geht der Hochzeit zu!
Liebchen! Braut! wo weileſt du?
Bertha, Bertha, komm!
Fünfter Aufzug.
Die Ahnfram tritt aus dem Grabmale, *
Ahnufrau.
Wer ruft?
Jaromir.
Du biſt's! Nun iſt Alles gut,
Wieder kehret mir mein Muth.
Laß mich, Mädchen, dich umfangen,
Küſſen dieſe bleichen Wangen —
Warum trittſt du ſcheu zurück,
Warum ſtarrt ſo trüb dein Blick?
Luſtig, Mädchen, luſtig, Liebe!
Iſt dein Hochzeitstag ſo trübe?
Ich bin heiter, ich bin froh,
Und auch du ſollſt's ſein, auch du!
Sieh, mein Kind, ich weiß Geſchichten,
Wunderbar und lächerlich,
Lügen, derbe, arge Lügen,
Aber drum grad lächerlich).
Sieh, fie fagen — Luſtig! Tuftig! —
Sagen, du feilt meine Schweſter!
Meine Schweſter! — Lade, Mädchen,
Lade, lade, ſag' ich dir!
Ahnfran (mit vumpfer Stimme).
Sch bin deine Schweiter nicht.
Iaromir.
Sagſt du's doch fo weinerlich.
Meine Schweſter! — Lache, ſag' ich!
Und mein Vater — Von was Anderm!
Alles iſt zur Flucht bereitet,
Komm!
Ahnfran.
Wo iſt dein Vater?
DJaromir.
Schweige!
Schweig!
7
128 Die Ahnfrau.
» Ahnfran (felgen).
Mo ift dein Bater?
Iaromir.
Meib,
Schweig und reiz mich länger nicht!
Du haft mih nur mild gejehn,
Aber wenn die finftre Macht
Sn der tiefen Bruft erwacht
Und erfchallen läßt die Stimme,
Sit ein Leu in feinem Grimme
Nur ein Shoofhund gegen mid;
Blut fchreit'3 dann in meinem Innern!
Und der Nächfte meinem Herzen
Iſt der Nächfte meinem Dolch.
Darım ſchweig!
Ahufren (mit ſtarker Stimme).
Mo ift dein Bater?
Jaromir.
Mer beißt mich dir Rede ſtebn? —
No mein Vater? — Weiß ichs ſelbſt? —
Meint du jenen bleichen Greis
Mit den heiligen Eilberloden?
Eich, den Ib ich einactunaem,
Und er ĩdlait nun, ſchläft num, ſcläft!
(Die end auf Ne ru gernädt)
Nıntmil, martmal nat er ad,
Ader loat KR RIONT nicder.
ri ie Vdmrer Arımlint
Und SHE MUrerRd MUT ER —
AT, VIII, zart a mitt
sıra mi mir um mi en —
SIirit da dar Doiei u?
Kurse, Üruriun.
BE a mr mar Yadie!
Bünfter Aufzug. ' j 129
Lohnſt du fo, was ich gethan? |
Was mir theuer war hienieden, | |
Meiner Seele golonen Frieden, |
Melt und Himmel ſetzt' ich ein,
Und dich mein zu nennen, mein!
Kennteft du die Höllenfchmerzen,
Die mir nagen tief im Herzen,
Fühlteft du die grimme Bein,
Könnteft, Reine, du e3 miflen,
Was ein blutendes Gewiſſen,
O, du würdeſt milder ſein,
O, du ſagteſt jetzt nicht: Nein!
Ahnfrau.
Kehr zurück!
Jaromir.
Ha, ich? zurück?
Nimmermehr! nicht ohne dich,
Geh ich, Weib, ſo folgſt du mir.
Und wenn ſelbſt dein Vater käme
Und dich in die Arme nähme
Mit der graffen Todeswunde,
Die mit offnem, blut’gem Munde
Mörder! Mörder! zu mir ſpricht,
Meiner Hand entgingft du nidt.
Ahnfrau.
Kehr zurüd!
Iaromir.
Nein, ſag' ich, nein.
(Man hört eine Thür auffprengen.)
Ahnfrau.
Horch, fie fommen!
Jaromir.
Mag es fein.
Leben, Bertha, vir zur Geite,
Oder jterben neben dir.
Grillparzer, Bere. I. 9
130 Die Ahnfran.
Ahnfran.
Flieh, entflieh! noch ift es Zeit.
(Eine zweite Thür wirb eingeiprengt.)
Jaromir.
Bertha, hierher, meine Bertha.
Ahnfran.
Deine Bertha bin ich nicht!
Bin die Ahnfrau deines Hauſes,
Deine Mutter, Sündenſohn!
Jaromir.
Das ſind meiner Bertha Wangen,
Das iſt meiner Bertha Bruſt!
Du mußt mit! Hier ſtürmt Verlangen,
Und von dorther winkt die Luſt.
Ahnfran.
Sieh den Brautſchmuck, den ich bringe!
(Sie reißt dad Tuch von ber bedeckten Erhöhung. Bertha liegt tobt im
Sarge.)
Zaromir (urüd taumelnd).
Weh mir! — Truggeburt der Hölle!
Ar umfonft! ich laſſ' dich nicht!
Das ift Bertha's Angeficht,
Und bei dem ift meine Stelle!
(Auf fie zueilend.)
Ahnfran.
So komm denn, Berlorner!
(Deffnet die Arme, er ftürzt binein.)
Jaromir (ſhreiend).
Ha!
(Er taumelt zurück, wankt mit gebrochenen Knieen einige Schritte und
ſinkt dann an Bertha's Sarge nieder.)
Die Thür wird aufgeſprengt. Günther, Boleslav, der Haupt⸗
mann und Soldaten ſtürzen herein.
Hauptmann (gereinftürzend).
Mörder, gib di! du mußt jterben!
(Die Ahnfrau firedt die Hand gegen fie aus. Alle bleiben erftarrt an
& hnn der Thüre ftehen.) -
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Fünfter Aufzug 131
Ahnfran
(fih über Jaromir neigend),
Scheid in Frieden, Friedenlofer!
(Sie neigt fih zu ihm hinunter und küßt ihn auf die Stirne, hebt dann
die Sargbede auf und breitet fie wehmüthig über beide Leihen. Dann
mit emporgehobenen Händen.)
Nun, wohlan! es ift vollbracht!
Durch der Schlüffe Schauernadt,
Sei gepriefen, ew'ge Macht!
Deffne dich, du ftille Klaufe,
Denn die Ahnfrau kehrt nah Haufe.
(Sie gebt feierlichen Schritte in ihr Grabmal zurüd, Wie fie ver:
ſchwunden tft, beiwegen fich die Eingetretenen gegen ben Borgrund zu.)
Hauptmann.
Ha, nun bift du unfer —
Günther
(eilt dem Sarge zu, hebt die Dede auf und ſpricht mit Thränen).
Todt!
Der Vorhang fällt.
130 Die Ahnfrau.
Ahnfram.
lieh, entflieh! noch ift es Zeit.
(Eine zweite Thür wird eingeſpreugt)
Iaromir.
Bertha, hierher, meine Bertha.
Ahnfram.
Deine Bertha bin ih nid!
Bin die Ahnfrau deines Haufes,
Deine Mutter, Sündenfohn!
Zaromir.
Das ſind meiner Bertha Wangen,
Das iſt meiner Bertha Bruſt!
Du mußt mit! Hier ſtürmt Verlangen,
Und von dorther winkt die Luſt.
Ahnfrau.
Sieh den Brautſchmuck, den ich bringe!
(Sie reißt das Tuch von der bedeckten Erhöhung. Bertha liegt todt im
Sarge.)
Jaromir (urüd taumelnd).
Weh mir! — Truggeburt der Hölle!
All' umſonſt! ich laſſ' dich nicht!
Das ift Bertha's Angeficht,
Und bei dem ift meine Stelle!
(Auf fie gueilenb.)
Abnfran.
Sp komm denn, Berlorner!
(Deffnet die Arme, er ftürgt hinein.)
Iaromir (ſhhreiend).
Ha!
(Er tanmelt gurüd, want mit gebrochenen Knieen einige Schritte unb
fintt dann an Bertha's Sarge nieber.)
Die Thur wird aufgeſprengt. Günther, Boleslav, der Haupt-
mann und Goldaten flürzen herein.
Hauptmann (kereinfürzend).
Mörder, gib dich! du mußt fterben!
(Die Ahufrau Nredt die Hand gegen fie aus. Alle bleiben erflarrt au
der Thüre ſtehen.)
Fünfter Wufng. 131
Ahnfrau
(fi Über Jaromir neigenb),
Scheid in Frieden, Friedenlofer!
(Sie neigt ih zu ihm hinunter und Lüßt ihn auf bie Stirne, Jebt dann
bie Sargbede auf und breitet fie wehmüthlg über beide Leihen. Dann
mit emporgepobenen Händen.)
Nun, wohlan! es ift vollbracht!
Durch der Schlüffe Schauernacht,
Sei gepriefen, ew'ge Macht!
Deffne di, du ftille laufe,
Denn die Ahnfrau kehrt nah Haufe.
(Sie geht feierligen Schrittes in ihr Grabmal zurüd, Wie fe vers
ſchiounden Äft, dewegen fi bie Eingetretenen gegen ben Vorgrund zu.)
Hauptmann.
Ha, nun bift du unfer —
Günther
(eilt dem Sarge zu, hebt bie Dede auf und ſpricht mit Tpränen).
Todt!
Der Vorhang fällt.
Der voritehende Abdruck der Ahnfrau ift nach der ges
drudten Ausgabe veranftaltet, welche in Wien bei Wallis:
haufer in ſechs Auflagen erſchienen ift. Die jechtte Auf:
lage war noch bei Lebzeiten Grillparzerd längſt vergriffen,
und das Stüd fehlte Jahre lang im Buchhandel. Grill:
parzer war nicht dahin zu bewegen, daß eine neue Auf:
lage gemacht würde. Er feheute mehr und mehr den Ber:
fehr mit der Deffentlichkeit, und fcheute ihn wohl nament-
lih in Bezug auf die Ahnfrau. Aus diefem Drama batte
man die Anklage auf Schidfalstragödie gegen ihn ge-
Ihöpft, und man hatte fie hartnädig wiederholt, obwohl
all feine fpäteren Stüde feine Spur davon trugen. Dieſe
Anklage war in den Sammelwerfen, wie Converjations-
Lexika und Encyklopädien find, gleihjam ftereotypirt und
war Grillparzer geradezu zum tel geworden. In dem
„Borbericht zur erjten Auflage” hatte er fih jhon bar:
über ausgefprodhen, daß es ihm nicht in den Sinn ge
fommen wäre, „ein neues Syſtem des Fatalismus“ dar:
zuftellen. Diefer Vorbericht Tautet wie folgt:
„Die Ahnfrau erſcheint hier, wie fie gejchrieben ift,
ohne die Abkürzungen und Veränderungen, melde für bie
Darftellungen zmedmäßig gefunden wurden. Nicht bloß
die Länge des Stüdes, fondern fcenifhe Nüdlichten ver:
ſchiedener Art machten jene Veränderungen rathjam, und
der Erfolg hat fie gerechtfertigt. Der Verfaſſer wünjcht
daher, daß fein Trauerfpiel auch auf auswärtigen Bühnen
in feiner anderen Geſtalt aufgeführt werde, als in ber:
jenigen, worin e3 auf dem biefigen Theater erſchien.
„Denn der Beifall, den diefes Trauerfpiel in der Auf:
führung fand, die Erwartungen de3 Verfaſſers weit übers
Die Ahnfrau. 133
traf: fo ift er dagegen von den jeltfamen Mißverſtänd—
niffen nicht minder überrafcht, welche über die moraliſche
Tendenz feines Stüdes hin und wieder entitanden und
von literarifhen Zmifchenträgern mit unermüblicher Ge-
ichäftigfeit verbreitet worden find. Der Berfafler hofft,
daß diefe Mißverjtänpniffe von felbjt verſchwinden werben,
wenn man fih die Mühe nehmen will, fein Stüd zu
lefen. Seines Wiffens findet fih darin feine Spur von
dem abgejhmadten Irrglauben, den man ihm hat an-
dichten wollen. Es iſt ihm nicht in den Sinn gelom:
men, Verbrechen durch Verbrechen entfühnen zu lafjen
und in der Verkettung von Schuld und unglüdliden Er:
eigniffen, welche den Anhalt feines Trauerfpield aus:
madht, ein neues Syftem des Fatalismus darzu⸗
jtellen. Shalefpeare und Calderon haben den abergläubigen
Mahn finfterer Zeiten mit ungleich größerer Kühnheit zu
poetifhen Zwecken benugt, als es in der Abnfrau ge:
ſchehen ift, obne daß man fie deßhalb verketzert hätte.
Das Schidfal fpielt in der Andacht zum Kreuz und
in dem Fegefeuer des heil. Patrik (beide von dem
angeblih chriſtlichſten aller Dichter) eine weit mehr
heidniſche Nolle, als in dem gegenwärtigen Gtüde,
worin eine Sünderin ihre geheime Unthat durch den
quälenden Anblid der Schuld und der Leiden, die fie
zum Theile jelbit über ihre Nachkommen bradte, auf
eine, dem jüdifchen und hriftlichen Lehrbegriffe eben nicht
widerfprechende Weife abbüßt. Der verftärkte Antrieb
zum Böjen, der in dem angeerbten Blute liegen Tann,
hebt die Willensfreibeit und die moralifhe Zurechnung
nit auf. Die Sophifterei der Leidenschaften, melde ver
Berfaffer feinen tragifhen Perfonen in den Mund legt,
ift nicht fein Glaubensbekenntniß; fo wenig als die zu:
fällige Wahl eines märkenhaften Stoffes einen Beweis
gegen die Orthodoxie feiner Kunſtanſichten abgibt. Der
erfafier fennt die Schule nicht, zu der man ihn zu
zählen beliebt; und er weiß nicht, mit welchem Rechte
man einem Schriftfteller, der ohne Anmaßung und ohne
Bufammenhang mit irgend einer Partei zum erjten Mal
im Publikum auftritt, Ungereimtheiten zur Laſt legt, bie
134 Lie Ahnfrau.
von Anderen, fei e8 auch zu feinem Lobe, gefagt werden
mögen.
„Den dichteriſchen Werth oder Unwerth jeines drama-
tiſchen Verſuches gibt der Berfafjer den Kritikern gerne
preis. Gr geltebt, daß fie in mander Rüdfiht ungleich
mehr Schlimmes davon hätten fagen fünnen, als bisher
geihehen il. Daß er Niemanvden Anlaß gegeben babe,
ihn zur Befheidenheit zu ermahnen, ift er ſich bewußt.
Gr denkt zu groß vondder Kunft, um eine hohe Meinung
von fich felbit zu haben. Die Mufter find ihm, wie eg
fheint, zum Theile wenigſtens, befjer befannt, als Denen,
die ihn darauf verweilen. Er entbehrt den Rath ſach—
Fundiger und aufrichtiger Freunde nicht, und wohlmeinende
Kunftrichter jeder Art laſſen es ihm aud nicht an öffent:
lichen Zurechtweifungen fehlen. Wenn aljo feine fünftigen
Arbeiten feinen größeren Werth haben jollten, als vie
gegenwärtige, jo liegt die Schuld weder an feinen Bor:
bildern, noch an der Kritik, fondern an der Beſchränktheit
feines Talentes, deſſen Mangel, wie befannt, durd nichts
Anderes, nicht einmal durch die Wohlmeinung der Kritiker,
erjeßt werben kann.“
Diefe Verwahrung mar fruchtlos geblieben: man nannte
ihn nad) wie vor einen Scidjalstragöven. Aergerlich
lachend darüber fagte er deßhalb ſchon vor Jahren einmal
zu mir: „Wenn Sie einft nach meinem Tode noch leben
und eine Sammlung meiner Schriften herausgeben — id
ſelbſt will nichts mit folder Aufgabe zu tbun haben —
jo nehmen Sie doc Notiz von dem Drigtnalmanuffripte
meiner „Ahnfrau“. Sie finden darin Anmerkungen von
Schreyvogel, dem damaligen artijtifchen Leiter des Burg⸗
theater, und werden aus diefen Anmerkungen erjeben,
daß er die Beranlafjung geweſen ift zu denjenigen Stellen
in der Ahnfrau, welche mich in den Geruch eines Scid:
ſalstragöden gebradht haben.”
Diefe Notiz hab’ ich denn genommen. Das. Original:
manujfript vom 13. Auguft 1816 liegt vor mir, und
e3 unterjcheidet fih allervingd von dem Terte der ſechs
Auflagen, deren neueſter Abdruck in dieſer Geſammtausgabe
gegeben wird.
Die Ahnfrau. 135
Es ift unthunlich, den ganzen Text nach diefem Dris
ginalmanuffripte zu ändern. Grillparzer jelbit hat das
nie gewollt, denn das Originalmanuffript ilt vor und nad)
der Aufführung auch in zahlreihen anderen Stellen ge:
ändert, und der Tert in diefer Gefammtausgabe ift inner-
halb fehsundfünfzig Jahren tupifh geworden. Es ge:
nügt, die Veränderung wörtlich nachzuweiſen, welche auf
Veranlaſſung Schreyvogel3 jujt in Bezug auf die Schidjals-
frage entjtanden ift.
Diefe Veränderung fällt in die dritte Scene des eriten
Altes. Nach den Worten (©. 23):
„Da fieht man fie Hagend gehen,
Klagend, daß ihr Macht gebricht,
Denn fie kann's nur vorberjehen,
Ab e3 wenden fann fie nicht.”
Bon da an lautet da3 Originalmanufkript wie folgt:
Bertha.
Vater, du ſiehſt bleih! Iſt's Wahrheit,
Was der alte Mann da Sprit?
| Graf.
Wahrheit oder nicht! Mein Kind,
Laß geduldig uns erwarten,
Was des Himmels Rath befchließt.
Fällt das Loos, laß e3 und tragen
MWürdevoll, wie wir gelebt,
Und der Tod foll felbjt nicht fagen,
Daß ein Zierotin 1 gebebt.
Und jest fomm, geliebte Tochter,
Führe mid in mein Gemach.
Iſt's gleich noch nicht Schlafen3 Zeit,
Ruhe heifcht mein müder Körper,
Hat er doch in Einer Stunde
Mehr als manchen Tag gelebt.
(Bertha führt ven Alten ab.)
4 Diefen hiftorifhen Namen eined wichtigen Abelögefchlechtes in Mäh⸗
ren bat Grillparzer für die Aufführung in „Borotin“ verwandelt.
1.6 Die Ahnfrau.
Günther
(die Lichter fortnehmend).
Ruben? — v, du guter Herr!
Ruhen mit der Angſt im Herzen,
Mit der nagenden Gewißheit,
Daß ſich deine Stunde naht.
Nur wenn Unheil droht dem Haufe,
Steigt die Ahnfrau aus der Klaufe.
DO, ich fehe, was uns droht.
Wär’ ih doch nur felber tobt!
(Heftige Schläge and Hausthor.)
Doch was ift das? Welch Getöfe!
Mer fommt noch fo fpät zu Gaſte?
Will doch felbit ſehn, was es gibt. (%6.)
Hiermit endigt im Driginalmanuffripte Alles, was
auf die dogmatifhe Frage der Ahnfrau Bezug bat.
Am Rande des Manuffriptes jteht aber von Schrey:
vogel3 Hand gefchrieben:
„Die Einwirkung der Ahnfrau auf das Schidjal ihrer
Familie muß tiefer begründet werden. Dieſes gefchieht,
wenn ihre Nachkommen (ohne e3 zu willen) die Kinder
ihrer Sünde find, deren Schuld und Leiden mitan-
zuſehen fie verurtbeilt ijt, biß das fündige Geſchlecht aus:
gerottet, der ungerechte Beſitz verlaſſen und die geheime
Untbat enthüllt und volllommen beftraft iſt. Dieſe
Grund-Idee, die der Fabel eine allgemeine, tiefere Be—
deutung gibt, beftimmt zugleich den Charakter der Ahn⸗
frau und macht das Gefpenft zu einer wirklich tragiſchen
Berfon. Sie warnt vor dem Böfen und nimmt Theil ı
an den Leiden, die fie nicht hindern Tann; fieht in dem
Tod ihrer Angehörigen aber. nur die Entjühnung des un:
glücklichen Geſchlechts und die Befreiung von dem Hange
zum Böſen, den es von ihr angeerbt hat. Auch die
Charaktere ihrer Nachkommen werden dadurch afficirt ;
feiner darf ganz rein, aber auch Feiner durchaus böfe fein.”
Dieſe Bemerkung des bewährten Dramaturgen hat den
tungen Poeten veranlaßt, jene dogmatifche Ausführung zu
ſchreiden, welche er dem Kajtellan Günther in den Mund
legt von den Worten an:
Die Ahnfrau. 137
„Das ift Alles,
Was ich bier zu jagen wage,
Menn gleih all nicht, was ich weiß.
Eines ift noch übrig, Eines,
Das des Haufes ältre Diener,
Das der Gegend welke Greife
Bang fih in die Ohren raunen,
Das der Sage heil’ger Mund
Aus der Väter fernen Tagen
Sn die Entelwelt getragen —
Eines, da3 den Schlüſſel gibt
Zu fo mandem finjtern Räthfel,
Das ob diefem Haufe brütet.
Aber mag’ ich e3 zu fagen
Hier an diefem, diefem Drt,
Wo noch kurz vorher die Schatten —
(mit ſcheuen Bliden umherſehend; Bertha fchmiegt fih an ihn und folgt
mit ihren Augen den feintgen.)
Runzelt Ihr die hohen Brauen,
Edler Herr? Ih kann nit anders!
Meinen Bujen will’3 zerbrechen,
Und es drängt mich's auszusprechen,
Beb’ ich felber glei zurüd. —
Kommt hieher, mein Fräulein, bieber,
Und vernehmt und ftaunt und bebt.
Mit der Ahnfrau blut’ger Leiche
Mard der Sünde Keim begraben,
Aber nicht der Sünde Frudt.
Das Verbrechen, das des Gatten
Blut’ger Racheſtahl beftraft,
War, wie jene Sage fpricht,
Wohl das legte ihres Lebens,
Aber, ab, ihr erſtes nicht.
Ihres Schooßes einz’ger Sohn,
Den Ihr unter Euren Ahnen,
Unter Euern Vätern zählt,
Der des. mächt'gen Borotin
Lehen, But und Namen erbte,
138
Die Ahnfran.
Graf.
Schmweig!
Günther.
Es ift ausgeſprochen,
Er, dem Vater unbewußt,
War das Kind geheimer Luſt,
War das Kind verborgner Sünde!
Darum muß ſie klagend wallen
Durch die weiten, öden Hallen,
Die die Sünde einer Nacht
Auf ein fremd Geſchlecht gebracht.
Und in jedem Enkelkinde,
Das entſproßt aus ihrem Blut,
Sa fie die vergangne Sünde,
iebt fie die vergangne Gluth.
Alfo harret fie feit Jahren,
Wird no harren Jahre lang
Auf des Haufes Untergang;
Und ob ver fie gleich befreiet,
Hütet fie doc jeden Streich,
Der dem Haupt der Lieben dräuet,
Den fie wünscht und ſcheut zugleich).
Darum winmıert e3 jo Mäglid
In den halbverfallnen Gängen,
Darum pocht's in dunkler Naht —
(Entferntes Getöſe.)
Kertha.
Himmel!
Günther.
Weh uns!
Graf.
Mas iſt das?
(Das Getöſe wiederholt fich.)
Saft gefährlich feheint dein Wahnfinn,
Er ftedt auch Geſunde an.
An die Pforte wird geichlagen,
Einlaß fordernd. Geh hinab
Und fieh zu, was man begehrt.
(Günther ab.)
Die Ahnfrau. 139
Bertha.
Vater, du fiehft bleich; iſt's Wahrheit,
Was der alte Mann da fpriht?
Graf.
Was ift wahr, was ift e3 nicht?
Laß uns eignen MWerthes freuen
Und nur eigne Sünden ſcheuen.
Laß, wenn in der Ahnen Schaar
Jemals eine Schulv’ge war,
Alle andre Furcht entweichen,
AS die Furt, ihr je zu gleichen.
In Folge dieſes Einfhubs hat der Poet dann den
Begriff und das Wort „Sünde“ wieberfehrend gebraucht,
en und ein Wort, welche im Originalmanujtript
fehlen.
Vergleiht man die obige kurze Stelle, melde im
Driginalmanufkripte die Bedeutung der Ahnfrau ſchildert,
mit der langen Schilderung derfelben im gedrudten Texte,
fo findet man Grillparzers Neußerung beitätigt, daß vie
angefochtene dogmatifche Bedeutung der Ahnfrau nicht in
feiner urſprünglichen Abſicht gelegen, ſondern erſt durch
Schreyvogels Änſtoß hinein gerathen fei.
Uebrigens iſt es auch in folder Geſtalt eigentlich nicht
die volle Schidjalgidee, deren man das Stück anklagt, ſondern
es ift eine Theorie der Vererbung, welche in dichterijcher
Charakteriftit gar oft eine Rolle fpielt, ohne dem Werthe
der Dichtung Abbrud zu thun. Sie ift eben wahr, vie
grelle Ausdehnung nur, wie hier in der Ahnfrau, ermeit
gerechtes äſthetiſches Bedenken, ein Bedenken, welches aber
doch immerhin einen andern Ausdruck fuhen muß als den
Ausdrud mit dem Stichworte „Schidfalstragödie”.
Diefe principielle Anklage gegen feine Ahnfrau, wie
läftig fie ihm war, und wie oft fie ihm abhalten mochte,
das Stüd buchhändleriſch zu fördern, fie hat feine Meinung
über den Werth oder Unwerth diefer Jugendarbeit nie
verändert. Er war unerfchütterlid in feinen Meinungen und
Anfihten. Man liebt wohl aud ein verfolgtes Kinn mit
doppelter Liebe. Und fo wies er immer ein Lob jeiner
140 Die Ahnfrau.
jpäteren Arbeiten unmillig zurüd, wenn es mit einer
Nachſicht für die Ahnfrau verbunden war. Die Abnfrau
war ihm ein Produkt jeines beiten Talentes.
Mer eine klare Empfindung in fih trägt für wirklich
dramatiſches Talent, der wird ihm beiltimmen.
Die Ahnfrau ftrogt won dramatifchem Talente. Wir
haben außer Schiller Yugendarbeiten wenig Stide in
unfrer dramatiſchen Literatur, von welden fih dieß in
io hohem Grade jagen ließe wie von dieſem erften Stirde
Grillparzerd. Es pocht und treibt darin ein Puls des
Wortes, des Dranges, des Lebens, welcher außerordent⸗
lich if. Zeugniß Dafür die reißend fchnelle Laufbahn,
welche das Stüd über alle Bühnen gefunden, Zeugniß
dafür die zablreihen Bojungsworte, was man jeßt ge:
flügelte Worte nennt, melde aus der Abnfrau lebendig
geblieben find in unjrer erhöhten Sprache.
Zum eriten Male aufgeführt worden iſt die Abnfrau
im Zheater an der Wien am 31. Januar 1817.
8. 8.
Ian
Sappho.
Trauerſpiel in fünf Aufgügen.
Perſonen.
Sappho.
Phaon.
her } Dienerimnen Sepphos.
Rhamnes, Sklave.
Ein Landmann.
Dienerinnen, Knechte und Landleute.
„Frſter Aufzug.
— —
Freie Gegend. Im Hintergrunde das Meer, deſſen flaches
Ufer ſich gegen die linke Sekte zu in felſichten Abſtufungen
emporhebt. Hart am Ufer ein Altar der Aphrodite. Rechts
im Borgrunde der Eingang einer Grotte mit Gefträud und
Eppich umwachſen; weiter zurück das Ende eines Säulenganges
mit Stufen, zu Sappho's Wohnung führend. Auf der linken
Seite des Borgrundes ein. hohes Roſengebüſch mit einer Rajen-
banf davor.
Erfier Auftritt.
Bimbeln und Flöten und verworrener Bollszuruf in ber Ferne.
-Rhammes ftürzt herein.
Rhamnes.
Auf! auf, vom weichen Schlaf! Sie kommt, fie naht!
D, daß doch nur die Wünſche Flügel haben,
Und träg der Fuß, indeß das Herz lebenvig!
Heraus, ihr faulen Mädchen! Zögert ihr?
Der trifft euch nicht, der Jugend vorfchnell nennt!
Euharis, Melitta und Dienerinnen aus dem Säulengange.
Melitta,
Was ſchiltſt du uns? Da find wir ja!
Grillparzer, Werke. 1. 10
146 Sappho.
Rhamnes.
| Sie naht!
Melitta,
Mer? — Götter!
Khamnes.
Sappho naht!
Geſchrei (on innen).
Heil, Sappho, Heill
Rhamnes.
Ja wohl, Heil, Sappho, Heil! du braves Volk!
Aelitta.
Doch was bedeutet —?
KRhamnes.
Nun, bei allen Göttern!
Was frägt das Mädchen auch ſo wunderlich!
Sie kehret von Olympia, hat den Kranz,
Den Kranz des Sieges hat ſie ſich errungen;
Im Angeſicht des ganzen Griechenlands,
Als Zeugen edlen Wettkampfs dort verſammelt,
Ward ihr der Dichtkunſt, des Geſanges Preis.
Drum eilt das Volk ihr jauchzend nun entgegen,
Schickt auf des Jubels breiten Fittigen
Den Namen der Beglückten zu den Wolken!
Und dieſe Hand war's, ach, und dieſer Mund,
Der ſie zuerſt der Leier Sprach' entlocken
Und des Geſanges regelloſe Freiheit
Mit ſüßem Band des Wohllauts binden lehrte!
Volk (von innen).
Heil, Sappho! Sappho, Heil!
Rhammes (u den Mäbchen).
So freut euh do! —
Seht ihr den Kranz?
Relitta.
Ich ſehe Sappho nur!
Wir wollen ihr entgegen!
Erfter Aufzug. Erſter Auftritt.
RKhamnmes.
Bleibt nur, bleibt!
Mas fol ihr eurer Freude ſchlechter Zoll?
Sie ift an andern Beifall nun gewohnt!
Bereitet lieber Alles drin im Haufe,
Nur dienend ehrt der Diener feinen Herrn,
Melitta,
Siehjt du an ihrer Seite —?
Rhamnes.
Mas?
AMelitta.
Siehſt du?
Hoch eine andre glänzende Geſtalt,
Wie man der Leier und des Bogens Gott
Zu bilden pflegt.
Rhammes.
Ich fehe, doch ihr geht!
Melitta.
Und erſt nur riefſt du uns!
Rhamnes.
Ich rief euch, ja!
Ihr ſolltet wiſſen, daß die Herrin naht,
Ihr ſolltet wiſſen, daß euch Freude Pflicht,
Doch freuen mögt ihr euch nur drin im Haus.
Der Mann mag das Geliebte laut begrüßen,
Geſchäftig für fein Wohl liebt till das Weib!
Melitta,
So laß und nur —
Rhamnes.
Nicht doch! Nur fort! Nur fort!
(Er treibt die Mädchen fort.)
Nun mag fie kommen! Nun wird Albernheit
Ihr vorlaut nicht die fchönfte Feier ftören!
147
148 Sappho.
Zweiter Auftritt.
Sappho, köſtlich gekleidet, auf einem mit weißen Pferden beſpannten
Wagen, eine goldene Leier in der Hand, auf dem Haupte den Sieges⸗
franz. Ihr zur Seite ſteht Phaon in einfacher Kleidung. Bolt
ee umgibt laut jubelnd den Zug.
Volk (auftretend).
Heil, Sappho, Heil!
Khammes (fi unter fie mifhend).
Heil, Sappho, theure Frau!
Sappho.
Dank, Freunde! Landsgenofien, Dank!
Um euretwillen freut mich dieſer Kranz,
Der nur den Bürger ziert, den Dichter drüdt,
In eurer Mitte nenn’ ich ihn erjt mein!
Hier, wo der Jugend träumende Entwürfe,
Wo des Beginnens ſchwankendes Beftreben,
Wo des Vollbringens Wahnſinn⸗glühnde Luft
Mit Eins vor meine trunkne Seele treten,
Hier, wo Cypreſſen von der Eltern Grab
Mir leiſen Geiſtergruß herüber liſpeln;
Hier, wo ſo mancher Frühverblichne ruht,
Der meines Strebens, meines Wirkens ſich erfreut,
In eurem Kreis, in meiner Lieben Mitte,
Hier dünkt mir dieſer Kranz erſt kein Verbrechen,
Hier wird die frevle Zier mir erſt zum Schmuck!
Einer aus dem volke.
Wohl uns, dab wir dich, Hohe, unfer nennen!
Habt die beſcheidne Rede ihr vernommen?
Mehr als ganz Griechenland bat fie ihr Wort geihmüdt.
Rhamnmes (fi Hinzubrängend).
Sei mir gegrüßt, gegrüßt, du Herrlide!
Sappho⸗
(vom Wagen herabſteigend und die Umſtehenden freundlich grüßend
Mein treuer Rhamnes, ſei gegrüßt! — Artander,
Du auch hier, trotzend deines Alters Schwäche?
Erſter Aufzug. Zweiter Auftritt. 149
Kalliſto — Rhodope! — Ihr weinet, Liebe?
Das Auge zahlt jo richtig als das Herz,
Für Thränen — Thränen — ſeht! — O, ſchonet mein!
Einer aus dem Volke.
Willkommen auf der Heimath altem Boden,
Willkommen in der Deinen frohem Kreis!
Sappho.
Umſonſt ſollt ihr die Bürgerin nicht grüßen,
Sie führt zum Dank euch einen Bürger zu;
Hier Phaon. Von den Beſten ſtammet er
Und mag auch kühn ſich ſtellen zu ven Beſten!
Obſchon die Jahre ihn noch Jüngling nennen,
Hat ihn als Mann ſo Wort als That erwieſen.
Wo ihr des Kriegers Schwert bedürft,
Des Redners Lippe und des Dichters Mund,
Des Freundes Rath, des Helfers ſtarken Arm,
Dann ruft nach ihm und ſuchet länger nicht!
Phaon.
Du ſpotteſt, Sappho, eines armen Jünglings!.
Wodurch hätt’ ich fo reiches Lob verdient?
Wer glaubt fo Hohes von dem Unverſuchten?
Sappho.
Wer fieht, daß du errötheft, da ich's ſage!
Yhaon x
3 kann, beihämt, nur ftaunen und verſtummen.
Sappho.
Du fiherft dir, was du von dir entfernit,
Geſchwiſter find ja Schweigen und Verdienſt.
Ja, meine Freunde! Mögt ihr's immer wiſſen!
3 liebe ihn! Auf ihn fiel meine Wahl!
Er war beftimmt in feiner Gaben Yülle,
Mid von der Dichtkunft wolfennahen Gipfeln
In diefes Lebens heitre Blüthenthäler
Mit fanft bezwingender Gewalt berabzuziehn.
An feiner Seite werd’ ich unter eud)
150 Sappho.
Ein einfach, ſtilles Hirtenleben führen,
Den Lorbeer mit der Myrte gern vertauſchend,
Zum Preiſe nur von häuslich ftillen Freuden
Die Töne weden dieſes Saitenfpiel3,
Die ihr bisher bewundert und verehrt.
Ihr follt fie lieben lernen, lieben, Freunde!
Yolk.
Preis dir, du Herrliche! Heil, Sappho, Heil!
Sappho.
Es ift genug! Ich dank' euch, meine Freunde!
Folgt meinem Diener, er wird euch geleiten,
Daß ihr bei Speif’ und Trank und frohen Tänzen
Die Feier unferd Wiederſehns vollendet,
Der Wiederkehr der Schweiter zu den Shren!
(Zu den Sanpleuten, die fie begrüßen.)
Lebt wohl! — auch du — und du! — ihr Alle! — Alle!
(Rhamnes mit den Landleuten ab.)
Dritter Auftritt.
Sappho. Phnom.
Sappho.
Siehſt du, mein Freund, ſo lebt nun deine Sappho!
Für Wohlthat Dank, für Liebe — Freundlichkeit,
So warb mir’ ſiets im Wechſeltauſch des Lebens;
Ich war zufrieden und bin hoch beglüdt,
Gibſt du aud halb nur wieder dad Empfangne,
Wenn du dich nicht für übervortheilt hältit. —
Ich hab’ gelernt verlieren und entbehren!
Die beiden Eltern ſanken früh in Grab,
Und die Gefchwilter, nah jo mander Wunde,
Die fie dem treuen Schwejterherzen ſchlugen,
Theils Schidjals:- Laune und theild eigne Schuld
Erſter Aufzug. Dritter Auftritt. 151
Stieß früh fie ſchon zum Acheron hinunter.
Ich weiß, wie Undank brennt, wie Faljchheit martert,
Der Freundfhaft und ver — Liebe Täuſchungen
Hab’ ih in diefem Bufen ſchon empfunden:
Ich hab’ gelernt verlieren und entbehren!
Nur Eins verlieren könnt’ ich wahrlich nicht:
Dih, Phaon, deine Freundfchaft, deine Liebe.
Drum, mein Geliebter, prüfe dich!
Du kennſt noch nicht die Unermeßlichkeit,
Die auf und nieder wogt in diefer Bruft.
O, lab mich's nie, Geliebter, nie erfahren,
Daß ich den vollen Buſen legte an den deinen
Und. fänd’ ihn leer!
Phaon.
Erhabne Frau!
Sappho.
Nicht ſo!
Sagt dir dein Herz denn keinen ſüßern Namen?
Phaon.
Weiß ich doch kaum, was ich beginne, was ich ſage.
Aus meines Lebens ſtiller Niedrigkeit
Hervorgezogen an den Strahl des Lichts,
Auf einen luft'gen Gipfel hingeſtellt,
Nah dem der Beſten Wünſche fruchtlos zielen,
Erliege ic) der unverhofften Wonne,
Kann ih mich ſelbſt in all dem Glück nicht finden.
Die Wälder und die Ufer ſeh' ich fliehn,
Die blauen Höhn, die niedern Hütten ſchwinden,
Und faum vermag ich’3, mich zu überzeugen,
Daß Alles feft ſteht und nur ich eg bin,
Der auf des Glüdes Dogen taumelnd wird getragen!
ppho.
Du ſchmeichelſt ſüß, Boch. ber, ſchmeichelſt du!
Yhaon.
Und bift du wirklich denn die hobe Frau,
152 Sappho.
Die von der Pelops-Inſel fernſtem Strand
Bis dahin, wo des rauhen Thrakers Berge
Sich an die lebensfrohe Hellas Tnüpfen,
Auf jedem Punkt, den, Land und Menſchen fern,
Ins Griechen: Meer Kronions Hand gejhleubert,
An Aliens reicher, fonnenheller Küſte,
Altüberall, wo nur ein griech'ſcher Mund
Die heitre Götterſprache fingend ſpricht,
Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?
Und bift du wirklich jene hohe Frau,
Wie fiel dein Auge denn auf einen Füngling,
Der dunkel, ohne Namen, ohne Ruf,
Sich höhern Werth nicht rühmt, als — dieſe Leier,
Die man verehrt, weil du ſie haſt berührt.
Sappho.
Pfui doch! der argen, ſchlechtgeſtimmten Leier!
Tönt ſie, berührt, der eignen Herrin Lob?
Phaon.
O, ſeit ich denke, ſeit die ſchwache Hand
Der Leier Saiten ſelber ſchwankend prüfte,
Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!
Wenn ich in der Geſchwiſter hohem Kreiſe
An meiner Eltern niederm Herde ſaß
Und nun Theano, meine gute Schweſter,
Die Rolle von dem ſchwarzen Simſe holte,
Ein Lied von dir, von Sappho uns zu ſagen:
Wie ſchwiegen da die lauten Jünglinge,
Wie rückten da die Mädchen knapp zuſammen,
Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren.
Und wenn ſie nun begann: vom ſchönen Jüngling
Der Liebesgöttin liebeglühnden Sang,
Die Klage einſam hingewachter Nacht,
Bon Andromedens und von Atthis' Spielen,
Wie laufchte Jedes, feinen Athemzug,
Der Iufterfüllt den Buſen böber jchmellte,
Erſter Aufzug. Dritter Auftritt. 153
Ob allzulauter Störung fill verflagend.
Dann legte wohl vie finnige Theano
Das Haupt zurüd an ihres Stuhles Lehne,
Und in der Hütte räumig Dunkel blidend,
Sprad fie: Wie mag fie ausſehn wohl, die Hohe?
Mir dünkt, ich fehe fie! Bei allen Göttern,
Aus taufend Frauen wollt’ ich fie erlennen!
Da war der Zunge Feilel ſchnell gelöst,
Und Jedes quälte feine Phantafie,
Mit einem neuen Reize did zu ſchmücken.
Der gab dir Pullas’ Aug, Der Here's Arm,
Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;
Nur ich ftand ſchweigend auf und ging hinaus
Ins einfam ftile Reich der heil'gen Nacht.
Dort, an den Pulſen der ſüß ſchlummernden Natur,
In ihres Zauberd magiſch-mächt'gen Kreifen,
Da breitet’ ich die Arme nah vir aus;
Und wenn mir dann der Wollen Flodenjchnee,
Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,
Des bleiben Mondes filberweißes Licht
Ins Eins verfehmolzen um die Stimme floß,
Dann warjt du mein, dann fühlt ich deine Nähe,
Und Sappho’3 Bild ſchwamm in den lichten Wolfen!
Ssapphe.
Du ſchmückeſt mich von deinem eignen Reichthum.
Meh! Nähmſt du das Geliehne je zurüd.
Yhaon.
Und als der Vater nah Olympia
Mich zu des MWagenlaufes Streit nun fanbdte,
Und auf dem ganzen Wege mir’3 erſcholl,
Daß Sappho’3 Leier um der Dichtlunft Krone
In diefem Kampfe ftreiten, fiegen werde:
Da jhwoll dad Herz von jehnendem Berlangen,
Und meine Renner fanten tobt am Wege,
Eh ih Olympia's Thürme noch erfchaut.
154 Sappho.
Ich langte an. Der Wagen flüht'ger Lauf,
Der Ringer Kunft, des Diskus frohes Spiel
Perührten nicht den ahnungsvollen Sinn;
Sch fragte nicht, wer fi den Preis errungen,
Hatt' ih den ſchönſten, höchſten doch erreicht.
Ich follte fie fehn, fie, der Frauen Krone!
Sept kam der Tag für de3 Gejanges Kämpfe.
Alkäos fang, Anakreon, umjonft!
Sie fonnten meiner Sinne Band nicht löfen.
Da, horch! da tönt Gemurmel durch das Volt,
Da theilt die Menge fih. Seht war's geſchehn! —
Mit einer golonen eier in der Hand
Trat eine Frau durchs ftaunende Gewühl.
Das Kleid, von weißer Unſchuldfarbe, floß
Hernieder zu den lichtverfagten Knöcheln,
Ein Bach, der über Blumenhügel ſtrömt.
Der Saum von grünen Palm: und Lorbeerzweigen
Sprah, Ruhm und Frieden finnig zart bezeichnend,
Aus, was der Dichter braucht und was ihn lohnt.
Wie rothe Morgenwolfen um die Sonne
Floß rings ein Purpurmantel um fie ber,
Und durch der Loden rabenſchwarze Naht
Erglänzt’, ein Mond, das belle Diadem,
Der Herrihaft mweithinleuchtenn hohes Zeichen.
Da rief in mir: Die ift es! Und du warſt's.
Ch die Vermuthung ich noch ausgeſprochen,
Rief taufendftimmig mir des Volkes Jubel
Beltätigung der füßen Ahnung zu.
Mie du nun fangft, wie du nun fiegteft, wie,
Geſchmückt mit der Vollendung hoher Krone,
Nun in des Siegs Begeifterung die Leier
Der Hand entfällt, ih durch das Volt mid ftürze,
Und, von dem Blid der Siegerin getroffen,
Der blöde Jüngling ſcham-entgeiſtert fteht,
Das weißt du, Hohe, beſſer ja als ich,
Erfter Aufzug. Dritter Auftritt. 155
Der ih, kaum halberwacht, noch finnend forfche,
Wie viel davon geſchehn, wie viel ich nur geträumt!
Sappho.
Wohl weiß ich's, wie du ftumm und ſchüchtern ſtandſt,
Das ganze Leben fhien im Auge nur zu wohnen,
Das, fparfam aufgehoben von dem Grund,
Den nicht verlöfhten Funken laut genug bezeugte.
Ich hieß dich folgen, und du folgteſt mir,
In ungewiſſes Staunen tief verſenkt.
Phaon.
Wer glaubte auch, daß Hellas' erſte Frau
Auf Hellas' letzten Jüngling würde ſchauen.
Sappho.
Dem Schickſal thuſt du Unrecht und dir ſelbſt!
Verachte nicht der Götter goldne Gaben,
Die ſie bei der Geburt dem Kinde, das
Zum Vollgenuß des Lebens ſie beſtimmt,
Auf Wang' und Stirn, in Herz und Buſen gießen!
Gar ſichre Stützen ſind's, an die das Daſein
Die leichtzerrißnen Fäden knüpfen mag.
Des Leibes Schönheit iſt ein ſchönes Gut,
Und Lebensluſt ein köſtlicher Gewinn;
Der kühne Muth, der Weltgebieter Stärke,
Entſchloſſenheit und Luſt an Dem, was iſt,
Und Phantaſie, hold dienend, wie ſie ſoll,
. Sie fhmüden dieſes Lebens rauhe Pfade,
Und. leben ift ja doch des Lebens höchſtes Ziel!
Umfonft nit hat zum Schmud der Mufen Chor
Den unfruchtbaren Lorbeer ſich ermwählt,
Kalt, frucht- und duftlos drüdet er da3 Haupt,
Dem er Erſatz verfprah für manches Opfer.
Sar ängftlich ſteht ſich's auf der Menfchheit Höhn,
Und ewig ift die arme Kunft geziwungen,
(mit außgebreiteten Armen gegen Phaon)
Zu betteln von des Lebens Ueberfluß!
156 Sappho.
Phaonu.
Was kannſt du ſagen, holde Zauberin,
Das man für wahr nicht hielte, da du's ſagſt?
Sappho.
Laß uns denn trachten, mein geliebter Freund,
Uns Beider Kränze um die Stirn zu flechten,
Das Leben aus der Künfte Taumelkelch,
Die Kunft zu fchlürfen aus der Hand des Lebens.
Sieh dieſe Gegend, die der Erve halb
Und halb den Fluren, die die Lethe Füßt,
An einfach Itillem Reiz foheint zu gehören,
In diefen Grotten, diefen Rofenbüfchen,
In diefer Säulen freundlicher Umgebung,
Hier wollen wir, glei den Unfterblichen,
Für die fein Hunger ift und feine Sättigung,
Nur des Genuſſes ewig gleiche Luft,
DS Schönen Daſeins ung vereint erfreun.
Mas mein ift, ift au dein. Wenn du's gebraudjft,
Sp machſt du erjt, daß der Beſitz mich freut.
Sieh um dich ber, du ftehit in deinem Haufe!
Den Dienern zeig’ ich dich als ihren Herrn,
Der Herrin Beifpiel nird fie dienen lehren.
Heraus, ihr Mädchen! Sklaven! Hieher!
Yhaon.
Sappho!
Wie kann ich fo viel Güte je bezahlen?
Stets wachſend faft erdrückt mich meine Schul.
Erfter Aufzug. Vierter Auftritt, 157
Vierter Auftritt.
Euharis Melitta. Rhamnes. Diener un Dienerinnen.
Borige.
Rhamues.
Du riefſt, Gebieterin!
Sappho.
Ja. Tretet näher!
Hier ſehet euern Herrn!
KRhamnes
(verwundert, halblaut).
Herrn?
Sappho.
Wer ſpricht hier?
(Geſpannt.)
Was willſt du ſagen?
Rhamnes (zurücktretend).
Nichts! -
Sappho.
So ſprich aud nid!
Ihr jeht bier euern Herrn. Was er begehrt,
ft euch Befehl, nicht minder als mein eigner.
Weh Dem, der ungehorfam fi erzeigt,
Den eine Wolfe nur auf diefer Stirn -
ALS Webertreter des Gebot3 verklagt!
Bergehen gegen mich kann ich vergefien,
Mer ihn beleidigt, wedet meinen Zorn. —
Und nun, mein Freund, vertrau dich ihrer Sorafalt,
Schwer liegt, ich ſeh's, der Reife Laft auf dir.
Laß fie des Gaftrecht3 heilig Amt verfehen,
Genieße freundlid Sappho's erfte Gabe!
Yhaon.
O, könnt' ih doch mein ganzes frühtes Leben
Umtaufchend, wie die Kleider, von mir werfen,
Befinnung mir und Klarheit mir gewinnen,
158 Sappho.
Um ganz zu fein, was ich zu fein begehre!
So lebe wohl! Auf lange, den?’ ih, nicht!
, Sappho.
Ich harre dein. Leb wohl! — Du bleib, Melitta!
(Phaon und Diener ab.)
Fünfter Auftritt.
Sappho. Melitta.
Sappho
(nachdem fie ibm lange nachgejeben).
Melitta! nun?
Melitta.
Mas, o Gebieterin?
Sappho.
So wallt denn nur in diefen Adern Blut,
Und rinnend Eis ftodt in der Andern Herzen?
Sie fahen ihn, fie hörten feine Stimme,
Diefelbe Luft, die feine Stirn gefächelt,
Hat ihre Leben⸗-leere Bruft ummallt,
Und dumpf ift ein: was, o Gebieterin ?
Der erfte Laut, der ihnen fich entpreßt!
Fürwahr, dich haflen könnt’ ih! — Geh!
(Melitta gebt ſchweigend.)
Sappho
hie fi unterbeflen auf bie Rafenbant geworfen).
Melitta
Und weißt du mir jo gar nichts denn zu fagen,
Was mich erfreuen koͤnnte, liebes Kinn?
Du ſahſt ihn doc, bemerkteft du denn nichts,
Was werth, gejehn, erzählt zu werben, wäre?
Wo waren deine Augen, Mädchen?
(Ste bei der Hand ergreifend und an ihre Kniee stehend.)
Me.
Erfter Aufzug. Funfter Auftritt. | 159
Melitta.
Du weißt wohl noch, was du uns öfters fagtelt,
Daß Yungfraun es in Fremder Gegenwart
Nicht zieme, frei die Blide zu verſenden.
j Sappho.
Und, armes Ding, du ſchlugſt die Augen nieder?
(Kügt fie.)
Das alfo wars? Mein Kind, die Lehre galt
Nicht dir, den eltern nur, den minder Stillen;
Dem Mädchen ziemt noch, was der Jungfrau nicht.
(Sie mit den Augen meffend.)
Do, fieh einmal! Wie haft du dich verändert,
Seit ih dich bier verließ? — Ich kenne dich nit mehr.
Um fo viel größer und —
(tügt fie wieder
Du ſüßes Weſen!
Du hatteſt Recht, die Lehre galt auch dir!
(Aufſtehend.)
Warum ſo ſtumm noch immer und ſo ſchüchtern?
Du warſt doch ſonſt nicht ſo. Was macht dich zagen?
Nicht Sappho, die Gebietrin, ſteht vor dir,
Die Freundin Sappho ſpricht mit dir, Melitta!
Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel,
Und was ſonſt ſchlimm an deiner Freundin war,
Es iſt mit ihr nach Hauſe nicht gekehret;
Im Schooß der Fluthen hab' ich es verſenkt,
Als ich an ſeiner Seite ſie durchſchiffte.
Das eben iſt der Liebe Zaubermacht,
Daß ſie veredelt, was ihr Hauch berührt,
Der Sonne ähnlich, deren goldner Strahl
Gewitterwolken ſelbſt in Gold verwandelt.
Hab’ ih dich je mit raſcher Rede, je
Mit bitterm Wort gelränft, o fo verzeih!
In Zukunft wollen wir als traute Schmeitern
In feiner Nähe leben, gleichgepaart,
164 Eariie.
Allein vurd feine Liebe unterikieten.
©, ih will qui nod werden, fremm und aut!
Aclitte
Vin du's nicht jegt, und warit du es eiht immır?
Sappho.
Ja, gut, wie man jo gut nennt, was nicht Itlimr!
Tod gnügt fo wenig für fo boben Zehn?
Haubft du, er wird fih glüdlih fühlen, Mädchen?
Aclitie
Wer wär’ es denn in deiner Nähe nid!
Sappho.
Was kann ich, Arme, denn dem Theuern bieten?
In feiner Jugend Fülle ſteht er da,
Geſchmückt mit dieſes Lebens fhönften Blüthen.
Der erft erwadte Sinn, mit frobem Staunen
Die Zahl der eignen Kräfte überblidend,
Spannt fühn die Flügel aus, und nad dem Höditen
Schießt gierig er den ſcharfen Adlerblick.
Was Shön nur ift und groß und hoch und würdig,
Sein iſt's! Dem Kräftigen gehört die Welt!
Und ih! — D, ihr des Himmel? Götter alle!
O, gebt mir wieder die entſchwundne Zeit!
Löſcht aus in dieſer Bruft vergangner Leiden,
Vergangner Freuden tiefgetretne Spur;
Was ich gefühlt, gefagt, gethan, gelitten,
Es fei nicht, felbft in der Grinnrung nicht!
Laßt mi zurlide kehren in die Zeit,
Da ih noch ſcheu mit runden Kinderwangen,
Ein unbeftimmt Gefühl im ſchweren Bufen,
Die neue Welt mit neuem Sinn betrat;
Da Ahnung no, kein quälendes Erkennen
In meiner Leier golonen Saiten fpielte,
Da nod ein Zauberland mir Liebe war,
Gin unbelanntes, fremdes Zauberland |
(Sih an Melittend Buſen lehnend.)
Erſter Aufzug. Fünfter Auftritt. 161
Aclitte,
Was fehlt dir? Bift vu krank, Gebieterin?
Sappho.
Da Steh’ ih an dem. Rand der weiten Kluft,
Die zwifchen ihm und mir verfchlingend gähnt;
Ich ſeh' das golone Land herüber winken,
Mein Aug’ erreiht es, aber nicht mein Fuß! —
Weh Dem, den aus der Seinen ſtillem Kreife
Des Ruhms, der Ehrſucht eitler Schatten lockt!
Ein wild bewegtes Meer durchſchiffet er
Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt Fein Baum,
Da ſproſſet feine Saat und feine Blume,
Ringsum die graue Unermeplichkeit.
Bon ferne nur fieht er die heitre Küſte,
Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt,
Tönt ihm die Stimme feiner Lieben zu.
Befinnt er endlich fih und kehrt zurüd
Und ſucht der Heimat leichtverlaßne Fluren,
Da ift kein Lenz mehr, ah! und feine Blume, .
(den Kranz abnehmend und wehmüthig betrachtend)
Nur dürre Blätter raufhen um ihn ber!
Melitta.
Der jhöne Kranz! Wie lohnt fo hohe Bier!
Bon Taufenden gefuht und nicht errungen.
| Sappho. |
Bon Taufenden gefuht und nicht errungen!
Nicht wahr, Melitta? Nicht wahr, liebes Mädchen?
Bon Taufenden gefuht und nicht errungen!
(Den Kranz wieder auffekend.)
Es fhmähe nicht den Ruhm, wer ihn bejigt,
Er ift kein leer-bedeutungsloſer Schall,
Mit Götterkraft erfüllet fein Berühren!
Wohl mir! Ich bin fo arm nit! Seinem Reichthum
Kann gleihen Reichthum ich entgegen feßen:
Brillparzer, Werte, II. 11
162 Eappho.
Der Gegenwart mie dargebotnem Kranz
Die Blüthen der Vergangenheit und Zukunft!
Du ſtaunſt, Melitta, und verſtehſt mich nicht?
Wohl dir! o lerne nimmer mich verſtehen!
Melitta,
Zürnft vu?
Sappho.
Nicht doch, nicht doch, mein liebes Kind!
Geh zu den Andern jetzt und ſag mir's an,
Wenn dein Gebieter wunſcht, mich zu empfangen.
(Metitter ab.)
Schheter Anftritt,
Sappho allein.
(Sie Tegt, in Gedanken verfunfen, bie Stirn in die Hand, banı fest fie
ſich auf die Raſenbank und nimmt bie Beier in ben Arm, das Yolgenbe
mit einzelsen Alkorden begleitend.)
Golden: thronente Aphrodite,
Liltenerfinnenbe Tochter des Zeus,
Nicht mit Angſt und Sorgen belalte,
Hocerhabne! dieß pochende Herz!
Sondern fomm, menn jemals dir liebli
Meiner Leier Saiten getönt,
Deren Klängen du öfter lauſchteſt,
Verlaſſend des Baterd goldene Haus.
Du beipannteft den ſchimmernden Wagen,
Und deiner Sperlinge fröhliches Paar,
Munter jchwingend die ſchwärzlichen Flügel,
Zrug dich vom Simmel zur Erbe herab,
Erſter Aufzug. Sechster Auftritt.
Und du kamſt; mit lieblihem Lächeln,
Böttlihe! auf der unfterbliden Stirn,
Fragteft du, was die Klagende quäle,
Marum erfchalle der Flehenden Ruf?
Was das ſchwarmende Herz begehre,
Wen fi fehne die Elopfende Bruft
Sanft zu beftriden im Netz der Liebe;
Wer iſt's, Sappho, der dich verlegt?
Flieht er dich jetzt, bald wird er dir folgen;-
Verſchmäht er Geſchenke, er gibt fie noch felbft,
Liebt er dich nicht, gar bald wird er lieben,
Folgſam gehorchend jeglihem Wink!
Komm auch jegt und Iöfe den Kummer,
Der mir laftend den Buſen beengt,
Hilf mir erringen, nah was ich ringe,
Sei mir Gefährtin im lieblichen Streit!
(Sie lehnt matt das Haupt zurück.)
Der Vorhang fällt.
163
Bweiler Aufzug.
Freie Gegend mie im vorigen Aufzuge.
Erfier Auftritt.
Phaon Tommi.
Wohl mir! hier iſt es jtil. Des Gaſtmahls Jubel,
Der Zimbelipieler Lärm, der Ylöten Töne,
Der Insgelaßnen Freude lautes Megen,
Es tönt nicht bis hier unter dieſe Bäume,
Die, leiſe flüfternd, wie beiorgt, zu ftören,
Zu einiamer Betrachtung freundlich Iaben.
Mie bat ſich Alles benn in mir verändert,
Seit ih der Eltern ftilles Haus verlieh
Und meine Renner gen Ommpia lentte?
Sonft konnt’ ich wohl .in heiterer Refinmung
Merworrener Smofinbung leiv Nüben
Mit Iharfem Aug verioigen und entwimen,
Nıs klar es als Frtennen vor mir lag:
Doch jett, wir eme ipwilie Sommımal;,
Liegt brütend, SUR mu vemigend uigleich,
Gin ihwerer Reh her meinen Sommer,
Den dar Giedanden a Wetterleunten,
Zoriter Auſzug. Erſter Auftritt. 165
Sept bier, jebt dort, und jetzt ſchon nicht mehr da,
In quälender Berwirrung raſch durchzuckt.
Ein Schleier dedt mir die Vergangenheit,
Kaum kann ich heut des Geſtern mich erinnern,
Kaum in der jetz'gen Stund’ der erft geſchiednen.
Ich frage mich: Warſt du's denn wirklich jelber,
Der in Olympia ftand an ihrer Seite?
An ihrer Seite in des Siegs Triumph?
War e3 dein Name, den des Volles Jubel,
Vermifcht mit ihrem, in die Lüfte rief?
Ya fagt mir Alles, und doch glaub’ ich's kaum!
Was für ein Armlih Weſen ift der Menſch,
Menn, was ald Hoffnung feine Sinne wedte,
Ihm als Erfüllung fie in Schlaf verfentt!
Als ich fie noch nicht ſah und kannte, nur
Die Phantaſie ihr fchlechtgetroffnes Bild
In graue Nebel noch verfließend malte,
Da ſchien mir's leicht, für einen Blid von ihr,
Ein güt'ges Wort das Leben binzuwerfen ;
Und jest, da fie nun mein ift, mir gehört,
Da meiner Wünfhe mwinterlihe Raupen
Als golone Schmetterlinge mich umfpielen,
Jetzt frag’ ih no, und ſteh' und finn’ und zaudre!
Wehl ich vergefle hier mich felber noch
Und fie und Eltern und —
D meine Eltern!
Muß ich erſt jegt, jet eurer mich erinnern!
Konnt' ih fo lang euch ohne Botfchaft Taffen?
Vielleicht beweint ihr meinen Tod, vielleicht
. Gab de3 Gerühtes Mund euch fchon die Kunde,
Daß euer Sohn, den ihr zu lieben nicht,
Den ihr zum Kampfe nad Olynıpia Tandtet,
Sn Sappho’3 Arm —
Mer wagt es, fie zu fhmähn?
166 Sappho.
Der Frauen Bier, die Krone des Geſchlechts!
Mag auch des Neides Geifer fie beſpritzen,
Sch Steh’ für fie, ſei's gegen eine Welt!
Und felbft mein Vater, fieht er fie nur erft,
Gern legt er ab das alte Borurtheil,
Das frecher Zitherfpielerinnen Anblid
Mit frommer Scheu ihm in die Bruft geprägt.
(In Sedanten verfintend) _
Mer naht? der laute Haufen dringt bieher.
Wie widerlih! — Schnell fort! — Wohin? — Ad, hier! —
(Geht in die Srotte,)
Bweiter Anftritt.
Eucha ris. Melitta, Sklavinnen mit Blumen und Rränzen,
Eudharis (lärmend).
Ihr Mädchen, auf! Mehr Blumen bringt herbei!
Zu ganzen Haufen Blumen. Schmüdt das Haus
Und Hof und Halle, Säule, Thür und Schwelle,
Ja ſelbſt die Blumenbeete ſchmückt mit Blumen!
Ihut Würze zum Gewürz, denn heute feiert
Da3 Felt der Liebe die Gebieterin.
Aãñdchen
Uhre Blumen vorweiſend).
Hier, ſieh!
Sie fangen au, die Säulen und Bäume umber mit Krängen und
Blumenletten zu behängen.)
Recht gut! recht gut! doch du, Melitta,
Wo Haft du, Mädchen, deine Blumen?
Aelitta
(ihre leeren Hände betrachtend).
3?
Zweiter Aufzug. Zweiter Auftritt. 167
Eudaris.
Sa du! Ei jeht mir doch die Träumerin!
Kommſt du allein hierher mit leeren Händen?
Mielitta.
Ich will wohl holen.
Eucharis.
Ich will holen, ſpricht ſie,
Und regt ſich nicht vom Platz und will und holt nichts.
Du kleine Heuchlerin, bekenne nur,
Was haſt du denn? Was war das heut bei Tiſch,
Daß die Gebieterin ſo oft nach dir
‚Mit leiſem Lächeln ſchlau hinüberblickte
Und dann die Augen ſpottend niederſchlug?
So oft ſie's that, ſah ich dich heiß erröthen
Und mit dem Zittern peinlicher Verwirrung
Des oft verſehnen Dienſtes dich vergeſſen.
Und als ſie nun 'dich ruft, den großen Becher
Dem ſchönen Fremden zu kredenzen, und
Du ſcheu den Rand durch deine Lippen ziehſt,
Da rief ſie plötzlich aus: Die Augen nieder!
Und ach, des großen Bechers halber Inhalt
Ergoß mit Eins ſich auf den blanken Eſtrich.
Da lachte Sappho ſelbſt! Was war Das alles?
Bekenne nur! Da hilft kein Leugnen, Mädchen!
Melitta.
O, laßt mich!
Eucharis.
Nichts da, ohne Gnade, Kind!
Den Kopf empor und Alles friſch bekannt!
O weh! da quillt wohl gar ein kleines Thränchen! —
Du arges Ding! — Ich ſage ja nichts mehr,
Doch weine nicht! Wenn du's ſo öfters treibſt,
So werd' ich noch ſo böſe — Weine nicht!
Sind eure Blumen alle? Nun, ſo kommt;
168 Sappho.
Mir wollen neue holen! — Se did bin,
Hier find noch Roſen, Hilf ung Kränze winden!
Sei fleißig, Kind! doch, hörst du? weine nicht. ,
(Mit den Mädchen ab.)
Dritter Auftritt.
Melitta allein.
(Sie jet ſich auf die Rafenbant und beginnt einen Kranz zu flechten.
Nah einer Weile fchüttelt fie fchmerzlih das Haupt und legt das An⸗
gefangene neben fich Hin.)
Aelitta.
Es geht nicht. — Weh! der Kopf will mir zerſpringen,
Und ſtürmiſch pocht das Herz in meiner Bruſt.
Da muß ih figen, einfam und verlafien,
Fern von der Eltern Herd, im fremten Sand,
Und Sklavenketten drüden diefe Hände,
Die ib binüber ftrede nah den Meinen.
Weh mir! da fig’ ib einjam und verlañſen,
Und Riemand böret mich und achtet mein!
Mit Ihränen jeb’ ih Freunde und Verwandte
Den Buſen drüden an wrmandte Auf,
Nir Idiigt kin Buſen bier im dieſen Larde,
Und meine deunde wobren weit ver ber.
IR ſede Kinder um Dun Teer bürke,
Te ur Sum, ie halyea Ina Ei:
WNeix Auer ledt zomerat ur& were lee,
Wo ta it Gut art Nut da Ken ars
Sde nam hr nin ke mit Int,
ıDSEI ar rin Bora dere,
Te Tan, Fk rer um,
Zweiter Aufzug. Vierter Auftritt. 169
Das auch der Sklavin milde Worte gönnt;
Der Mund, der erft von Schmeicheln überfloflen,
Er füllt fih bald mit Hohn und bitterm Spott.
"Sie dürfen lieben, haffen, was fie wollen,
Und was das Herz empfindet, fpricht die Lippe aus,
Sie zieret Gold und Purpur und Gefchmeide,
Nah ihnen wendet ftaunend ſich der Blid;
Der Sklavin Plap ift an dem nievern Herde,
Da trifft kein Blick fie, ah, und feine Frage,
Kein Auge, kein Gedanke und ein Wunfh! —
Ihr Götter, die ihr mich ſchon oft erhört,
Mit reiher Hand Erfüllung mir gejendet,
Wenn ich mit frommem Sinne zu euch flehte,
D, leiht au dießmal mir ein gnädig Ohr!
Führt gütig mich zurüde, zu den Meinen,
Daß ih an des Vertrauens weiche Bruft
Die kummerheiße Stirne fühlend preſſe,
Führt zu den Meinen mid, ach, oder nehmt mich
Hinauf zu euh! — Zu euh! — Zu eu!
Dierter Auftritt.
Phaon. Melitta,
Yhaon
(der während bed vorigen Selbſtgeſprächs am Eingang ber Grotte ers
fchienen ift, fi aber laufend zurückgezogen hat, tritt jekt vor und legt
Melitten von hinten die Hand auf die Schulter).
So jung noch, und fo traurig, Mädchen?
Aelitta (zuſammenſchreckend).
Ah!
170 Sappho.
Phaon.
Ich hörte dich erſt zu den Göttern rufen
Um eines Freundes Bruſt. Hier iſt ein Freund.
Es bindet gleicher Schmerz wie gleiches Blut,
Und Trauernde find übrall ſich verwandt.
Auch ich vermiſſe ungern theure Eltern,
Auch mich zieht's mächtig nach der Heimat zu;
Komm, laß uns tauſchen! daß des Einen Kummer
Zum Baljam werde für des Andern Brut.
Du ſchweigſt! — Woher vie Miktraun, gutes Mäpchen?
Blick auf zu mir! Nicht ſchlimm bin ich gefinnt.
(Er hebt ihr das Haupt am Kinne empor.)
Gi ſieh! du bift wohl gar der Kleine Mundſchenk,
Der ftatt des Gaſts den blanten Eſtrich träntte?
Darum fo bang? Nicht do! Es bat der Unfall
So mid als die Gebieterin beluftigt.
Melitta
(vie bei dem legten Worte etwas zujammenaeiahren, ichlägt nım bie
Augen empor und blidt ihn an, dann freh: fie auf! unb will gegen),
Phaon.
Nicht wollt' ich dich beleidigen, mein Kind.
Hat dieſes janfte Aug in ernſte Blicke?
Du mußt mir Rede ſtehn, ich laſſ' dich nicht!
Schon unterm Manle bat’ id Did bemerkt;
Die jungfräuliche Stile alanzte lieblich
Durd‘ all den wilden Tamiel des Gielaas.
Ar bil Du? und was hält did hier zurud?
Du warſt nicht mit zu Tiich, id lab Dich Denen,
Ge imten dr Stlavimien Bırtraulinteit
Gerapriin DIE gu namen und —
$.clitte.
Ar bir't!
Brade: it ar wer Wi geben .
Yhaon (a: wurifpaltm.
Ya: And '
Zweiter Aufzug. Vierter Auftritt.
Melitta.
Was willſt du von der Sklavin, Herr?
Laß einer Sklavin Bruſt ſie ſuchen, und —
(Shränen erkiden ihre Stimme.)
Nehmt mie binauf zu euch, zu eu, ihr Götter!
Pharn (fe umſaſſend).
Du biſt bewegt, du zitterſt. Faſſe dich!
Es binden Sklavenfeſſeln nur die Hände,
Der Sinn, er macht den Freien und den Knecht!
Sei ruhig, Sappho iſt ja gut und milde,
Ein Wort von mir, und ohne Loöſegeld
Gibt fie den Deinen dich, dem Vater wieder,
(Melitta fchüttelt ſchweigend dad Haupt.)
Phaon.
Glaub mir, ſie wird's gewiß. Wie, oder iſt
Die heiße Sehnſucht nach dem Vaterlande,
Die erſt dich fo ergriff, fo ſchnell verſchwunden?
Melitta.
Ah, ſag' mir erſt, wo iſt mein Vaterland?
phaon.
Du kennſt es nicht?
Melitta.
In zarter Kindheit ſchon
Ward ich entriſſen ſeiner treuen Hut;
Nur feine Blumen, feine Thäler bat
Behalten das Gedächtniß, nicht den Namen,
Nur, glaub’ ih, Tag es, wo die Sonne herlömmt,
Denn dort war Alles gar fo licht und hell.
Phaon.
So iſt es weit von hier?
Aclitte.
O, meit, fehr meit!
Bon andern Bäumen war ich dort umgeben,
Und andre Blumen dufteten umher,
In blauern Lüften glänzten fchönre Sterne,
171
172 Sappho.
Und freundlih gute Menjchen wohnten dort.
In vieler Kinder Mitte lebt’ ich da,
Ah, und ein Greis mit weißen Silberloden,
Ad nannte Vater ihn, liebloste mir;
Dann noch ein andrer Mann, fo fhön und hold,
Mit braunem Haar und Aug, falt fo wie — du —
Dhaon.
Du ſchweigſt? Der Mann?
Melitta,
Er auch —
Phaon.
Liebkoste dir,
Nicht ſo?
(Sie bei der Hand ergreifend.)
Melitta (eiſe).
Ich war ein Kind.
Phaon.
Ich weiß es wohl!
Ein füßes, liebes, unbefangnes Kind!
(Ihre Hand loslaſſend.)
Nur weiter!
Melitta.
So ging Alles ſchön und gut.
Doch einſt erwacht' ich Nachts. Ein wild Geſchrei
Drang laut von allen Seiten in mein Ohr.
Die Wärtrin naht, man rafft mich auf
Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus,
Da ſah ich ringsherum die Hütten flammen
Und Männer fehten, Männer fliehn und fallen.
Jetzt naht ein Wüthrich, ftredt die Hand nah mir,
Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgefchrei;
Ich fand mich erſt auf einem Schiffe wieder,
Das pfeilfchnell dur die dunkeln Wogen glitt,
Noh andre Mädchen, Kinder fah ich weinen,
Doch immer Kleiner ward der Armen Zahl,
—
Zweiter Aufzug. Vierter Auftritt. 173
Je weiter wir uns von der Heimat trennten.
Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir,
Ja Monden wohl. Zuletzt war ich allein
Von all den Armen bei den wilden Männern.
Da endlich trat uns Lesbos' Strand entgegen,
Man ſchifft mich aus, ans Land. Da ſah mich Sappho,
Da bot ſie Geld, und ihre ward Melitta.
Yhaon,
Mar denn bein Loos fo ſchwer in Sappho’3 Händen?
Melitta.
D, nein! Sie nahm mich gütig, freundlich auf,
Sie trodnete die Thränen mir vom Aug’
Und pflegte mein und lehrte mich voll Liebe;
Denn, wenn aud heftig manchmal, raſch und bitter,
Doch gut ift Sappho wahrlid, lieb und gut.
Phaon.
Und doch kannſt du die Heimat nicht vergeſſen?
Aelitta.
Ach, ich vergaß ſie leider nur zu bald!
In Tanz und Spiel und bei des Hauſes Pflichten
Dacht' ich gar felten der verlapnen Lieben.
Nur mandhmal, wenn mih Schmerz und Kummer drüdt,
Dann fchleiht die Sehnſucht mir ind bange Herz,
Und die Erinnerung mit ſchmerzlich füßer Hand
Enthüllt die goldumflorte, lichte Ferne.
Und fo au heut! Mir war fo fchwer und ängſtlich;
Ein jedes leisgeſprochne Wort fiel fchmerzend
Hernieder, wie auf fleifehentblößte Fibern,
Da — doch jetzt ift es gut, und ich bin froh!
Man ruft drinnen.
Melitta !
phaon.
Horch! Man ruft!
174 Sappho.
Alelitte,
Man ruft? — Ich gehe.
(Sie Liest ben angefangenen Kranz und bie Blumen auf.)
Phaon.
Was haſt du hier?
Aelitta.
Ei, Blumen!
Phaon.
Und für wen?
Melitta,
Für did — für dih und Sappho,
Phaon.
Melitta.
Bleib!
Man ruft.
Yhaon.
Du ſollſt fo finftern Blids nit von mir gehn!
Zeig deine Blumen!
Melitta.
Hier!
Phaon (eine Rofe herausnehmend).
Nimm diefe Rofel
(Er ftedt fie ihr an den Buſen.)
Sie fei Erinnrung dir an diefe Stunde,
Grinnerung, daß nicht bloß in der Heimat,
Daß aud in fernem Land es — Freunde gibt.
(Melitta, die bei feiner Berührung zufammengefahren, ſteht jest mit
hochllopfender Bruft, beide Arme hinabhängend, mit gefenttem Haupt
und Auge unbeweglich da, Phaon Bat ſich einige Schritte entfernt und
betrachtet fie von Weiten.)
Man ruftvon innen,
Melitta!
Melitta.
Riefſt du mir?
Ihaon.
Ich nicht, — Im Haufe!
Zweiter Aufzug. Vierter Auftritt. 175.
Melitta
(die Kränze, bie ihr entfallen find, zuſammenraffend)
Ich komme ſchon!
pPhaon.
Biſt du ſo karg, Melitta?
Verdient denn meine Gabe kein Geſchenk?
Aelitta.
Ich, ein Geſchenk? Was hätt' ich, Arme, wohl?
Phaou.
Gold ſchenkt die Eitelkeit, der rauhe Stolz;
Die Freundſchaft und die Liebe ſchenken Blumen.
Hier haſt du Blumen ja —
Melitta
(die Blumen von ſich werfend),
Wie? diefe hier,
Die jene wilden Mädchen dort gepflüdt,
Sie, die beftimmt für — Nimmermehr!
pPhaon.
Was ſonſt?
Melitta.
Daß fie. doch dieſe Sträuche fo geplündert!
Da ift auch nirgends einer Blume Spur.
(Am Roſenſtrauche emporblidenb.)
An jenem Zweige hängt wohl eine Rofe,
Doch fie ift allzu hoch, ich reiche nicht.
Phaon.
Melitta.
Ei, nicht doch!
Phaon.
Warum?
So leicht geb' ich nicht meinen Anſpruch auf.
Melitta
(auf die Raſenbank fleigenb).
So komm! Ich beuge dir den Zweig!
Ich will dir helfen.
176 Sappho.
Dhaon.
Ganz recht!
Melitta
(auf den Heben emporgehoben, den Zweig, an deſſen äußerftem Ende
die Roje hängt, herabbeugend).
Reichſt du?
Yhaon
(ver, ohne auf die Rofe zu achten, nur Melitten betrachtet Hat).
Noch nidt.
Melitta,
Doc jetzt! — Weh mir! ich gleite!
Ich falle!
Yhaon.
Nein, ich halte dich!
(Der Zweig ift ihren Händen emporfchnellend entſchlüpft, fie taumelt und
finlt in Phaons Arme, die er ihr geöffnet entgegen hält.)
Aelitta.
O, laß mid!
Phaon (fie an fi haltend).
Melitta!
Melitta.
Meh mir! Lab mih! — Ad!
Phaon.
Melitta!
(Er drückt raſch einen Kuß auf ihre Rippen.)
Fünfter Auftritt.
Sappho, einfach gekleidet, ohne Kranz und Leier, Vorige,
Sappho Ceintretend).
Du läßt dich fuchen, Freund? — Doch, ha! Was feh’ ih?
Melitta.
Horch! Die Gebieterin!
Zweiter Aufzug. Fünfter Auftritt.
Phaon.
Wie? Sappho hier?
Er läßt fie los.)
Pauſe.)
Sappho.
Melitta!
Melitta.
Hohe Frau!
Sappho.
Was ſuchſt du hier?
Melitta.
Ich ſuchte Blumen.
Sappho.
Und nicht ohne Glück!
Aelitta.
Die Roſe hier —
Sappho.
Sie brennt auf deinen Lippen.
Aelitta.
Sie hängt fo hoch.
Sappho.
Vielleicht nicht hoch genug!
Geh!
Melitte.
Sol ih etwa —?
Sappho. v
Geh nur immer! Geh!
(Melitta ab.)
Brillparger, Werke. II. 12
178 Sabppho.
Sechster Auftritt.
Sappho. Phaon.
Sappho (nach einer Pause).
Phaon! |
Phaon.
Sappho!
Sappho.
Du ſtandſt ſo früh
Bon unſerm Mahle auf. Du wardſt vermißt.
Yhaon.
Den Becher Tieb’ ih nicht, noch laute Freuden.
Sappho.
Nicht laute. Das fcheint fait ein Vorwurf.
Phaon.
Wie?
Sappho.
Ich habe wohl gefehlt, daß ich die Feier
Der Ankunft laut und rauſchend angeſtellt?
Phaon.
So war es nicht gemeint!
Sappho.
Das volle Herz,
Es ſucht oft lauter Freude vollen Jubel,
Um in der allgemeinen Luſt Gewühl
Recht unbemerkt, recht ſtille ſich zu freun.
pPhaon.
Ja, ſo!
Sappho.
Auch mußt' ich unſern guten Nachbarn
Für ihre Liebe wohl mich dankbar zeigen.
Das freut ſich nur bei Wein! Du weißt es wohl.
In Zukunft ſtört kein läſtig Feſt uns wieder
Die Stille, die du mehr nicht liebſt, als ich.
Zweiter Aufzug. Sechster Auftritt. 179
Yhann.
Ich danke dir.
But du? Ich bleibe.
Sappho.
Zu gehn oder zu bleiben biſt du Herr.
Phaon.
Du zürneſt?
Sappho Gewegt)
Phaon!
Phaon.
Bil du etwas —?
Sappho.
" Nichts! —
— Doch Eins!
(Mit Ueberwinbung.)
Sch ſah dich mit Melitten ſcherzen —
Phaon.
Melitta! — Wer? — Ei ja, ganz recht! Nur weiter!
Sappho.
Es iſt ein liebes Kind.
Phaon.
So ſcheint's, o ja!
Sappho.
Die Liebſte mir von meinen Dienerinnen,
Von meinen Kindern möcht' ich ſagen, denn
Ich habe ſtets als Kinder ſie geliebt.
Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße,
So iſt es nur, da die Natur uns ſüßre
Verſagt, um jene Eltern⸗, Heimatloſen
Nicht vor der Zeit dem Aug der Lehrerin,
Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn.
So war ich's ſtets gewohnt, und in dem Kreiſe
180 Sappho.
Don Mytilenens beiten Bürgerinnen
Iſt Manche, die in freudiger Erinnrung
Sich Sappho’3 Wert aus frühern Tagen nennt.
Phaon.
Recht ſchön! recht ſchön!
Sappho.
Bon al den Mädchen,
Die je ein fpielend Glück mir zugeführt,
War feine theurer mir, als fie, Melitta,
Das liebe Mädchen mit dem ftillen Stun.
Obſchon nicht hohen Geifts, von mäß’gen Gaben
Und unbebülflich für der Künfte Webung,
War fie mir doch vor Andern lieb und werth
Durch anfpruchslofes, fromm beſcheidnes Weſen,
Durch jene liebevolle Innigkeit,
Die langſam, gleich dem ſtillen Gartenwürmchen,
Das Haus iſt und Bewohnerin zugleich,
Stets fertig, bei dem leiſeſten Geräuſche
Erſchreckt ſich in ſich ſelbſt zurüd zu ziehn,
Und um fich fühlend mit den weichen Fäden,
Nur zaudernd waget, Fremdes zu berühren,
Doch feit fih faugt, wenn es einmal ergriffen,
Und ſterbend das Ergriffne nur verläßt,
Yhaon.
Recht Schön, fürwahr, recht ſchön!
Sappho.
Ich wünſchte nit, —
Verzeih, mein theurer Freund! Ich wünſchte nicht,
Daß je ein unbedachtſam, flücht'ger Scherz
An diefes Mädchens Bufen Wünfche wedte,
Die, unerfüllt, mit bitterm Stachel wmartern.
Erſparen möcht’ ich gern ihr die Erfahrung,
Wie ungeftillte Sehnfucht fich verzebret,
Und wie verfhmähte Liebe nagend quält,
Mein Freund —
Zweiter Aufzug, Sechster Auftritt. 181
Phaon.
Wie ſagteſt du?
Sappho.
Du hörſt mich nicht!
Phaon.
Ich höre: Liebe quält.
Sappho.
Wohl quält fie!
Mein Freund, du biſt jetzt nicht geſtimmt. Wir wollen
Ein ander Mal noch dieſen Punkt beſprechen!
Yhaon.
Ganz recht! Ein ander Mall
Sappho.
Für jebt, leb wohl!
Ich pflege diefe Stunde fonjt den Mufen
In jener ftillen Grotte dort zu weihn.
Hoff ich glei nicht die Mufen heut zu finden,
So ift doch mindftens Stille mir gewiß,
Und ich bedarf fie. Leb indeſſen wohl!
Yhaon.
So gehſt du alfo?
Sappho.
Wunſcheſt du —?
phaon.
Leb wohl!
Sappho (fi raſch umwendend).
Leb wohl!
(Ab in die Höhle.)
182 Sappho.
Siebenter Anftritt.
Phaon allein, nachdem er eine Weile ſtarr vor ſich hingeſehen.
Yhaon.
Und haft du wirklich —?
(Sich umfehend.)
Gie ift fort! —
Was ift denn bier geſchehn? Kaum weiß ich es.
Ich bin verwirrt, mein Kopf ift wüſt und ſchwer!
(Auf die Rafenbant blidenb.)
Hier faß fie, bier, daS heiter blühnde Kind,
(fest ſich)
Hierher will ih mein Haupt zur Ruhe legen!
(Legt ermattet den Kopf in bie Hand.)
Der Vorhang fällt,
Drifter Aufzug.
Gegend wie in den vorigen Aufzügen.
Erſter Auftritt.
Bhaom Liegt fchlummernd auf der Raſenbank. Sappho kömmt aus
der Grotte,
Sappho.
Es iſt umfonft! Weit ſchwärmen die Gedanken
Und kehren ohne Ladung mir zurück.
Was ich auch thue, was ich auch beginne,
Doch ſteht mir jenes tiefverhaßte Bild,
Dem ich entfliehen möchte, wär' es auch
Weit über dieſer Erde dunkle Gränzen,
Mit friſchen Farben vor der heißen Stirn.
Wie er fie hielt! Wie fie fein Arm umſchlang!.
Und nun, dem Drange weichend hingegeben,
Auf feinem Mund fie — fort! ih will’3 nicht denken !
Schon der Gedanke tödtet taufendfah! —
Doch bin ich denn nicht thöricht, mich zu quälen
Und zu beklagen, was wohl gar nicht ift?
Mer weiß, wel Teichtverwifchter, flücht'ger Eindrud,
184 Eappho.
Welch launenvolles Nichts ihn an fie zog,
Das, ſchnell entihwunden fo wie ſchnell geboren,
Der Vorwurf wie, der Vorſatz nicht erreicht?
Mer heißt den Maßftab denn für fein Gefühl
In diefer tiefbewegten Bruft mich fuchen?
Nah Frauengluth mißt Männerliebe nicht,
Mer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau.
Gar wechſelnd ift des Mannes raſcher Sinn,
Dem Leben untertban, dem wechſelnden.
Frei tritt er in des Daſeins offne Bahn,
Vom Morgenroth der Hoffnung rings umfloſſen,
Mit Muth und Stärke, wie mit Schild und Schwert,
Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüjtet.
Zu eng dünkt ihm des Innern ftille Welt,
Nah außen gebt fein raftlos, wildes Streben;
Und findet er die Lieb’, büdt er fich wohl,
Das holde Blümchen von dem Grund zu lefen,
Beſieht es, freut fih fein und ſteckt's dann kalt
Zu andern Siegeszeihen auf den Helm.
Gr kennet nicht die ftille, mächt'ge Gluth,
Die Liebe wedt in eines Weibes Buſen;
Wie all ihr Sein, ihr Denfen und Begehren
Um diefen einz'gen Punkt fih einzig dreht,
Wie alle Wünſche, jungen Bögeln gleich,
Die angftvoll ihrer Mutter Neft umflattern,
Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab
Mit furchtſamer Bellemmung ſchüchtern hüten;
Das ganze Leben als ein Edelſtein
Am Halje hängt der neugebornen Liebe!
Gr liebt; allein in feinem weiten Bufen
Iſt noch für Andres Raum als bloß für Liebe,
Und Mandes, was dem Weibe Frevel dünkt,
Grlaubt er ih als Scherz und freie Luft.
Ein Ruß, wo er ihm immer auch begegnet,
Dritter Aufzug. Erſter Auftritt, 185
Gtet3 glaubt er fih berechtigt, ihn zu nehmen;
Wohl ſchlimm, daß es fo ift, doch ift es fol
(Sid umwendend und Phaon erblidend.)
Ha fieh, dort in des NRofenbujhes Schatten —
Er ift e8, ja, der liebliche Verräther!
Gr jhläft, und Ruh und ftille Heiterkeit
Hat weich auf feine Stirne fi) gelagert.
Sp athmet nur der Unſchuld frommer Schlummer,
So hebt fih nur die unbeladne Bruft.
Ya, Theurer, deinem Schlummer will ich glauben,
Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt.
Verzeihe, wenn im erften Augenblide,
Geliebter! mit Verdacht ich dich gefränft,
Menn ich geglaubt, es könne nievre Faljchheit
Den Eingang finden in fo reinen Tempel!
Cr läbelt — feine Lippen öffnen ih —
Ein Name jcheint.in ihrem Hauch zu fehweben.
Wach auf und nenne wachend deine Sappho,
Die dich umſchlingt. Wach auf!
(Sie fügt ihn auf die Stirne.)
Phaon
(erwacht, Öffnet bie Arme und ſpricht mit halbgeſchloſſenen Augen).
Melitta!
Bappho (Gurüdftürzenn).
Ha!
Phaon.
Ah! wer hat mich geweckt? Wer ſcheuchte neidiſch
Des ſüßen Traumes Bilder von der Stirn? —
Du, Sappho? Sei gegrüßt! Ich wußt' es wohl,
Daß Holdes mir zur Seite ſtand, darum
War auch ſo hold des Traumes Angeſicht.
Du biſt ſo trüb! Was fehlt dir? Ich bin froh!
Was mir den Buſen ängſtigend belaſtet,
Faſt wunderähnlich iſt's von mir geſunken,
Ich athme wieder unbeklemmt und frei;
186 Sappho.
Und gleich dem Armen, den ein jäher Sturz
Ins dunkle Reich der See hinabgefchleudert,
Wo Grauſen herrſcht und Angftlih dumpfes Bangen,
Wenn ihn empor nun hebt der Wellen Arm
Und jetzt das heitre goldne Sonnenlicht,
Der Kuß der Luft, des Klanges freud'ge Stimme
Mit einem Mal um ſeine Sinne ſpielen:
So ſteh' ich freudetrunken, glücklich, ſelig
Und wünſche mir, erliegend all der Wonne,
Mehr Sinne, oder weniger Genuß.
Bappho Wwor ſich Hin).
Melitta!
Yhaon.
Fröhlich, Liebe, fei und heiter!
Es iſt fo ſchön hier, o, jo himmliſch ſchön!
Mit weichen Flügeln ſenkt der Sommerabend
Sich hold ermattet auf die ſtille Flur;
Die See fteigt liebevürftend auf und nieber,
Den Herrn des Tages bräutlih zu empfangen,
Der ſchon dem Weiten zu die Roffe lenkt;
Ein leifer Hauch fpielt in den fchlanfen Bappeln,
Die, koſend mit den jungfräuliden Säulen,
Der Liebe leifen Gruß berüber liſpeln,
Zu fagen feinen: Seht, wir lieben! Ahmt ung nad!
Bappho (für fi).
Faſt wil’3 von Neuem mir die Bruft bejchleichen,
Doch nein! zu tief hab’ ich fein Herz erlannt!
Hhaon.
Der Fiebertaumel iſt mit Eins verfchwunden,
Der mid ergriffen feit jo langer Zeit,
Und, glaube mir, ih war bir nie fo gut,
So wahrhaft, Sappho, gut, al3 eben jet.
Komm, laß uns froh fein, Sappho, froh und heiter! —
Doch fprih, was hältft du wohl von Träumen, Sappho?
. A.
Dritter Aufzug. Erſter Aufteitt.
Sappho.
Sie lügen, und ich haſſe Lügner!
Dhasn.
Sieh,
Da hatt! ich eben, als ich vorhin ſchlief,
Gar einen feltfam. wunderlihen Traum.
Ich fand mih nah Olympia verjegt,
Gerade jo wie damals, als ich did
Zuerſt beim frohen Kampffpiel dort gefehen.
Ich Stand im Kreis des fröhlich lauten Volks,
Um mid der Wagen und des Kampfa Getöfe.
Da klingt ein Saitenfpiel, und Alles ſchweigt;
Du warſt's, du fangjt der golonen Liebe Freuden,
Und tief im Innerſten ward ich bewegt.
Ich ftürze auf. dich zu, da — denke doch!
Da kenn' ih dich mit einem Mal nicht mehr;
Noch ſtand fie da, die vorige Geltalt,
Der Burpur flo um ihre runden Schultern,
Die Leier Hang noch in der weißen Hand;
Allein das Antlitz wechfelt, ſchnell verfließend,
Wie Nebel, die die blauen Höhn umziehn;
Der Lorbeerkranz, er war mit Eins verſchwunden,
Der Ernſt verſchwunden von der hohen Stirn,
Die Lippen, die erſt Götterlieder tönten,
Sie lächelten mit irdiſch-holdem Lächeln,
Das Antlitz, einer Pallas abgeſtohlen,
Verkehrt ſich in ein Kindesangeſicht,
Und kurz, du biſt's und biſt es nicht, es ſcheint
Mir Sappho bald zu ſein, und bald —
Sappho (ſhreiend).
Melitta!
Phaon.
Faſt haſt du mich erſchreckt! — Wer ſagte dir,
Daß ſie es war? — Ich wußt' es ſelber kaum! —
— Du biſt bewegt und ich —
187
188 Eappho.
Sappho
(winkt ihm mit der Hand Entfernung zu).
Hhaon.
Wie? geben foll ih?
Nur Eines laß mid, Sappho, dir noch jagen —
Sappho
(winkt noch einmal).
Phaon.
Du willſt nicht hören? Ich ſoll gehn? — Ich gehe!
(%6.)
Zweiter Auftritt,
Sappho allein.
Sappho (nad einer Pauſe).
Der Bogen Hang,
(die Hände Über ber Bruft zuſammenſchlagend)
e3 figt der Pfeill —
Mer zweifelt länger noch? Klar ift eg, Mar!
Sie lebt in feinem ſchwurvergeßnen Herzen,
Sie ſchwebt vor feiner fhamentblößten Stirm,
In ihre Hülle kleiden fih die Träume,
Die ſchmeichelnd fih des Faljchen Lager nahn.
Sappho verſchmäht, um ihrer Sklavin willen?
Verſchmähet! Wer? Beim Himmel! und von wem?
Bin ich diejelbe Sappho denn nicht mehr,
Die Könige zu ihren Füßen ſah
Und, jpielend mit der dargebotnen Krone,
Die Stolzen ſah und hörte, und — entließ;
Diefelbe Sappho, die ganz Griechenland
Mit lautem Jubel als fein Kleinod grüßte?
D Thörin! Warum ftieg ich von den Höhn,
Die Lorbeer krönt, wo Aganippe raufcht,
Mit Sternenllang fih Muſenchöre gatten,
Dritter Aufzug. Zweiter Auftritt. 189
Hernieder in das engbegränzgte Thal,
Wo Armuth berrfht und Treubruh und Verbrechen?
Dort oben war mein Platz, dort an den Wolfen,
Hier ift Fein Ort für mid, als nur das Grab,
Wen Götter fih zum Eigenthum erlejen,
Gefelle jih zu Erdenbürgern nicht;
Der Menfchen und der Ueberird'ſchen Loos,
Es miſcht fih nimmer in demſelben Becher.
Bon beiden Welten Eine mußt du wählen,
Haft vu gewählt, dann ift Fein Rüdtritt mebr;
Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,
Proſerpinens Granatenternen gleich,
Reiht dich auf ewig zu den ftillen Schatten,
Und den Lebendigen gehörft du nimmer an!
Mag auch das Leben noch fo Tieblih blinken,
Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen,
Als Freundſchaft und als Liebe an dich Ioden.
Halt ein, Unfel’ger! Rofen willft vu brechen
Und drüdft dafür dir Dornen in die Bruft! —
Ich will fie fehn, die wundervolle Schönheit,
Die ſolchen Siegs fi über Sappho freut.
Was fol ih glauben? Lügt denn mein Gedächtniß,
Das, wenn ich's frage, mir ein albern Kind
Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt?
Mit Augen, die den Boden ewig fuchen,
Mit Lippen, die von Kinderpofien tönen,
Und leer der Bufen, deilen arme Wellen
Nur Luft zu fpielen noch und Furcht vor Strafe
Aus ihrer dvumpfen Ruhe mandmal medt.
Mie? oder meinem Aug entging wohl jener Reiz,
Der ihn fo mächtig zieht in ihre Nähe? —
Melitta! — Ja, id will fie fehn! — Melitta! —
190 Eappho.
Dritter Anfiritt.
Euharid, Sapphe.
Enharis.
Befiehlſt du, hohe Frau?
Sappho.
Melitten rief ich.
Wo ift fie?
Endaris.
Wo? auf ihrer Kammer, den? id.
Sappho.
Sudt fie die Einſamkeit? — Was macht fie dort?
Eudaris.
Ich weiß nit. Aber ſeltſam ift ihr Weſen
Und fremd ihr Treiben ſchon den ganzen Tag.
Des Morgens war fie ftill und ftet3 in Thränen,
Doch kurz nur erft traf ich fie heitern Blids,
Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern,
Wie fie hinab ging zu dem Haren Bache,
Der kühl dad Myrtenwäldchen dort durchſtrömt.
Sappho.
Sie freut ſich ihres Siegs! — Nur weiter, weiter!
Endaris.
Neugierig, zu erfahren, mas fie juche,
Schlich leis ich ihr ins Stile Wäldchen nad.
Da fand ih fie —
Sappho.
Mit ihm?
Eucharis.
Mit wem?
Sappho.
Nur weiter!
Eucharis.
Ich fand fie dort im Haren Waſſer ſtehn.
Dritter Aufzug. Dritter Auftritt,
Die Kleider lagen ringsumher am Ufer,
Und hochgeſchürzt — fie dachte Feines Lauſchers —
Wuſch, mit den Heinen Händen Wafler ſchöpfend,
Sie, forgfam reibend, Arme und Geficht,
Die von dem Schein der Sonne dur die Blätter,
Bon ihrem Eifer und der rauhen Weife,
Mit der die Kleine eilig raſch verfuhr,
In hellem Purpur feurig glübten.
Wie fie da ftand, für eine ihrer Nymphen,
Der Jüngſten eine, hätte fie Diana —
Sappho.
Erzählung wollt' ich hören, und nicht Lob!
Endaris.
ALS nun des Bades langes Werk vollbradt,
Getrocknet Angefiht und Bruft und Wange,
Ging fröhlich fingend fie ind Haus zurüd.
Alfo vertieft und jo in ſich verloren,
Daß fie der Blätter, die ih aus dem Dickicht
Nah ihr warf, fie zu ſchrecken, nicht gewahrte,
Hier angelangt, trat fie in ihre Kammer,
Schloß ab, und was fie fchafft, das weiß ich nidt;
Nur hört’ ich fie in Schränken emfig fuchen,
Dazwiſchen tönte heiterer Geſang.
Sappho.
Sie fingt, und Sappho — Nein! ich weine nit!
Bring fie zu mir!
Endaris.
Melitten?
Sappho.
Sa, wen ſonſt? —
Melitten! — Ab, ein füßer, weicher Name!
Ein ohrbezaubernd, liebevoller Name!
Melitta — Sappho — — Geh, bring fie zu mir!
Eucharis ab.)
191
192 Sappho.
Dierter Auftritt.
Sappho allein.
(Sie fegt ſich auf die Rafenbant und ftügt das Haupt in die Sand; Paufe.)
Sappho. -
Ich Tann nicht! — Wehf — Umfonft ruf ich den Stolz,
An feiner Statt antwortet mir die Liebe!
(Sinkt in die vorige Stellung zurück.)
Fünfter Auftritt.
Melitta. Sappbo,
Melitta
(kömmt, einfad, aber mit Sorgfalt gelleibet, Rofen am Bufen und in
den Haaren. Gie bleibt am Eingang ftehen, tritt aber, da Sappho fich
nicht regt, näher hinzu).
Hier bin id,
Sappho
(fich Schnell umkehren und zurückfahrend).
Ah! — Beim Himmel, fie ift ſchön!
(Birft das Geſicht, in beide Hände verhüllt, auf die Rafenbant; Pauſe.)
Aelitta.
Du riefſt nach mir?
— Sappho.
Wie hat fie ſich geihmüdt,
Die Falſche! ihrem Buhlen zu gefallen!
Mit Müh gebiet’ ich meinem innern Horn! —
Welch Felt hat heut fo feitlih dich geſchmückt!
Melitta.
Ein Felt?
Sappho.
Wozu dann dieſer Pu? die Blumen?
Dritter Aufzug. Fünfter Auftritt. 193
Melitta.
Du haft wohl oft geihmählt, daß ich die Kleider,
Mit denen du fo reichlich mich beichenfit,
So ſelten trage, ſtets auf andre Beit,
Auf frohe Zage geizig fie verjparend.
Das fiel mir heute ein, und weil nun eben
Gerade heute jo ein froher Tag,
Sp ging id hin und ſchmückte mich ein wenig.
Sappho.
Ein frober Tag? Nicht weiß ich es, warum?
Melitta.
Warum? — Ei nu, daß du zurückgekehrt,
Daß du — ich weiß nicht recht, doch fröhlich bin ich.
Sappho.
Ha, Falſche!
Melitta.
Was ſagſt du?
Sappho (ſich faſſend).
Melitta, komm,
Mir wollen ruhig mit einander ſprechen. —
Wie alt bift du?
Melitta.
Du weißt wohl felbjt, o Sappho,
Welch trauriges Gejhid der Kinpheit Jahre -
Mir unterbrach; es hat fie feine Mutter
Mit forgliher Genauigkeit gezählt,
Dod glaub’ ih, es find ſechzehn.
Sappho.
Nein! du lügſt!
Melitta.
3?
Sappho.
Sprit niht Wahrheit!
Aclitta.
Immer! hohe Frau!
Srillperzer, Werke. I. 13
194 Eappho.
Sappho.
Du zählit faum fünfzehn.
Melitta.
Leicht mag es ſo ſein.
Sappho.
So jung an Jahren, und ſie ſollte ſchon
So reif ſein im Betrug? Es kann nicht ſein,
So ſehr nicht widerſpricht ſich die Natur!
Unmöglih! Nein, ih glaub’ es nicht! — Melitta,
Erinnerft du dich noch des Tages, da
Vor dreizehn Zahren man dich zu mir brachte?
63 hatten wilde Männer dich geraubt,
Du mweinteft, janımerteft in lauten Klagen,
Mich dauerte der heimatlojen Kleinen,
Ihr Flehen rührte mich, ich bot dem Preis
Und ſchloß dich, felber noch ein kindlich Weſen,
Mit heiker Liebe an die junge Bruft.
Man will dich trennen, doch du wicheſt nicht,
Umfaßteft mit den Händen meinen Naden,
Bis fie der Schlaf, der tröftungsreiche, löste.
Erinnerft du dich jenes Tages no?
AMelitta.
O, könnt' ich jemals, jemals ihn vergeſſen?
Sappho.
Als bald darauf des Fiebers Schlangenringe
Giftathmend dich umwanden, o Melitta,
Wer war's, der da die langen Nächte wachte,
Sein Haupt zum Kiſſen machte für das deine,
Sein ſelbſt vergeſſend mit dem Tode rang,
Den vielgeliebten Raub ihm abzuringen,
Und ihn errang, in Angſt und Qual errang?
Aelitta.
Du warſt's, o Sappho! Was beſäß' ich denn,
Das ich nicht dir, nicht deiner Milde dankte?
Dritter Aufzug. Fünfter Auftritt. 195
Sappho.
Nicht ſo, hierher an meine Bruſt! Hierher!
Ich wußt' es wohl, du kannſt mich nicht betrüben,
Mit Willen mich, mit Vorſatz nicht betrüben!
Laß unfre Herzen an einander ſchlagen,
Das Auge fih ind Schweiteraug verjenten,
Die Worte mit dem Athem uns vermifchen,
Daß das getäufhte Ohr, die gleihgeftimmte Bruft,
Von der Gefinnung Einklang ſüß betrogen,.
In jeden Laut des lieblihen Gemifches
Sein Selbit erkenne, aber nicht fein Wort.
Melitta.
D Sappho!
Sappho.
Ja, ich täuſchte mich. Nicht wahr?
Melitta.
Worin?
| Sappho.
Wie könnteft du? Du kannſt nicht! Nein!
Melitta.
Was, 9 Gebieterin?
Sappho.
Du könntet! — Geh!
Leg’ dieſe eiteln Kleider erſt von dir,
Ich kann dich fo nicht fehn. Geh! Anpre Kleider!
Der bunte Schmud verlegt mein Auge. Fort!
Ginfah ging ftet3 die einfahe Melitta,
Sp viele Hüllen deuten auf Verhülltez.
Geh! Andre Kleider, ſag' ih dir! Nur fort! —
— Halt! Wohin gehit vu? — Bleib! — Sieh mir ins Auge!
Warum den Blid zu Boden? Fürchteſt du
Der Herrin Aug? Du biſt fo blöde nicht!
Damals, als Phaon —
Hal errötheft bu?
Verrätberin! Du haft dich felbjt verrathen!
196 Sappho.
Und leugneſt du? Nicht deiner falſchen Zunge,
Dem Zeugniß dieſer Wangen will ich glauben,
Dem Widerſchein der frevelhaften Flammen,
Die tief dir brennen in der Heuchlerbruft.
Unfelige! Das alſo war’3, warum
Du dih beim Mahle heut fo feltfam zeigteft?
Was ih als Zeichen nahm der blöden Scham,
Ein Fallftrid war’3 der lift’gen Buhlerin,
Die fpinnenähnli ihren Raub umgarnte?
So jung noch und fo ſchlau, fo heiter blühend
Und Gift und Moder in der argen Bruft?
Steh nit fo ftumm! Sol dir's an Worten fehlen?
Die Zunge, die fo ftiht, Tann fie nicht zifchen?
Antworte mir!
Melitta.
Ich weiß nicht, was du meinft.
Sapphn.
Nicht? armes Kind! Nun Thränen? Weine nit!
Die Thränen find des Schmerzes heilig Recht!
Mit Worten ſprich! Sie find ja längft entweiht,
Doch brauche nicht der Unſchuld ftumme Sprade!
So ſchön geihmüdt, fo bräutlich angethan!
Fort, diefe Blumen! Fort! fie taugen wenig,
Die ſchlechtverſteckte Schlange zu verbergen!
Herab die Roſen!
Melitta nimmt ſchweigend ben Kranz ab.)
Sappho.
Mir gib diefen Kranz,
Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtniß,
Und fallen früh verwelft die Blätter ab,
Gedenk' ich deiner Treu’ und meines Glücks.
Was ſchoneſt du die Rofe an der Bruft?
Leg fie von bir!
(Melitta tritt zurück.)
Dritter Aufzug. Sechster Auftritt. 197
e
Sappho.
. Wohl gar ein Liebespfand?
Fort damit! .
Melitta
(beide Arme Über bie Bruft ſchlagend und baburd die Roſe verhüllend).
Nimmermehr!
Sappho.
Umfonft dein Sträuben!
Die Rofe!
Melitta
(die Hände feft auf bie Bruft gebrückt, vdr ihr fliehend).
Nimm mein Leben!
Sappho.
' Falſche Schlange!
Auch ih Tann Stehen!
(Einen Dolch ziehend.)
Mir die Roſe!
Aelitta.
Götter!
So fohügt denn ihr mi! Ihr, erhabne Götter!
Sechster Auftritt.
Phaon. Borige
Yhaon.
Mer ruft bier? — Du, Melitta? Fort den Dolch!
(PBaufe.)
Yhaon.
Was war bier? Sappho, du?
Sappho.
Frag diefe bier!
198 Sappho.
Dhaon.
Melitta, hätteft du —?
Aclitte. ,
Die Schuld ift mein,
Ich ſprach, wie es der Sklavin nicht geziemt.
Sappho.
Du follft mit falſcher Schuld dich nicht beladen,
Zu vrüdend liegt die wahre ſchon auf dir.
Weh mir! Bedürft' ich jemals deiner Großmuth.
(Mit ſtarkem Tone.)
Die Nofe von der Bruft hab’ ich begehrt,
Und fie verfehmähte, zu gehorchen!
Phaon.
That fie'3?
Bei allen Göttern! ſie hat recht gethan,
Und Niemand ſoll der Blume ſie berauben!
Ich ſelber gab ſie ihr als Angedenken
An eine ſchöne Stunde, als ein Zeichen,
Daß nicht in jeder Bruſt das Mitgefühl
Für unverdientes Unglück iſt erloſchen;
Als einen Tropfen Honig in den Becher,
Den fremder Uebermuth ihr an die Lippen preßt;
Als Bürgen meiner innern Ueberzeugung,
Daß ſtiller Sinn des Weibes ſchönſter Schmuck,
Und daß der Unſchuld heitrer Blumenkranz
Mehr werth iſt, als des Ruhmes Lorbeerkronen.
Sie weint! — O, weine nicht, Melittion! —
Haſt dieſe Thränen du auch mitbezahlt,
Als du fie von dem Sflavenmäller kaufteſt?
Der Leib ift dein, komm ber und töbte fie,
Doc Teine Thräne follit vu ihr erpreflen! —
Schauft du mi mit den milden Augen an,
Um Mitleid flehend für vie Mitleidlofe?
Du kennſt fie nicht, du kennſt die Stolze nicht!
Schau hin! Blinkt nit ein Dold in ihrer Hand?
Dritter Aufzug. Sechster Auftritt. 199
Und noch zwei andre liegen tiefverjtedt
Dort unter den gefenkten Augenlidern.
(Den Dolch aufraffend, der Sappho'n entglitien ft.)
Mir diefen Stahl! Ih will ihn tragen
Hier auf der warmen, der betrognen Bruft,
Und wenn mir je ein Bild verflaßner Tage
In füßer Wehmuth vor die Seele tritt,
Soll ſchnell ein Blick auf diefen Stahl mich heilen!
BSappho (Ghn ſtarr anblickend).
Phaon!
Dhaon.
D, höre nicht den füßen Ton,
Gr lockt dich ſchmeichelnd nur zu ihrem Dolch!
Auch mir ift er erflungen.” Zange ſchon,
Ch ich fie fah, warf fie der Lieder Schlingen
Bon ferne leis verwirrend um mich ber,
An goldnen Fäden 309 fie mich an ſich,
Und modt’ ich ringen, enger ſtets und enger
Umſchlangen mich die leifen Zauberfreife.
Als ich fie fah, da faßte wilder Taumel
Den aufgeregten Sinn, und mwillenlos
Stürzt ich gebunden zu der Stolzen Füßen.
Dein Anblid erjt gab mich mir felber wieder,
Erbebend jah ih mid in Circe's Haufe
Und fühlte meinen Naden ſchon gekrümmt !
Doch' war ich nicht gelöst, fie felber mußte,
Sie felber ihren eignen Zauber brechen.
Sappho
(noch immer ftarr nad ihm blidend).
Phaon!
Yhaon.
D, hör fie niht! Blick' nicht nad ihr,
Ihr Auge tödtet jo wie ihre Hand.
Melitta.
Sie weint!
202 Sappho.
Kein Morgenſtrahl zu neuen Qualen weckt,
Kein Undankbarer — Halt! — Tritt nicht die Schlange!
(Mit gedämpfter Stimme.)
Der Mord iſt wohl ein gräßliches Verbrechen,
Und Raub und Trug, und wie ſie alle heißen,
Die Häupter jener giftgeſchwollnen Hyder,
Die, an des Abgrunds Flammenpfuhl erzeugt,
Mit ihrem Geifer dieſe Welt verpeſtet;
Wohl gräßlih, ſchändlich, giftige Verbrechen!
Doch kenn' ich eins, vor deſſen dunklem Abſtich
Die andern alle lilienweiß erſcheinen,
Und Undank iſt fein Nam’! Er übt allein,
Mas alle andern einzeln nur verüben,
Er lügt, er raubt, beträgt, ſchwört falfche Eide,
Verräth und tödtet! — Undank! — Undank! — Undank!
Beihügt mich, Götter! ſchützt mich vor mir ſelber!
Des Innern büftre Geifter wachen auf
Und rütteln an des Kerkers Erjenjtäben!
Ihn datt! ich vom Geſchicke mir erbeten,
Non allen Sterbliden nur ihn allein;
Sb wollt’ ihn ftellen auf der Menſchheit Gipfel,
Erbeben bob vor Allen, die da find,
Und über Grab und Tod und Sterblichkeit
Ibn tragen auf den Fittigen des Rubms
Hinüber in der Nachwelt lichte Fernen.
Was ich vermag und kann und bin und beiße,
Als Kranz wollt! ich es winden um fein Haudt,
Fin mildes Wort ftatt allen Lohns begebrend,
Und er — lebt ibr denn noch, gerebte Götter? —
Die von einem vlösliden Gedanken burtzazdt.)
Ahr lebet, ja! — Von euch kam ver G
Der leuchtend ſich vor meine Seele “-°
Laß micd dich faſſen, ſchneller Gotte
Vernebmen deines Mundes flück
Vierter Wafzug. Zocuer Auftritt. 203
Nad) Chios, ſprichſt du, fol Melitta hin,
Rad Chios, dort, getrennt von dem Berräther,
In Reue wenden ihr verlodtes Herz,
Mit Liebesqual der Liebe Frevel büßen?
So ‚fei es! — Rhamnes! Rhamnes! — Ja, fo feirst
Unfterblihe, habt Dank für diefen Wink!
Ich eile, zu vollführen!
weiter Auftritt.
Nhamnes. Sappho.
Rhamnes.
Das gebeutft du, Herrin?
Sappho.
Sie ift mein Wert, was wär’ fie ohne mid!
Und wer verwehrt dem Bildner wohl fein Recht,
Das zu zerftören, was er felber ſchuf?
Zerftören! — Kann id es — Beh mir! ihr Gluch,
Es fteht zu hoch für meine ſchwache Hand!
Wenn ihr nad Chios feine Liebe folgt,
Iſt fie am Stlavenherd nicht feliger,
Als ic im golonen, liebeleeren Haus?
Für das Geliebte leiden ift fo füß,
Und Hoffnung und Erinnrung find ja Rofen
Bon einem © amimg mit der Wirklichkeit,
Nur ohne D bannet mich
Weit in d fannte Fernen
Auf einen Fels, der, ſchreff und unfruchtbar,
DE nr md Wellen Nachbar nennt,
— 6 geſchieden;
— Bi Sinarung
—guug aus;
202 Sappho.
Kein Morgenſtrahl zu neuen Qualen weckt,
Kein Undankbarer — Halt! — Tritt nicht die Schlange!
(Mit gedämpfter Stimme.)
Der Mord iſt wohl ein gräßliches Verbrechen,
Und Raub und Trug, und wie ſie alle heißen,
Die Häupter jener giftgeſchwollnen Hyder,
Die, an des Abgrunds Flammenpfuhl erzeugt,
Mit ihrem ˖Geifer dieſe Welt verpeſtet;
Wohl gräßlich, ſchändlich, giftige Verbrechen!
Doch kenn' ich eins, vor deſſen dunklem Abftich
Die andern alle lilienweiß erſcheinen,
Und Undank iſt ſein Nam'! Er übt allein,
Was alle andern einzeln nur verüben,
Er lügt, er raubt, betrügt, ſchwört falſche Eide,
Verräth und tödtet! — Undank! — Undank! — Undank!
Beſchützt mich, Götter! ſchützt mich vor mir ſelber!
Des Innern düſtre Geiſter wachen auf
Und rütteln an des Kerkers Eiſenſtäben!
Ihn hatt’ ih vom Geſchicke mir erbeten,
Bon allen Sterblien nur ihn allein;
Ich wollt! ihn ftellen auf der Menſchheit Gipfel,
Erheben hoch vor Allen, die da find,
Und über Grab und Tod und Sterblichkeit
Ihn tragen auf den Fittigen des Ruhms
Hinüber in der Nachwelt lichte Fernen.
Mas ich vermag und Tann und bin und heiße,
Als Kranz wollt’ ich es winden um fein Haupt,
Ein mildes Wort Statt allen Lohns begehrend,
Und er — lebt ihr denn noch, gerechte Götter! —
(Wie von einem plöglichen Gedanken durchzuckt.)
Ihr Tebet, ja! — Bon eud kam der Gedanke,
Der leuchtend ſich vor meine Seele drängt.
Laß mich dich fallen, ſchneller Götterbote,
Bernehmen deine? Mundes flüchtig Wort! —
Vierter Aufzug. Zweiter Auftritt.
Nah Chios, ſprichſt du, fol Melitta bin,
Nah Chios, dort, getrennt von dem PVerräther,
In Reue wenden ihr verlodtes Herz,
Mit Liebesqual der Liebe Frevel büßen?
203
Sp ‚fei es! — Rhamnes! Rhamnes! — a, fo ſei's!
Unfterblihe, habt Dank für diefen Wink!
Ich eile, zu vollführen! »
weiter Auftritt.
NRNhamnes. Sapphe.
Rhamnes.
Was gebeutſt du, Herrin?
Sappho.
Sie iſt mein Werk, was wär' ſie ohne mich!
Und wer verwehrt dem Bildner wohl ſein Recht,
Das zu zerſtören, was er ſelber ſchuf?
Zerſtören! — Kann ih es? — Weh mir! ihr Glüch,
Es ſteht zu hoch für meine ſchwache Hand!
Wenn ihr nach Chios ſeine Liebe folgt,
Iſt ſie am Sklavenherd nicht ſeliger,
Als ich im goldnen, liebeleeren Haus?
Für das Geliebte leiden iſt ſo ſüß,
Und Hoffnung und Erinnrung ſind ja Roſen
Von einem Stamme mit der Wirklichkeit,
Nur ohne Dornen! O, verbannet mich
Weit in des Meeres unbekannte Fernen
Auf einen Fels, der, ſchroff und unfruchtbar,
Die Wolken nur und Wellen Nachbar nennt,
Bon jedem Pfad des Leben? rauh geſchieden;
Nur löfhet aus dem Bude der Erinnrung
Die lehteniflohnen Stunden gütig aus;
204 Sappho.
Laßt mir den Glauben nur an ſeine Liebe,
Und ich will preiſen mein Geſchick und fröhlich
Die Einſamkeit, ah, einſam nicht, bewohnen:
Dei jedem Dorn, der meine Füße ritzte,
In jeder Dual wollt! ich mir felber fagen:
D, wüßt' er es! und: o, jeßt denkt er dein!
Was gäb’ er, dich zu retten! Ah, und Baljam
Ergöſſe kühlend fih in jede Wunde.
Rhamnes.
Du haſt gerufen, hocherhabne Frau!
Sappho.
O Phaon! Phaon! Was hab' ich dir gethan? —
Ich ſtand ſo ruhig in der Dichtung Auen
Mit meinem goldnen Saitenſpiel allein;
Hernieder ſah ich auf der Erde Freuden,
Und ihre Leiden reichten nicht zu mir.
Nach Stunden nicht, nach holden Blumen nur,
Dem heitern Kranz der Dichtung eingewoben,
Zählt' ich die Flucht der nimmerſtillen Zeit.
Was meinem Lied ich gab, gab es mir wieder,
Und ew'ge Jugend grünte mir um's Haupt.
Da kommt der Rauhe, und mit frechen Händen
Reißt er den goldnen Schleier mir herab,
Zieht mich hernieder in die öde Wüſte,
Wo rings kein Fußtritt, rings kein Pfad;
Und jetzt, da er der einz'ge Gegenſtand,
Der in der Leere mir entgegen ſtrahlt:
Entzieht er mir die Hand, ach, und entflieht!
Rhamnes.
O Herrin! magſt du weilen ſo im Dunkeln,
Beim feuchten Hauch der Nacht, der Meeresluft?
Sappho.
Kennſt du ein ſchwärzres Laſter, als den Undank?
Rhamnes,
Ih nicht.
Bierter Aufzug. Zweiter Auftritt, - 205
Sappho.
Ein giftigers?
Rhamnes.
Nein, wahrlich nicht.
Sappho.
Ein fluchenswürd'geres, ein ſtrafenswerthers?
Rhamnes.
Fürwahr, mit Recht belaſtet's jeder Fluch! —
Sappho.
Nicht wahr? Nicht wahr? die andern Laſter alle,
Hyänen, Löwen, Tiger, Wölfe ſind's,
Der Undank ift die Schlange. Nicht? Die Schlange!
So ſchön, fo glatt, jo bunt, fo giftig! — Dh! —
Rhamnes.
Komm mit hinein, drin fühlſt du dich wohl beſſer,
Mit Sorgfalt iſt das Haus dir ausgeſchmückt,
Und Phaon wartet deiner in der Halle.
Sappho.
Wie? Phaon harret meiner?
Khamnes.
Ya, Gebietrin.
Ah ſah ihn finnend auf- und nieberjchreiten;
Bald ftand er ftill, ſprach leife vor fich hin,
Trat dann ans Fenfter, fuhend durch die Nacht.
Sappho.
Er harret meiner? Lieber „ jagt’ er e8?
Er barret meiner? Sappho'3?
Rhamnes.
Das wohl nicht.
Doch ſah ich ihn erwartend, lauſchend ſtehn,
Und weſſen ſollt er harren?
Sappho.
Weſſen? Weſſen?
Nicht Sappho's harrt er — doch er harrt umſonſt!
Rhamnes!
206 Sappho.
Rhamnes.
Gebieterin!
Sappho.
Du weißt, zu Chios
Wohnt, noch vom Vater her, ein Gaſtfreund mir.
Rhamnes.
Ich weiß es.
Sappho.
Löſe ſchnell vom Strand den Nachen,
Der dort ſich ſchaukelt in der nahen Bucht,
Denn dieſe Nacht noch mußt du fort nach Chios.
Vhamnes.
Allein?
Sappho.
Nein!
(Pauſe.)
Rhamnes.
Und wer folget mir dahin?
Sappho.
Was ſagſt du?
Rhamues.
Wer nach Chios mit mir —?
Sappho
(ihn auf die andere Seite des Theaters führend).
Komm!
Vorſichtig ſei und leiſe, hörſt du mich? —
Geh in Melittens Kammer und gebeut ihr,
Hieher zu kommen; Sappho rufe ſie.
Doch ſtill, daß Er dich nicht bemerke.
Khamnes.
Wer?
Sappho.
Wer? — Phaon. — Folgt ſie dir —
Einhaltend.)
Vierter Aufzug. Dritter Auftritt. 207
Rhamnes.
Was dann?
Sappho.
Dann bringe
Sie, ſei's mit Güte, ſei es mit Gewalt,
Doch leiſe, in den losgebundnen Nachen,
Und fort nach Chios, auf der Stelle fort!
Rhamnuecs.
Und dort?
Sappho.
Dort übergibft du fie dem Gaftfreund,
Er fol fie hüten, bis ich fie verlange,
Und ſtreng — nicht ftrenge mög’ er fie mir halten,
Sie ift ja doc geftraft genug. Hörft pu?
Rhamnes.
Ich eile.
Sappho.
Zögre nicht!
Rhamues.
Leb wohl, o Sappho!
Der Morgen findet uns ſchon fern von hier.
Zufrieden ſollſt du ſein mit deinem Diener! (Ab.)
Dritter Auftritt.
Sappho allein.
Sappho.
Er geht! — Noch — Nein! — Ach, die Gewohnheit iſt
Gin läſtig Ding, ſelbſt an Verhaßtes feſſelt fie!
(In Gedanken vertieft.)
Horch! — Tritte! — Nein, es war der Wind. — Wie bange
Pocht mir das Herz in ſturmbewegter Bruſt! —
208 Sappho.
Jetzt Stimmen. — Ha, ſie kommt. — Sie folgt ſo willig,
Sie ahnet nicht, daß ſie zum letzten Male —
Fort! Ich will ſie nicht ſehn! — Ich will, ich kann nicht!
(Schnell ab.)
Dierter Auftriti.
Melitta. Rhamnes.
Melitta.
Hier, ſagteſt du, fei die Gebieterin.
Sie iſt nicht da.
Rhamnes (verlegen umberblidend).
Nicht? Nein, fürwahr, nicht da.
Noch erit vor Kurzem war fie hier! — So komm!
Aclitta.
Wohin?
Khamnes.
Sie mag wohl an der Medresküſte
Hinaufgewandelt ſein, dort an die Bucht.
Melitta.
Dorthin geht ſie ja nie.
KRhamnes.
Vielleicht doch heute.
Melitta.
Und warum heute denn?
Rhamnes.
Warum? — Je nu —
Weil — (für fig) daß fie eben mir den Auftrag gab!
Nicht anfehn kann ich fie. Was fag’ ich ihr?
Melitte.
Du bift fo fonderbar. Du kehrſt dich ab,
Und deine Augen wagen nicht, die Morte,
Die du mir gibit, freiblidend zu befräft’gen.
Vierter Aufzug. Bierter Auftritt.
Was haft vu denn, daß du fo bang und ängitlih?
Sag mir, wo Sappho weilt, daß ich ihr nahe;
Und weißt du's nicht, jo laß mich gehn.
Khamnes.
Halt dal
Du darfit nicht fort!
Melitta.
Warum?
Rhamnmes.
Du mußt mit mir!
Melitta.
Wohin?
Rhamnes.
Nah — Komm nur mit zur nahen Bucht,
Du follit ſchon fehn.
Aelitta.
Ihr Götter, was ſoll das?
Khammes.
Komm, Mädchen! Mitternacht ift bald vorüber.
Die Stunde drängt! Mac fort!
Melitta.
Mas haft du vor?
Fort ſoll ih, fort? — Un weit entlegne Küften?
' Khamues.
Sei ruhig, Kind! — An weit entlegne Küften?
Was fällt dir ein? Iſt Chios denn fo weit?
Melitta.
Nah Chios? Nimmermehr!
Rhamues.
Du mußt wohl, Kind!
So will es die Gebietrin.
Melitta.
Sappho, ſagſt du?
Fort! hin zu ihr!
Grillparzer, Werke. II. 14
209
210 Sappho.
Rhamnes.
Nicht doch!
Aelitta.
Zu ihren Füßen!
Sie hör' und richte mich!
Rhamncs.
Nicht von der Stelle!
Melitta.
Wie, Rhamnes, du?
Rhamnes.
Ei was, ich kann nicht anders!
Befohlen ward mir's ſo, und ich gehorche.
Aelitta.
Laß dich erbitten!
Rhamnes.
Ci, was nützt e3-dir,
Wenn auch in meinen Augen Thränen blinken,
Es muß doch einmal ſein! Drum, Kind, mach fort!
Melitta.
Hier lieg' ich auf den Knien! Laß dich erflehn!
— So iſt denn Niemand, der mich hört und rettet?
Rhamnes.
Umſonſt! du rufſt das Haus mir wach. Komm mit!
Melitta. .
Nein, nimmermehr! Erbarmt fid) Niemand meiner?
Fünfter Anftritt.
Phaon. Vorige.
Dhaon.
Das ift Melittens Stimme! — Ha! Berwegner!
Wagft du's, die Hand zu heben gegen ſie?
(Rhamnes läßt Melitten los)
Vierter Aufzug. , ‚Fünfter Auftritt.
Phaou.
So täuſchte mich doch meine Ahnung nicht,
Als ich dich ſah mit leiſeſpähnden Blicken,
Dem Wolfe gleih, in ihre Nähe ſchleichen;
Doch haſt du dich verrechnet, grimmer Wolf,
Es wacht der Hirt, und dir naht das Verderben!
Khamnes.
Herr, der Gebietrin Auftrag nur befolg’ ic.
Phaon.
Wie, Sappho's Auftrag? Sie befahl e3 dir?
O Sappho! Sappho! Ach erfenne dich!
Doch leider nur zu ſpät! Warum zu fpät?
Noch iſt es Zeit, die Bande abzufhütteln
Bon mir und ihr, beim Himmel, und ih will's!
Du allzufert’ger Diener fremder Bosheit!
Warum —? Melitta, du ſiehſt bleih, du zitterjt?
Aelitte,
O, mir ift wohl!
Yhaon.
Dank du den Göttern, Sklave,
Daß ihr kein Steinden nur den Fuß geritzt:
Beim Himmel! jede Thräne follteft du
Mit einem Todesfeufzer mir bezahlen! —
Du fcheinft ermattet, lehne dich auf mich,
Du findeſt nirgends eine feitre Stütze.
Blick ber, Verruchter! dieſes holde Wefen,
Dieß Himmelsabbild mwollteft du verlegen!
Rhamnes.
Verletzen nicht!
Phaon.
Was ſonſt?
Rhamues.
Nur — doch verzeih,
Was ich gewollt, ich kann es nicht vollführen.
Drum laß mich gehn!
211
212 Sappho.
Yhasu
(Melitten Ioslafjend).
Bei allen Göttern, nein!
Mid Tüftet’3, eurer Bosheit Maß zu kennen!
Was mwollteft du?
Rhamumes.
Sie ſollte fort.
Hhasn.
Wohin?
Rhamues.
Nach — Das iſt der Gebieterin Geheimniß.
phaon.
Du ſagſt es nicht?
Khamses.
Gie hat es bier verſchloſſen,
Und feit bewahrt es ihres Diener3 Bruft.
Phaon.
So öffne denn dieß Eiſen! Dank dir, Sappho!
Du gabſt mir ſelber Waffen gegen dich!
(Den Dolch ziehend.)
Verhehle länger nichts: du ſiehſt mich fertig,
Die ſtreng verſchloßne Lade zu erbrechen.
Melitta.
O, ſchone ſeiner! Hin nach Chios ſollt' ich.
Phaon.
Nach Chios?
Aelitta.
Ja, ein Gaſtfreund Sappho's hauſet dort,
Er ſollte wohl Melitten ihr bewahren.
Phaon.
Wie, übers Meer?
Melitta.
Ein Kahn dort in der Bucht.
Phaon.
Ein Kahn?
Ein Kahn?
Mer Aufzug. Fünfter Auftritt. 213
Aclitte.
So fprad er, iſt's nicht alfo, Vater?
| Khamnes.
‚dt Vater nenne mich, du Undankbare,
Ri. frech du die Gebieterin verräthſt!
7 Yhaon.
Melitta Gu Rhamnes).
Was that ich denn, daß du mich fahiltft?
Cr fragte ja!
Phaon.
Ein Kahn! — So ſei's! — das Zeichen,
Ich nehm' es an! Von euch kommt's, gute Götter! —
Zu fpät verſteh' ich eure treue Mahnung!
Sie ift eg, oder feine diefer Erde,
Die in der Bruft die zweite Hälfte trägt
Bon Dem, was hier im Buſen ſehnend Elopfte.
Ihr zeigt mir felbjt ven. Weg. Ich will ihn gehn!
Melitta, ja, du follft nad Chios, ja!
Doch nicht allein! — Mit mir, an meiner Seite!
Melitta.
Mit ihm!
Yhaon.
Verlaß dieß feindlich rauhe Land,
Wo Neid und Haß und das Meduſenhaupt
Der Rachſucht ſich in deine Pfade drängen,
Wo dir die Feindin Todesſchlingen legt.
Komm! dort der Kahn, hier Muth und Kraft und Stärke,
Zu ˖ſchützen dich, wär's gegen eine Welt!
(Faßt fie an.)
Aelitta
(üngſtlich zu Rhamucs).
Rhamnes!
Rhamnes.
Bedenkt doch, Herr!
214 Sappho. —
>.
Yhaon.
Bedenk du felber,
x
ı
Was du gewollt, daß du in meiner Hand! N
Rhamnes. £
Herr, Sappho’3 ift fie!
Phaon.
Lügner! ſie iſt mein!
(Zu Relitten.)
Komm, folge!
Rhamnes,
Die Bewohner dieſer Snfel,
Gie ehren Sappho'n wie ein fürftlih Haupt,
‚Sind ftet3 bereit beim eriten Hülferuf,
In Waffen zu bejhügen Sappho's Schwelle.
Ein Wort von mir, und Hunderte erheben —
Yhaon.
Du mahnft mid recht, faſt hätt’ ich es vergeſſen,
Bei wem ich bin, und wo. — Du gehſt mit ung!
Khammes.
Ih, Her? |
Phaon.
Ja, du! doch nur bis zum Geſtade.
Ich neide Sappho'n ſolche Diener nicht!
Wenn wir in Sicherheit, magſt du zurücke kehren,
Erzählen, was geſchehn und — doch genug,
Du folgſt!
Rhamnes.
Nein, nimmermehr!
Yhaon.
3b babe, dent’ ich,
Was mir Sehorfam fchaffen fol!
Khamnes
(fih dem Haufe nähernd).
Gewalt!
Bierter Aufzug. Fünfter Auftritt. 215
phaon
(vertritt ihm den Weg und geht mit dem Dolche auf ihn zu).
fahre hin denn, wie du ſelber willſt!
Ni cinger Preis für dieſer Reinen Rettung
auf des Verruchten Untergang!
| AMelitta.
Halt ein!
Phaon.
Wenn er gehorcht!
Rhamnes
(der ſich auf bie entgegengeſetzte Seite zurückgezogen bat).
O mehe, weh dem Alter,
Daß nit mehr Eins der Wille und die Kraft!
Phaon.
Jetzt, Mädchen, komm!
Alelitta.
Wohin?
phaon.—
Zu Schiffe, fort!
Alelitta
(von ihm weg in den Vordergrund eilend).
Ihr Götter! Soll ih?
Dhaon.
Sort! Es ftredt die Ferne
Uns fohußverheißend ihren Arm entgegen,
Dort drüben überm alten, grauen Meer
Wohnt Sicherheit und Ruh und Liebe!
D, folge! Unterm breiten Lindendach,
Das ftill der Eltern ftilles Haus bejchattet,
MWölbt, Theure, fih der Tempel unfers Glücks.
(Sie ergreifend.)
Erzitterjt du? Erzittre, holde Braut,
Die Hand des Bräutigams hält dich umſchlungen!
Komm mit! Und folgt du nicht, bei allen Göttern!
Auf diefen Händen trag’.ih dich von binnen
“ Und fort und fort bis an das End’ der Welt!
216 Sappho.
Melitta.
O Phaon!
Phaon.
Fort! die Sterne blinken freundlich,
Die See rauſcht auf, die lauen Lüfte wehn,
Und Amphitrite iſt der Liebe hold.
(Zu Rhamnes.)
Voraus du!
Rhamncts.
Herr!
Yhaon.
Es gilt dein Leben, fag’ ich dir!
(Alle ab.)
Sechster Anftritt.
Eine Pauſe. — Dann erjcheint Eucharis auf den Stufen,
Eudaris.
Rhamnes!
(Sie fteigt herab.)
Mir war, als hört’ -ich feine Stimme!
Nein, es tft: Niemand hier. Ich täufchte mich.
Verwirrend feheint ein böfer Geift zu walten
Seit Sappho's Rückkehr über ihrem Haus.
€3 fliehen ängſtlich, ſcheu fich die Bewohner,
Verdacht und Kummer liegt auf jeder Stirn.
Melitten ſucht' ih und fand leer ihr Lager.
Einfam irrt die Gebietrin duch die Nacht,
Hier Rhamnes’ Stimme, und er felber nicht.
D, daß erft Morgen wäre! — Hoch!
Khammes (von Weiten).
| Zu Hülfel
Endaris.
Man ruft!
Bierter Aufzug. Siebenter Auftritt. 217
Rhamnes (näher).
Herbei!
Eucharis.
Ha, Rhamnes!
Rhamnes (nabe).
Sklaven Sappho's!
Eucharis.
Er iſt ganz athemlos. Was iſt denn, Rhamnes?
Siebenter Auftritt.
Rhamnes eilig. Euch«aris.
Khamnes.
Auf! auf vom weichen Lager! Hieher, Freunde!
Den Flücht'gen nah! Zu Hülfe!
Eucharis.
Sage doch!
Rhamnues.
O, frage nicht! Ruf' Sappho'n und die Diener!
Encharis.
Warum?
Rhamnes.
Zu Worten iſt nicht Zeit! Geh.nur!
Das ganze Haus erwadhe, eile, rette!
Eudharis.
Was mag das fein?
(Die Stufen binauf.)
Khammes.
Ih kann nicht mehr! — PVerräther!
Frohlocket nicht! Des Meeres fromme Götter,
Sie rächen gern fo abjcheumürb’ge That!
(Es kommen nad und nad mehrere Diener.)
218 Sappho.
Gilt fchnell hinab ins Thal, wedt die Bewohner,
Gebt laut der Noth, des Hülfeflehens Zeichen,
D, fragt nicht! Fort! und laßt den Nothruf tönen!
(Diener ab.)
an
Adıter Auftritt.
Sappho. Borige,
Sappho.
Welch Schredenslaut tönt durch die ftile Nacht
Und greift dem Schlafverfheuher Kummer in fein Amt?
Mer hat bier noch zu Elagen außer mir?
Rhamucs.
Ich, o Gebieterin!
Sappho.
Du, Rhamnes, hier?
Und wo iſt ſie?
Rhamnes.
Melitta?
Sappho.
Ja doch!
Rhamnes.
Hort!
. Sappho.
Sie fort und du doch hier?
Rhamnes.
Entflohen mit —
Sappho.
Halt ein!
Rhamncs.
Entflohn mit Phaon!
Sappho.
Nein!
Dierter Aufzug. Achter Auftritt. 219
Khammes.
Es iſt fo.
Er überwältigte mein ſchwaches Alter,
Und in demſelben Kahn, der mir bereitet,
Führt er nun ſeine Beute durch die Wogen.
Sappho.
Du lügſt!
Rhamnes.
O, daß ich löge! dießmal löge!
| Sappho.
Und wo blieb euer Donner, ew'ge Götter!
Habt ihr denn Qualen nur für Sappho's Herz?
Iſt taub das Ohr und lahm der Arm der Rache?
Hernieder euren rächeriſchen Strahl,
Hernieder auf den Scheitel der Verräther!
Zermalmt ſie, Götter, wie ihr mich zermalmt! —
Umſonſt! kein Blitz durchzuckt die ſtille Luft,
Die Winde ſäuſeln buhleriſch im Laube,
Und auf den breiten Armen trägt die See
Den Kahn der Liebe Schaufelnd vom Geftade!
Da ift nicht Hülfe! Sappho, hilf dir ſelbſt!
(Die Bühne Hat fih nad und nah mit Sadeln tragenden Sklaven und
Landleuten angefüllt.)
Ha, diefe hier! Habt Dank, ihr Treuen, Dank!
Gebt, Menſchen, was die Götter mir verweigern!
Auf, meine Freunde! Rächet eure Sappho!
MWenn ih euch jemals werth, jett. zeigt es, jet!
(Unter ihnen herumgehend.)
Du, Myron, ſchwurſt mir oft und du, Terpander, —
Gedenfit du, Lychas, noch des Liedes — Pheres —
Und du, Xenarchos — alle meine Freunde!
Hinunter zum Geſtad! Bemannet Schiffe
Und folget windſchnell der Berräther Spur!
Denkt, daß ich eurer hier in Qualen barre
Und jeder Augenblid, bis ihr zurückkehrt,
220 Eapphs.
Mir hundert Dolche in ven Bufen bohtrt.
Wer mir fie bringt, wer mir die Wonne fchafft,
Daß ich die Augen bohren Tann in feine,
Ihn fragen kann: Was hab’ ih dir gethan,
(in Thränen ausbrechend) .
Daß du mid tödteft! — Nein, nur Wuth und Rache!
Wer mir fie bringt, er nehme all mein Gold,
Mein Leben — Fort! Auf Windesfittig fort!
Ein faudmann.
Mit ihm nur kehren wir zurüd!
Sappho.
Ich dank' euch!
(Zu den Abgehenden.
Mein Leben ift gelegt in eure Hand.
Laßt meine Wünſche euren Fuß beflügeln
Und meine Rache ftärlen euren Arm.
Nur fhnell, nur Schnell! Bei allen Göttern, ſchnell!
(Diener und Lanbleute ab.)
Sappho
(bie Hände über bie Bruft gelegt).
Sie gehn! Nun ift mir wohl! — Nun will id ruhn!
Eucharis.
Du zitterſt!
Khamnes. .
Weh! du wantit! — o Sappho!
Eudaris
(die WBankende in ihre Arme faſſend).
Götter!
Sappho
(in Eucharı8’ Armen.)
D, laß mid finken! Warum bältft du mid?
Der Vorhang fällt
— — — —
Fünfker Aufzug.
Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Tagesanbruch.
Erſter Auftritt.
Sappho figt Halb liegend auf der Raſenbank, unbeweglich vor ſich hin⸗
ſtarrend. Im einiger Entfernung ſteht Eucharis; weiter zurück mehrere
Sklavinnen. Rhamnmes kömmt.
Eucharis
(den Finger auf den Mund).
Still! ſtill!
Rhamnues.
Schläft fie?
Endaris.
Die Augen jtehen offen,
Der Körper wacht, ihr Geift nur fcheint zu ſchlafen!
So liegt fie feit drei Stunden regungslos.
Khamnes.
Ihr folltet fie ind Haus doch —
Eucharis.
Ich verſucht' es,
Allein ſie will nicht. — Und noch nichts?
Rhammes.
Noch nichts,
So weit das Auge trägt, nur See und Wolken,
Von einem Schiffe nicht die kleinſte Spur.
222 Sappho.
BSappho (emporfahrend).
Schiff! Wo?
Rhamnes.
Wir ſahn noch nichts, Gebieterin!
Sappho (zurücſinkend).
Noch nicht! — Noch nicht!
Rhamnes.
Die Morgenluft weht kühl,
Erlaube, daß wir dich in dein Gemach —
Sappho
(ſhüttelt verneinend den Kopf).
Rhamnes.
Laß dich erbitten! Folge mir ins Haus!
Sappho
(ſchüttelt noch einmal).
Rhamnes (urüdweichend).
Du willſt's! — Ihr Anblid ſchneidet mir in3 Herz.
Encharis.
Ei ſieh! Was drängt ſich dort das Volk?
Rhamnues.
Laß ſehn!
Eucharis.
Es ſtrömt dem Ufer zu. Mir däucht, ſie kommen!
.Sappho (auſſpringend).
Ha!
(Während des Folgenden ſteht ſie in ängſtlich horchender Stellung
zurückgebeugt.)
Encharis.
Dort tritt an den Felſen und ſieh zu,
Vielleicht erblickſt du ſie.
Khamnmes.
Wohl, ih will jehn.
(Steigt auf eine Erhöhung des Ufers.)
Encharis.
Nur ſchnell, nur ſchnell! Nun, ſiehſt du?
Fünfter Aufzug. Zweiter Auftritt. 223
Rhamnes.
Dank den Göttern! '
Sie fommen! \
Sappho.
Ah!
Rhamnues.
Die waldbewachsne Spitze,
Die links dort weit ſich ins Gewäſſer ſtreckt,
Verbarg mir vorher den willkommnen Anblick.
Ein Heer von Kähnen wimmelt durcheinander
Mit raſchem Ruderſchlag dem Ufer zu.
Eucharis.
Und die Crtwichnen, ſind ſie unter ihnen?
Rhamnes.
Die Sonne bleadet, ich erkenn' es nicht!
Doch halt! da naht dem Ufer ſchon ein Kahn,
Vorausgeſendet mit der frohen Botſchaft. —
Seht legt er an. — Der Hirte ift’3 vom Thal —
Er ſchwenkt den Stab. Gewiß, fie find gefangen! —
Hierher, mein Freund! Hierher! — Er fümmt heran.
(Herabfteigend.)
Eudaris.
Gebieterin, fei ruhig, fei gefaßt!
— — — nn — —
Zweiter Auftritt.
Ein Landmann. Borige.
Laudmann.
Heil, Sappho, dir!
Encharis.
Iſt er gefangen?
Landmann.
Ja.
224 Sappho.
Rhamncts.
Wo denn?
Eucharis.
Und wie?
Laudmann.
Sie hatten tücht'gen Vorſprung,
Und er verſteht zu rudern. Faſt ſchon glaubt’ ich,
Mir würden nun und nimmer fie erreichen.
Doch endlih, ſchon in hoher See, erblidten
Mir feinen Kahn und drauf in raſcher Jagd!
Bald ift er eingeholt und ſchnell umringt.
Wir beißen um ihn lenken, doch er will nicht
Und faßt fein Mädchen mit der linfen Hand,
Das blanke Eifen in der Rechten ſchwingend. —
Begehrt Ihr was, erhabne Frau?
(Sappho winkt ihm, fortzufahren).
£kandmann.
Nun denn,
Und ſchwingt das Eifen drohend gegen ung;
Bis nur ein Ruderſchlag, der ihm gegolten,
Das Heine Mädchen an die Stirne trifft.
Sappho (verhünt fi die Augen mit der Hand).
fandmaun,
Sie finkt, er faßt fie in die Arme, mir,
Den Augenblid benügend, raf an Bord
Und greifen ihn und bringen ihn zurüd.
Sie Steigen fhon and Land. Seht Ihr die Beiden?
Das Heine Mädchen wankt noch taumelnd —
Sappho.
Ha,
Nicht hierher!
Rhamnmes.
Wohin ſonſt? Sie kommen ſchon.
Fünfter Aufzug. Dritter Auftritt. 2235
Sapphn.
Mer rettet mich vor feinem Anblid? — Mädchen! —
Du, Aphrodite, Shübe deine Magd!
(Sie eilt dem Hintergrunde zu und umllammert den Altar; ihre
Dienerinnen fteben rings um fie ber.)
Dritter Anftritt.
Phaon, Melitten führend. Ranbleute. Sappho mit ihren
Dienerinnen im Hintergrunbe,
Yhaon.
Ha, wag' e3 Keiner, Diefe zu berühren!
Nicht wehrlos bin ich, mern auch gleich entwaffnet.
Zu ihrem Schuß wird diefe Fauſt zur Keule,
Und jedes meiner Glieder wird ein Arm.
Hierher, Melitta, hierher! Zittre nicht!
Dir fol fein Leid gefhehn, jo lang ih athme! —
Verruchte, konntet ihr dieß Haupt verlegen,
Das reine Haupt der Unfhuld, und ſeid Männer?
So graufam dacht' ich höchftens mir ein Weib,
Ein ſchwaches, feiges, aufgereiztes Weib!
Du warſt's, der nah ihr ſchlug, ich kenne dich;
Fort, von mir, fort! Daß ich die Rachegötter
Vorgreifend nicht um ihren Raub betrüge!
Wie fühlit du dich?
Melitte,
Wohl.
Phaon.
O, dein Blick verneint!
Dieß Zittern, dieſe Bläſſe, laut verräth ſie
Die erſte Lüge, die dein Mund geſprochen.
Verſuche nicht, den Grimm in mir zu dämpfen,
Zu neuer Gluth fachft du die Flammen an!
Grillparger, Werle. U. 15
—
224 Sappho.
Rhamnecs.
Wo denn?
Eucharis.
Und wie?
£audmann.
Sie hatten tücht'gen Borfprung,
Und er verfteht zu rudern. Faſt ſchon glaubt’ ich,
Wir würden nun und nimmer fie erreichen.
Doch endlich, fchon in hoher See, erblidten
Wir jeinen Kahn und drauf in raſcher Jagd!
Bald ift er eingeholt und jchnell umringt.
‚Wir heißen um ihn lenten, doch er will nicht
Und faßt fein Mädchen mit der linfen Hand,
Das blanke Eifen in der Rechten ſchwingend. —
Begehrt Ihr was, erhabne Frau?
(Sappho winkt ihm, fortzufahren).
kandmann.
Nun denn,
Und ſchwingt das Eifen drohend gegen uns;
Bis nur ein Ruderſchlag, der ihm gegolten,
Das Heine Mädchen an die Stine trifit.
Sappho (verhünt fi die Augen mit ver Hand).
Laudmaun.
Sie ſinkt, er faßt ſie in die Arme, wir,
Den Augenblick benützend, raſch an Bord
Und greifen ihn und bringen ihn zurück.
Sie ſteigen ſchon ans Land. Seht Ihr die Beiden?
Das kleine Mädchen wankt noch taumelnd —
Sappho.
Ha,
Nicht hierher!
Rhamnes.
Wohin ſonſt? Sie kommen ſchon.
Fünfter Aufzug. Dritter Auftritt. 225
Sapphn.
Mer rettet mich vor feinem Anblid? — Mädchen! —
Du, Aphrodite, fhüge deine Magd! |
(Sie eilt dem Hintergrunde zu und umllammert ven Altar; ihre
Dienerinnen ftehen rings um fie ber.)
Dritter Anftritt.
Phaon, Melitten führend. Landleute. Sappho mit ihren
Dienerinnen im Hintergrunde.
Phaon.
Ha, wag' es Keiner, Dieſe zu berühren!
Nicht wehrlos bin ich, wenn auch gleich entwaffnet.
Zu ihrem Schutz wird dieſe Fauſt zur Keule,
Und jedes meiner Glieder wird ein Arm.
Hierher, Melitta, hierher! Zittre nicht!
Dir ſoll kein Leid geihehn, fo lang ih athme! —
Verruchte, Tonntet ihr dieß Haupt verlegen,
Das reine Haupt der Unfhuld, und fein Männer?
So graufam dacht’ ich höchſtens mir ein Weib,
Ein ſchwaches, feiges, aufgereiztes Weib!
Du warft’3, der nad) ihr ſchlug, ich kenne dich;
Hort, von mir, fort! Daß ich die Rachegötter
Borgreifend nicht um ihren Raub betrüge!
Wie fühlt du dich?
Melitta,
Wohl.
Phaon.
O, dein Blick verneint!
Dieß Zittern, dieſe Bläſſe, laut verräth ſie
Die erſte Lüge, die dein Mund geſprochen.
Verſuche nicht, den Grimm in mir zu dämpfen,
Zu neuer Gluth fachſt du die Flammen an!
Grillparzer, Werke. II. 15
226 Sappho.
Hier ſetze dich auf dieſen Raſenſitz,
Hier, wo dein mildes, himmelklares Auge
Zum erften Male mir entgegen glängte
Und, wie des Tages goldner Morgenftrahl,
Des Schlafes düftre Bande von mir löste,
In den mich jene Zauberin gefungen;
Hier, wo die Lieb’ ihr holdes Werk begann,
Auf diefer Stelle fei es auch vollendet! —
Spredt! wo iſt Sappho?
Melitta.
Phaon, ruf ſie nicht!
Phaon.
Sei ruhig! Bin ich nicht ein freier Mann?
Wer gab das Recht ihr, meinen Schritt zu hemmen?
Noch Richterſtühle gibt's in Griechenland,
Mit Schrecken ſoll die Stolze das erfahren.
Zu Sappho hin!
Ein Landmann.
Du bleibſt!
Phaou.
Wer hält mich? Wer?
Landmann.
Wir alle hier!
Phaon.
Ich bin ein freier Mann.
Landmann.
Du warſt's, jetzt biſt der Strafe du verfallen.
Phaon.
Der Strafe, und warum?
Landmann.
Der Sklavin Raub
Ruft das Geſetz zur Rache wider dich.
pPhaon.
Es fordre Sappho Löſegeld für ſie,
Und zahlen will ich's, wären's Kröſus' Schätze.
Fünfter Aufzug. Dritter Auftritt.
Landmann.
Ihr ziemt's, zu fordern, und nicht bir, zu bieten.
Ihaon.
Seid ihr fo zahm, daß eines Weibes Race
Geduldig ihr die Männerhände leiht
Und dienftbar ſeid der Liebe Wechfellaunen?
Mir ftehet bei, denn Unrecht widerfährt mir!
Landmann.
Ob Recht, ob Unrecht, Sappho wird’3 entjcheiden!
Yhavu.
So ſprichſt du, Alter, und errötheft nicht?
Mer ift venn Sappho, daß du ihre Zunge
Für jene achteft an des Rechtes Wage?
ft fie Gebietrin hier im Land?
Landmann.
Gie iſt es,
Doch nicht, weil ſie gebeut, weil wir ihr dienen.
Phaon.
So hat ſie denn euch alle auch umſponnen?
Ich will doch ſehn, wie weit ihr Zauber reicht.
(Gegen das Haus zugehend.)
Zu ihr!
Landmann.
Zurüd!
Phaon.
Vergebens dräuet ihr.
Ich muß ſie ſehen. — Sappho, zeige dich!
Wo biſt du? oder zitterſt du vor mir? —
Ha! dort am Altar ihrer Diener Reihen!
Sie iſt es! — Du entgehſt mir nicht! — Zu mir!
227
(Durchbricht die Menge. Auch ber Kreis ber Skladinnen öffnet ſich.
Sappho liegt hingegoſſen an den Stufen des Altars.)
£Zandmaun.
Du magft es, unbejonnen fredher Knabe?
228 Sappho.
Yhaon.
Was willft du an den Stufen bier der Götter?
Sie hören nicht der Bosheit Flehn. — Steh auf!
(Er faßt fie an. Bet feiner Berührung fährt Sappho empor und cilt
mit fliegenden Schritten, ohne ihn anzufehen, dem Vorgrunde zu.)
Phaon (ine folgend).
Entweichſt du mir? du mußt mir Rede ftehn!
Ha! bebe nur! E3 iſt jeßt Zeit, zu beben!
Weißt du, was du gethan? Mit welchem Recht
Wagſt bu es, mih, mid, einen freien Mann,
Der Niemand eignet, als fich felber, hier
In frevelhaften Banden feit zu halten?
Hier, Diefe da! in ungewohnten Waffen,
Haft du fie ausgefandt? Haft du fie? Sprih! —
So Stumm! der Diehtrin füge Lippe ſtumm?
Sapphe.
Es ift zu viel!
Phaon.
Die Wange röthet ſich,
Von Zornes heißen Gluthen überflammt.
Recht, wirf die Larve weg, ſei, was du biſt,
Und tobe, tödte, heuchleriſche Circe!
Sappho.
Es iſt zu viel! — Auf, waffne dich, mein Herz!
Phaon.
Antworte! Haſt du dieſe ausgeſandt?
Sappho (u Rhamnes).
Geh hin und hol die Sklavin mir zurück,
Nur ſie und Niemand anders ließ ich ſuchen.
Phaon.
Zurück! Es wage Niemand, ihr zu nahn!
Begehre Löſegeld! Ich bin nicht reich,
Doch werden Eltern mir und Freunde willig ſteuern,
Mein Glück von deiner Habſucht zu erkaufen.
Fünfter Aufzug. Dritter Auftritt. 229
Sapphe
(no immer abgemwanbt).
Nicht Solo verlang’ ih, nur was mein. Sie bleibt!
Yhaon,
Sie bleibet nicht! Bei allen Göttern, nein!
Du felber haft dein Recht auf fie verwirft,
Als du den Dolch auf ihren Buſen zückteſt;
Du kaufteſt ihre Dienfte, nicht ihr Leben.
Glaubſt du, ich ließe fie in deiner Hand?
Noch einmal, fordre Löfegeld und laß fie!
Sappho (zu Rhamnes).
Erfülle, was ih dir befahl!
Dhaoım.
Zurüd!
Du rührft an deinen Tod, berührit du fie! —
So ift dein Bufen denn jo ganz entmenfcht,
Daß er fih nicht mehr regt bei Menfchenleivden ?
Zerbrich die Leier, gifterfüllte Schlange,
Die Lippe töne nimmerdar Geſang!
Du haft verwirft der Dichtung goldne Gaben!
Den Namen nicht entweihe mehr der Kunft!
Die Blume foll fie fein aus diefes Lebens Blättern,
Die hoch empor, der reinften Kräfte Kind,
Sn blaue Luft das Balfamhaupt erhebt,
Den Sternen zu, nad) denen fie gebildet:
Du haft als gift’gen Schierling fie gebraucht,
Um deine Feinde grimmig zu verderben!
Wie ander3 malt’ ich mir, ich blövder Thor,
Einft Sappho'n aus, in frühern, fchönern Tagen !
Weich, wie ihr Lied, war ihr verflärter Sinn,
Und malellos ihr Herz, wie ihre Lieder;
Derfelbe Wohllaut, der der Lipp' entquoll,
Er mwiegte fih auch wogend in der Bruft,
Und Melodie war mir ihr ganzes Wefen.
Mer hat dih denn mit Zauberfchlag verwandelt?
230 Sappho.
Ha! Wende nicht die Augen ſcheu von mir!
Mich blicke an! Laß mich dein Antlitz ſchauen,
Daß ich erkenne, ob du's ſelber biſt,
Ob dieß die Lippen, die mein Mund berührt,
Ob dieß das Auge, das ſo mild gelächelt,
Ob, Sappho, du es biſt, du Sappho?
(Er faßt ihren Arm und wendet ſie gegen ſich. Sie blickt empor, ihr
Auge trifft das jeinige.)
Sappho cſchmerzvoll zuſammenfahrend).
Weh mir!
Phaon.
Du biſt es noch, ja, das war Sappho's Stimme,
Was ich geſagt, die Winde tragen's hin!
Es ſoll nicht Wurzeln ſchlagen in dem Herzen!
O, es wird helle, hell vor meinem Blick,
Und mie die Sonne nach Gemitterfturm,
Strahlt aus der Gegenwart entlapnen Wolfen
Im alten Glanze die Vergangenbeit.
Ser mir gegrüßt, Crinnrung ſchöner Zeit!
Du bift mir wieder, ma3 tu einft mir warft,
Ch ih dich noch gejehn, in ferner Heimat,
Daſſelbe Götterbilv, das ih nur irrend
So lange für ein Menſchenantlitz hielt, —
Heig did als Göttin! Segne, Sappho! fegne!
Sappho.
Betrüger!
Phaon.
Nein, fürwahr ich bin es nicht!
Nenn ib dir Liebe ſchwur, es war nicht Täuſchung;
Ach liebte dich, ſo wie man Götter mehl,
Wie man da3 Gute lichet und das Schöne,
Mit Höbern, Sappbe, halte du Gemeinſchaft,
Man jteigt nibt ungeftraft vom Göttermahle
Herunter in den Kreis ber Sterblichen.
Fünfter Aufzug. Dritter Auftritt. 231
Der Arm, in dem die goldne Leier ruhte,
Gr ift geweiht, er falle Niebres nicht.
BSappho (abgewenbet vor fi hin),
Hinab in Meeresgrund die golone Xeier,
Wird ihr Beſitz um folhen Preis erfauft!
Ihası.
Sch taumelte in dumpfer Trunfenbeit,
Mit mir und mit der Welt im düſtern Gtreite,
Vergeben rief ich die Gefühle auf,
Die ih in Schlummer glaubt” und die nicht waren;
Du ftandit vor mir, ein unbegreiflih Bild,
Zu dem's mid hin, von dem's mid fort
Mit unfihtbaren Banden mädtig zog;
Du warft — zu niedrig glaubte dich mein Zorn,
Zu hoch nennt die Befinnung did — für meine Liebe,
Und nur das Gleiche fügt ſich leiht und wohl.
Da fah ich fie, und hoch gen Himmel [prangen
Die tiefen Quellen alle meines Innern,
Die ſtockend vorher weigerten den Strahl.
Komm ber, Melittion, komm ber zu ihr!
O, ſei nidht bange, fie ift mild und gütig.
Gnthüll’ der Mugen ſchimmernden Kryftall,
Daß fie dir blide in die fromme Bruſt
Und freudig ohne Makel dich erkenne!
Alclitta Ghüchtern nahend).
Gebieterin !
Sappho (fie von fich haltend).
dort von mir!
Weliita.
Ach, He zürnt!
Phaonu.
So wär' ſie doch, was ich zu glauben ſcheute?
Komm her, Melittion, an meine Seite!
Du ſollſt nicht zu ihr flehn! Vor meinen Augen
Soll dich die Stolze nicht beleidigen,
232 Eappho.
Du ſollſt nicht flehn! Sie kennt nicht deinen Werth,
Nicht ihren, denn auf ihren Knieen würde
Sie fonft, die Schuld der Unſchuld, ſtumm dir huld'gen!
Hierher zu mir! Hierher!
Aeclitta.
Rein, lab mich knien;
Wie's wohl dem Kinde ziemt vor feiner, Mutter,
Und dünkt ihr Strafe recht, fo Strafe fie,
Ich will nicht murren wider ihren Willen.
Yhaon.
Nicht dir allein, auch mir gehörft du an,
Und mich erniedrigſt du duch dieſe Demuth!
Noch gibt eg Mittel, Das uns zu erzwingen,
Mas jie der Bitte ſtörriſch rauh verfagt.
Melitta,
D, wär’ ed auch! mich freut nur ihre Gabe,
Erzwungen wäre mir das höchſte Glüd zur Laft.
Hier will ih knien, bis mir ein milder Blid,
Ein gütig Wort Verzeihung angekündigt.
Wie oft ſchon lag ich bier an dieſer Stelle,
Und immer ſtand ich freudig wieder auf;
Sie wird mich dießmal weinend nicht entlaffen!
Bid’ auf dein Kind hernieder, theure Frau!
Sappho
(fteht, das Geſicht auf Eucharis’ Schulter gelehnt).
Phaon.
Kannſt du ſie hören, und bleibſt kalt und ſtumm?
Melitta.
Sie ift nit falt, und wenn auch ſchweigt ihr Mund,
Ich fühl! ihr Herz zu meinem Herzen fprechen!
Sei Richter, Sappho, zwifchen mir und ihm!
Heiß’ mi ihm folgen, und ich folge ihm,
Heiß’ mich ihn fliehn! — o Götter! Alles! Alles !
Du zitterft! — Sappho, höreft du mich nicht?
Fünfter Aufzug. Vierter Auftritt. 233
Yhaon
(Melitten umſchlingend und ebenfalls hinknieend).
Den Menſchen Liebe und den Göttern Ehrfurcht,
Gib uns, was unfer, und nimm hin, was dein!
Bedenke, was du thuft und mer du bift!
Sappho
(fährt bei den letzten Worten empor und blidt bie Anieenden mit einem
ftarren Blide an, wendet fi dann fchnell ad und geht),
Melitta.
Weh mir! fie flieht, fie hat ihr Kind verftoßen.
(Sappho ab. Eudarid und Dienerinnen folgen.)
Dierter Auftritt.
Borige ohne Sappho und Eucharis.
Yhaon.
Steh auf, mein Kind! Zu Menſchen flehe nicht,
Roc bleiben ung die Götter und wir felbft!
Melitta.
Ich kann nicht leben, wenn fie mich verdammt,
Ihr Auge war von jeher mir der Spiegel,
Vor dem ich all mein Thun und Fühlen prüfte,
Er zeigt mir jegt die eigne Ungeftalt.
Was muß fie leiden, die gefränkte Frau!
Yhaon.
Du leihſt ihr dein Gefühl. Ganz andre Wogen
Erheben fih in dieſer Stolzen Bruft!
Melitta.
Scheint ſie auch ſtolz, mir war ſie immer gütig,
Wenn oft auch ſtreng, es barg die ſcharfe Hülle -
Mir immer eine ſüße, holde Frucht.
Weh mir, daß ich Das je vergeſſen konnte!
Rhamnes.
Ja wohl! weh dir, daß du es je vergeſſen!
234 Sappho.
Phaon.
Was zittert ihr? kennt ihr ſie gar ſo mild.
Khamnes.
Sie zürnte, als ſie ging, und ohne Schranken
Wie ihre Liebe iſt ihr Zorn. Drum weh euch!
Phaon.
Was kann ſie drohn?
Rhamues.
Der flücht'gen Sklavin Tod.
Phaon.
Wer ſagt das?
Khamnes.
Die Geſetze dieſes Landes.
Phaon.
Ich ſchütze ſie!
Rhamnes.
Du? Und wer ſchützet dich?
phaon.
Und gähnte hier die Erde vor mir auf,
Und donnerte die See, mich zu verſchlingen,
Vermöchte ſie, die Kräfte der Natur
In grauſes Bündniß wider mich zu einen,
Feſt halt' ich Dieſe, lachend ihres Zorns,
Sie ſelbſt und ihre Drohungen verachtend! —
Khammes.
Verachten? Sappho'n? Ind wer bift du denn,
Daß du dein Wort magft in die Schale legen,
In der die Menfchheit ihre Erften wiegt?
Zu ſprechen wagft, wo Griechenland gefprodhen ?
Blödficht'ger, frevler Thor, dünkt fie dir werthlos,
Weil ohne Mapftab du für ihren Werth?
Nennft du das Kleinod blind, weil es dein Nuge?
Daß fie dich liebte, daß fie aus dem Staub
Die undankbare Schlange zu ſich hob,
Die nun mit gift'gem Zahn ihr Herz zerfleifht;
Fünfter Aufzug. Vierter Auftritt. 235
Daß ihren Reichthum fie an dich vergeudet,
Der feinen Sinn für folder Schäße Werth,
Das ift der einz'ge Fled in ihrem Leben,
Und feines andern zeiht fie felbft der Neid. —
Sprih nit! — Selbſt diefer Troß, in dem du nun
Dich auflehnft wider fie, er ijt nicht dein!
Wie hätteft du aus deiner Niedrigfeit,
Bon den Vergeßnen der Vergeſſenſte,
Gewagt, zu murren wider Hellas’ Kleinod?
Daß fie dich angeblidt, gab dir den Stolz,
Mit dem du nun auf fie hernieder fiehft.
Phaon.
Der Dichtung Ruhm nicht mag ich ihr beſtreiten. —
Rhamnes.
Du magjt e3 nicht? Ei doch! Als ob du's könnteſt!
Hoch an den Sternen bat fie ihren Namen
Mit diamantnen Lettern angejchrieben,
Und mit den Sternen nur wird er verlöfchen!
In fernen Beiten, unter fremden Menfchen,
Wenn längft zerfallen diefe morfchen Hüllen
Und felber unfre Gräber nicht mehr find,
Wird Sappho’3 Lied noch von den Lippen tönen,
Wird leben no ihr Name — und der deine.
Der deine, ja! Sei ftolz auf die Unfterblichkeit,
Die dir der Frevel gibt an ihrem Haupt!
In fremden Land, bei kommenden Gefchlechtern,
Wenn ſchon Jahrhunderte, noch ungeboren,
Hinabgeftiegen in das Grab der Zeit,
Wird es erfchallen nody aus jedem Munde:
Sappho hieß Die, die diejes Lied gefungen,
Und Phaon heißt er, der fie hat getöbtet!
Melitta.
O Phaon!
Phaon.
Ruhig! Ruhig!
236 Sappho.
Khamnes.
Armer Tröfter:
Gebeutſt du Ruh mit unruhvoller Stimme?
Sie kenne ihr Verbrechen und erzittre,
Die Rache wenigſtens vermiſſe Sappho nicht!
Du magſt der Dichtung Ruhm ihr nicht beſtreiten!
Und welchen ſonſt beſtreiteſt du ihr denn?
Wagſt du's, an ihrem Herzen wohl zu zweifeln,
Der, was er iſt, nur ihrem Herzen dankt?
Sieh um dich her! Es iſt kein Einz'ger hier,
Dem ſie nicht wohlgethan, der nicht an ſich,
In Haus und Feld, an Gut und bei den Seinen
Von ihrer Milde reiche Spuren trägt;
Nicht Einer, deſſen Herz nicht höher ſchlüge,
Wenn er ſich Mitylenes Bürger,
Wenn er ſich Sappho's Landgenoſſe nennt.
Frag jene Bebende an deiner Seite,
Genoſſin, ſcheint's, der That mehr, als der Schuld,
Wie gegen ſich die Herrin ſie gefunden?
Was hatte wohl die Sklavin dir zu bieten?
Wenn ſie dir wohlgefiel, ſo war es Sappho's Geiſt,
War Sappho's milder, mütterlicher Geiſt,
Der anſprach dich aus ihres Werkes Munde.
O, preſſe nur die Stirn! du ſtrebſt vergebens,
Du löſcheſt die Erinnrung nimmer aus!
Und was willſt du beginnen? Wohin fliehn?
Kein Schutzort iſt für dich auf dieſer Erde;
In jedes Menſchen frommgeſinnter Bruſt
Erhebt ein Feind dem Feinde ſich des Schönen.
Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,
Und ſchreien wird er in der Menſchen Ohr:
Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind!
Und vogelfrei wirft du das Land durchirren
Mit ihr, der du Verderben gabit für Schutz.
Kein Grieche öffnet dir fein gaftlih Haus,
/
Fünfter Aufzug. Fünfter Auftritt.
Kein Gott gewährt dir Eintritt in den Tempel,
Erbebend wirft du fliehn vom Opfer: Altar,
Wenn Prieſters Spruch Unbeilige entfernt,
Und fliebft du, wird die graufe Gumenibe,
Der Unterird’schen ſchwarze Rachebotin,
Die Schlangenhaare jchütteln um dich ber,
Dir Sappho’3 Namen in die Ohren freifchen,
Bis dich das Grab verfehlungen, das du grubft!
Aclitta. E
Halt ein! Halt ein!
Yhaon.
Willft du mich rafend machen?
Rhamnes.
Du warſt's, als du die Hohe von dir ſtießeſt!
Genieße nun die Frucht, die du gepflanzt!
Melitta.
Zu ihr!
Hhaon.
Mer rettet mi) aus diefer Qual?
Fünfter Auftritt.
Eucharis. Borige
Eucharis.
Biſt du hier, Rhamnes? Eilig komm!
Rhamnes.
Wohin?
Eucharis.
Zu Sappho'n.
Rhamnes.
Was —?
Eudaris.
Ich fürdte, fie ift krank.
237
238 Sappho.
Khamnes.
Die Götter wenden's ab!
Eudaris.
Ich folgte ihr von fern
Hinauf zur großen Halle, und verftedt
Bewacht' ih all ihr Thun mit fcharfem Auge.
Dort ſtand fie, an ein Säulenpaar gelehnt,
Hinunter ſchauend in die weite See,
Die an ven Felfenufern brandend fchäumt.
Sprad: und bewegungslos ftand fie dort oben,
Mit ftarren Augen und erblaßten Wangen,
Im Kreis von Marmorbilvern, faft als ihres Gleichen.
Nur manchmal regt fie fih und greift nah Blumen,
Nah Gold und Schmud, und was ihr Arm erreicht,
Und wirft’3 hinunter in die laute See,
Den Sturz mit jehnfuhtsvollem Aug’ verfolgend.
Schon wollt’ ih nahn, da tönt’ ein Klingen durchs Gemach,
Und zudend fuhr e3 durch ihr ganzes Wegen.
Die Leier war’3, am Pfeiler aufgehangen,
An deren Saiten laut die Seeluft fpielte.
Schwer athmend blidt fie auf und fährt zufammen,
Wie von Berührung einer höhern Macht.
Die Augen auf die Leier ftarr geheftet,
Beleben fih mit Eins die todten Züge,
Und fremdes Lächeln fpielt um ihren Mund.
Sept öffnen fich die ftrenggejchloßnen Lippen,
Es tönen Worte, fhauerlihen Klang,
Aus Sappho’3 Munde, doch nicht Sappho’3 Worte.
Rufſt du mir, ſpricht fie, Freundin? Mahnft du mi?
O, ich verſteh' did, Freundin an der Wand!
Du mahnſt mi an verfloßne Zeit! Hab’ Dank! —
Wie fie die Wand erreicht, und wie die Xeier,
Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu fagen,
Denn wie ein Bligftrahl flirrte mich's vorüber.
Jetzt bi’ ich hin, fie hält das Saitenfpiel
Fünfter Aufzug. Sechster Auftritt. 239
Und drüdt es an die fturmbewegte Bruft,
Die hörbar laut den Athem nahm und gab.
Den Kranz dann, den Olympijchen, des Sieges,
Dort aufgehangen an dem Hausaltar,
Schlingt fie ums Haupt und wirft ven Purpurmantel,
Hochglühend, fo wie er, um ihre Schultern.
Mer fie jetzt fah, zum erften Male fah,
Auf des Altares hohen Stufen jtehend,
Die Leier in der Hand, den Blick gehoben,
Gehoben ihre ganze Lichtgeitalt,
Berllärungsfhimmer über fie gegoflen,
Als Ueberird'ſche hätt’ er fie begrüßt
Und zum Gebet gebeugt die ſchwanken Kniee.
Doch regung3los und ftumm, jo wie fie war,
Fühlt' ih von Schauder mi und Graun ergriffen,
hr lebend todter Blid entjegte mid),
Drum eilt’ ih —
Khamnes.
Und verließeft fie! — Zu ihr!
Doch ſieh! Naht nicht —? Sie iſt's; fie felber kömmt!
Sechster Auftritt.
Sappho, reich gekleidet, toie im erſten Aufzuge, ben Purpurmantel
um bie Schultern, ben Lorbeer auf dem Haupte, bie goldne Xeier in der
Hand, erfcheint, von ihren Dienerinnen umgeben, auf den Stufen bes
Säulenganges und jihreitet ernjt und feierlich herunter.
Zange Paufe.
Melitta.
O Sappho, o Gebieterin!
Bappho (ruhig und ernft).
Mas mwillft du?
Melitta.
Gefallen ift die Binde meiner Augen!
— — — — —
240 Sappho.
O, laß mich wieder deine Sklavin ſein,
Was dir gehört, beſitz es und verzeih!
Sappho (Gben fo).
Glaubſt du ſo übel Sappho'n denn berathen,
Daß Gaben ſie von deiner Hand bedarf?
Mas mir gehört, es ift mir ſchon geworden!
Hhası.
D höre, Eappho! —
Sappbe.
Nicht berühre mid!
Sch bin den Göttern heilig!
Hhesn.
Wenn du mid
Mit holdem Auge, Eappho, je betrachtet —
Sappho.
Du ſprichſt von Dingen, die vergangen ſind.
Ich ſuchte dich und habe mich gefunden!
Du faßteſt nicht mein Herz, ſo fahre hin!
Auf feſtern Grund muß meine Hoffnung fußen.
Yhaon.
So haſſeſt du mid aljo?
Sappho.
Lieben! Haſſen!
Gibt es kein Drittes mehr? Du warſt mir werth
Und biſt es noch und wirſt mir's immer ſein,
Gleich einem lieben Reiſ'genoſſen, den
Auf kurzer Ueberfahrt des Zufalls Laune
In unſern Nachen führte, bis das Ziel erreicht
Und ſcheidend Jeder wandelt ſeinen Pfad,
Nur manchmal aus der fremden weiten Ferne
Des freundlichen Gefährten ſich erinnernd —
(Die Stimme verſagt ihr.)
Yhaom (bewegt).
D Eappho!
Fünfter Aufzug. Sechster Auftritt.
Sapphe.
Still! Laß uns in Ruhe fheiden!
(Zu den Uebrigen.)
hr, die ihr Sappho'n ſchwach gefehn, verzeiht!
Ich will mit Sappho’3 Schwäche euch verjühnen,
Gebeugt erft zeigt der Bogen feine Kraft!
(Auf den Altar im Hintergrunde geigend.)
Die Flamme zündet Aphroditens an,
Daß hell fie ftrahle in das Morgenroth!
Es geſchieht.)
Und nun entfernt euch, laſſet mich allein,
Alleine mit den Meinen mich berathen!
Khammes.
Sie will's, laßt uns gehorchen, kommt, ihr Alle!
(Biehen ſich zurück.)
Sappho (vortretend).
Erhabne, heil’ge Götter!
Ihr habt mit reihem Segen mich geſchmückt!
In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,
Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir,
Ein Herz, zu fühlen, einen Geiſt, zu denken,
Und Kraft, zu bilden, was ih mir gedacht.
Ihr habt mit reihem Segen mich geſchmückt,
Ich danf euch!
Ihr habt mit Sieg dieß ſchwache Haupt gekrönt
Und ausgeſät in weitentfernte Lande
Der Dichtrin Ruhm, Saat für die Ewigkeit!
Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen,
Und mit der Erde nur wird Sappho untergehn.
Ich dank' euch!
Ihr habt der Dichterin vergönnt, zu nippen
An dieſes Lebens ſüß umkränztem Kelch!
Zu nippen nur, zu trinken nicht.
O, ſeht! Gehorſam euerm hohen Wink,
Grillparzer, Werke. H. 16
241
PIE GE ER sie TE Zu ———— De > —
— — u - . B ⁊ —— ——— Zn SH a ne —
- E — —
242 Sappho.
Setz' ich ihn hin, den ſüß umkränzten Becher,
Und trinke nicht!
Vollendet hab' ich, was ihr mir geboten,
Darum verſagt mir nicht den letzten Lohn!
Die euch gehören, kennen nicht die Schwäche,
Der Krankheit Natter kriecht ſie nicht hinan,
In voller Kraft, in ihres Daſeins Blüthe
Nehmt ihr ſie raſch hinauf in eure Wohnung —
Gönnt mir ein gleiches, kronenwerthes Loos! —
O, gebt nicht zu, daß eure Prieſterin
Ein Ziel des Hohnes werde eurer Feinde,
Ein ‚Spott des Thoren, der ſich weile dünkt.
Ihr bracht die Blüthen, brechet auch den Stamm!
Laßt mich vollenden, ſo wie ich begonnen,
Erſpart mir dieſes Ringens blut'ge Qual.
Zu ſchwach fühl ih mich, länger noch zu kämpfen,
Gebt mir den Sieg, erlaffet mir den Kampf! —
(Begeiftert:).
Die Flamme lodert, und die Sonne fteigt,
Ich fühl’3, ich bin erhört! Habt Dank! ihre Götter! —
Du Phaon, du Melitta, kommt heran!
(Phaon auf die Stirne Fiffenb)
Es küſſet did ein Freund aus fernen Welten,
(Melitten umarmend)
Die todte Mutter ſchickt dir diefen Kuß!
Nun hin! dort an der Liebesgöttin Altar
Erfülle fih der Liebe dunkles 2003,
(Eilt dem Altare zu.)
Rhamnes.
Mas finnet fie? Verklärt ift all ihr Weſen,
Glanz der Unfterblidden umleuchtet fie!
Sappho
(auf eine Erhöhung des Ufers hintretend und bie Hände über bie Beiden
ausftredend).
Den Menfchen Liebe und den Göttern Ehrfurdt!
Tünfter Aufzug. Sechster Auftritt. 243
Genießet, mas euch blüht, und denket mein!
So zahle ich die letzte Schuld des Lebens,
Ihr Götter, fegnet fie und nehmt mid auf!
(Stürzt fih vom Yelfen ins Meer.)
Ihaon.
Halt ein! Halt, Sappho!
Melitta.
Meh! fie ftürzt, fie ftirbt!
Pha⸗on (mit Melitten befchäftigt).
Schnell Hülfe! Fort ans Ufer! Rettung! Hülfe!
(Einige ab.)
Khamnes (ver aufs Ufer geftiegen).
Ihr Götter, wendet ab! dort jene Stlippe,
Berührt fie die, ift fie zerfchellt, zerjchmettert! —
Zragt fie vorüber! — Weh! — Es ift gefchehn!
Yhaon.
Was kreifcheit du? Nah Kähnen! Eilet! Rettet!
Khammes (herabfteigend).
Halt ein! Es ift zu fpät! Gönnt ihr das Grab,
Das fie, verſchmähend dieſe faljche Erde,
Gewählt fih in des Meeres heil’gen Fluthen !
Yhaon.
Todt?
Rhamues.
Phasn.
Weh mir! Unmöglich, nein!
Rhamnes.
Todt!
Es iſt —
Verwelkt der Lorbeer und das Saitenſpiel verklungen!
— Es war auf Erden ihre Heimat nicht.
(Mit erhobenen Haͤnden.)
Sie ift zurüdgelehret zu den Ihren.
Der Vorhang fällt.
Ende.
Sappho wurde am 21. April 1818 zum erften Male
im Burgtheater aufgeführt. Der junge Grillparzer — er
ftand in feinem fechsundzwanzigften Jahre — hatte fie
binnen wenigen Wochen in einem Zuge gejchrieben. Die
Beranlaffung dazu war geweſen, daß ihn auf dem Wege
nah dem Prater ein Mufilfreund angefproden und ihn
zur Abfaffung eines Opernterte3 aufgefordert hatte. Die
Dichterin Sappho hatte er zur Heldin dieſer Operndichtung
vorgejhlagen. Grillparzer hatte dieſe Arbeit abgelehnt und
war allein in den einfameren Theil des Prater3 fort:
gewandelt, das Thema eines Sappho:Drama’3 feiner
Phantafie bingebend. Mit allen Kräften bemädhtigt fich
‚jofort jeine Schöpfungsfraft diefes poetijchen Stoffes, und
al3 er nad) der Stadt zurüdgelehrt, Tteht das Gerüft des
dramatiſchen Aufbaues vor feiner Seele.
Ebenſo raſch ift er an die Ausführung gegangen.
Er bat damals im Schattenhofe gewohnt und ift durch
vie Hite eines Badofens unter feinem Zimmer gepeinigt
worden während des Schreibend. ine Berwandte hat
ihm ein Kleines Zimmer ihrer Wohnung eingeräumt,
damit der eifrige Jüngling feinem Schreibedrange genügen
fünne. In diefem vergönnten Raume hat er gleihjam
in einem Zuge binnen ein paar Wochen die Tragödie ge:
ſchrieben.
Das Originalmanuſkript iſt noch vorhanden und zeigt
einen Akt lang unveränderten Fluß der Reden. Erſt in
den letzten Akten erſcheinen Korrelturen und eine große
Sappho. 245
Einſchaltung. Dieſe betrifft den Diener Rhamnes, welcher
ſich dem Dichter erſt im Verlaufe der Handlung zu einer
wichtigen Perſon herausgebildet hat. Im Perfonenver:
zeichniſſe fehlt er ganz, im Texte erſcheint er dann nur
als „Diener”, und in den legten Alten erſt erhält er den
Namen Rhamnes. Die Einfchaltung aber ift die große
Rede des Rhamnes im fünften Alte, welche er gegen den
auf fein Recht pochenden Phaon fpriht, und meldhe zu
den ftärkiten Wirkungen des Stüdes gehört.
Eine Aenderung im Borgange, ebenfall3 dieſen
Rhamnes betrefiend, ift im Driginalmanuffripte gar nicht
angedeutet. Hier nämlich bindet Phaon bei feiner Ent:
weihung mit Melitta den Rhamnes an eine Säule und
eilt allein mit Melitta in den Kahn. Das Rufen des
Rhamnes bringt Dienerinnen und Sappho herbei und
treibt zur jofortigen Berfolgung. Das hat der Dichter
dann jo geändert, daß Rhamnes gezwungen wird, die
Fliehenden bi3 an den Kahn zu begleiten, wie wir es jetzt
in der fünften Scene de3 vierten Altes fehen.
Grillparzer pflegte felbijt immer zu fagen, daß die
jenigen feiner Dramen an Fülle und Kraft verloren haben,
bei deren Niederfchreibung eine Unterbrehung des Schrei:
ben3 jtattgefunden hätte. Er ift ftet3 in großer Auf:
regung gemwefen beim Schreiben eine Drama’s, und eine
längere Baufe, welche durch äußere Umſtände herbeigeführt
worden, hat ftet3 feine Produktion geſchwächt.
Daß er bei der Sappho nicht unterbrochen worden,
das ift diefer Tragödie offenbar zum Heile geweſen. Sie
ift aus Einem Guffe und gehört zum Bollendetiten, was
er geichaffen.
Daß ein nod nicht fehsundzwanzig Jahre alter Jüng-
ling ſolche ſchöne Tragödie binnen wenig Wochen jchaffen
konnte, ift ein Beugniß für reiche Bildung und für außer:
orventlihe Stärke des Talentes.
Sophie Schröder war die erfte Darftellerin der Sappho.
246 Sappho.
Die erſte gedruckte Ausgabe des Stücks wurde denn auch
mit ihrem Bilde von Daffinger geziert.
Sie hat die Rolle bis in ihr Alter geſpielt, und dieß
iſt vielleicht Veranlaſſung geweſen, daß die Rolle der
Sappho zumeiſt der Heldenmutter zugetheilt worden iſt.
Meines Erachtens zum Nachtheile des Bühnenerfolges.
Die tragiſche Wirkung wird abgeſchwächt, wenn Sappho
dem Kreiſe der Liebhaberinnen ganz entrückt erſcheint; fie
wird ungemein erhöht, wenn die Darſtellerin der Sappho
noch gültigen Anſpruch auf die Eigenſchaften einer Lieb:
haberin maden Tann. Das Stüd erfhien wie neu ge
boren und fand einen ungemeinen Aufſchwung, als ich die
Rolle einer Liebhaberin übergab.
3. 2.